Flackernd schwebt Lyssa über den Grauen Berg. Obwohl sie nichts als eine runde Lichtkugel war, konnte sich die Fantasie kritisch umsehen. Ihre Strahlen, mal länger, mal kürzer, ließen erahnen, wie sie sich drehte und den Blick entgeistert über die flache Bergkuppe schweifen ließ.
Schließlich heftete sich ihr Blick auf einen grauen Wolf und das dunkle Blau wurde eine Spur heller. "Marv!", rief Lyssa vorwurfsvoll. "Was ist hier passiert?"
"Oh, mallo Lyssa!"
"Wo ist die Herberge?" Die Stimme des Kreaichs wurde nun wehklagend. "Wo sind meine ganzen Toten hin?"
"Ich habe die Herberge in die Grauwolf-Akademie integriert. Du bringst so viele Figuren um und dann tauchen sie wieder auf oder werden doch gerettet ... Das ohne Spoiler umzusetzen, war einfach zu viel."
"Aber im Kerker war doch ..."
"Belletristico, ich weiß. Aber ich habe Pascal mit dem Spiel eine eigene Siedlung geschrieben. Er hat alles jetzt auf seinem Profil."
Hätte Lyssa Arme gehabt, hätte sie diese nun über dem Kopf zusammengeschlagen. In Ermangelung solcher Gliedmaßen sandte sie Marv stattdessen ein Bild einer Buchfigur, die sich die Haare raufte. "Du hast sortiert?!"
Stolz grinste Marv zu ihr herauf. "Ganz genau! Wusstest du, dass wir vier Bücher nur mit Informationen über die Pseudonyme und verteilten Geschichten hatten? Niemand hat mehr irgendwas gefunden, mich eingeschlossen. Jetzt gibt es ein Infobuch und ein Buch für Pseudonym-Geschichten."
Lyssa wurde so hell, dass sie vermutlich kurz vor einer Ohnmacht stand. "Zwei Bücher?", wimmerte sie. "Nur zwei?"
"Na ja, und das Gedicht für das Siebengestirn. Aber das wollte ich dann doch nicht integrieren, nachdem Frost so lange am Cover saß!"
"Die anderen Bücher hatten auch Cover!", rief Lyssa anklagend.
"Aber die waren von mir." Marv stand auf. "Es ist ja alles noch da. Sogar der alte Reiseführer ist nicht weg - der ist nur unveröffentlicht und kommt dann später mal zu Sylas. Dafür habe ich dann nur ein Buch, was ich aktuell halten muss. Das macht meine Arbeit so viel leichter!"
Lyssa drehte sich einmal im Kreis. Auf dem Grauen Berg gab es nun deutlich weniger Gebäude - schließlich war jedes durch eine Geschichte dargestellt worden. Nun war da nur noch die Burg, umgeben von den Challenge-Ländereien. "Es sieht so trostlos aus."
"Ganz im Gegenteil", warf Marv ein. "Das ist Minimalismus. Indem man weniger Dekorationen einsetzt, diese aber gezielt verteilt, kann man diese besser zur Geltung bringen!"
Lyssa flackerte wenig überzeugt. "Es ist doch viel hübscher, wenn man alles hat."
"Nein, Lyssa. Das nennt man Horten."
"Phh."
"Hör mal", sagte Marv in versöhnlichem Tonfall. "Ich habe noch eine Geschichte auf meiner Liste, die ich immer noch nicht einsortiert kriege. Die Od(d)yssee. Die ist überall ein bisschen fehl am Platz."
"Genau. Die hast du nie weitergeschrieben." Lyssa hielt ihrem Wirt das immer noch vor.
"Weil sie nicht mehr zu mir passte." Marv seufzte bedrückt. "In der Geschichte geht es um den Marvin aus den Büchern. Mit seiner Vergangenheit - Drachen, Wölfe und so weiter. Aber sein Charakter passt nicht mehr. Der Charakter ist mehr ich - Belle-Marv. Nur, dass Belle-Marv lieber Brotchips isst als Tiere zu jagen."
"Hm." Wie immer, wenn sie mit einem Problem konfrontiert war, suchte Lyssa sofort nach einer Lösung. Und wie (fast) immer, fand sie auch eine. Diesmal brauchte sie nicht einmal besonders lange. "Dann ist es eben der Marv dazwischen. Marv von Fanfiktion.de, bevor er nach Belle kam. In der Zeit haben wir die Geschichte auch angefangen."
"Marvin und ich haben inzwischen aber ganz andere Vergangenheiten." Marv mochte die Idee vom geflügelten Wolf noch immer. Die wollte er nicht aufgeben.
"Das kriegen wir schon hin! Wir müssen vielleicht mal überarbeiten. Aber dann ... können wir die Legende um die Geißel der Legenden mal zu Ende bringen!"
"Geißel der Legenden?", wiederholte Marv.
"Schreib dir das auf! Marv, pack die Od(d)yssee auf die Liste für 2024!"
"Die Liste ist aber schon voll, wie soll ich ...?"
"Und da fällt mir ein, da sind noch ein paar andere alte Bücher offen!" Lyssas Funkeln war zurückgekehrt. Vorfreudig schwebte sie zur Burg. Marv musste ihr hinterher hetzen, um die lange Liste mit Texten mitzubekommen, die auf ihn einprasselte.
Offenbar würde auch das nächste Jahr nicht sehr ruhig bleiben.