Eigentlich hätte Joachim so etwas erwarten sollen. Er hätte erwarten sollen, dass es alles zu viel würde – zu viel für Julia. Das hier war nicht, weshalb sie nach Südafrika gezogen waren.
Dennoch sank ihm das Herz, als er sie auf dem Bett des Motels sitzen sah. Neben ihr eine gepackte Tasche. Sie hielt etwas in der Hand, sah nicht einmal auf, als er hereinkam. Sie musste eigentlich nichts sagen. Er mochte vielleicht nicht gut mit sozialen Dingen sein, scheiterte öfter einmal darin eine Situation richtig zu lesen, doch dass hier war selbst für ihn offensichtlich.
Er schluckte. „Julia?“
Ein Zögern, das sich wie eine Ewigkeit anfühlte. Dann sah sie auf. Ihre Augen waren gerötet. Sie hatte geweint. Nun schluckte sie. „Joachim.“ Ihre Stimme war heiser.
Er wusste nicht wirklich, was er sagen sollte. Ein Teil von ihm wollte sich entschuldigen, dass alles so weit gekommen war. Es war nicht wirklich seine Schuld, aber irgendwo auf dem Pfad, der ihn hierhin gebracht hatte, hätte er sicher irgendetwas anders machen können, besser. Vielleicht wäre er dann nicht so geändert.
„Du … gehst?“, fragte er.
Schweigen. Ein viel zu langes, viel zu schmerzhaftes Schweigen. „Ja. Ich … Ich werde übermorgen nach England zurückfliegen.“ Da war ein leichtes Zittern in ihrer Lippe.
Was gab es dazu zu sagen? Er wusste es nicht. Außer: „Ich verstehe …“ Er fixierte die Tür zum kleinen Badezimmer des Motelzimmers.
„Es tut mir leid“, flüsterte sie und stand auf. „Ich … ich kann einfach nicht mehr. Das hier … es ist … Ich kann nicht mehr.“
„Ich verstehe.“ Er wiederholte sich. Aber was sollte er sonst sagen. Er verstand es ja. Als sie zusammengekommen waren, als sie sich verlobt hatten, war er Gründer einer erfolgreichen Firma gewesen. Was er jetzt hatte war ein halbzerfallenes Krankenhaus in den Cape Flats. Eine kleines Benefizprojekt einmal. Jetzt das einzige, was blieb. Sie hatten nicht einmal mehr ihr Haus. Nichts mehr. Ja, er konnte es verstehen.
„Du …“, setzte sie an und schüttelte den Kopf. Sie presste die Lippen aufeinander, wie sie es so oft tat. „Du solltest vielleicht auch darüber nachdenken, nach England zurückzuziehen. Du könntest besseres haben als das hier.“ Ihre Geste war nur gering, doch sie meinte das Hotelzimmer.
Darauf wusste er keine Antwort. Er wollte nicht zurück. Noch nicht. Es war noch keine Zeit aufzugeben. Nicht, bevor er sicher war, alles versucht zu haben. Dennoch biss er sich schließlich auf die Zunge und deutete ein Nicken an. „Ja, vielleicht.“ Er seufzte. „Brauchst du Geld?“
Sie schnaubte. „Willst du mir welches geben? Du hast doch selbst kaum genug, um dir ein Abendessen zu kaufen.“
„Ich komme schon klar. Im Notfall …“
„Leihst du dir was vom Paten persönlich?“
„Victor ist …“
„Ein Freund“, beendete sie den Satz für ihn. Wut und Frustration klangen aus ihrer Stimme. Sie seufzte. „Ich weiß.“ Sie stand auf und stellte, was sie in der Hand gehalten hatte, auf dem Nachtschrank des Bettes ab. Es war eine kleine Box. Eine Box, die er noch gut kannte. „Meine Familie hat mir etwas Geld gegeben, dass ich mir ein Hotelzimmer erlauben kann.“
„Soll ich dich fahren?“, fragte er.
Sie sah ihn an, schüttelte den Kopf. Ein leises, trauriges Lachen. „Nein. Das brauchst du nicht.“ Wieder schüttelte sie den Kopf. „Ich brauche Abstand, Joachim. Einfach ein wenig Abstand. Ich … Es tut mir leid. Ich bin hierfür einfach nicht stark genug.“ Damit nahm sie ihre Tasche und ging zur Tür.
Ganz automatisch trat er zur Seite, um ihr Platz zu machen.
An der Tür blieb sie noch einmal stehen und sah sich um. „Es tut mir wirklich leid“, sagte sie, ehe sie die Tür öffnete und das Zimmer verließ.
So stand er da. Er wollte ihr nachlaufen, doch das wäre albern. Sie würde es sich das ganze überlegt haben. Sie war niemand, der voreilige Entscheidungen traf. Er wünschte sich nur, sie hätten vorher darüber geradet.
Joachim setzte sich auf den Rand des Bettes und nahm die kleine stoffüberzogene Box, um sie zu öffnen. Ihr Verlobungsring war darin. Nicht, dass es ihn überraschte.
Er wünschte sich wirklich, sie hätten darüber geredet. Doch vielleicht hatte sie es versucht und er hatte es nicht bemerkt. Auch das war etwas, das ihn nicht überrascht hätte. Manchmal bemerkte er die Dinge nicht. Schon gar nicht in den letzten Monaten …
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Fingerübung zum Thema Ring
Es ist wieder eine Sidestory zu Mosaik.