Dieser Text war ursprünglich ganz anders geplant, aber irgendwie wollten meine Akteure da nicht mitmachen. Das Geheimnis des Café d'amour muss also noch etwas warten, deshalb habe ich den Prompt aus der Sixty-Minutes Challenge-Gruppe (https://belletristica.com/de/groups/183-sixty-minutes-die-challenge#group) aufgegriffen und das mit eingearbeitet, auch wenn ich etwas "betrogen" habe (habe ca. 90 Minuten daran geschrieben).
Glaubt mir, das Café d'amour hat noch ein Geheimnis, das jedoch an anderer Stelle erzählt werden wird.
Ein sonniger Herbsttag sorgte für besonders gute Laune bei Christoph und Ida. Es war Samstag und gemeinsam waren die beiden in der Stadt shoppen und wollten sich noch ein schönes Stück Sahnetorte mit einer großen Schale Milchkaffee gönnen, wofür sie das Café d’amour betraten. Christoph wohnte noch nicht so lange in der Stadt und Ida freute sich, ihm ihr Lieblingscafé vorstellen zu dürfen. Sie erzählte ihm, dass sie so gerne dort einen Kaffee trinken ging, wenn die Sonne noch die Menschen küsste und Kaffeehaus-Musik den Raum erfüllte. Manchmal, so auch heute, spielte sogar jemand live am Klavier und so säuselten die Gespräche gepaart mit dem Klappern von Löffeln in Tassen gemütlich von Gast zu Gast. Eine Kellnerin brachte ihnen den gewählten Kuchen und die extra großen Schalen mit dem Milchkaffee, die mit einem Kakao-Smiley auch ihnen beiden ein Lächeln schenkte. Sie unterhielten sich über dies und das und Ida wollte von Christoph neugierig wissen, ob er denn eine Freundin hatte. Er lief direkt rot an und Ida musste laut lachen.
„Warum lachst du?“ wollte Christoph wissen.
„Weil ich mir schon dachte, dass du schwul bist.“
„Was?“ Christoph traute seinen Ohren nicht.
„Glaube mir, du bist nicht der erste, dem ich das sage. Ich habe da Erfahrung, leider, denn für mich bleibt keiner übrig.“
Christoph schaute etwas beschämt nach unten und rührte in seiner Tasse. Hatte Ida vielleicht recht?
Wieder lachte sie: „Mach dir keine Gedanken, ich finde schon noch meinen Kerl. Aber schau dich doch mal um hier. Ganz ehrlich, wer gefällt dir?“
Christoph war etwas überfordert. „Mmh, keine Ahnung.“ Ein junger Typ mit blonden, kurzen Haaren betrat gerade das Café, und sein Lächeln verzauberte ganz offensichtlich auch Christoph.
Ida verfolgte seinen Blick und lachte schon wieder: „Der da gerade reinkam? Möööp, der ist hetero.“
„Woher weißt du das?“
Doch er bekam schon die Antwort, denn Ida winkte ihm zu und der junge Mann kam zu ihnen. Ida stand auf und sie begrüßten sich mit Küsschen: „Darf ich vorstellen? Sebastian, das ist Christoph, er ist neu hier in der Stadt und wohnt bei mir um die Ecke. Christoph, das ist Sebastian, er kellnert heute Abend hier.“
Die Jungs begrüßten sich mit Handschlag.
„Vielleicht kannst du ihm ja ein paar Leute hier vorstellen“, schlug Ida Sebastian vor.
„Klar gerne, ich bin heute ja am Arbeiten. Du hast heute hoffentlich nichts mehr vor, oder?“
Christoph schaute Ida an, denn sie wollten sich ursprünglich einen gemütlichen Abend machen und gemeinsam kochen. Doch ihr Blick sprach Bände. „Ich denke nicht.“
„Na dann viel Spaß hier! Ida geht ja immer viel zu früh und weiß gar nicht, wie wandlungsfähig dieses Café ist.“
„Doch, doch“, protestierte sie. „In einer halben Stunde wechselt die Crew von weiblich auf männlich und dann kommen die ganzen Cocktail-Hipster und andere merkwürdigen Leute. Nichts für mich!“
Sebastian lächelte sie an. „Ich denke, Christoph braucht dich nachher hier eh nicht mehr.“ Dann zwinkerte er Christoph zu. „Dann bis nachher, ich muss mich umziehen gehen. Ciao Ida!“ Er verabschiedete sich von ihr.
Als er weg war, fragte Christoph: „Und du bist sicher, dass er nicht auch…?“
„… schwul ist?“ beendete sie seinen Satz. „Yep, tausend prozentig.“
„Schade.“
„Na warte, fast der ganze Rest der späten Crew wohnt auf deiner Uferseite.“ Christoph merkte erst jetzt, dass sein Herzschlag schneller ging, und eine neugierige Aufregung machte sich in seinem Inneren breit. Sie tranken noch gemütlich aus, zahlten, und Ida verschwand schließlich mit den ganzen Einkäufen, damit Christoph ohne Gepäck da bleiben konnte.
Mit Sonnenuntergang wechselte tatsächlich die Stimmung im Café. War es wirklich nur der Austausch des weiblichen Personals mit dem männlichen gewesen? Alles junge Männer, wahrscheinlich Studenten zwischen zwanzig und fünfundzwanzig Jahren, schlank mit schwarzen Hosen, weißem Hemd, die Ärmel meistens hochgekrempelt und eine schwarze Krawatte, die in das Hemd gesteckt war, damit sie nicht in den Getränken landete, die sie mit souveränen Gesten den Gästen brachten. Es war noch mehr, stellte Christoph von seinem Platz an der Wand fest. Es war ein anderes Licht und die Lieder des Pianisten wurden Stück für Stück jazziger. Und so merkte er, wie ein Gefühl der Wärme und des Wohlbefindens in ihm aufstieg, das er schon lange nicht mehr gefühlt hatte.
Bei Sebastian bestellte er einen Cocktail „Happy Gay“ und bereute es auch schon, als ihm ein regenbogenfarbenes Glas hingestellt wurde. Doch er merkte, er war damit nicht der einzige, und empfand ein wenig Stolz, sich derart offen zu zeigen, es war sein erstes Coming-Out.
Von seinem Platz aus beobachtete er den Eingang und sah einen weiteren blonden Mann das Café d’amour betreten. Er sah Sebastian sehr ähnlich und auch sie begrüßten sich mit Küsschen. Scheint hier wohl normal zu sein, dachte sich Christoph. Sebastian gab dem anderen Zeichen und deutete auf Christoph, worauf der Blonde in seine Richtung kam. Unsicher sah er aus und er blickte noch einmal zu Sebastian zurück, der jedoch schon an einem der Tische die Bestellung aufnahm. Schließlich stand er vor Christoph: „Hallo, ich bin Thomas. Sebastian meinte, du wolltest ein paar Leute kennenlernen hier in der Stadt.“
Christoph stand auf und begrüßte ihn lächelnd: „Und ich bin Christoph. Hallo. Ja, ich bin neu hier und würde mich echt freuen, ein paar Freunde hier zu haben.“
Sie setzten sich und eine etwas zu lange Pause entstand, offensichtlich war auch Thomas nervös. Er unterbrach schließlich die Stille und zeigte auf den Cocktail: „Ist der Cocktail gut oder hat er nur schöne Farben?“
Christoph lachte: „Eine Freundin von mir meinte heute, in mir einen schwulen Mann zu sehen. Deshalb habe ich diesen ‚Happy Gay‘ Cocktail bestellt.“ Thomas sah ihn fragend an bis Christoph merkte, dass er die Frage gar nicht beantwortet hatte, meinte aber: „Ja, sie hat wohl recht.“
Jetzt lachte Thomas: „Ich wollte nur wissen, ob der Cocktail schmeckt.“
Wieder einmal wurde Christoph rot im Gesicht, bevor er ihn zu Thomas rüber schob: „Probier’ ihn einfach“, was der auch tat.
„Mmh, den bestelle ich mir auch.“
„Er schmeckt dir?“
„Geht so, aber ich mag die Farben.“
Wieder entstand eine Pause, die beide nutzten, um sich gegenseitig in die Augen zu schauen. Den Trubel im Rest des Cafés verschwand in ihrer Wahrnehmung immer mehr, bis nur noch sie beide da waren, als Thomas sprach: „Ich sehe einen schüchternen Mann vor mir, dessen Herz gerade viel zu schnell schlägt. Ich spüre die Romantik in dir und diesen Wunsch nach Zweisamkeit, die du wahrscheinlich noch nie gelebt hast. Ich glaube, du magst einen Hauch von Ordnung und einen Hauch von Abenteuer, willst verschiedenes ausprobieren. Darf ich deine Hände berühren?“
Christoph schluckte, so genau wurde er noch nie von jemandem beschrieben, den er gerade erst kennengelernt hatte. Er nickte und streckte Thomas seine Hände entgegen, die der zielsicher, fest und zugleich liebevoll nahm. „Warm, fest, und doch filigran. Du bist sicherlich zärtlich, kannst aber auch mal anders.“
Christophs Hormone fingen an, verrückt zu spielen. Was war das für ein Kerl? Hatte er eigentlich braune oder grüne Augen? Es war zu dunkel im Café d’amour geworden, um das sicher sagen zu können. Er sah nur Thomas Mund, wie dessen Worte seine Seele streichelten, wie er sich wünschte, dessen Lippen mit seinen eigenen berühren zu dürfen, wie bei dessen Worten der Adamsapfel hüpfte, und wünschte sich, nicht nur an seinen Händen berührt zu werden.
„Wer bist du?“ wollte Christoph wissen.
„Willst du es herausfinden?“
Christoph schluckte, sein Verstand konnte keine Antwort liefern, doch sein Herz gab sie: Nie hätte er geglaubt, sich so sicher zu sein, den Richtigen so schnell zu finden. Er legte das Geld für die Rechnung einfach auf den Tisch und wortlos standen sie auf und verließen das Café d’amour. Draußen warteten sie auf die Straßenbahn als Christoph an ihnen beiden heruntersah: „Schau mal, was ein Zufall, sogar die gleichen roten Schuhe.“
Doch ganz ernst antwortete Thomas: „Es gibt keine Zufälle“, und nahm Christophs Hand in die seine.