Dieser Text ist im Rahmen der Monatschallenge (https://belletristica.com/de/books/19911-monatschallenge-2020-fortsetzung-folgt/chapter/82614-januar-2020) von Dark-in-the-night (https://belletristica.com/de/users/1462-dark-in-the-night#profile) im Januar 2020 entstanden.
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Sie blickten alle auf ihre Uhren: „Ok, es ist jetzt 23 Uhr, noch ist ja nicht so viel los hier, aber es kann ja jeder mal ein bisschen für sich tanzen gehen. Lasst uns am Eingang zum Main Floor einfach in einer Stunde wieder treffen.“ Alle fünf nickten sie und jeder ging seines Weges: Philipp ging schnurstracks in den Keller, was niemanden wunderte, er war der Gigolo und sagte bereits auf dem Weg ins Celebrax, dass er den Darkroom unsicher machen wollte. Die anderen dagegen wollten eher Party machen, denn es war „GSS“, Gay Special Saturday. Da gab es nicht nur Musik auf vier verschiedenen Tanzflächen, sondern um Mitternacht noch eine Show. Doch heute wusste niemand, wer auftreten würde, es war tatsächlich ein Geheimnis geblieben. Sie waren noch in der Straßenbahn, als Philipp mutmaßte, ein bekannter Pornostar würde einen Strip hinlegen, begleitet von „jungen Nachwuchstalenten“. Klaus kommentierte das sehr trocken damit, dass er sich zu Philipps Hosenmitte runterbeugte und zu dessen Körpermitte sagte: „Kleiner Piepmatz, du bist nicht zum Denken da!“ Die Lacher waren jedenfalls auf Klaus Seite und die Unterhaltung auch für die anderen Fahrgäste perfekt.
Klaus verabschiedete sich in Richtung Schlager, während Willi und Hans dem Techno frönen gingen. Martin schaute ihren LED-besetzten Schuhen hinterher, drehte sich dann aber um und ging zum Main Floor. Dort gab es von allem etwas und vor allem waren dort auch schon die meisten Leute. Er hatte keine besondere Vorliebe für eine bestimmte Musik. Er hatte eher eine Vorliebe für einen ganz bestimmten Typ Kerl, den er hoffte, hier zu treffen: Eloquent, charmant, liebevoll, gerne ein wenig einnehmend. Jemand, in dessen Arme er sich legen konnte. Jemand, wie dieser Typ mit der stylischen, blonden Frisur, schlank, breiten Schultern und schmaler Hüfte. Der hatte genau den richtigen Schwung in der Hüfte, irgendetwas zwischen normal und lasziv. Seine eng geschnittenen Jeans deuteten daraufhin, dass man mit ihm ganz sicher Spaß haben könnte. Und seine Augen erst! Sie lagen etwas tiefer in den Augenhöhlen und schienen dunkel und geheimnisvoll zu sein. Diese Augen, die ihn fixierten! Martin konnte sich kaum noch bewegen, als würde dieser Kerl ihn mit Magie belegen. Schließlich stand er direkt vor ihm: „Hi!“
Martin schluckte. Diese vollen Lippen passten irgendwie gar nicht zum ansonsten markant kantigen Gesicht. „Hi!“ antwortete er viel zu leise.
Doch der Fremde schien ihn verstanden zu haben: „Lust auf einen Drink?“
Martin nickte und der Fremde schob ihn mit einem Arm um Martins Hüfte zur Bar. Martin dachte noch, dass der aber auch nichts anbrennen ließ. Doch genau so liebte er es, wenn der andere die Führung übernimmt. Nur ein wenig, nie zu viel, genau wie jetzt. So schaffte er es, seine eigene Scheu abzulegen, weil er sicher war, dass der andere auch wollte. Ihn wollte.
„Was willst du?“ fragte der fremde ihn.
Martin wollte schon antworten: „Dich!“ doch er besann sich eines besseren. Er sah auf die roten Lippen des Blonden und dachte an Erdbeeren. „Strawberry Daiquiri.“
„Ah, ein süßes Früchtchen“, lächelte er und gab die Bestellung an den Barkeeper: „Zwei mal Erdbeere mit Alkohol, bitte“, und zu Martin gewandt: „Ich bin Levi, und du?“
„Martin, hi!“ Seine Synapsen schienen nicht mehr richtig zu funktionieren, er hatte ihn doch schon begrüßt.
Doch Levi schien das nichts auszumachen. „Du hast ein hübsches Gesicht. Lust auf einen netten Abend?“
Sah Martin da gerade einen kleinen Zweifel in Levis Gesicht? Doch er wischte den Gedanken weg, er gehörte wohl in die Kategorie „zu schön, um wahr zu sein.“ Doch es war real, vor ihm stand der perfekte Mann. „Klar, wenn ich ihn mit dir verbringen darf?“
„Wirst du.“ Levi nahm die Getränke entgegen. „Geht auf mich“ lud er Martin ein.
„Danke.“ Beide sogen sie die rote Flüssigkeit durch den Strohhalm ein und sahen sich dabei in die Augen. Irgendwie fand Martin das lustig und musste lachen, wobei er den Kopf etwas beschämt nach unten beugte. Doch schon fühlte er eine Hand an seinem Kinn, die ihn wieder in die aufrechte Position schob. Levi kam ganz nah an ihn heran. Martin sah diese Lippen, diese wunderschön geformten Lippen und als sie ihn berührten blickte er in die dunklen Augen des anderen. Wie konnten Augen nur so dunkel sein? Was Levi wirklich real? Diese Dunkelheit und doch gleichzeitig das Gefühl der Geborgenheit, der Sicherheit bei diesem wunderbaren Menschen. Eine Dunkelheit, in die er sich fallenlassen konnte, tiefer und tiefer, mit dem Erdbeergeschmack auf seinen Lippen, die nach Liebe schmeckten. So dunkel, dass selbst die Musik immer leiser wurde, immer mehr in die Ferne rückte, bis es schließlich still wurde. Still und dunkel, mit einem Gefühl von Ruhe und Schutz. Hier konnte er schlafen, endlich, einen tiefen Schlaf.
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Als er aufwachte fühlte er sich wohl. Endlich hatte er mal richtig ausgeschlafen. Doch warum war es immer noch so dunkel? Müsste es nicht schon längst draußen hell sein? Er rekelte seinen Körper und streckte sich, wollte aufstehen, doch das war gar nicht so einfach. Wie jeden morgen versuchte er, erst einmal seine Haare zu richten. Doch als er sich mit seinen Händen die Frisur zurecht legen wollte, waren die Haare nicht da. Viel schlimmer, sein ganzer Kopf war nicht da. Wie konnte das sein? Er versuchte irgendwie zu ertasten, wo sein Kopf war, doch der war nicht da. Er wollte rufen, doch mehr als ein Gurgeln brachte er nicht zustande. Logisch, sein Kopf war ja auch nicht, welcher Mund hätte denn auch Worte formen sollen?
Auf eine ihm ganz eigenartige Art und Weise kam es ihm jedoch logisch vor. So logisch, dass ihm dieser Zustand keine Angst machte. Einfach wieder hinlegen? Was würde passieren, wenn er auf die Toilette musste? Doch das war ihm in diesem Augenblick egal, er musste ja gerade nicht. Und so legte er sich wieder hin und schlief wieder ein.
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Erneut wachte er auf, frisch und frei, doch jetzt blendete ihn ein Licht. Sein erster Gedanke war noch „Weiterschlafen“, als ihm einfiel, dass er doch mit seinen Freunden unterwegs gewesen war. Hatten sie ihn vermisst? Er streckte sich und setzte sich wieder auf, immer noch das viel zu helle Licht im Gesicht. Erst einmal die Haare richten, doch seine Frisur schien in Ordnung zu sein. Er lächelte und murmelte: „Ah, ist ja doch noch alles da.“
Warum lachten da Menschen?
„Und drei!“ hörte er eine Stimme, die ihm so unendlich angenehm vorkam. Woher kannte er sie? Endlich konnte er wieder sehen und fand sich auf der Bühne des Main Floors wieder, neben ihm Levi, der ihm die Hand reichte und ihn an sich zog und ihn umarmte. „Willkommen zurück. Das ist dein Applaus!“ Die Menge tobte. Jetzt wurde es ihm doch unheimlich und er schaute skeptisch Levi an. Er beugte sich zu ihm, hielt mit einer Hand etwas an seinem Gesicht zu und flüsterte: „Ich erkläre es dir gleich hinter der Bühne.“
Winkend verabschiedete sich Levi von seinem Publikum und schob Martin, wie zuvor schon an der Bar, hinter den schwarzen Vorhang.
„Geht es dir gut?“
„Ja klar, hab ja lange geschlafen, wie spät ist es?“
„Halb eins.“
„Was? Ich habe doch bestimmt stundenlang geschlafen. Wo sind eigentlich meine Freunde?“
Der Vorhang wurde aufgerissen und ein wütender Philipp stapfte direkt auf Levi zu, hob die Hand und schon knallte die Ohrfeige.
„He, was machst du da?“ protestierte Martin.
Doch Philipp hatte das wohl nicht gehört. Er schubste Levi gegen die Wand: „Ich mach dich fertig, du Sau!“
Jetzt stürzte sich Martin auf Philipp und versuchte ihn zurückzuhalten. „Was machst du da?“ Tatsächlich hatte er Angst um Levi, den schönsten Mann, dem er jemals begegnet ist.
Doch der war es, der sagte: „Ich glaube, ich hab’s verdient.“
„Was?“ Martin verstand gar nichts mehr und klammerte Philipp jetzt noch fester an sich.
„Du warst Teil meiner Hypnose-Show. Ich habe dich gesehen und eigentlich wollte ich mit dir tatsächlich noch ein wenig hier in der Disko feiern, dich nicht auf der Bühne haben. Aber du warst ja schon beim ersten Kuss in Trance. Da ich nicht wusste, was ich mit dir machen sollte, habe ich dich halt auf die Bühne gebracht. Du warst dort für eine Minute quasi kopflos.“
„Das war nicht lustig!“ protestierte Philipp und wollte sich immer noch befreien um zuzuschlagen.
Doch jetzt war es Martin, der Philipp herumriss: „Ist ok, ist ok, Philipp! Es ist ja vorbei. Komm wieder runter, Mann.“ Tatsächlich wurde der ruhiger. „Kann ich dich loslassen?“
„Ja, ist ja ok.“
Martin ließ von Philipp ab, der sich gleich die Klamotten richtete. Dann ging er zu Levi, ging dicht an ihn heran und schmeckte noch einmal dessen Lippen.
Philipp schrie ein kurzes schrilles: „Was?“ aus.
Doch Martin ließ sich nicht unterbrechen. „Mmh, du schmeckst immer noch nach Erdbeere. Aber pass auf, wenn mir so etwas noch einmal passiert, halte ich Philipp nicht mehr auf. Verstanden?“ Levi wurde blass, doch er nickte. „So, und jetzt lass uns die Nacht genießen. Ich bin ausgeschlafen, und du?“