Raoul schluckte.
Was mochte Damian von ihm wollen?
Einst waren sie beide Freunde gewesen. Und möglicherweise waren sie das heute noch – irgendwie.
Auf einer anderen Ebene. So gut man das eben mit einem Kriegsfürst sein konnte.
Bereits der Beginn ihrer Freundschaft war ein Affront gewesen. Damian, Erstgeborener eines hochgeschätzten Kriegers und Raoul, Sohn einer Köchin und eines Landstreichers. Ein Taugenichts, der bei dem Versuch, ein Pferd zu stehlen, im Rausch tödlich verunglückt war.
Ausgerechnet diese Knaben verstanden sich so gut, als seien sie nicht von unterschiedlichen Gesellschaftsschichten, sondern Seelenverwandte, deren Denken, Fühlen und Handeln eins war.
Als Sohn eines Kriegers wurde Damian einer erstklassigen Kampfausbildung unterzogen, welche er seinerseits an Raoul weitergab. „Weshalb sollte ich dich nicht unterrichten?“, war seine stetige Antwort, wenn sein Freund ein schlechtes Gewissen bekam. „Du wirst sehen, irgendwann brauchst du die Schwertkünste, um dein Leben zu verteidigen und an meiner Seite kämpfen.“
Raoul war stets klar gewesen, dass es so weit nie kommen würde. Dass er als einfacher Fußsoldat in der Armee dienen durfte, war nicht seinem Können – welches allerdings dank der täglichen Übungen eines meisterhaften Lehrers mehr als außergewöhnlich war – sondern Damians Fürsprache zu verdanken.
Nun könnte man meinen, Raoul war der Hauptnutznießer dieser Verbindung.
Dies traf aber bei weitem nicht zu.
Der Sohn einer Köchin war schlau und gewitzt – galt es für ihn doch, sich täglich gegen Konkurrenten durchzusetzen oder sich den einen oder anderen Gegenstand zu „leihen“, ohne dabei erwischt zu werden. Damian lernte dadurch, dass der direkte Weg nicht immer der beste war und subtiles Handeln durchaus auch angesagt sein konnte. Und auch als Kämpfer war es kein Nachteil, gut schleichen zu können.
So profitierten sie gegenseitig voneinander und waren beide überzeugt, dass nichts ihr inniges Band würde zerreißen können.
Bis an jenem denkwürdigen Tag im Sommer, als der Kriegersohn aufgewühlt an ihrem üblichen Treffpunkt erschien.
Raoul spürte sofort, dass etwas Furchtbares geschehen sein musste.
Und das ausgerechnet am Tag vor Damians 19. Geburtstag.
„Ich gehe fort, Raoul“, erklärte der Andere verzweifelt. Seine Augen schimmerten feucht und einzelne Tränen rannen über sein Gesicht.
Noch nie hatte der Sohn einer Köchin ihn weinen gesehen.
„Wieso fort?!“ Panisch starrte Raoul seinen Freund an.
„Sie schicken mich in die Schwarzkaserne“. Ein Beben ging durch den jungen Körper. „Ich wurde auserwählt.“
„Nein!“ Raoul fühlte, wie sich die Erde unter ihm auftat, ihn zu verschlingen drohte. „Nicht du!“
„Doch!“ Die Stimme seines Kameraden klang unnatürlich heiser und aufgebracht. „Sie werden einen Kriegsfürsten aus mir machen.“
„Das muss ein Irrtum sein!“ Raoul holte tief Luft. „Hörst du?! Ein Irrtum.“
„Nein!“ Damians Stimme brach. „Sie werden mich in ein Monster verwandeln.“