Angespannt folgte Raoul dem Diener. Noch nie hatte er das Domizil eines Kriegsfürsten betreten. Er fühlte sich alles andere als wohl dabei, über diesen wertvollen Marmorboden zu schreiten. Dies war nicht seine Welt und würde es nie sein.
Alle Erinnerung hatte er mit Eintreten in dieses Gebäude in den letzten Winkel des Kopfes verbannt. Er durfte sich nicht ablenken lassen – zu viel stand auf dem Spiel.
Davon abgesehen, waren damals alle Pläne und Ideen vergebens gewesen. Sein ganzer Einsatz, all die Bemühungen umsonst – er hatte die Verzauberung seines Freundes zum Kriegsfürsten nicht verhindern können. Auch Verhandlungen hatte es nicht gegeben. Alle Hoffnungen hatten sich als trügerisch herausgestellt und waren zunichtegemacht worden.
Und, um dem die Krone aufzusetzen, führte die Verwandlung seines Freunds zum Kriegsfürsten auch noch zum Wohlergehen des Landes.
Damian war schon ohne Magie ein herausragender Kämpfer gewesen – aber als Kriegsfürst war er ein wahrer Segen. Nicht nur strategisch brillant, wurde er bald auch für seine Klugheit bewundert, Finten oder Intrigen zu ahnen und die versteckten Feinde in den eigenen Reihen zu finden und auszuspionieren. Auch seine sonstigen Entscheidungen zeugten von einem klugen Geist und ein Gespür, wenn es darum ging, Recht zu sprechen. Die Leute flüsterten mit einer Mischung aus Bewunderung und Furcht hinter hervorgehaltener Hand seinen Namen: „Damian, der gerechte, aber auch der gefühlskalte Fürst.“ All das, was sein Freund weinend prophezeit hatte, war eingetreten.
Anzumerken war, dass Damian für einen Kriegsfürsten ganz normal reagierte. Er war nicht emotionsloser als die anderen – aber den meisten Menschen waren diese Anführer stets ein wenig suspekt erschienen und würden es wohl auch immer bleiben.
Keinem war wohl dabei, einem Eisklotz gegenüberzustehen.
Dies traf auch auf Raoul zu, der dem raschen Schritt des Dieners folgte. Zu trödeln oder sonst die Begegnung hinauszuzögern, machte keinen Sinn. Je eher er diese unvermeidliche und unangenehme Situation hinter sich gebracht hatte, desto besser.
Denn ihr Aufeinandertreffen stand unmittelbar bevor.
Er und sein Begleiter betraten einen größeren Raum, der mit allerlei Wandverzierungen, Fresken und Bemalungen verziert war. Nicht zu vergessen die zahlreichen Spiegel, die links geschickt angebracht waren. Prachtvolle Kronleuchter zierten die Decke und sorgten für eine ausreichende Beleuchtung.
Ein Saal, der zweifellos vor allem dem Zweck diente, seine Gäste zu beeindrucken, wenn nicht sogar einzuschüchtern.
Im krassen Gegensatz dazu stand jedoch die Möblierung, die nicht nur sehr spärlich ausfiel, sondern verblüffend schlicht daherkamen und daher in einem auffälligen Missverhältnis zur übrigen Ausstattung des Saales stand.
Dominierend war der wuchtige Strategietisch, der in Mitte des Raumes platziert war und offensichtlich den Verlauf einer Schlacht darstellte – Genaueres konnte Raoul jedoch nicht erkennen, da die Sicht größtenteils von fünf Männern versperrt wurden, die nebeneinander davor standen und sich anscheinend über das weitere Vorgehen ausließen.
Da sie ihm den Rücken zuwandten, konnte er leider nicht sicher erkennen, um wen es sich handelte, höchstens erahnen – trotzdem wurde sein Blick wie magisch von dem Mann angezogen, der in der Mitte stand und auf irgendetwas zu deuten schien. Lange braune, akkurat zu einem Zopf zusammengebundene Haare schmückten den oberen Rücken eines muskulösen, durchschnittlich großen Körpers. Ansonsten war der Fremde recht schlicht gekleidet – Torso und Beine steckten in einfachem Leinenstoff, der jedoch im Widerspruch zu den augenscheinlich hochwertigen Waffen standen, die der Mann in seinem Gürtel trug.
Damian hatte sein Haar stets kurz getragen und auch hatte er in Raouls Erinnerung einen etwas anderen Körperbau gehabt – trotzdem schien das Herz des Soldaten kurz auszusetzen, als er ihn erblickte. Es war der Kriegsfürst, der sich so unscheinbar zwischen den Männern einreihte – dafür kannte Raoul Damian viel zu gut. Er mochte anders aussehen – diese Körperspannung jedoch, die Art, wie er aufrecht mit den Beinen stand und seine Hände bewegte – all das war viel zu sehr vertraut.
Unschlüssig verharrte er. Was sollte er tun?
Es war schwer, dem Impuls nicht nachzugehen und stehen zu bleiben. Wie sehr wünschte er sich, einfach nach zu seinem Freund zu laufen und ihn in die Arme zu schließen.
Er durfte nicht! Damian gab es nicht mehr! Es war ein Fürst, der da vorne stand, nicht sein einstiger Weggefährte.
Raoul spürte, wie er innerlich verkrampfte. Vielleicht gab es ja doch noch Hoffnung? Wie sollte er sich verhalten, was war klug?
Bevor er weiter grübeln konnte, räusperte sich der Diener leise neben ihm.
Alle fünf Männer drehten sich um.
Raoul hatte recht mit seiner Vermutung gehabt. Es war Damian, der in der Mitte stand.
Der Kriegsfürst schien nicht erstaunt darüber zu sein, ihn zu sehen. Ob er den alten Freund bereits zuvor wahrgenommen hatte? Oder lag es daran, dass diese Anführer kaum noch Gefühle besaßen und man sie daher auch nicht wirklich überraschen konnte?
Damians Lächeln war freundlich, diente wohl aber nur der Höflichkeit, denn es erreichte seine Augen nicht.
„Sei gegrüßt, Raoul. Es ist gut, dass du meiner Vorladung gefolgt bist.“
Kalte braune Augen musterten ihn durchdringend. Freude konnte der Soldat darin nicht erkennen, höchstens ein abschätzendes Mustern, so wie man einen Gegner oder Feind prüfend ansieht, um seine Chancen im Kampf abzuwägen.
Er spürte geradezu, wie sich das eisige Band um sein Herz legte.
Wie, um alles in der Welt, sollte er dieses Gespräch überstehen?