„Da seid Ihr ja endlich! Der gnädige Herr erwartet Euch schon.“
Raoul nickte statt einer der direkten Antwort und übergab sein Pferd dem jungen Stallburschen, der wartend neben ihm stand. Mit steinerner Miene folgte er dem Diener, der offensichtlich Mühe hatte, keine abfällige Grimasse zu ziehen, während er eilig voranschritt.
Raoul war es gleich. Wenn, dann amüsierte es ihn eher, als dass er darüber verstimmt gewesen wäre. Er wusste, dass er nach Pferd, Dreck und Schweiß stank.
Und wenn schon.
Es schadete den hohen Herren mitsamt ihrer versnobten Dienerschaft nicht, auch einmal damit konfrontiert zu werden. Schließlich riskierten er und seinesgleichen täglich Kopf und Kragen, damit sich dieser erlauchte Kreis sicher fühlten und nachts unbesorgt tief schlafen konnte. An der Front gab es nun einmal keine Wasch- und Badesalons. Daher bereitete ihn die Provokation insgeheim auch ein wenig Genugtuung, zumal es von dem leichten Magengrummeln ablenkte, welches er verspürte, seit Damian nach ihm geschickt hatte. Der Verlust war wie ein Stachel, der auch heute noch präsent war und ihn täglich plagte. Normalerweise verdrängte oder ignorierte er diesen Schmerz. Das anstehende Wiedersehen mit seinem einstigen Freund bedeutete jedoch, in einer Wunde herumzurühren, die nicht verheilen wollte.
Während er so schweigend hinter dem Mann hinterher stapfte und den Blick stur geradeaus richtete, ratlos, wie er mit der kommenden Situation umgehen würde, schweiften seine Gedanken erneut zurück zu jenen schicksalhaften Tag, der alles verändern sollte.
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Vergeblich versuchte Raoul, seinen Kameraden zu beruhigen.
„Die Kriegsfürsten sind keine Monster.“ Zaghaft berührte er den Arm des Anderen. „Du selbst sagtest einmal, dass du sie bewunderst.“
„Ja! Ich weiß!“ Damian riss sich abrupt los. Die Panik stand deutlich in seinem Gesicht geschrieben. „Sie sind brillant, strategische Planer und legendäre Kämpfer. Aber sie sind keine Menschen mehr!“
„Sie haben Gefühle!“, widersprach der Freund. Damians Reaktion war der Angst geschuldet und daher bemühte sich Raoul, nicht zu zeigen, wie sehr verletzt er darüber war, dass der Kriegersohn von ihm abgerückt war. „Zwar nur rudimentär, aber doch noch da. Und man lässt ihnen die Erinnerung. Die Personen, die sie einst waren, verschwinden nicht vollständig.“
„Ein emotionaler Krüppel bleibt ein emotionaler Krüppel, egal wie du es ausdrückst!“
Raoul antwortete nicht. Er wusste einfach nicht, was er sagen sollte. Die Vorstellung dass Damian, der so gerne lauthals lachte und auch sonst das Herz am rechten Fleck hatte, bald in einen beherrschten und unterkühlten Kriegsfürst verwandelt sein sollte, war mehr als nur grausam. Eine impulsive Fröhlichkeit und spontane Faxen – machte doch genau dies dessen eigentlichen Charakter aus.
Er schluckte mehrfach, bis es ihn gelang, erneut zu sprechen. Dabei war seine Stimme ungewöhnlich dünn: „Du könntest ablehnen. Sie sollen sich jemand anderen suchen.“
Damian lachte freundlos. „Du weißt, dass das nicht geht. Es gibt nur alle zehn Jahre einen Auserwählten, meist sind die Zeitspannen dazwischen sogar noch länger. Schon so viele Sommer wartet man verzweifelt auf den nächsten Fürsten. Unser Land ist bedroht. Lehne ich ab, bleibt es weiter ungeschützt und der Feind hat leichtes Spiel. Es käme einen Verrat gleich!“
Raoul seufzte. Sein Freund hatte aufgegeben, wie es schien. Kannte er ihn sonst wie ein Fels in der Brandung, den nichts erschüttern konnte, so stand Damian nun gebückt und krumm vor ihm. Er erinnerte an einen alten Baum, morsch und faulig, gezeichnet von Wind und Wetter.
Der Kriegersohn stand unter Schock und war voller Gram.
Er würde sich wieder fangen, dessen war er sich sicher. Doch bis dahin war es an Raoul, die Führung zu übernehmen.
„Gut! Nehmen wir also an, es gibt keinen anderen Ausweg. Und du musst ein Kriegsfürst werden. Hast du denn schon mit einem der Magier gesprochen?“
Sein Kamerad blickte trübsinnig vor sich hin. „Nein. Wieso auch?“, nuschelte er monoton.
„Vielleicht sollte man verhandeln! Sie überzeugen, aus dir keine Kriegsmaschine zu machen. Wer sagt denn, dass es nicht noch einen anderen Zauber gibt, der dich zu einem Anführer macht, ohne dich grundlegend zu verändern?“
Die nächste Fortsetzung spätestens 27.01.20.