Der Kriegsfürst schritt gemächlich voraus, während Raoul ihm folgte.
Eigentlich wäre es klug für den Soldaten gewesen, sich über das kommende Gespräch Gedanken zu machen – sich mental darauf vorzubereiten.
Stattdessen konnte er nur fasziniert auf Damians Rücken starren. Diese Situation erinnerte ihn viel zu sehr an die Vergangenheit – auch damals war es meist Raoul gewesen, der seinem Freund hinterherlief.
Wie vor Jahren starrte er nun wieder wie gebannt auf die Rückenansicht Damians, dessen muskulöser Körper sich deutlich unter dem Leinenstoff abzeichnete. Es war offensichtlich, dass der Kriegsfürst nicht faul auf der Haut lag und gut durchtrainiert war. Damian war bekannt dafür, dass er nicht nur von seinen Untergebenen, sondern auch von sich selbst alles abverlangte.
Wunderschöne lange Haare – obwohl sie nicht zu den Krieger zu passen schienen, da er stets einen Kurzhaarschnitt bevorzugt hatte, war es eine Augenweide, wie dieser akkurat geflochtene Zopf den oberen Teil des Rückens zierte. Die Strähnen reflektierten ihre Farben in geheimnisvoller Weise im gedämpfte Licht der Wandfackeln und luden geradezu ein, sie aus der Verknotung zu lösen und sanft darüberzustreichen.
Egal, was für ein Monster Damian geworden war, Raoul liebte ihn in den Tiefen seines Herzens noch immer.
So, wie es von der ersten Begegnung an gewesen war.
Der Soldat versuchte vergeblich, auf andere Gedanken zu kommen. ER kannte diesen Gang leider viel zu gut; die Art, wie Damian sich bewegte, war noch dieselbe und so vertraut – und nun, da der Fürst ihm nicht direkt in die Augen schaute und den Blick geradeaus gerichtet hielt, schien das Glück so nahe und greifbar. Die Illusion, dass es nicht dieser Eisklotz war, der da vor ihm lief, sondern sein geliebter Weggefährte, war zu perfekt, um ihr nicht zu verfallen.
Wohl auch, weil Raoul es so wollte.
Für einen Moment daran glauben, mit seinem Freund von damals wieder vereint zu sein, tat der geschundenen Seele einfach gut.
Sein Verstand sagte ihm, dass diese Verhaltensweise nicht besonder klug war – sie änderte ja nichts an den Tatsachen und er würde in wenigen Augenblicken wieder hart auf dem Boden der Realität aufschlagen; aber, bis dahin war er glücklich. Und wenn es nur ein paar Minuten waren.
Ein paar Minuten des Vergessens und Tagträumens.
Raoul war so in Gedanken vertieft, dass er fast mit dem Fürsten zusammengeprallt wäre, der abrupt stehengeblieben war. Im letzten Augenblick bremste er seinen Schritt und kam dabei ein wenig ins Straucheln.
Damian war gnädig genug, ihn nicht zu beachten. Er hatte sich zu einem von zwei Wachsoldaten umgedreht, die links und rechts neben einer großen Tür Position bezogen haben.
„Thomas - hast du alles hergerichtet, wie ich es aufgetragen hatte?“, erkundigte er sich.
Raoul wunderte sich – er empfand es als ungewöhnlich, dass Anführer normale Wachen mit dem Vornamen ansprachen. Aber vielleicht irrte er sich auch.
„Ja, mein Fürst. Alles ist so, wie Ihr es Euch gewünscht habt.“
„Sehr gut. Du weißt, dass ich nur in Notfällen gestört werden möchte?!“
„Natürlich!“
Schweigend entriegelte Thomas nun zusammen mit seinem Kollegen die große Türe und öffnete sie. Wie es schien, kannten sich hier alle und wussten auch ohne viele Worte, was der Fürst von ihnen erwartete.
„Vergesst nicht, Euch pünktlich ablösen zu lassen. Bis morgen!“ Damian nickte den Wachen zu, die zur Seite getreten waren und beide Männer passieren ließen, ehe sie die Flügel wieder hinter ihnen zusperrten.
Gefangen! Raoul konnte dem Impuls, zu der Tür zurückzulaufen, nur schwer unterdrücken. Stattdessen zwang er sich, weiter hinter dem Fürsten hinterherzutraben.
„Man gewöhnt sich daran!“, erklärte Damian, ohne sich umzudrehen. Er hatte offensichtlich das Unbehagen des Anderen bemerkt. „Und Karl und Thomas sind einige der wenigen hier, denen ich wirklich trauen kann.“
„Ihr seid wohl sehr bekannt mit ihnen, da Ihr sogar ihre Vornamen kennt. Es sind schließlich einfache Wachen.“ Die Worte rutschten dem Soldaten unwillkürlich heraus und es war zu spät, sie zurückzunehmen.
Deutlich spürte Raoul den Stachel der Eifersucht, der ihm einen schmerzhaften Stich verpasste. Was angesichts der aktuellen Situation eher als grotesk statt angemessen zu bezeichnen war.
Dafür hatte er nun Damians volle Aufmerksamkeit, denn dieser blieb stehen und drehte sich zu ihm um.
„Es sind nicht viele, für die ich meine Hand ins Feuer legen würde, aber die beiden gehören dazu“, verriet der Mann mit bemerkenswerter Offenheit. „Und zu diesem Kreis gehörst auch du.“ Die Mine des Kriegers wirkte für den Bruchteil einer Sekunde plötzlich verzweifelt – so kurz, dass Raoul es sich wohl nur eingebildet hatte – ehe er fortfuhr: „Ich brauche deine Hilfe, mein Freund!“