Wie ferngesteuert folgte Raoul der kleinen Gruppe.
Das hier geschah nicht wirklich, oder? Was wollte der Kriegsfürst nur von ihm?
Kriegsfürst, nicht Damian – so nannte er ihn mittlerweile in Gedanken. Zumindest versuchte er es. Dass es seinen alten Freund nicht mehr gab, das hatten die wenigen Worte deutlich gezeigt. Raoul musste es akzeptieren, wenn er halbwegs unbeschadet aus dieser Situation herauskommen wollte.
Trauern konnte er später immer noch.
Trotzdem gelang es ihm natürlich nicht vollständig, seine Gefühle zu unterdrücken. Unter anderen Gegebenheiten hätte er es als schlau bezeichnet, dass der besagte Besprechungstisch in einem kleinen Nebenraum stand. Eine Tür, die man innen verriegeln konnte, sorgte dafür, dass keine ungebetenen Augen oder Ohren etwas davon mitbekamen, was in dem Raum vor sich ging.
Ihm wären sicher auch die bestickten Tischdecken und Blumenarrangements – zweifellos das Werk einer Frau – aufgefallen; nicht zwingend notwendig, verschafften sie dem Raum eine gewisse Behaglichkeit und bildeten einen Kontrast zu all den Waffen, die an den Wänden zur Schau gestellt wurden.
Die Männer nahmen gezielt an dem kleineren der beiden Tische Platz, der bereits für ihr Kommen vorbereitet worden war – neben mehreren Trinkbechern standen zwei große Krüge Wasser und einer mit Wein in der Mitte des ovalen Tisches.
Die Offiziere fragten nicht weiter, sondern bedienten sich an den Getränken, ohne auf Damian zu warten. Jener nahm erst jetzt seinen Platz ein – natürlich an der Stirnseite, wie es sich für einen Anführer gehörte.
Dieses Verhalten irritierte den Soldaten. Wie es schien, legte Damian nicht immer Wert darauf, seine Eigenschaft als Kriegsfürst zu unterstreichen. Notwendig war es zumindest nicht, da der Respekt der Männer auch so zu spüren war.
Man schenkte sich zwar ohne Rückfragen Wasser und Wein ein, begnügte sich aber mit einer kleinen Menge und behielt den Fürsten stets im Blick.
Offensichtlich waren die Offiziere darauf bedacht, dem Kriegsfürsten trotz allem den Vortritt zu lassen, sollte er plötzlich selbst das Verlangen nach Wasser oder Wein bekommen.
Was Raoul in seiner Angespanntheit nicht bemerkte, war, dass dies eigentlich die Aufgabe eines Bediensteten war. Sein Fehlen hatte einen berechtigten Grund – einen, den der Soldat bald erfahren sollte.
Im Augenblick jedoch konnte er nur hilflos auf den einzig übrigen leeren Stuhl starren, der sich ausgerechnet direkt neben Damian stand.
„Setz dich!“, befahl der Fürst, musterte ihn jedoch nur kurz. Rasch griff er nun seinerseits nach den Flüssigkeiten, um sich einzuschenken.
Eine kurze Galgenfrist, die es dem Sohn einer Köchin ermöglichte, sich ein wenig zu beruhigen und sich einigernassen gefasst auf das weiche Polster zu setzen.
‚Eine Verhaltensweise, die typisch für Damian ist. Er lässt es wie einen Zufall aussehen, hilft mir aber dabei, mich zu fangen‘, dachte Raoul unwillkürlich, schalt sich aber sogleich einen Narren. Reine Posse des Fürsten, sonst nichts.
Er durfte sich keine falschen Hoffnungen machen.
Die Tatsache, neben Damian sitzen zu müssen, war allein schon grausam genug – Erwartungen zu hegen, die nie erfüllt werden würden, machten alles nur noch schlimmer.
Er ignorierte daher die feuchten Hände, die zweifelsfrei Zeichen seiner Unsicherheit und Nervosität waren. Bisher hatte er es erfolgreich vermieden, den ehemaligen Freund direkt anzusprechen.
„Du kannst dir ruhig auch etwas von dem Wasser oder Wein nehmen“, erklärte der Fürst. Sein Gesicht war eine emotionslose Maske, während er die Krüge und einen Becher in Raouls Reichweite schob. „Du wirst es brauchen!“
Auch wenn es erlaubt gewesen wäre, so hätte der Soldat seinem ehemaligen Kameraden nicht lange direkt in die Augen schauen können; zu fremdartig wirkten sie auf ihn. Vielleicht lag es aber auch daran, dass dieser Blick so anders war, als er ihn von Damian in Erinnerung hatte.
Sagte man nicht, die Augen seien der Spiegel der Seele? Wenn es demnach ging, hatte der Kriegsfürst keine mehr, sondern an deren Stelle ein tiefes schwarzes Loch.
Ihn schauderte, während ihm dieser Gedanke kam. Ein wenig zu hastig schenkte er sich ein.
Wenigstens gelang es ihm, seine Hand ruhig zu halten und nichts zu verschütten.
Hatte Damian es gut gemeint, oder war der Hinweis, dass er, Raoul, Wasser und Wein brauchen würde, abermals als Spott, wenn auch versteckt, zu verstehen?
Er kannte den Mann nicht mehr und verfluchte im Stillen, ihm damals begegnet zu sein.
Alles war besser, als diese Pein zu ertragen, die von Minute zu Minute größer wurde und sich gnadenlos in seine Seele fraß.