Der Kriegsfürst beachtete ihn nicht länger, sondern wandte sich wieder an die anderen Männer: „Wir besprechen das hier später weiter!“
Alles waren offenbar hoch dekorierte Offiziere. Natürlich erkannte Raoul hochwertige Rüstungen, wenn er sie sah – von den militärischen Auszeichnungen einmal abgesehen. Neben ihnen hätte man erwartet, dass Damian in seiner schlichten Leinenkleidung schäbig oder deplatziert wirkte – das Gegenteil war jedoch der Fall. Der Mann strahlte eine derartige Präsenz und Kraft aus, dass kein Zweifel bestand, wer hier das Sagen hatte, und dieser Führungsanspruch wurde nicht durch Äußerlichkeiten geschmälert.
„Wie Ihr befehlt, mein Fürst!“, kam die Antwort. Alle fünf verneigten sich ehrerbietig.
„Wünscht Ihr, dass wir hier im Saal bleiben, oder sollen wir uns zurückziehen, bis Ihr nach uns schickt?“, fragte nun ein anderer von ihnen mit leiser Stimme.
„Ich brauche Euch noch, der Grund, warum ich nach Raoul schicken ließ, betrifft indirekt auch Euch!“ Damians Stimme klang hart, ehe er sich wieder in Richtung seines ehemaligen Freundes drehte.
Verwirrt starrte dieser ihn an. Was erwartete der Kriegsfürst von ihm? Und wie sollte oder musste er ihn ansprechen?
Aus den Augenwinkeln bemerkte Raoul, dass der Diener, der immer noch neben ihm stand, demütig den Kopf gesenkt hielt und sich nun ebenfalls verbeugte – wesentlich tiefer und unterwürfiger als die Offiziere.
Wurde das auch von ihm auch verlangt?
Ein kleiner Fußtritt seines Begleiters an sein Schienbein beantwortete diese Frage wohl.
Raoul versuchte vergeblich, in Damians Mimik eine Antwort zu finden. Das Gesicht des Kriegsfürsten war ausdruckslos – vielleicht eine Spur Neugierde, wie der Soldat zu erkennen glaubte. War dies eine Prüfung, wie er reagieren würde?
Es fühlte sich falsch an, sich vor Damian zu verbeugen, Kriegsfürst hin und her. Sie sollten sich auf die Schulter klopfen, miteinander lachen oder auch feixen, aber sich dem ehemaligen Freund unterzuordnen ... das konnte nicht richtig sein.
Trotzdem folgte Raoul widerwillig dem Beispiel des Dieners. Zumindest insoweit, dass er eine Verbeugung andeutete. Zu mehr konnte er sich beim besten Willen nicht überwinden. Befehle entgegenzunehmen, war eine andere Sache, aber höfische Gepflogenheiten, darin war er noch nie besonders gut gewesen. Er wusste nicht einmal, wie er eine standesgemäße Verbeugung hinbekommen sollte, ohne dass sie total steif oder unbeholfen wirkte.
Als er aufsah, bemerkte er zu seiner Verwunderung, dass der Kriegsfürst kurz amüsiert lächelte, ehe er wieder ernst wurde. „Wie ich sehe, hast du dich nicht verändert, Raoul. Alles andere hätte mich auch gewundert. Tritt näher, damit ich dir meine Pläne für dich darlegen kann.“
Er durfte nicht zu viel in das kurze Schmunzeln hineininterpretieren.
Die Anführer waren ja bekannterweise nicht völlig gefühllos, und es war bekannt, dass sie durchaus noch Emotionen besaßen, wenn auch nur in sehr schwacher Form. Wenn Damian sich also gerade kurz über ihn gelächelt hatte, war dies durchaus nicht ungewöhnlich und kein Grund zur Hoffnung, dass die Verwandlung seinem Freund weniger verändert haben könnte, als die anderen vor ihm.
Der alte Damian hätte keine Pläne für ihn gemacht, um sie darlegen zu können. Nein, Raoul wäre gefragt worden mit der Möglichkeit, seine eigene Entscheidung zu treffen.
Diese Art von Spiel, das hier gerade gespielt wurde, gefiel ihm ganz und gar nicht – trotzdem würde er sich keine Blöße geben und sich seine Verunsicherung oder den inneren Schmerz nicht anmerken lassen. Darauf bedacht, äußerlich gefasst zu erscheinen, schritt er langsam näher, den Blick auf Damians rechtes Ohr fixiert. Es gehörte sich nicht, einem Kriegsfürsten länger als einen kurzen Moment direkt in die Augen zu sehen; dies konnte als Herausforderung angesehen werden und hatte schon so manch tödliches Duell nach sich gezogen.
Raoul kam nicht umher zu bemerken, dass auch die Offiziere angespannt den Atem angehalten hatten – sie wussten so gut wie er, dass das Herbeizitieren eines gemeinen Soldaten höchst ungewöhnlich war, und hatten augenscheinlich auch kein gutes Gefühl dabei.
Nicht zu vergessen, dass sie Damian in seiner Eigenschaft als Kriegsfürsten besser kannten als er selbst.
Raoul hatte sich der Gruppe bis auf wenige Meter genähert, als sein einstiger Freund ihn mit einer Geste zum Stehen brachte. Sie wirkte überheblich, um nicht zu sagen, arrogant – etwas, was dem Soldaten einen eisigen Klumpen im Magen bescherte.
„Aber doch nicht hier am Strategietisch, Raoul – lasst und alle rüber zum Besprechungstisch gehen.“
Erneut schien sich der Kriegsfürst über ihn zu amüsieren. Nicht nur das, es wirkte auf den Soldaten so, als mache der Andere sich über ihn lustig.
Bei den Kriegsgöttern Groga und Hera*, was war das für eine quälende Posse, die Damian hier mit ihm veranstaltete? Und wann war er so grausam geworden, da es ihm offensichtlich einen solchen Genuss bereitete, Raoul so leiden zu lassen?
* In dieser Fantasywelt glauben die Menschen an Götter – Groga und Hera sind das Götterpaar des Krieges.