‚Ich brauche deine Hilfe!‘ Raouls Kopf war wie leergefegt und seine Gedanken schienen nur noch aus diesem Satz zu bestehen. Widerstandslos ließ er sich in ein Zimmer führen und setzte sich an den kleinen Tisch, der genug Platz für zwei Personen bot.
Man hatte seine Anwesenheit erwartet – davon zeugten diverse Getränke und eine Wärmeglocke, die ihr Geheimnis noch nicht preisgab. Weiter entdeckte der Soldat zwei Teller und einige Stoffservietten.
„Orangensaft!“, rief Raoul überrascht aus. Ein Luxusgetränk, welches teuer war, aber von ihm geliebt wurde, seit Damian es ihm einst mitgebracht hatte.
„Es hat gewisse Vorzüge, Kriegsfürst zu sein“, verriet sein Gegenüber mit einem leichten Schmunzeln, welches sich jedoch nicht in seiner Stimme widerspiegelte. „Ich habe deine Affinität zu diesen Früchten nicht vergessen.“
Raoul verstand Damian immer weniger – je länger er mit ihm zusammen war, desto mehr Rätsel gab er ihm auf. Auch dass der Fürst sich indirekt auf ihre alte Freundschaft berufen hatte, behagte ihm nicht. Trotzdem ließ er es sich nicht nehmen, nach der Flüssigkeit zu greifen und sich einzuschenken.
Die Augen des Kriegsfürsten fixierten Raoul, ehe er fortfuhr: „Schau ruhig auch unter der Glosche nach.“
Der Soldat zögerte kurz, ehe er dieser Aufforderung nachkam. Letztlich würde sich der Fürst eh durchsetzen. Und dazu war er neugierig!
Behutsam hob er die silberne Haube in die Höhe und legte sie daneben ab.
Als er sah, was Damian hatte bringen lassen, wurden seine Augen groß.
Dieser wiederum beachtete den anderen gar nicht, sondern verteilte mit stoischer Ruhe die zwei Teller, ehe er selbst beherzt zugriff.
„Was ist los? Magst du sie nicht mehr?“, fragte der Fürst ruhig und nahm einen Bissen. „Ich kann dir vergewissern, sie schmecken ausgezeichnet.“
„Echte Kaisertaschen! Ich habe schon ewig keine mehr gegessen.“ Ehrfürchtig betrachtete Raoul die blätterteigartigen Gebäckstücke in Form von Königskronen, die dort übereinandergestapelt auf einem großen Teller lagen.
„Dir ist schon klar, dass du mich beleidigst, wenn du sie nur anstarrst, und keine davon probierst?! Schließlich habe ich sie extra für dich herkommen und auch warmhalten lassen!“ Der Satz hätte man als Scherz auffassen können, wenn nicht Damians ernstes Gesicht gewesen wäre.
Wie auch immer die wahren Absichten sein mochten, erschien es Raoul klüger, dem Fürsten Folge zu leisten. Ein großes Opfer stellte es schließlich auch nicht dar. Der Soldat folgte also dem Beispiel des Kriegsherren und bediente sich.
Stille herrschte, als beide Männer schweigend, die mit Käse und seltenen Pilzen gefüllten und gebackenen Taschen verzehrten.
Raoul hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen. Es erschien ihm angebracht – schließlich saß er hier zusammen, mit einem Meister der Kriegsführung, in dessen Privatgemächer und verzehrte seltene und teure Spezialitäten.
Nur was wurde von ihm erwartet?
Unbehaglich räusperte sich. Sein Hals war unangenehm trocken. „Ich bedanke mich für die Ehre, mit Euch speisen zu dürfen.“
Kurz blitzte Spott in Damians Augen auf, ehe er antwortete: „Du solltest mir nichts vorspielen, Raoul. Ich weiß, dass du dich augenblicklich nicht allzu wohl in deiner Haut fühlst.“ Der Mann machte eine kurze Pause, ehe er mit ruhiger Stimme fortfuhr: „Mit der Zeit wirst du dich daran gewöhnen. An das oder genauer gesagt an den Mann, den sie aus mir gemacht haben.“
Der Soldat vermied es, dem Fürsten direkt anzublicken. Es hätte seinen Unglauben verraten. So begnügte er sich damit, bestätigend zu nicken.
Sein ehemaliger Freund reagierte mit einem dünnen Lächeln, welches für einen Moment traurig wirkte, ehe er ergänzte:„Du stellst dir die Sache schwerer vor, als sie tatsächlich ist.“