Nach dem Prompt "Walzer" vom 08.07.2020
Geschrieben am 08.07.2020 von 18:00 bis 18:30 Uhr
Beendet am 09.07.2020 von 22:00 bis 22:30 Uhr
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BARBARA
„Sag mal, Babs...“, Edwards nachdenkliche, aber erstaunlich wach klingende Stimme reißt mich aus dem Halbschlaf, in den ich wohl schon gefallen bin, bevor er anscheinend das Licht ausgemacht hat. Ein kurzes Blinzeln offenbart mir, dass es dunkel ist und demnach gibt es keinen Grund, nun noch ein Gespräch anzufangen. Also knurre ich nur demotiviert und wälze mich abweisend auf die andere Seite. Gern sage ich ihm alles, was er hören will, aber nicht mehr heute. Was auch immer ihm noch eingefallen ist, er soll bis morgen damit warten. Wenn er es dann vergessen hat, auch gut. Dann kann es ja gar nicht so wichtig gewesen sein.
Es raschelt neben mir. Dann geht das Licht wieder an und ich stöhne entnervt. „Was ist denn?“, murre ich verschlafen. Ich blinzele erneut und fühle mich allein von der dämmrigen Lampe auf dem Nachtschrank geblendet. Vielleicht war ich sogar schon im Tiefschlaf, also sollte er besser einen guten Grund dafür haben, mich von meiner wohlverdienten Ruhe abzuhalten. Edwards Haar steht wirr in alle Richtungen ab, aber ansonsten wirkt er vollkommen hellwach, als hätte er ans Schlafen noch nicht einmal denken können. Kurz wird mir mulmig, dann entscheide ich, dass ich zu müde bin, mich um seinen Gemütszustand zu sorgen.
„Ich habe gerade nachgedacht“, beginnt er und ich muss mich zusammenreißen, nicht in Beifall auszubrechen. Stattdessen seufze ich nur schwer, während ich versuche, mich entgegen der Bedürfnisse meines Körpers ein bisschen aufzurichten, um nicht während des Bettgeflüsters einfach wieder weg zu dösen. Erwartungsvoll schaue ich Edward an, „Möchtest du mir auch verraten worüber oder gönnst du mir einfach aus Prinzip keinen Schlaf, nur weil du offensichtlich nicht einschlafen kannst?“, murre ich. Er lächelt so sanft und liebevoll, dass ich mich fast schlecht fühle, so mies gelaunt zu sein. Aber es ist spät, ich bin müde und seine hoch motivierten Worte um diese gottlose Uhrzeit lassen mich aus allen Wolken fallen, „Wir sollten zusammen einen Tanzkurs machen. Und dann tanzen gehen. Ich würde unheimlich gern mit dir tanzen.“
Zunächst überlege ich, ob ich ihn mit einem Kissen erdrosseln sollte, dass er diesen albernen, aber zumindest harmlosen Gedanken ausgerechnet während meines Schönheitsschlafs haben muss. Dann beschließe ich, dass ich dazu nicht die Motivation habe und werfe es ihm einfach ins Gesicht. „Lass uns morgen darüber sprechen, wenn es sein muss“, flehe ich ihn an, während er mich in seine Arme zieht und mir wieder einmal auffällt, dass mein Freund eigentlich kein Mensch sein kann, sondern in Wirklichkeit ein besonders weicher und menschlich geformter Heizkörper ist, der im Bett standardmäßig auf die höchste Stufe gestellt ist. „Ist das ein Ja?“, fragt er grinsend. Ich stöhne und schmiege mich näher an ihn. „Ein klares Vielleicht“, brumme ich. „Bedenke dabei, dass ich in meine Entscheidung einfließen lassen werde, ob du mich jetzt in Ruhe schlafen lässt.“
Edward lächelt nur weiterhin so lieblich, dass ich mich fast schlecht fühle, so griesgrämig zu sein. Aber nur fast, immerhin habe ich schon geschlafen. Er küsst meine Stirn und zieht mich näher an die fast unerträgliche Hitze, die nach einigen Momentan zu wohlig warmer Geborgenheit wird. Ich drifte wieder in meinen wohlverdienten Schlaf und träume irgendeinen Stuss von Edward, wie er in einem pompösen Ballsaal mit Kronleuchter eine rote Rose zwischen den Zähnen trägt und mich zum Tanzen auffordert. Auf einmal ist es eiskalt und stockfinster und ich taste neben mir ins Leere. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es immer noch mitten in der Nacht ist. Was auch immer in ihn gefahren ist, mir reicht's. Der Kerl soll gefälligst endlich genügend schlafen, sonst darf ich morgen wieder tausend Tode sterben, darauf habe ich keine Lust.
Ich finde ihn im Wohnzimmer, wo er wie ein Schluck Wasser auf dem Sofa hängt und versuche, nicht aus der Haut zu fahren, als er mich anschaut, als könne er kein Wässerchen trüben. "Guten Morgen", sagt er nur. Ich schnaufe, "Es ist halb vier. Was ist los, Eddie?" Er steht auf und wankt ein bisschen, als wäre er vollkommen betrunken. Das Schlimme ist nur, dass er das grundsätzlich auch ohne Alkohol schafft und dieser Fakt meine Sorge nicht gerade besänftigt. Ich will ihm gerade zur Hilfe eilen, da zieht er mich schon in seine Arme und schaut mir mit großen, verträumten Augen ins Gesicht. "Ich habe nachgedacht", wiederholt er seinen Standpunkt und grinst verschmitzt. Ich seufze tief und lasse mich in seine zärtlichen Arme sinken. "Tu dir nicht weh dabei", murmele ich nur sanft. "Nein, für wirklich", sagt er schnell und ich muss schmunzeln. Dann drücke ich einen Kuss auf seine Wange und ziehe ihn sanft am Arm in Richtung Schlafzimmer, "Denk bitte morgen für wirklich nach, du gehörst ins Bett."
"Barbara", sagt er nur, mit einem Mal sehr ernst. Er scheint zu wanken, als würde er gleich stürzen oder zumindest Halt mit den Knien auf dem Boden suchen. Hastig greift er nach seiner Pillenbox und ich kann ihn gerade noch auffangen, bevor er auf dem Boden landet. Verwirrt schaut er mich an und räuspert sich diskret. Ich starre ihn unverwandt an, als er versucht sich von mir zu lösen und ihm dabei die Schachtel aus der Hand fällt. Statt Tabletten, die sich überall auf dem Boden verteilen, purzelt ganz schüchtern ein filigran geschmiedeter Ring heraus und liegt hilflos auf unserem Teppichboden. Schockiert starre ich noch mehr, dann räuspere ich mich ebenso. Edward schaut mich an und seine Mundwinkel zucken hilflos. Ich beiße mir leicht auf die Unterlippe und stupse verlegen seine Nase an. Dann müssen wir beide lachen.
"Du hast nichts gesehen", flüstert er mir verschwörerisch zu, als er die kleine Box samt ihrem kostbaren Inhalt schnell versteckt. "Ich mach das nochmal. Besser. Schöner." Ich lache herzlich, dann steigen mir die Tränen in die Augen. "Und nicht mitten in der Nacht?", flüstere ich in sein Ohr, ehe ich ihn in einen innigen Kuss ziehe. Eine Weile halten wir uns eng umschlungen, dann wiegen wir uns kichernd und glucksend zu ein paar unbeholfenen Tanzschritten. Genau wie die zwei kompletten Vollidioten, die wir eben sind. Ich trete Edward mit meinem Hausschuh auf die nackte Zehenspitze und er muss wieder lachen, "Du musst schon im Walzertakt bleiben!" Ich pruste los, "Dazu musste ich erst einmal wissen, dass wir überhaupt Walzer tanzen!"
Er schaut mich mit fröhlich funkelnden Augen an und einige Momente lang bleibt mir trotz aller Albernheit vor liebevoller Ehrfurcht der Mund ein bisschen offen stehen. Dieser unverbesserliche Verrückte. Auch wenn ich ihn manchmal am liebsten auf den Mond schießen würde, liebe ich ihn von ganzem Herzen. Denn das schlägt gerade exakt denselben aufgeregten Rhythmus wie seines, ganz egal ob nun Dreivierteltakt oder nicht.