Nach dem Prompt "Ostereier" vom 08.04.2020
Geschrieben am 12.04.2020 von 7:30 bis 8:30 Uhr
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EDWARD
Ich muss gestehen, vielleicht bin ich nicht der beste Christ auf dieser Erde, doch ich liebe die Tradition. Wahrscheinlich spielt es eine große Rolle in meiner Vorfreude auf Ostern, dass ich nun selbst Kinder habe. Meine schönen Erinnerungen von damals möchte ich auch ihnen mit auf den Weg geben. Gerade weil wir uns momentan nur sehr selten sehen, doch dieses Osterfest feiern meine beiden Töchter mit mir und es gibt nichts, was mir dieses Wochenende verderben könnte. So denke ich noch im Bett liegend und schaue immer wieder auf die Uhr.
Ein paar Stunden später stehe ich draußen vor der Tür und schaue wieder auf die Uhr. Barbara hat Roman und Adrian dazu abkommandiert, etwas zu kochen. Den Geräuschen aus dem Küchenfenster nach zu urteilen, hilft sie nun aber selbst mit. Endlich fährt das Auto auf den Parkplatz, Cindy steigt aus, flucht über das blöde Navigationsgerät, dann nickt sie mir kurz zu, sagt kein Wort und ich winke fröhlich. Gleich darauf öffnen sich die hinteren Türen und ich gehe lachend in die Knie, breite die Arme weit aus und mit wehenden Haaren und flatternden Kleidern fliegen zwei kleine Engelchen zu mir. Rechts und links landen sie in meiner Umarmung. "Papa, Papa!", rufen sie aufgeregt und die Gesichter strahlen um die Wette. "War der Osterhase schon da? Wann suchen wir die Ostereier?" Cindy wirkt gestresst, sie tippt kurz auf dem Telefon herum, dann drückt sie mir eine Reisetasche in die Hand, erklärt mir Sachen, die ich längst weiß und steigt wieder ins Auto.
Emily winkt kurz zum Abschied, aber Elaine klammert sich schon an meinem Rücken fest, damit ich sie beim Aufstehen huckepack trage. Sie jubelt und jauchzt und Barbara streckt den Kopf zum Fenster raus. "Da seid ihr ja schon!", begrüßt sie die beiden. Emily rennt freudig zum Fenster und streckt die Ärmchen nach oben. Das Fenster ist zu weit oben, aber sie lachen beide. "Wir sind noch gar nicht fertig mit dem Kochen, aber ihr könnt schon mal im Garten suchen, ob der Osterhase da war!", ermuntert sie auch Elaine. Auf meinem Rücken wäre sie sogar groß genug, ans Fenster zu kommen, aber sie klammert sich nur fester um meine Schultern und wendet schüchtern den Blick ab. "Ich will den Osterhasen suchen", ruft Emily. Lange kann sich Elaine auch nicht davon abhalten, es ihr gleich zu tun und bald darauf sind wir alle im Garten und finden mit Anweisungen wie "Ganz kalt" und "Ja, da hinten wird es schon wärmer" bis zu "Heiß, heiß, heiß! Schau dich genau um!" alle bunten Osternester.
Nach dem Mittagessen haben wir einen langen Spaziergang auf dem nahe gelegenen Wanderweg am Bach entlang geplant. Emily meckert am Essen herum, aber immerhin hat sie auch schon einem Schokoladenosterhasen den Kopf abgebissen. Adrian versucht Barbara davon zu überzeugen, dass er sehr viel Bürokram zu erledigen habe und deswegen unmöglich mitkommen kann. "Ich glaub ich höre schlecht", beschwert sie sich. "Es ist Ostern, da gibt es keine Arbeit. Da gibt es nur Familientradition!" Elaine starrt die ganze Zeit Roman aus großen Augen an. Der wirkt allgemein ein bisschen unausgeschlafen und murrt leise, "Wenn du weiterhin so glotzt, dann fress ich dich zum Nachtisch." Barbara wirft ihm einen warnenden Blick zu, aber Elaine sieht es wohl als Ansporn, endlich den Mund zu öffnen. "Aber ich bin doch sauer", platzt es aus ihr heraus, "Dann schmecke ich sowieso nicht!"
Das allgemeine Gelächter verhallt schnell. Emily hilft beim Abwasch und ich frage Elaine, wieso sie denn sauer ist. Sie schnauft tief durch, dann stemmt sie streng die kleinen Hände in die Hüften und erklärt mir ganz ernst, was Sache ist. "Der Osterhase hat es dieses Jahr falsch gemacht", seufzt sie. "Wir haben so viele Sachen bekommen, aber das wichtigste war nicht dabei!" Erschrocken schaue ich sie an. "Ich glaube, der Osterhase dachte wirklich, dass du dir einen Fahrradhelm und Kartenspiele gewünscht hast", versuche ich mich, ein bisschen aus der Affäre zu ziehen. "Das stimmt ja auch", Elaine zuckt hilflos mit den Schultern. "Aber wir haben keine kleinen bunten Ostereier aus Schokolade. Nur riesengroße Hasen!"
Ich versuche, ihr zu erklären, dass an einem Hasen sehr viel mehr Schokolade dran ist als an allen bunten Ostereiern zusammen. Sie schüttelt heftig den Kopf. "Aber darum geht es doch nicht", belehrt sie mich. Erst als sie mir klar macht, dass die Schokoladeneier doch wohl das Wichtigste an Ostern sind, verstehe ich langsam. Es ist das erste Jahr mit einem Riesen-Hasen, davor gab es immer die bunten Mini-Eier. Wir haben es gut gemeint, immerhin ist es großer preislicher Unterschied. Fasziniert bemerke ich, dass meiner Tochter sicherlich unheimlich egal ist, wie viel ihre Geschenke gekostet haben. Was sie braucht, ist die Sicherheit einer Tradition, die sie jahrelang geprägt hat. Ich platze fast vor Stolz, aber das Problem ist damit auch nicht gelöst.
Während Barbara noch Getränke für unsere Wanderung einpackt, wende ich mich kurz im Vertrauen an Roman. "Du hast doch ein Auto", beginne ich und er starrt mich an, als wolle er nun mich auffressen. "Könntest du vielleicht für mich zur Tankstelle fahren und eine Packung von diesen ganz kleinen, bunten Schokoladeneiern kaufen?" Roman stöhnt genervt und motzt eine Weile vor sich hin, während er in seine Schuhe steigt. "Na gut", stimmt er schließlich zu. "Aber das mache ich nicht für dich, sondern für diese beiden Quälgeister!" Wir brechen zum Spaziergang auf. Elaine fragt mich, wo der Mann mit dem Bart hin ist und ich druckse herum. "Der sucht den Osterhasen", meint Adrian grinsend. "Vielleicht finden wir ihn ja, sollen wir mal suchen?" Emily und Barbara pflücken einen großen schönen Blumenstrauß am Wegesrand. Meine kleine, eigentlich so schüchterne Elaine aber nimmt zögerlich Adrian an der Hand und zieht ihn mit sich. "Hier ist es ganz kalt", lässt sie ihn wissen. "Wir müssen noch sehr viel weiter!"
An einer Gabelung vom Wanderweg zur Straße blitzt nicht nur der Lack von Romans Angeberwagen durch die Büsche, sondern auch bunt in der Sonne schimmerndes Papier im Gras. Adrian stolpert überfordert hinter Elaine her, während sie mit ihm im Schlepptau in die Richtung der Schoko-Eier rennt, "Heiß, heiß, ganz heiß!" Barbara und Emily staunen. Elaine ist selig. "Da hat der Osterhase ja nur ein bisschen Verspätung gehabt", behaupte ich ganz scheinheilig. Emily verdreht die Augen. Ein bisschen kann zumindest sie es sich wohl denken, als Roman zwischen den blühenden Bäumen auftaucht und sich zu uns gesellt, aber sie will den Spaß für Elaine auch nicht verderben. "Und schau doch!", ruft die Kleine noch ganz aufgeregt und deutet auf Roman. "Der Osterhase hat sogar den Mann mit dem Bart zurückgebracht!"
Nachdem ich meine zwei Süßen am Abend ins Bett gebracht habe, gehe ich zurück ins Wohnzimmer, wo mittlerweile nur noch Barbara am Aufräumen und Saubermachen ist. "Typisch, die drücken sich mal wieder davor", beschwert sie sich über unsere neuen Mitbewohner, aber zusammen sind wir im Nu fertig. "Hör mal, Eddie", meint Barbara plötzlich sehr ernst und schaut mich direkt an. "Ich weiß, solche Sachen wollten wir eigentlich nicht diskutieren, aber ich platze sonst." Mir rutscht das Herz in die Hose, als sie zur leicht angelehnten Tür zum Gästezimmer nickt und ich habe Angst, dass sie sich darüber beschwert, dass die beiden ihrer Meinung nach laut und anstrengend sein könnten.
Ich male mir schon das Schlimmste aus, dass die beiden nicht mehr zu uns kommen dürfen, weil sie das nicht mehr mitmachen will. Stattdessen zieht sie mich in eine liebevolle Umarmung und lächelt verträumt. "Falls du irgendwann denkst, dass die zwei alt genug für ein kleines Geschwisterchen sind", beginnt sie aber sehr leise und lässt mich staunen. Mitten in der Nacht schleiche ich ganz leise aus dem Schlafzimmer, steige vorsichtig die Treppe nach oben und lege die restlichen Schoko-Eier in einem kleinen Osternest vor die Tür zur anderen Wohnung.