Nach dem Prompt "Fehlendes Vertrauen" vom 15.04.2020
Geschrieben am 15.04.2020 von 18:00 bis 19:00 Uhr
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ROMAN
Es ist ja nicht so, dass ich nicht gern zur Arbeit gehen würde. Aber nach mehreren freien Tagen bemerkt man erst einmal, wie furchtbar undankbar das Leben ist, wenn der Wecker gefühlt mitten in der Nacht klingelt und man sich nicht einfach nochmal umdrehen kann. Ich widerstehe dem Drang, das Ding gegen die Wand zu werfen, weil ich immerhin teuer Geld dafür bezahlt habe und schäle mich aus dem kläglichen Rest meiner wunderbar warmen Decke, den ich gnädigerweise benutzen durfte. Als aber auch Leben in den zerzausten Wuschelkopf kommt, der gemütlich in den Großteil davon eingewickelt noch im Bett liegt, murre ich nur, "Bleib liegen, du hast noch zwei Stunden."
"Dir auch einen guten Morgen, Schatz", murmelt Adrian nur verschlafen und gähnt herzhaft, ehe er nach der Brille auf dem Nachttisch tastet. Das amüsierte Grinsen auf seinem Gesicht bereitet mir dann doch ein schlechtes Gewissen und ich gebe ihm schnell einen kleinen Kuss, bevor ich meine Schlaf-Boxershorts zu einem ähnlichen Modell vom Vortag direkt neben den Wäschekorb werfe und mich unter die Dusche begebe. Als ich tropfend mit einem Handtuch um die Hüften wieder ins Schlafzimmer komme und meine Sachen aus dem Schrank suche, ist das Bett schon gemacht und ich entdecke beide Shorts im Wäschekorb. Ich glaube, ich sehe nicht richtig. Was für eine alberne Aktion! Als ob ich das nicht selbst machen könnte, der Kerl will mich doch verarschen! Wäre der doch einfach liegen geblieben, dann hätte ich jetzt meine Ruhe. Als wäre es nicht schwer genug, das kuschlige Bett zu verlassen, um mich mit meinen Arbeitskollegen und deren Problemen herumärgern zu müssen.
"Ich hätte schon noch aufgeräumt", mosere ich schon während ich die Küche betrete und entdecken muss, dass der Kaffeebecher schon fix und fertig auf dem Tisch steht. Adrian schmiert gerade zwei Butterbrote und schneidet ein bisschen Gemüse klein. Ich runzele die Stirn und starre ihn missmutig an, während ich einen Schluck Kaffee nehme. "Bist du jetzt meine Mutter oder denkst du, ich bekomme das nicht alleine hin?", beschwere ich mich. "Geht's noch?", Adrian schaut mich unbeeindruckt an und sortiert Brote und Gemüse liebevoll in meine Lunchbox. "Danke Adrian, gern geschehen Roman, es ist mir immer wieder eine Freude, dein strahlendes Gesicht am Morgen zu sehen!" Ich stelle den Kaffeebecher schwungvoll auf den Tisch, verschütte dabei einen guten Schluck davon und werfe einen Blick auf die Uhr. Habe ich noch Zeit für einen Disput oder komme ich dann zu spät? Lieber nichts riskieren, denke ich mir. Tu einfach so, als wäre nichts gewesen, versuche ich mich zu beherrschen.
Als Adrian aber sofort mit einem Lappen zum Tisch eilt, platzt mir der Kragen. "Willst du mir irgendetwas damit sagen, dass du mir hinterher räumst, als wäre ich noch keine drei Jahre alt?", schnauze ich ihn an. "Ich hätte das schon noch gemacht, seit wann hast du denn plötzlich Kontrollzwänge? Hab mal ein bisschen Vertrauen in mich und gib mir Zeit, wach zu werden, statt mich so passiv-aggressiv blöd von der Seite anzumachen!" Adrian schnaubt und stemmt die Hände in die Hüften. "Als ob du von alleine auf den Gedanken kommen würdest, deinen eigenen Dreck wegzumachen", wirft er mir vor. "Normalerweise muss ich dich mindestens fünfmal dran erinnern, da spare ich mir die Mühe und erledige es selbst!" Fast sieht er gruselig mit dieser Körperhaltung aus, die in diesem Fall der von Barbara erschreckend ähnelt. Da traue ich mich nicht, mit meinen weiterführenden Vorwürfen anzukommen, bis er schon weiter spricht. "Außerdem wollte ich dir lediglich einen Gefallen tun. Mir ist schon klar, dass du nicht dran gedacht hast", meint er dann vollkommen ohne Zusammenhang. "Aber bevor du mir fehlendes Vertrauen unterstellst, schau lieber mal im Kalender nach, was du vielleicht vergessen haben könntest."
Mir läuft es eiskalt über den Rücken und ich erstarre buchstäblich wie zur viel zitierten Salzsäule. Ostern war schon, Weihnachten dauert noch. Valentinstag haben wir damals beschlossen, immer zu ignorieren, weil es albern ist und Geburtstag kann nicht sein, das wüsste ich. Es muss also irgendwas an den Haaren herbei gezogenes sein, wie zum Beispiel das dreimonatige Jubiläum davon, dass wir nicht mehr aneinander hängen wie die frisch Verliebten, oder etwas in der Art. Mein Gesicht muss Bände von meiner Verwirrung sprechen, denn Adrian lässt kopfschüttelnd die Arme sinken. "Tut mir leid?", versuche ich kleinlaut, ein bisschen einzulenken. Adrian grinst und haucht einen Kuss auf meine Wange, ehe er mir die liebevoll eingerichtete Brotdose zusammen mit einer Thermosflasche voll Kaffee für unterwegs in die Hand drückt. "Muss dir nicht leid tun", nuschelt er verlegen. "Ist ja auch nur ein Tag wie jeder andere. Ich bitte lediglich um ein Mindestmaß Verständnis dafür, dass ich an unserem Jahrestag ein bisschen nett zu dir sein will."
Ich seufze ergeben, mein schlechtes Gewissen meldet sich zurück und auf Streit habe ich auch keine Lust mehr. "Sei lieber an jedem anderen Tag im Jahr nur halb so nett zu mir und lass dafür solche Schockmomente am frühen Morgen ausfallen?", schlage ich mit schuldbewusster Miene und einem schiefen Grinsen vor, dann ziehe ich Adrian fest in meine Arme, um ihn innig zu küssen. Erst das laut und deutlich vernehmbare vorwurfsvolle Räuspern von Barbara, die sich an uns vorbeiquetscht, um sich am Kaffee zu bedienen, erinnert mich daran, dass ich lieber zur Arbeit sollte, statt der abenteuerlichen Idee zu erliegen, ihren Küchentisch für einen nicht ganz dafür gedachten Verwendungszweck zu gebrauchen. In der Mittagspause entdecke ich in der Lunchbox nicht nur eine kurze Liebesbotschaft auf einem kleinen Zettelchen, sondern auch meinen scheinbar heimlich gekauften Lieblingskäse auf dem Butterbrot und dass die Gurkenscheiben daneben noch dazu in Herzform geschnitten wurden. So ein alberner Spinner, denke ich mir zärtlich und kaufe schuldbewusst auf dem Heimweg an der Tankstelle einen vollkommen überteuerten Strauß roter Rosen.