Nach dem Prompt "Gefährliches Geschenk" vom 01.04.2020
Geschrieben am 12.06.2020 von 23:00 bis 24:00 Uhr
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EDWARD
Barbara und Adrian haben Geburtstag. Natürlich ist eine große Party geplant, immerhin muss diese für gleich zwei Personen ausreichen. Es trifft sich wunderbar, dass der Wetterbericht strahlenden Sonnenschein vorausgesagt hat, denn auch wenn es nicht viel direkte Verwandtschaft gibt, würde die Mischung aus beiden Freundeskreisen zusammen mit den gemeinsamen Bekannten niemals ins Wohnzimmer passen.
Barbara ist seit Tagen aus dem Häuschen, sucht nach Rezepten für besondere Cocktails und kreative Ideen für Fingerfood, Adrian hingegen habe ich kaum zu Gesicht bekommen. Barbara meint, er hätte derzeit viel zu tun und bräuchte unbedingt ein bisschen Ablenkung vom Job. Er selbst hat sich beim letzten Sonntagsfrühstück darüber beschwert, dass er momentan geradezu in Arbeit ersticken würde. Roman kommandiert mich einen Tag vor der großen Feier zum gemeinsamen Großeinkauf ab.
Nachdem wir mehrere Kartons voller Lebensmittel und unzählige Getränkekisten zum Auto geschleppt haben, weiht er mich in das große Geheimnis ein, was er Adrian zum Geburtstag schenken wird. "Wenn du ihm etwas verrätst, bist du ein toter Mann, Ed!", warnt er mich drohend. "Es soll eine Überraschung werden." Einen Moment lang frage ich mich, wie er auf die Idee kommt, dass ich diesen netten Plan mit Absicht durchkreuzen wollen könnte.
Wir fahren nicht nach Hause, sondern zu einer Werkstatt, auf deren Hof einige schicke Fahrzeuge stehen, die ich für meinen Teil mir sicherlich nie im Leben werde leisten können. Ich bewundere einige Autos, aber Roman läuft zielstrebig zu einer für die üblichen Verhältnisse fast schon sportlich wirkenden Harley Davidson. "Dieses Baby hier", er tätschelt den Sitz und flüstert mir verschwörerisch entgegen, "wird bald bei uns einziehen!" Ich bekomme große Augen und staune nicht schlecht.
Ein paar Stunden später stehe ich in der Küche, räume die Einkäufe in die Regale und danach die Spülmaschine aus, während nebenan Barbara gerade Roman eine Szene in gedämpfter Lautstärke macht. "Das hast du nicht wirklich getan!", schimpft sie. "Ich schwöre dir, so eine Höllenmaschine kommt mir nicht ins Haus." Roman lacht aber nur, "Keine Sorge, in der Garage ist noch genügend Platz. Die Harley wird nicht neben dir im Bett schlafen müssen, also beruhig dich."
"Ich beruhige mich, wenn ich das will!", zetert Barbara. "Und ich denke gerade im Traum nicht daran! Mir ist ja bewusst, dass du ein Vollidiot bist, aber ich werde nicht zulassen, dass du mit deinem angeberischen Gehabe meinen Bruder umbringst!" Ich seufze leise und poliere Wasserflecken von einem Teelöffel. "Motorradfahren verlernt man ebenso wenig wie Radfahren", argumentiert Roman. "Zur Not kann er den Führerschein ja nochmals auffrischen. Falls er sich unsicher fühlt, was ich bezweifle. Wieso musst du mir eigentlich immer alles madig machen? Das ist ein perfektes Geschenk! Und wehe, du verrätst etwas und zerstörst die Überraschung!"
Am nächsten Nachmittag stehe ich am Grill und kümmere mich um Fleisch, Würstchen und Maiskolben, während sich Barbara hinter einer improvisierten Theke im Garten verschanzt hat und mit Hingabe verschiedene Cocktails mixt. Wir haben die Büsche mit bunten Lampions geschmückt, Tische und Bänke bereitgestellt und ich glaube, so viele Menschen haben sich zusammengezählt nie zuvor auf unserem Grundstück befunden wie nun an einem einzigen Tag. Roman steht schmollend mit verschränkten Armen gegen einen Fliederbusch gelehnt und wartet ungeduldig darauf, dass Adrian mehr Zeit für ihn übrig hat, als ein kleiner Kuss andauert. Man sieht ihm trotz der duftenden Farbenpracht um ihn herum an, dass er beleidigt ist, weil Adrian mit so vielen Kumpels und alten Freunden zu tun hat und deswegen noch gar keine Gelegenheit für die Übergabe von seinem gefährlichen Geschenk war.
Als es schon dunkel wird, kehrt längst keine Ruhe ein. Barbaras kleine Cocktailbar hat Hochkonjunktur, sie strahlt über das ganze Gesicht und sieht einfach nur glücklich aus, während sie immer wieder von anderen Bekannten umringt nicht nur Getränke ausschenkt, sondern auch viel plaudert und lacht. Nur noch selten treibt irgendjemand der Appetit auf noch einen Nachschlag an den Grill, die meisten sind satt und ich überlege gerade, ob ich schon einmal ein bisschen Geschirr spülen sollte, als sich ein sehr betrunken wirkender Roman zu mir gesellt. "Sag mal, Ed", lallt er mich von der Seite an und ich rieche geradezu den Tequila in seinem Atem. "Kannst du Motorrad fahren?"
Ich runzele die Stirn. "Also fahren kann ich sicherlich damit, aber-", beginne ich und Roman unterbricht mich, als könne er Gedanken lesen. "Auch eine Harley fährt mit Sprit und nicht mit Führerschein! Ich bin hackedicht, ich krieg das Ding hier jetzt nicht mehr nach Hause." Ich schüttele panisch den Kopf und hebe abwehrend die Hände, aber Roman legt seinen Arm um mich und schlägt mir kumpelhaft auf die Schulter. "Ich wusste, ich kann mich auf dich verlassen!", meint er mit einem breiten Grinsen. "Hast was gut bei mir, echt. Also pass auf, ich fahr' dich mit dem Auto zur Werkstatt, du fährst mit dem Ding hierher und dann wartest du, bis ich soweit bin", erläutert er mir seinen Plan und ich muss schlucken. "Auf mein Zeichen hin lässt du den Motor an und bretterst mit angeschalteten Scheinwerfern die Einfahrt hoch. Er wird sich wünschen, dass er mal früher ein bisschen Zeit gefunden hätte!"
Wie durch ein Wunder überlebe ich die Fahrt nach Hause. Mir ist ein bisschen schwindlig, als ich vom Motorrad steige und am Rande fällt mir auf, dass ich vorhin ein Bier getrunken habe und eigentlich auch nicht mehr fahrtauglich gewesen wäre, aber es ist ja nochmal gut gegangen. Als ich zurück in den Garten komme, um Roman bescheid zu geben, versammelt er mit lautem Geschrei alle Partygäste um sich. Mit der Ankündigung, dass er nun endlich seinem Liebsten das Geschenk überreichen möchte, steigt die Spannung und er gibt mir das Zeichen, dass ich mich heimlich davonschleichen soll. Zur Tarnung hält er ein dickes, mit Geschenkpapier umwickeltes Päckchen in den Händen und während Adrian eine sehr schicke Bikerlederjacke auswickelt, erhasche ich noch einen Blick auf Barbara, die Roman mit einem sehr eingehend prüfenden Stirnrunzeln ansieht. "Wow", höre ich Adrian noch sagen, während ich hinter der Hecke versteckt schon wieder auf der Maschine sitze. "Nicht ganz mein Stil, aber falls du mir damit sagen möchtest, dass du gern ein Motorrad hättest, solltest du das vorher mit Barbara absprechen. Die ist da empfindlich."
Das war eigentlich nicht mein Stichwort, aber irgendwie springt in diesem Moment der Motor an und mit ihm die Scheinwerfer. Ich halte mich instinktiv am Lenker fest, damit ich nicht von diesem sündhaft teuren Höllengefährt falle und mache die Situation damit nicht besser. Das laute Knattern übertönt meinen panischen Aufschrei, als ich komplett die Kontrolle über die Harley verliere und mitten durch die Fliederbüsche in den Garten brettere. Geistesgegenwärtig kann ich Schlimmeres verhindern, alle gefährdeten Personen eilen hastig aus dem Weg, aber als ich zum Stehen komme, kippe ich fast seitlich mit dem ganzen Ding um und stoppe den restlichen Schwung zielsicher gegen den Apfelbaum. Die Welt verschwimmt ein bisschen, wird dunkel, aber bald schon wieder hell.
"Wow", höre ich Barbara zynisch meckern. "Was für ein wunderbares Geschenk!" Roman steht zerknirscht neben ihr und reicht ihr noch einen Kühlakku für meinen Kopf. Ich blinzele ein paar Mal, dann ist die Umgebung wieder klarer. Die meisten Gäste sind weg, ich liege rücklings auf dem Gras und erst als ich mich räuspere, liegen alle verbliebenen Augenpaare auf mir. "So war das natürlich nicht geplant", meint Roman kleinlaut. Ich richte mich ächzend auf. "Mir geht es gut", nuschele ich verdattert, "Denke ich." Dafür, dass ich wohl gerade einen Motorradunfall hatte, fühle ich mich erstaunlich lebendig. "Ich hab doch gesagt, so ein Ding ist gefährlich", jammert Barbara und drückt die kalte Kompresse auf meinen Kopf. Woher auch immer sie erahnen kann, dass es genau da wehtut.
Adrian steht ein bisschen unsicher daneben und tritt von einem Bein aufs andere. "Ähm", er räuspert sich, "Falls das jetzt nicht komplett unangebracht ist, möchte ich mich trotz allem für eure Mühen bedanken. Auch wenn ich mich um einiges mehr über mein Geschenk gefreut hätte, wenn dabei niemand zu Schaden gekommen wäre." Ich muss trotz der pochenden Schmerzen in meiner Schläfe grinsen und zucke mit den Schultern. "Na, die Hauptsache ist doch, dass du dich beim Fahren ein bisschen geschickter anstellst als ich gerade", versuche ich mich an einem Scherz. Barbara seufzt resigniert und wischt mit einem rot befleckten Taschentuch in meinen Haaren herum, "Mir wäre es lieber, das Teil bleibt in der Garage zur Dekoration stehen. Aber ihr macht ja sowieso alle nur, was ihr wollt!"
Roman, Adrian und ich werfen uns verhalten grinsende Blicke zu. Wo sie Recht hat, hat sie nun mal wirklich Recht. "Danke", Adrian drückt Roman einen Kuss auf die Wange und reicht mir dann die Hand, um mir aufzuhelfen. Fast schon erleichtert klopft er mir freundschaftlich auf die Schulter. Mir ist ein bisschen schwindlig, aber ansonsten geht es schon. Mit einem vielsagenden Zwinkern meint Roman schließlich, "Pass bloß auf, wenn du deinen nächsten Geburtstag feierst, Ed. Nicht, dass irgendjemand noch auf die Idee kommt, dir eine Bikerlederjacke zu schenken! Sowas ist nämlich ganz schön gefährlich."