Nach dem Prompt "Sieben Minuten" vom 12.01.2020
Geschrieben am 12.04.2020 von 23:00 bis 24:00 Uhr
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ADRIAN
Irgendwie hat es sich dann doch zur Gewohnheit gemausert, dass wir jedes Wochenende gemeinsam frühstücken. Alle vier an einen Tisch zu bekommen ist manchmal gar nicht so einfach und auch wenn wir sowieso das Gefühl haben, ständig aufeinander zu hocken, ist es trotzdem ganz nett. Ja, wir haben das Gefühl, Roman und ich. Wir gehören zu den furchtbaren Pärchen, die nur in der dritten Person von sich sprechen. Wir wohnen immer noch bei Barbara und Edward, wir suchen die ganze Zeit händeringend nach einer neuen Wohnung, weil die alte erst einmal von Grund auf saniert werden muss. Wir finden das ganz furchtbar, immerhin sind wir nur eine einzige Person, die immer dieselbe Meinung hat. Nein, ich finde solche Pärchen zum Kotzen und wo Roman sich beschwert, habe ich mich längst an die neue Situation gewöhnt.
Aber auch wir gewöhnen uns schon noch dran, um bei dieser albernen Formulierung zu bleiben. Immerhin haben wir uns gemerkt, dass man Barbara vor dem ersten Kaffee besser nicht anspricht, dass man mit Edward nicht über Fußball reden sollte und dass wir unsere Ohropax für nachts umsonst gekauft haben. Wir haben uns damit arrangiert, dass mittlerweile jedes zweite Wochenende zwei aufgeweckte Mädchen zu Besuch kommen, weil das Jugendamt eingeschritten ist und Edwards Ex ordentlich auf den Schlips getreten ist, damit sie die beiden öfters herausrückt. Immerhin teilen sie sich das Sorgerecht und wir haben auch nichts dagegen, wenn die zwei Kleinen hier im Garten herumhüpfen.
"Was machen wir eigentlich im Winter mit den Kindern, wenn wir sie nicht in den Garten schicken können?", frage ich Roman grinsend über den Frühstückstisch hinweg. Er zuckt mit den Schultern. "Da fällt uns schon was ein mit den kleinen Quälgeistern", meint er und trinkt einen Schluck Kaffee. Mein Grinsen wird breiter. Wusste ich es doch. "Nein, halt!", wendet er schnell ein, als Barbara zu lachen beginnt, obwohl ihre Kaffeetasse erst halbleer ist. "Das war ein mieser Trick! Ich hoffe doch wohl, dass ich den Winter nicht auch noch hier verbringen muss. Also kann es mir echt egal sein, wenn Emily und Elaine vom Schnee durchnässt durch die Wohnung stiefeln!" Ich schaue, wie weit ich gehen kann. "Emily?", frage ich neckend. "Ich dachte, sie heißt Emma." Edward öffnet den Mund, aber ich zwinkere ihm verschwörerisch zu. Roman schaut mich entrüstet an. "Quatsch, natürlich heißt sie Emily", echauffiert er sich. "Wie kannst du ihren Namen vergessen! Ich glaub das ja nicht. Sag doch auch etwas dazu, Edgar!" Barbara und ich brüllen vor Lachen, selbst Edward muss grinsen.
Damit hätten wir also auch geklärt, dass Roman tatsächlich gar kein so schlechtes Namensgedächtnis hat. Zumindest nicht, wenn er die Kinder ganz heimlich doch sehr gern hat. Ich ziehe eine Unschuldsmiene, als Roman mich anklagend ansieht. "Du bist im Grunde echt noch schlimmer als deine große Schwester!", meckert er. Ich spucke fast meinen Tee über den Tisch. "Meine was?", frage ich gespielt beleidigt und fuchtele mit dem Eierlöffel herum. "Redest du etwa von der Kleinen hier neben mir?" Barbara verdreht die Augen. "Jetzt kommt wieder die Geschichte", warnt sie vor. Edward aber scheint langsam aufzuwachen. "Wir haben nie darüber gesprochen", meint er ganz interessiert. "Wer von euch beiden ist denn nun eigentlich älter?" Barbara wirft mir einen warnenden Blick zu.
"Ich", sagen wir dann beide gleichzeitig. Roman prustet laut los. "So ein Quatsch", ärgert er sich. "Ich meine, wenn man sich vorstellt, wie das bei einer Geburt vonstatten geht, da könnt ihr doch unmöglich beide- Nein, ich stell mir das jetzt nicht vor. Oh Herrgott. Bilder! Bilder in meinem Kopf!" Edward aber lässt nicht locker. "Selbst wenn es ein Kaiserschnitt war, das wird doch aufgeschrieben", glänzt er mit Insiderwissen, sodass wir nicht länger schweigen können. "Was weißt du schon von eineiigen Zwillingen!", beschwert sich Barbara. Roman muss lachen. "Das wüsste ich", sagt er und ich trete ihm unter dem Tisch gegen das Schienbein. Edward aber ist schockiert. "Eineiig?", wiederholt er verblüfft. "Nein, das kann nicht sein." Barbara nickt heftig, "Oh doch!", besteht sie darauf und Roman findet sich nebenbei immer noch furchtbar lustig. Edward holt tief Luft und seufzt, dann holt er zu einer langen Erklärung aus, warum sie sich irren muss, bis Barbara ihn lachend unterbricht. "Das war ein Witz", erklärt sie ihm.
Edward wirkt ein bisschen schockiert, aber als wir schließlich abräumen, meldet er sich doch noch einmal zu Wort. "Aber die Frage habt ihr immer noch nicht beantwortet", gibt er zu Bedenken. "Ihr könnt weder eineiige Zwillinge sein, noch im exakt selben Moment auf die Welt gekommen sein. Da muss eine Zeit dazwischenliegen, es geht nicht anders!" Ich nicke bereitwillig. "Sieben Minuten", sage ich wie aus der Pistole geschossen. Edward schaut mich an, als hätte er einen Geist gesehen. "Das klingt nicht normal", stellt er fest. Roman grinst und schaut kopfschüttelnd von mir zu Barbara und wieder zurück. "Klang denn irgendetwas aus diesen beiden Mündern jemals normal?", fragt er mit einem tiefen Seufzen. "Die verarschen dich, Ed. So wie mich damals. Das ist ja das Schlimme an Zwillingen, die haben nur Insiderwitze, egal ob ein Ei oder zwei Eier und egal wie viele Minuten."
Fast will ich applaudieren, weil Roman endlich so umsichtig war, sich eine unverfängliche Abkürzung auszudenken, stattdessen stänkere ich mit, "Das klingt, als würdest du Omelette braten oder Frühstückseier kochen." Edward sieht sehr unglücklich in seiner naiven Unwissenheit aus. Er kennt uns noch nicht gut genug um zu wissen, dass wir nur Dummheiten im Kopf haben. Armer Ed. "Aber wer ist denn nun sieben Minuten oder weiß Gott wie lange älter?", fragt er. Wie aus einem Munde antworten Barbara, Roman und ich, als hätten wir in der Zwischenzeit einen dreieinigen oder zumindest dreieiigen Eid geschworen, "Verraten wir nicht!" Am Ende fangen wir irgendwann alle vier an, von uns gemeinsam in der dritten Person zu sprechen. Bis dahin muss Edward noch viel über den groben Umgangston lernen, der hier manchmal üblich ist, ohne fast in Tränen auszubrechen. Manchmal sind wir aber schon ganz nah dran, habe ich das Gefühl.