Nach dem Prompt "Was zusammen gehört" vom 27.02.2022
Geschrieben am 31.07.2022 von 00:00 bis 01:00 Uhr
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ROMAN
Sonntagmorgen. Es ist ungewöhnlich still im Haus, aber ebenso ungewöhnlich ist für mich die unchristliche Uhrzeit, zu der ich bereits am Esstisch sitze und gedankenverloren in meinem Kaffee rühre. Als bekennender Langschläfer mache ich mir fast schon Sorgen um mich selbst. Vor allem, weil ich immer noch mit sinnlos dem Löffel in der Tasse rühre, obwohl ich den Zuckerwürfel noch nicht mal reingeworfen habe.
Normalerweise würde ich nun konzentriert sämtliche Immobilienseiten des Internets durchforsten. In der Hoffnung, endlich eine Wohnung zu finden, die bezahlbar, groß genug und am besten auch noch in der Nähe ist. Naja, das ist gelogen. Normalerweise würde ich noch schlafen. Aber sobald ich wach wäre, gefrühstückt und Kaffee getrunken hätte. Wohnungssuche gehört fest auf meinen Plan zu Sonntagvormittag. Egal ob ich danach wieder ins Bett falle, um den freien Tag zu verpennen, oder ob irgendetwas ansteht. Egal ob es Dinge zu erledigen gibt, die in der Woche liegen geblieben sind, oder ob ein Ausflug geplant ist. Aber irgendwie ist heute alles anders. Von der Schlaflosigkeit mal abgesehen, wird mir wieder einmal unangenehm deutlich klar, dass ich gar keine Wohnung suche.
Wieso auch? Ich habe ja längst ein Dach über dem Kopf. Wäre ja total verschwendete Energie und rausgeschmissenes Geld, eine neue Bleibe zu suchen, wenn es doch auch so geht. Was ist schon so wichtig an irgendeiner ach so wichtigen Vorstellung von Privatsphäre, die man offensichtlich gar nicht braucht, um zufrieden zu sein. Wäre doch albern, nur aus Prinzip auszuziehen, weil ich unbedingt recht haben möchte und darauf bestehe, dass es unerträglich ist, hier zu leben.
Mit einem gequälten Seufzen lasse ich den Kopf theatralisch auf die Tischplatte sinken und ärgere mich, dass diese schauspielerische Höchstleistung gar niemand mitbekommt, wenn ich hier allein sitze. Allein und einsam, obwohl sich unter diesem Dach gerade noch fünfeinhalb andere Personen befinden. Es hilft alles nichts, ich muss es zugeben: Nichts in der Welt könnte mich davon überzeugen, dass ich lieber mit Adrian zu zweit allein wohnen würde. Nicht aus praktischen Gründen, sondern weil ich mir nicht mehr vorstellen kann, dass wir unsere Zweisamkeit in Ruhe genießen würden, nachdem wir das Chaos hier gewohnt sind.
Es würde sich falsch anfühlen. Auch wenn Adrian und ich ein Paar sind, komplett sind wir damit noch lange nicht. So kitschig es klingen mag - Aus dem notgedrungenen Arrangement ist nicht nur Gewohnheit geworden. Wir sind eine Familie. Eine durch und durch seltsame und vermutlich meist auch eine dysfunktionale Katastrophe von Familie. Aber was zusammengehört, gehört nun mal zusammen. Daran gibt es nichts zu rütteln.
Vielleicht wäre es mir nie aufgefallen, wenn wir nicht zufällig in dieser Lage gelandet wären. Vermutlich wären wir trotzdem irgendwie glücklich, weil wir es so nie kennen gelernt hätten. Wie sagt man so schön, hätte hätte Fahrradkette. Sich darüber den Kopf zu zerbrechen ist mühsam und komplett unnötig. Das Gedankenkarussell zu stoppen ist leichter gesagt als getan. Aber immerhin bin ich ja nicht allein. Das bemerke ich sehr deutlich, als plötzlich irgendwo eine Tür aufgerissen wird, polternde Schritte zu hören sind und die Badezimmertür geräuschvoll zugeschlagen wird.
Manchmal wünschte ich, dass ich auch irgendwann mal Vater geworden wäre. In diesen Momenten aber sicherlich nicht, obwohl ich irgendwie genauso damit konfrontiert werde, dass man nur schlechte Laune haben kann, wenn der Tag mit der viel zitierten Übelkeit am Morgen beginnt. Zu Barbaras Glück hab ich schon Kaffee gekocht, darum gieße ich ihr eine Tasse ein, bevor sie überhaupt die Küche erreicht hat. Immerhin wäre Barbara nicht Barbara, wenn sie an einem Wochenende nach dem Aufwachen wieder ins Bett würde, ohne zumindest einen Kaffee getrunken zu haben. Egal wie früh oder spät sie ungewollt wach geworden wäre.
"Morgen", begrüße ich sie also, während ich zuvorkommend die Kaffeetasse über den Tisch in ihre Richtung schiebe. Sie schaut mich aus müden Augen an, die noch gar nicht richtig aufgehen wollen. Erst wirkt einen Moment lang, als läge ihr ein negativer Kommentar auf der Zunge, dann seufzt sie aber nur und lässt sich auf ihren Stuhl sinken. "Danke", ihre krächzende Stimme geht in ein herzhaftes Gähnen über. Einige Augenblicke trinken wir in aller Eintracht schweigend unseren Kaffee.
Dann runzelt Babs die Stirn. "Weißt du wie spät es ist?", in ihrer Frage schwingt Verwunderung mit. "Ja", antworte ich, nachdem ich pflichtbewusst auf die Uhr geschaut habe, "Sieben Uhr dreiundzwanzig."
Sie stöhnt und rollt mit den Augen. "Ich hatte ja gehofft, dass ich zumindest fünf Stunden am Stück geschlafen hätte", murmelt sie noch vor sich hin, während sie die Tasse ein weiteres Mal anhebt. Nach kurzem Überlegen entscheide ich mich für einen Versuch, sie aufzumuntern, "Also gehe ich richtig in der Annahme, dass du dir nicht spontan einen Wecker gestellt hast, sondern von dem kleinen Rabauken geweckt wurdest?"
"Ich hab mich ja mit dem Gedanken angefreundet, die ersten Monate nach der Geburt nicht ordentlich schlafen zu können", meint sie etwas resigniert. "Aber dass es schon so lange Zeit vorher anfängt, hat mir keiner gesagt."
Ein kleines Schmunzeln kann ich mir nicht verkneifen. "Ansonsten hättest du doch keine Lust drauf gehabt?", erkundige ich mir vorsichtig. Barbaras Reaktion ist eine Mischung aus Schnauben und Lachen. "Hätte ich vorher gewusst, was auf mich zukommt, hätte ich es nicht soweit kommen lassen", trotz Übermüdung muss sie auch grinsen.
Ein Gedanke huscht mir durch den Kopf. Mittlerweile sollte ich eigentlich gelernt haben, welche doofen Sprüche ich der Allgemeinheit zumuten kann und welche davon ich lieber für mich behalten sollte. Mein Grinsen scheint mich zu verraten, denn Babs mustert mich mit einem äußerst skeptischen, ja fast warnenden Blick. Allerdings ist es viel zu früh am Morgen, als dass dieser mühevoll antrainierte Filter funktionieren könnte.
"Dann hab ich ja nochmal Glück gehabt", gebe ich feixend zu bemerken. Barbaras Blick versucht unmissverständlich mich umzubringen. Aber erstaunlicherweise bin ich noch lang genug am Leben, um ihr weiter auf der Nase herumzutanzen. "Nicht auszudenken, ich würde nicht in den Genuss davon kommen, dass hier noch mehr kleine Quälgeister rumspringen, nach denen ich ab und zu mal schauen muss-"
Barbaras Schmunzeln ist fast liebevoll und ihr Augenrollen amüsiert. "Ganz widerwillig natürlich", ergänzt sie und ich nicke strahlend. "Genau! Zwar finde ich Kinder ganz und gar grauenvoll, aber sie können ja nichts dafür. Besser ich spiele den Babysitter als jemand, der total langweilig wäre", füge ich also hinzu. Babs lässt sich lumpen, diesmal mustert sie mich prüfend, aber mit einem Lächeln auf den Lippen. "Warte erst mal ab", warnt sie mich. "Jetzt spuckst du große Töne, also spar dir das Gelaber und lass lieber Taten sprechen, wenn es soweit ist."
Grinsend zucke ich mit den Schultern. "Was ich meine", beginne ich also von vorn. "Danke dass du dich bereit erklärt hast, für Nachschub zu sorgen. Die Mädels werden schließlich viel zu schnell groß!" Jetzt ist wohl der Punkt erreicht, an dem es ihr dann doch zu bunt wird. "Ich erinnere dich nachher dran, wenn du ein Nickerchen machen willst. Keine Gnade für Frühaufsteher, du meldest dich also freiwillig zum Fußballturnier?", droht sie mir spaßig an. "Oder sollte ich dir besser den Mund mit Paketband zukleben, bevor du dich noch um Kopf und Kragen redest?" Wieder zucke ich nur mit den Schultern.
"Ach", entgegne ich also. "Das würde mich auch nicht mehr schocken. Aber damit würdest du Adrian einen viel zu großen Gefallen tun, also überleg es dir nochmal!" Wir prusten beide verhalten in unsere Kaffeebecher.
Erstaunlich friedlich geht es bei uns zu. Fast als hätten wir uns aneinander gewöhnt. Vielleicht lösche ich meine Accounts bei den ganzen Immobilien-Apps. Klebeband hin oder her, gemeinsam in diesem chaotischen Haus zu leben schweißt um einiges mehr zusammen, als man es mit dem stärksten Panzertape hinbekommen würde.
Was zusammen gehört, bleibt selbstverständlich nicht immer zusammen. Dafür ist das Leben zu turbulent. Aber was zusammen gehört, schafft es auch nicht, sich längerfristig aus dem Weg zu gehen - auch wenn es eigentlich so geplant war. Nicht dass es jetzt schlecht wär. Unerwartet, ja. Skurril nahezu. Würde man die Geschichte einem Fremden erzählen, würde der an einen Scherz glauben. Aber was zusammen gehört, findet offensichtlich immer wieder den Weg zurück zueinander.