Nach dem Prompt "Spiel mit dem Feuer" vom 05.04.2020
Geschrieben am 12.04.2020 von 4:30 bis 5:30 Uhr
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ROMAN
Es gibt viele Gründe, warum ich niemals in Erwägung gezogen habe, nach der Scheidung noch tiefer gehenden Kontakt zu meiner Exfrau zu pflegen. Zwar könnte ich nicht unter Tränen gestehen, wie furchtbar es für mich gewesen ist, weil wir uns doch recht vorbildlich benommen und im Frieden voneinander getrennt haben, aber trotz allem ja nicht ohne Grund. Selbstverständlich sehe ich noch all die charmanten Seiten dieses hübschen Persönchens, in das ich mich damals verliebt habe. Immerhin bin ich ja nicht blind oder von Hass zerfressen. Aber als ich gerade am Ortsschild vorbeifahre, fällt mir ein wichtiger Punkt meiner Entscheidung wieder ein. Diese gottverlassene Einöde, von der sie sich niemals hatte trennen wollen!
Die guten Bauersleute am Straßenrand starren meinem Auto mit offen stehendem Mund hinterher, als hätten sie noch nie etwas anderes als einen Traktor gesehen. Ich muss das Gesicht wohl so leidend verziehen, dass sogar Adrian von seiner wichtigen Lektüre auf dem Beifahrersitz aufblickt und sich an mich wendet. "Wir sind zum Grillen eingeladen, nicht zur Beerdigung", ermahnt er mich trocken. "Du könntest wenigstens so tun, als würdest du dich auf das Familientreffen freuen." Ich schiebe meine Sonnenbrille elegant mit dem Mittelfinger nach oben und schnaufe tief durch. "Mag sein", antworte ich ebenso miesepetrig. "Aber beim Leichenschmaus gäbe es wenigstens etwas Leckeres zu essen!"
Adrian klappt das Buch geräuschvoll zu und ich kann geradezu spüren, wie herausfordernd sein Blick auf meinem Profil liegt. Natürlich tue ich so, als müsse ich mich auf die Straße konzentrieren, auch wenn der Verkehr hier einfach nicht vorhanden ist. "Reiß dich zusammen, liebster Romeo", nutzt Adrian exakt den von mir am meisten gehassten aller Spitznamen, die er sich je für mich ausgedacht hat. "Sie ist in diesem Fall nicht deine Ex, sondern meine Schwester. Hast du nicht selbst einmal gesagt, es sei ein Spiel mit dem Feuer, die Verwandtschaft kennen zu lernen?" Ich murre nur ungnädig und bin wirklich sehr konzentriert auf diese menschenleere Straße, weil ich es einfach nicht fassen kann. "Zu dem Zeitpunkt dachte ich noch, ich müsse mich auf böse Überraschungen gefasst machen. Mittlerweile hab ich diese Hoffnung aufgegeben", knurre ich.
Ich warte nur noch auf die Pferdekutsche, stattdessen huscht eine Katze zwischen zwei Häusern hindurch, ansonsten gibt es keine Anzeichen von Leben mehr auf dem restlichen Weg. "Allerdings spielst du mit dem Feuer, wenn du dich auf Familientreffen daneben benimmst", fühlt sich Adrian wohl genötigt, mir den Grund in Erinnerung zu rufen, warum ich überhaupt hier bin. "Und wo wir es gerade vom Feuer haben, kannst du ja selbst den Barbecuehelden spielen, wenn du an ihrem Essen etwas auszusetzen hast", schlägt Adrian vor. Ich bin froh, dass ich meine Sonnenbrille trage, damit mein Freund nicht sieht, dass ich kurz genervt die Augen verdrehe. "Wenn ich mein Leben nochmal von vorn leben könnte", zitiere ich mit belegter Stimme eine wirklich alte Fernsehwerbung, "Würde ich mir eher ins Bein schießen, bevor ich nur im Ansatz auf den Gedanken komme, mich in den Bruder meiner Ex zu verlieben!"
Adrian schnaubt amüsiert. "Ich bin mir gerade nicht sicher, ob das eine Beleidigung oder ein Kompliment war", lässt er mich wissen. Ich werfe ihm einen prüfenden Blick über die dunklen Gläser hinweg zu. "Was in aller Welt gibt es da denn bitte misszuverstehen?", frage ich und muss unwillkürlich lachen. Vielleicht besitze ich doch eine Art von Galgenhumor, der es mir möglich macht, in dieser aussichtslosen Lage noch amüsiert zu sein. "Ach", gelassen zuckt Adrian mit den Schultern und lehnt sich grinsend im Sitz zurück, "Ich kenne dich mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass der Spruch die süßeste Liebeserklärung ist, auf die ich hoffen kann!"
Wenigstens ist sie endlich umgezogen, denke ich noch, während ich die Einfahrt nehme, die Adrian mir mit ein paar Rechts-Links-Anweisungen beschreibt und schließlich meinen Wagen vor ein ganz goldiges Reihenhäuschen stelle. Womöglich hätte es mir selbst nach so viel einvernehmlicher Trennung einen Hieb versetzt, die ab sofort als zukünftige Schwägerin bezeichnete ehemalige Angetraute in dem Haus zu besuchen, für das ich mich selbst dumm und dämlich gezahlt habe. Ich frage mich noch kurz, wie ich so bescheuert sein kann, als ich aus dem Auto steige. Während ich von außen die Geranien auf dem Balkon und die Gardinen mit Spitzenbesatz betrachte, fällt mir aber wieder ein, dass gegen Liebe nun mal kein Kraut gewachsen ist. Ohne Barbara hätte ich Adrian niemals kennen gelernt, also sollte ich dankbar sein. Wie hätte ich denn ahnen sollen, dass die beiden nicht einfach nur miteinander verwandt sind, sondern auch noch wie zwei Pobacken im Hochsommer aneinanderkleben?
Aber während sie die Tür öffnet, die kleine Treppe nach unten stürmt und zuerst Adrian, dann leider auch mich mit Küsschen rechts und Küsschen links begrüßt, erscheint ein dümmlich grinsendes Gesicht im Türrahmen und es fällt mir wieder ein. Sie ist eigentlich immer noch sehr erträglich. Das wirkliche Problem ist der sonnenverbrannte Idiot, mit dem nicht nur Barbara jetzt dieses Haus teilt, sondern ich auch noch zu Mittag essen soll. Vielleicht tue ich dem armen Brexit-Opfer Unrecht mit meinen feindseligen Gedanken und eigentlich ist es mir auch wirklich Latte, wenn ich zähe Schuhsohlen, die prinzipiell das Zeug zu einem wirklich guten Steak gehabt hätten, von meiner Ex serviert bekomme. Ich bin nicht eifersüchtig auf ihren Neuen, immerhin will ich sie ja gar nicht zurück, sondern bin sehr glücklich. Ich kann diesen Typen nur einfach echt nicht ausstehen.
Letzten Endes sitzen wir trotz allem friedlich auf der Terrasse zum Garten. Barbara hat leckere Salate gemacht und Bier kalt gestellt. Edgar, oder wie auch immer er heißt, ist gerade im Haus verschwunden und Barbara schlägt vor, dass wir uns kurz um den Grill kümmern sollen, während sie ihm hilft, die Getränke zu schleppen. Ich denke mir meinen Teil, beiße mir vorsichtshalber auf die Zunge und ersticke kurz darauf fast an meinem Lachen, als Adrian sich an der heiß gewordenen Grillzange verbrennt und das Ding mit einem lauten Scheppern schnell wieder auf den Rost fallen lässt. Er zischt irgendwelche Flüche vor sich hin und schaut mich anklagend an, aber ich grinse nur und zucke lässig mit den Schultern. "Wer spielt hier nun mit dem Feuer, mein Liebster?"