Als die Feder dieses Mal aus dem tanzenden Strudel auf der Bergspitze ausbrach und nach oben durch den Turm hinausflitzte, stiegen drei geflügelte Eremiten auf, um ihr zu folgen. Der Gong wurde geschlagen, noch ehe die Feder ihre Runde um die Turmspitzen beendet hatte. Binnen weniger Stunden war die ganze Stadt erwacht und hatte die Fackeln entzündet. Der amtierende Asgell der ’die Feder’ war, erwachte, erhob sich und trat auf den Balkon seiner privaten Gemächer im höchsten Turm der Stadt. Der noch weit unterhalb der Bergspitzen herausragte. Er legte den Kopf in den Nacken, spürte das Brennen in seiner Stirn, als die Verschmelzung mit der heiligen Feder sich löste. Die Feder würde womöglich eine Weile auf Reisen sein, bevor sie ihr neues Medium fand. Und bis die neue Feder hier eintreffen würde, um das Amt zu übernehmen, würden Tage vergehen. Genug Zeit sich zu verabschieden, um zu packen.
Die Asgellianer der Stadt kamen aus ihren Häusern und blickten in die Morgendämmerung, als die Feder lautlos und begleitet von den ehrenvollen Eremiten dahinsegelte. Sie ergab sich nie dem Wind, sie segelte wie es ihr beliebte. Ließ sich nicht beeindrucken von Strömungen und Temperaturen, Unwettern oder Luftlöchern, sie tanzte umher und suchte. Viele der Asgellianer kannten das Schauspiel bereits und winkten mit bunten Stofftüchern, auf denen ihre Wünsche für das neue Medium geschrieben waren, dem Sucher nach. Nur die amtierende Feder winkte nicht. Er war enttäuscht, dass es vorbei war. Er war traurig, dass er gehen musste. Zurück in das Leben, welches er verlassen hatte. Hier hatte er es gut gehabt. Er hatte Luxus und Aufmerksamkeit genossen. Doch jetzt war es vorbei. In einigen Tagen würde er nur noch ein weiterer Name in den Geschichtsbüchern sein.
Während die Feder weit über das Land reiste. Über viele Dörfer auf kleineren Bergen, über Baumwipfelwohnhäuser, über hängende Gärten und über Klippennistplätze, über Nester in künstlichen Türmen und in natürlichen Höhen. Und über Wiesen und Flüsse. Bis sie plötzlich, als wäre ihr gerade eine Idee gekommen, scharf abbog und eine ganz neue Richtung einschlug. Die drei Eremiten folgten dem Schwenk gelassen und einer wich sogar aus, als die Feder auf direkten Kollisonskurs mit ihm ging. Eine ganze Prozession hatte sich hinter ihnen im gebührenden Abstand gebildet. Und vor allem junge Asgellianer flogen gern ein Stück mit zu diesem besonderen Anlass. Ein Raunen ging durch die Leute und sie wurden aufgeregter. Die Feder legte an Tempo zu und schüttelte einige Verfolger ab, als sie hoch in den Himmel aufstieg und zwischen den Perlmutt schimmernden Wolken verschwand. Die Eremiten ließen sich nicht aus der Ruhe bringen und kannten derartige Kapriolen bereits, sie folgten stoisch und durchbrachen ebenfalls den klammen Dunst. Oberhalb davon schien die Sonne gleißend und die Eremiten schützten sich mit ihren langen Ärmeln vor dem plötzlichen Licht. Sie entdeckten ein paar der raren Megalithen, welche in diesen Höhen weit in den Himmel ragten und auf denen mehrere Felder mit den raren Sonnenblumen angelegt waren. Dorthin flog die Feder auf direktem Weg, jetzt pfeilspitz voran und immer schneller.
*
Nichtsahnend arbeiteten die Feldarbeiter auf den winzigen Arealen der Megalithen und gossen die Blumen, schnitten überzählige Triebe ab, stützten einzelne Stängel und besprühten die Blüten mit feinem Sand, damit die Samen nicht aneinanderklebten. Die Blütenblätter strahlten in satten Gelb und leuchtendem Rot. Die Blätter waren aufgrund der Höhe und der Nähe zur Sonne verschrumpelt und dunkelgrün-bräunlich. Die Stengel waren hohl und biegsam im Wind der hier oben immerzu fegte.
Ihre Freunde nannten sie ’Fuchs’, als sie sich aufrichtete und den Sonnenhut zurückschob, sich über die verschwitzte Stirn rieb, die Schere in die Schürze steckte und ihre Flügel ausschlug. Ihre Flügel waren buntfarbig und schillerten wie Schmetterlingsflügelschuppen. Sie war noch jung und hatte so gar keine Lust auf die Sonnenblumenplateaus. Sie wollte singen, tanzen, die Leute zum Lachen bringen, sie wollte ihre Lieder mit ihren Freunden singen, mit den Musikanten umherziehen und sich inspirieren lassen. Sie wollte die ganze Welt sehen und sie hatte sicher auch keine Lust darauf, dass plötzlich eine goldene Feder mir nichts dir nichts an ihr vorbeisauste, sie erschreckte und zum quietschen brachte. Dann drehte das Mistding um und rammte sich mit dem spitzen Kiel voran in Fuchs’ Stirn. Die junge Frau stand wie vom Blitz getroffen da, verstummte und schielte. Wundlos bohrte sich die Feder in ihren Kopf und das einzige Zeichen dafür, dass die Asgellianerin nun die neue Feder war, war das sachte Schimmern unter der Haut mitten im Gesicht.
Ein Phönix landete direkt neben ihr, noch bevor die Eremiten die Plateaus erreichten. Rowana griff ihre Freundin bei den Schultern: »Ket? Was hast du denn?« Sie wollte sie ansehen und wich dann völlig perplex zurück, als ihre Freundin den Kopf drehte und sie ansah, die Augen leuchtend wie die Sonne selbst und mit einer Stimme sprach in der noch eine zweite Zunge als Echo die Worte zu formen schien. Die Feder begrüßte sie.
»Hallo Rowana. Ich bin die Feder.«
Augenblicklich kniete die Heilerin – denn alle Phönixfedern verfügten über die heilenden und regenerativen Kräfte der Feuervögel – vor ihrer Freundin nieder und grüßte zurück: »Ich grüße dich, ehrwürdige Feder.« Sie hob den Kopf und der Wind zerzauste ihre roten Locken. »Du hättest keine bessere Wahl treffen können.« Sie liebte ihre Freundin sehr, doch sie wusste, dass es genau das war, was Fuchs brauchen würde. Neue Bekanntschaften, neue Orte, das ganze Reich welches ihr zujubeln würde. Aufrichtig freute sie sich.
Die Eremiten landeten, verbeugten sich ebenfalls und begrüßten ihre neue Feder: »Wir grüßen dich, heilige Feder, willkommen. Deine Wahl ist wie immer äußerst treffend.« Zu den umstehenden Bewohnern sprachen sie: »Wir sind hier, um euch zu helfen. Wir eskortieren die Feder zur Stadt ’am Berg’.«
Das Licht in den Augen der neuen Feder erlosch und Fuchs fand ihre eigene Stimme wieder. Sie sah sich irritiert um. »Was ist geschehen?« Sie erblickte die Geflügelten in ihren Roben: »Wer seid ihr denn?« Und versteckte sich flux hinter Rowana: »Warum starren mich alle so an, Wana?«
Ihre Freundin nahm sie an der Hand, mit Tränen in den Augen küsste sie sie auf die Wange. »Keine Angst, alles wird gut. Komm, gehen wir zu deinen Eltern und waschen dich, wenn du in den Spiegel siehst, wirst du Augen machen!«
Fuchs hatte da ein ganz mieses Gefühl.
(Auszug aus einem Projekt welches ich spontan begonnen habe und welches nicht auf Belle veröffentlicht werden wird.)