CN: Insekten und Getier
Auf den Knien war es einfacher. Der Hut knarzte etwas, was ihn zur Seite blicken ließ, als müsse er damit rechnen, dass das Geräusch von woanders stammte und er sich hüten müsste. Dem war nicht so. Hoffentlich. Er sah auf und erblickte hinter dem Zaun, etliche Schritte entfernt die bewaffneten Wachen auf und ab marschieren. Sie interessierten sich nicht dafür was innerhalb der Zäune geschah. Daher konnte er auf allen Uniform-Rücken die flammenden Buchstaben erkennen. Flammend war auch die Hitze, die ihm zu schaffen machte und ungnädig auf seinen Leib hinabbrannte. Gefühlte 60°Grad. Es war kaum auszuhalten unter dem Hut und in den langen Ärmeln und Hosenbeinen. Alles reine Vorsichtsmaßnahme, lieber schwitzte er, als dass er von dem hier summenden und unter den Blättern Schutz suchendem Viehzeug angegriffen wurde. Die Insekten waren ziemlich aggressiv, und verteidigten ihre schattigen Plätze mit allem was sie zur Verfügung hatten: Mandibeln, Stachel, Klauen. Schutzkleidung konnte er deshalb aber noch lange nicht tragen, denn dann zerquetschte er die wertvolle Ernte.
Eine reiche Ernte dieses Jahr. Er rutschte weiter und griff beherzt in die Blätter, hob das satte Grün an und spähte darunter, ehe er hineingriff zwischen die Stängel und Ranken. Er wusste auf was er achten musste: Hügel von aufgeworfener Erde am Boden mit Löchern oben und weiße Gespinste. Das eine waren irgendwelche Erd-Wespen, das andere Zelt-Ameisen. Beide waren groß genug, um ihm wirklich weh zu tun. Und beide Arten beherrschten die Felder in einer Vielzahl.
„N’ck!“, erklang sein Name mit einem Schnalzen. Erschrocken fuhr er zusammen und hätte beinah seinen Sammelkorb umgestoßen. Der Rufer war schon so nah, dass er ihn packte und umriss. Sich einfach mit ihm in die Furche zwischen den Pflanzen fallen ließ. N’ck schrie nicht auf. Aber sein Herz hämmerte wie verrückt in seiner Brust. „War ja klar, dass ich dir hier finde!“, grunzte die tiefe Stimme über ihm, die zu einem Typen gehörte, der hier nichts zu suchen hatte. Nun ja, der selten herkam, um zu arbeiten. N’ck versuchte erst gar nicht sich aufzurichten. Er hatte andere Aufgaben. Er sah nach seinem Korb, der unversehrt neben den Pflanzen stand. Es war dumm hier am Boden zu liegen. Wenn sie auf eines der Nester gefallen waren, würde sie das bitter bereuen. Und verdammt, ja, natürlich war er hier. Wo sollte er denn bitte auch sonst sein?
„Oh!“, erkannte er seinen Fehler. „Ist es schon so spät?“
„Allerdings. Du hast, mal wieder, das Training verpasst.“
Dieses elende Training. „Ach, das macht nichts, ich bin eh nicht gut darin.“
Der Mann über ihm runzelte die Stirn und lachte dann: „Das ist wahr, aber es ist dennoch Pflicht.“
„Ja ja“, machte N’ck und hätte auch abgewunken, aber seine Hände waren damit beschäftigt über die Seiten des anderen zu streifen.
Der große Kerl machte ihm Vorhaltungen. „Überlebenstraining ist zum Überleben gedacht und du willst doch überleben? Schau nur, wie leicht ich dich überrumpelt habe.“
Jetzt kniff N’ck ihn in die Seite, was den Mann zucken ließ. „Ich habe dich schon gehört, da warst du noch am Tor!“
Es war still zwischen ihnen für einen Augenblick und der große Kerl sah ihm offen ins Gesicht. Sie konnten die Zikaden zirpen hören. „Du kannst so was von nicht lügen, N’ck.“ Er beugte sich zu ihm und holte sich einen Kuss.
N’ck lachte nun herzlich auf und hob seine Arme, er wurde auf der Stelle rot auf den Wangen, nicht nur weil es so heiß war. Sondern weil das zwischen ihm und Hry noch so neu war. Hry ließ den Kuss jedoch nicht lange anhalten, ehe er sich aufrichtete. „Es ist zu heiß hier draußen, du solltest in der Mittagszeit im Bunker sein.“ Wieder Vorhaltungen, oder aufrichtige Sorge?
Er ließ sich hoch helfen und klopfte sich den Hintern ab. „Ich weiß, aber die Nussfrüchte sind reif, sie müssen gepflückt werden.“
Hry ließ seinen Blick über das gesamte Feld streifen: „Du allein willst das alles ernten?“
Tief holte N’ck Luft: „Es sieht unendlich viel aus. Aber ich hab schon richtig was geschafft heute und wir brauchen sie“, behauptete er nachdrücklich.
Die Augen des anderen wurden groß. „Wer?“, fragte er so hastig, dass er sich beinah verschluckte.
N’ck kratzte sich an der Nase. „Das kann ich nicht sagen, Hry, das weißt du.“
Doch da Hry wirklich nicht dumm war, konnte er bald selbst Eins und Eins zusammenzählen: „Vktr?“
Da suchte N’ck sein Heil in der Flucht und bückte sich nach seinem Korb, hob ihn hoch und drehte sich, um ihn Hry in die Pfote zu drücken. Er beschloss, dass sie jetzt auch genauso gut eine Pause machen konnten, im Schatten. „Hast du was zu trinken mitgebracht?“ Sein Vorrat war bereits geleert.
Sein Freund nickte, er hatte immer was dabei.
Meistens ließen sie das Wasser lieber unten in den Kavernen der Bunkeranlagen, damit es frisch und kühl blieb. Hier oben war es einfach zu heiß und das Wasser verdunstete schneller, als man es trinken konnte. Was den Nussfrüchten herzlich egal war, die aber sowieso über ein unterirdisch verlegtes Schlauchsystem verfügten. Welches sie jedes Jahr neu verlegen mussten, darüber Erde aufhäufen in sauberen Reihen und dann Heu und Strohhalm darüber verteilten, damit sich die Feuchtigkeit in der Erde hielt und nicht sofort von der Sonne herausgezogen wurde. Die Wachen konnten einem echt Leid tun, weil sie in ihren vier Stunden Schichten patrouillierten und bestimmt noch mehr schwitzten als die Feldarbeiter in ihren viel leichteren Kleidern. Wobei auch N’ck das Hemd am Rücken klebte, erst Recht jetzt, nachdem Hry ihn überrascht hatte.
„Es ist bestimmt Vktr, sie hat beim letzten Akt wirklich nichts ausgelassen und war sehr reif.“ Er grinste. N’ck wusste warum. Sie waren beide Teil des Aktes gewesen und es war nicht ausgeschlossen, dass Hry der Vater sein könnte. Was nicht weiter wild war, die Kinder waren Kinder der ganzen Kolonie, nicht nur eines Einzelnen. Aber es gab nicht so viele Kinder, wie sie gebraucht hätten. Die Wachen standen nicht umsonst auf ihren Posten und sie mussten vorsichtig sein, durften dieses Jahr niemanden mehr verlieren. Das Überleben hing nicht allein an den nahrhaften Nussfrüchten, in denen so viel wichtiges „Zeug“ steckte, wie N’ck es nannte; oder an dem Training oder den Wachen. Es hing auch an einem Gleichgewicht der Altersgruppen. Sie konnten sich ein paar weniger geburtensschwache Jahre leisten, aber nicht wenn das zusammenfiel mit einem Unglück wie in den Plantagen, die überfallen worden waren und in denen alle Arbeiter getötet worden waren. Einfach nur so, weil sie da gewesen waren. N’ck vermisste einige seiner Freunde schmerzlich. Und schlimmer war, dass nicht nur ihre Arbeitskraft und ihre Fertilität fehlte, nein, zusätzlich mussten einige auch noch Wachen werden jetzt und fehlten ebenfalls als kräftige Hände auf den Feldern. Das war nicht gut. Aber nur so ging es dieses Jahr. Hoffentlich war die Knappheit bald vorüber. Es hieß beim nächsten Akt würde es eine Besprechung und Abstimmung geben, ob man eine Gruppe aussandte um Anwerben zu organisieren. Das war ohnehin schwer, die wenigstens Kolonien hatten irgendetwas was sie abgeben konnten oder wollten, erst Recht und vor allem keine zupackenden, gesunden, jungen Hände.
Aber andererseits, N’ck sah zu Hry, manchmal zogen bei solchen Anwerbungen auch echte Sahnestücke ein. Es war noch gar nicht so lange her, da waren Hry und ein paar weitere aus einer anderen Kolonie herüber gekommen, freiwillig, ohne Werbung, weil sie zu viele Männern gehabt hatten und mehr Ausgleich benötigt hatten. Gut für beide Seiten, wenn jemand dann Lust hatte auf ein befristetes Abenteuer oder sogar eine neue Heimat. N’ck hoffte im Moment, dass es was längerfristiges werden würde. Er trottete Hry hinterher. Am Ende der Ackerfurche trampelten sie auf dem Stroh herum und ließen sich in den Schatten uralter Palmartiger Gewächse sinken, die schon so groß waren und schon so lange hier standen, dass man ihre Stämme nicht mehr alleine umarmen konnte. N’ck nahm sofort den Hut ab und rieb sich das Haar aus der Stirn hinter die hoch und spitz abstehenden Ohren, die unter dem Hut zum Vorschein kamen. Seine Nase zuckte, dann nieste er. Und dann erst ließ er sich neben Hry sinken. Der ungeniert ein paar der dicken, tiefroten Nussfrüchte aß.
„He!“, schimpfte N’ck und hieb dem anderen auf die Pfote. „Die sind für Mrc!“
„Ha!“, triumphierte Hry und lehnte sich mit dem Oberkörper zufrieden an den Baum, überschlug die Beine und klemmte einen Arm unter den Kopf: „Mrc also. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass sie reif gewesen war.“
N’ck gab es auf. „War sie auch nicht beim Akt.“ Das war selten, Empfängnis hing oft von den Hormonen ab die beim monatlichen Akt herumschwirrten und viele Frauen gleichzeitig heiß werden ließ und somit die Chancen erhöhte. Aber Mrc hatte N’ck anvertraut, dass sie es erst danach mit ihrer Favoriten erzielt hatte und das war schon selten, weil die wenigsten von ihnen nur einen Favoriten hatten. Aber Mrc war anders. Sie mochte den Akt nicht. Was schade war, denn selbst N’ck hätte zu gerne einmal mit ihr ‚getanzt‘. Aber wenn sie nicht wollte, gezwungen wurde niemand in der Kolonie. Dennoch freute er sich aufrichtig für sie und hatte den ganzen Tag für sie auf dem Feld gestanden, damit sie für ihre Schwangerschaft und den Nachwuchs viele gute Nussfrüchte zu sich nehmen konnte. Hoffentlich ging sich das noch aus, bevor die Pflanzen verdorrten und zu viel Sonne sie braun werden ließ; bevor die Schrecken kamen und in ihrer jährlichen Wanderung alles kahl schlugen. Besser er würde noch einen Korb mehr pflücken für sie, damit sie sich noch einmal richtig satt essen konnte daran.
Hry seufzte zufrieden und zog ihn in seinen Arm. Es war zu heiß für so viel Nähe, aber verdammt, es war auch so schön. Eine Nussfrucht baumelte vor seiner Nase und verlockte allein durch ihren Duft und die Röte. N’ck schnappte zu und schmatzte zufrieden, sie war noch feldwarm. Hry schmunzelte: „Mein Naschkater.“ Was sollte N’ck da sagen, er war überführt.