Die Herrin der Wolkenburg, die Fürstin der Himmelsstadt, die Königin des Luftschlosses - Cha hatte viele Titel und alle bezogen sich darauf, dass sie dieses riesige Gebilde besaß. Eine Zitadelle, welche seit ewigen Zeiten windumtost auf den Nadeln der Plateaus ruhte und ständig von Wolken und Nebel umflossen war. Einen Zuweg vom Boden aus gab es nicht. Nur wer Flügel hatte gelangte hinauf, um sich die Pracht der bunten Glasscheiben, der vergoldeten Spitzen und Geländer, sowie den vielfarbig marmorierten Stein aus der Nähe ansehen zu können.
Zum Glück hatten alle Asgellianer Flügel. Cha trug die weiten, grauen Schwingen einer Harpyie und konnte mühelos hinauf gelangen. Doch sie war ewig nicht in ihrer Heimat gewesen. Sie war dort geboren ja, aber schon seit so vielen Jahren nicht mehr dort gewesen, dass es ihr inzwischen eher so schien, als sei sie dem Wüstenboden verbundener. Eben jenem Grund, von dem Ka stammte. Der Kondor, der so wuchtig war, dass sich viele Asgellianer schon gefragt hatten, ob er überhaupt in der Lage war selbst zu fliegen. War er. Und wenn er es tat, dann wirkte allein sein Schatten gegenüber dem eines normal großen Geflügelten wie ein Monstrum. Es gab keinen Strauß, der groß genug war ihn zu tragen. Ka war eine Ausnahmeerscheinung, eine jener seltenen Männern, die nicht nur groß wie breit waren, sondern mit ihrem Riesen-Schädel auch etwas anzufangen wussten. Ka’Cha waren das gefährlichste Duo im Süden und der gesamte Norden schauderte bei ihrem Namen.
Die Rebellen rannten seit Jahren gegen die herrschenden Systeme an. Eben genau jene, die ihnen den Hahn nicht nur sprichwörtlich zugedreht hatten. Die Staudämme für die ach so kostbaren Gärtchen im Mittelreich und die Plantagen im Norden waren bestens versorgt. Doch der Süden starb ab. Es war nicht über Nacht geschehen, der Zustand hielt bereits viele Jahre an. Es wurde immer schlimmer und hatte Cha gezwungen ihre noble, wattige Wolke zu verlassen. Bewohner der luftigen Zitadelle waren sonst wirklich arrogant und versnobt und interessierten sich einen Dreck für alles unterhalb ihres Territoriums. Also ALLE anderen. Aber sie konnten es nicht mehr aushalten in ihrem Stadt, so ohne das Wasser, welches um die Nadeln mäanderte und für den nötigen Nebel sorgte um ihrer Heimat jene charakteristische Note zu verleihen.
Kräftig stieß sie nun die Tore auf. Laut schabte das Holz über den Stein. Das Echo hallte durch das ganze Anwesen.
Cha grollte wie die Harpyie, die sie war: „Willkommen in eurem neuen zu Hause.“
Sie traten alle ein. Ka, Cha, die amtierende Feder, dieser winzige, wunderhübsche aber nervige Kolibri - die Phönixfedern und alle die bereits in den Sog der Feder geraten waren. Selbst die ehemalige Leibgarde der Feder, die nun als Verräter gebrandmarkt waren. Der Eisvogel, der Adler, selbst der Sphinx. Cha trat zur Seite: „Willkommen in deinem Thronsaal, Feder.“ Sie sparte sich eine Verbeugung. Der ganze Driss hier war nicht ihre Idee gewesen, sondern die des Schmugglers. Genau jener, an dessen Seiten zwei Ungeflügelte standen. Der verstoßene und entflügelte Falke Harlan und der verbrannte Phönix Markes. Beiden sah man deutlich an, dass sie es vorgezogen hätten selbst zu fliegen. Dem liebevollen, gelockten Phönix würden die Federn nachwachsen. Doch, der Falke war bis zu seinem Lebensende verdammt und was sollte ein Asgellianer in einem Luftschloss, wenn er keine Schwingen hatte? Cha warf ihm einen Blick zu. Er hatte bis jetzt überlebt, er würde es weiter tun. Aber die Versuchung würde groß sein, sich in die Tiefe fallen zu lassen, nur um noch einmal den Wind zu spüren.
Fuchs sah sich um: „Das ist viel kleiner als der Turm der Feder im Norden.“
„Beschwer dich auch noch!“, fauchte Cha.
Sofort war der Sphinx an der Seite des Kolibris: „Das war keine Wertung, das war nur eine Feststellung.“ Er zog die schwangere Asgellianerin an sich.
Auch der Adler mit dem rasierten Schädel trat vor. Doch statt die Feder zu schützen, ergriff er Chas Arm, um sie fortzudrehen. Ihre stachelige und abweisende Art von der gutmütigen Fuchs abzulenken. Lieber nahm er ihren stechende Blick selbst auf sich. Ein Glück für ihn, dass sie Gefallen an ihm gefunden hatte. Ihre Augen blitzten auf.
Es waren merkwürdige Zeiten. Die Feder hatte sich eine süße, kleine Person ausgesucht, aber ob es eine kluge Wahl gewesen war? Nun, wenigstens war sie hier, im Süden, wo sie gebraucht wurde und nicht weiter die Marionette des Nordens. Vielleicht würde sich doch endlich was bewegen. Und das ausgerechnet von hier aus. Cha sah sich um. Sie hatte hier früher gespielt und getobt, bevor alle gegangen waren. Die Nester leer, die Feuer kalt, aber dennoch, sie hob das Kinn.
Der Schmuggler sah sich ebenfalls um: „Es ist genau richtig. Von hier aus wird die Feder regieren.“
Aus einem Luftschloss heraus. Der Norden mochte den Turm haben, den offiziellen Sitz der Feder. Doch was war dieser Turm noch wert, wenn die Feder sich ein anderes Nest gesucht hatte?
Stolz hob Cha das Kinn und stieß einen trillernden Schrei aus. „Auf die Feder!“
Die anderen stimmten mit ein. Nur Fuchs selbst nicht, die seufzte tief: „Wieso habe ich das Gefühl, dass ich nur den goldenen Käfig gegen einen aus Marmor und Buntglasscheiben gewechselt habe?“
Ihr Gefährte legte ihr die Hand um die Schultern: „Das sieht jetzt alles schlimmer aus, als es ist. Lass uns dem Ganzen eine Chance geben.“ Er legte seine Hand über ihren Bauch. Wenigstens das Ungeborene verdiente diese Chance.
Anmerkung:
gehört zu diesem Prompt:
https://belletristica.com/de/books/30025-fingerubungen-21/chapter/159588-medium
Tja, was soll ich sagen? Die Geschichte der Geflügelten ist riesig geworden inzwischen. Es gibt einen Haufen Figuren. Böse, intrigante Politiker; grummelig wirkende aber beschützende Schmuggler; gerrupfte Straußenfarmer; Familien; Flüchtlinge; Guerillakämpfer und nun gibt es einen "Gegenturm" (so was wie einen Gegenpapst), von dem aus Fuchs, als die amtierende Feder alles wieder heile machen will.
Und das alles Dank eines Promptes hier. DANKE