Die Fingernägel waren lackiert, über die langen Finger und die zarten Hände flossen Hennafarbene Ornamente. Bei jeder Bewegung über die Tastatur bewegten sich die Muster und schimmerte der Lack. Die Klaviatur reichte gerade so für die Reichweite und Spanne der Finger. Ebba war eine der ersten Menschen, die das Glück gehabt hatten, das Instrument erlernen zu dürfen. Es stammte von einem Planeten um die Sterne ar-Rischā im Sternbild Ishtar. Ebba stammte ganz sicher nicht von dort. Sie war ein Mensch und es war schwer, all die Farben zu erlernen, die die Rischās mitgebracht hatten. Sie selbst nannten sich anders, aber noch immer war es der menschlichen Zunge unmöglich die Namen dieser Lichtwesen auszusprechen. Sie waren je gerade mal dabei zu lernen, wie man ihre Sprache hören konnte. Nämlich so wie Ebba es nun vormachte. Sie war Dolmetscherin für alle Belange der Rischās hier auf der Erde und im weiteren Vorgarten ihrer Sonne.
Sie drückte ein paar der Tasten. Pures Auswendiglernen hatte sie soweit darauf vorbereitet, dass sie einfache Worte zu Wortaneinanderreihungen bilden konnte. Kein Vergleich zu den Sinfonien, in denen die Rischās sprachen. Es gab keinen Übersetzer für diese Art Sprache bisher, also musste Ebba sich uralter Technologie bedienen, die sie aus einem Museum hatten einfliegen lassen. Einer Farborgel, oder wie sie in der neuen Sprache lieber sagten: „Multicolorfon“. Sie drückte die Tasten C, F und G. Das erste Gerät hatte noch aus einem typischen Klavier bestanden, welches längs angeordnet gewesen war. Doch schon lange war das Konzept des linearen Farbspektrums überholt. Farbe und Nuancen, Schattierungen und Hues waren angeordnet in einem dreidimensionalen Raum. Und auch Ebbas Mucof war ein Gebilde, in welches sie ihre Finger hineinsteckte. Zur besseren Spielbarkeit für Menschenhände war es wie eine Kugel geformt, um welche rundherum überall Tasten lagen, die sie erreichen konnte. Es wirkte wie ein Kind, welches seine Hände um eine Plasmakugel mit eingefangen Blitzen rieb. Die Töne lösten aus, rasten von ihren Fingerspitzen zur Mitte und übermittelten die Farbwerte. Heraus kam ein Kaleidoskop aus Licht. Ebba konnte nur dann alle Nuancen sehen, wenn sie entsprechende Multicolorfonbrille aufsetzte.
In der ersten Zeit hatten die Farb’n’Töne befremdlich und disharmonisch geklungen für Menschenohren. Vermutlich auch für die der Rischās, als würden sie einem Kind dabei zuhören, wie es die ersten Drei-Wort-Sätze formulierte: „Mama Aua Arm“ versus „Erde Frieden Kuchen“. Die Rischās mochten Kuchen.
Intensives Rot, Dunkelrot und Orange fluteten das Zimmer und Ebba hob die Finger, ließ sie weiterwandern. A# in Rosé, ein kurzes Tippen von D in Gelb. Die Rischās begrüßten sich traditionell auf rötlich, bei vertrauteren Anreden und persönlichem Tonfall in Gelb. Das war jedoch höchstens gleichzusetzen mit einem Standarisierten: „Hi.“ Und es war nicht ansatzweise das, was sie untereinander auszudrücken vermochten. Es gab einfach mehr Farben als der Mensch sehen oder in Töne umwandeln konnte. Leider hatte es bisher nicht funktioniert mit Farbkarten zu kommunizieren. Denn, so hatten es die Rischās versucht zu erklären, da sie dann nur die Farbe sehen würde, fehle der Anteil der Farbschwingung im Ton und sie könnten dementsprechend von einer „Taubheit“ ausgehen. Eine unüberbrückbare Barriere, wenn man nicht unlängst als Mensch einmal holistisch experimentiert hätte. Sehr angetan waren die neuen Freunde von der Tatsache, dass die Menschen generell so viel experimentierten mit ihren begrenzten Möglichkeiten und Wahrnehmungen. Sie nannten es das: „Von allein ein bisschen“ Phänomen. Oder wie die Menschen sagten: „Alles, aber nix richtig.“ Den Ruf hatten die Menschen wohl nun weg im Weltall. Konnte man nichts machen, den Weg mussten sie jetzt weitergehen und hoffen, dass es Bedarf gab an einer Spezies, die von allem ein bisschen konnte.
Und hier kam Ebba ins Spiel. Da unglaubliche viele Lebewesen in der Weite des Alls recht spezialisiert waren und sich nur rudimentär (noch unter Krabbelkind-Niveau) miteinander verständigen konnten, hatten die Menschen den Vorteil, dass sie doch irgendwie einen Punkt fanden, um anzusetzen. Ebba entwarf auf der Mucof eine ganze Oper an vorgefertigten Sätzen. Die sie nun spielen konnte und die nicht nur den Menschen dabei helfen konnten mit den Rischās zu kommunizieren. Wenn sie erst einmal auch die Rückverwandlung geschafft hatte und ganze Diskussionen und Gespräche mit ihnen führen konnte, dann konnten sie noch viel weiter gehen! Und sie konnten die Kugeln vielleicht für einige andere intergalaktische Spezies anpassen. Und wenn erst einmal mehrere involviert waren, vielleicht würden dann irgendwann alle farbisch sprechen können. Und vielleicht konnten sie sich dann endlich alle mal vorstellen und sagen, was sie am liebsten mochten. Abgesehen natürlich von den wirklich wichtigen Dingen, die man so voneinander lernen konnte - Ebba war da eher pragmatisch veranlagt.
Sie spielte weiter auf der Mucof und ein Rischā kam zu ihr und funkelte vielfarbig erregt und offenbar höchst angetan von ihrem Spiel. Es dauerte nicht lange und die gesamte Delegation wiegte sie in einem sanften Tanz um Ebba herum und lumineszierte vor sich hin. Als Ebba ihre schlichte Ansprache an alle beendet hatte und die Grüße der menschlichen Anführer überbracht hatte, zogen sich die Rischās szintillierend zurück und berieten sich. Ebba verstand kein Farbtonwort, zu schnell, zu wechselhaft, zu viele Farben gleichzeitig. Die Sprache war so unglaublich komplex. Dann kam ihr Sprecher vor und trompetete einen Hageldonner vom Feinsten zurück, der auf Ebbas Brille in einer Wundertüte aus Farbexplosionen aufging. Die Brille dröselte alle bekannten Pigmente auf und gab erfassbare Messdaten aus, die mit den bekannten Tönen abgeglichen waren. Es sah aus wie Balken auf einem Synthesizer mit Ausschlägen, einer Welle ähnlich. Ebba verglich dies mit ihren Notizen, einem Vokabelheft ähnlich: „Grüße Menschen Kuchen?“
Ebba legte ihre Hände wieder auf die Kugel und drückte schnell A - grün, ganz oft mit einem Hauch E - himmelblau und einem ganz kurzen C# - violett am Ende, um aus der gestellten Frage eine Antwort zu bestätigen. „JA!“
Kinder und Aliens - es konnte so einfach sein. Sie sah zu der Spieldecke, auf der ihr eigenes Kind lag, ein halbes Jahr alt und vergnügt mit einem farbigen Greifball spielte und gluckste, wenn Ebba auf der Mucof Farbtöne produzierte. Dann stand sie auf und holte den Gugelhupf aus der Kocheinheit. Manche Dinge konnten Menschen einfach als einzige am besten.