Das Dachmädchen
Es war mir selbst unter der Decke kalt, als ich in meinem Zimmer saß und zusah, wie langsam die Sonne unterging. Sie hatte etwas Schönes an sich, aber ich wusste, dass es eigentlich der Mond war, der mich anzog. In diesen Moment wartet ich nur darauf, dass sie ihre Kreise am Himmel zieht und endlich die Nacht kam.
Ich fragte mich, ob sich meine Mutter Sorgen machen würde, wenn sie herausfand, dass ich nachts auf den Dächern unterwegs war. Ich liebte aber dennoch die Freiheit und freute mich schon auf den Moment, in dem ich wieder leise das Fenster aufmachen und meine ersten Schritte auf die nassen Dächer setzen würde.
Mein Körper kribbelte in der Erwartung, dass ich heute das neue Hemd und die Hose auszuprobieren konnte, die mir Floyd geschenkt hatte. Diese waren extra für das Laufen auf den Dächern gemacht worden. Vor allem fand ich die Eisblume bezaubernd, die meine Brust schmückte.
Die Farben meiner Kleidung waren die einer dunkelvioletten Orchidee, die im Mondschein wie ein Zaubergewand ihre Pracht zeigten.
Der Stoff war leicht und glitt sanft über die Haut. Ich stand auf und schaute in den Spiegel. Ich konnte kaum glauben, dass ich dieses Mädchen war. Aber dann sah ich zu dem weißen Schal, den mein Vater mir verboten hatte zu tragen. Ich fragte mich noch, warum er dies wohl nicht wollte, obwohl mir so viel daran lag.
Aber mir waren seine Langweilen Belehrungen völlig egal, wo er doch sowieso mehr Zeit mit der Nachbarin verbrachte als mit meiner Mutter. Ob sie wusste, was die beiden heimlich trieben? Aber selbst wenn, was würde es in meiner Familie ändern? Ein Mann, der sich von niemanden was sagen lassen wollte. Ständig versuchte er mir den Betrug von Religionen und Aberglauben einzubläuen. Ach, als was für ein „Kämpfer“ für Rationalität und Vernunft er sich doch sah. Aber in meinen Augen war er nun ein Säufer und Partygänger, der mit einem Bein im Grab stand.
Beim Anblick der Sterne, die aussahen, als würde sie den Mond umkreisten, fragte ich mich wie es wäre, in einer anderen Familie aufzuwachsen. Der Drang nach Freiheit macht sich meinem Herzen breit und die Nacht war anziehend.
Ich legte mir also den Schal um den Hals, schloss die Tür und öffnete das Fenster. Der Wind pfiff durch meine schwarzen Haare und ich machte nun einen langen Satz. Mit einem langen Satze landete auf dem Dach. Ein kleiner Schritt, dann noch einen, ein dritter, wie wenn ich auf Wolken laufen würde.
Dann sprang ich von dem Rand des Daches ab, war einige Sekunden in der Luft und spürte den Druck, als ich wieder mit den Füßen auf den Ziegeln aufkam. Die Momente, in denen ich durch die Luft flog, fühlte ich als mich beinahe schwerelos.
Schon nach zehn Minuten erreichte ich den Platz, wo Floyd auf mich wartete. Wie immer saß er da am Rand eines Daches und begutachtete den Mond, der in seinem silbernen Glanz die Dächer grau färbte. Ich lächelte und setzte mich dann geschmeidig neben ihn. Ich fühlte, wie feucht die Ziegel von dem Regen waren, der vor zwei Stunden gefallen war. „Na, Floyd?“, fragte ich leise.
Er drehte seinen Kopf zu mir, hob beide Daumen und setzte sein schräges Lächeln auf. „Hey, Kleine!“
ich konnte mir ein leises Lachen nicht verkneifen. „Floyd! Bitte nicht bei mir.“
„Entschuldige, verehrte Lady, aber dein Kichern ist dies immer wieder wert.“
„Und du bist verrückt.“
Er versuchte, schockiert zu reagieren, aber man sah ihm an, dass dies nur gespielt war. „Bin ich das? Nun... ja! Das bin ich wohl.“ Dann wieder lächelte er mich an, was ich dann erwiderte.
Auch wenn er nicht normal war, ich mochte seine direkte Art und seine Offenheit gegenüber anderen. Wahrscheinlich war das der Grund, warum wir uns beim Kennenlernen gleich nähergekommen waren.
Ich fragte ihn, ob ich auch von meinen letzten Erlebnissen erzählen sollte. In letzter Zeit hatte sich so viel Frust in mir angestaut, dass ich schier am Verzweifeln war. Aber zuerst war ich unsicher, ob ich das erwähnen sollte. Floyd aber merkte wohl, dass etwas in mir vorging. „Riny? Du kannst ruhig sagen, wenn etwas passiert ist.“
Eine Träne fiel mir aus dem Auge. „Ist es wegen deinem Vater?“, fragte er mich.
„Es ist so schlimm gerade, zwischendurch habe ich den Eindruck, dass ich ihm völlig egal bin. Ach was, den Eindruck habe ich die ganze Zeit und nicht nur ich...“
Nun wollte ich nur noch meinen Frust loswerden und ich erzählte ihm alles von Anfang an.