Riny
Ich lief so schnell ich konnte, aber mir gelang es einfach nicht den Kerl abschütteln. Wieder und wieder sprang ich über Müllcontainer, sprintete über Zäune und Gitter. Während des Laufes vernahm ich ein Geschrei von einem Passanten und auch das Gebell eines Hundes. Aber es war mir in den Moment egal, wenn es um mein Leben ging. Meine Füße fühlten sich an, als würden sie nicht mehr anhalten wollen und dass konnte ich auch nicht. Aber der Verfolger kam mit jeder Sekunde näher und ich suchte verzweifelt nach einem Ausweg.
Ich muss wieder aufs Dach! Schoss es mir durch den Kopf! Aber ich sah weder eine Leiter noch etwas anders, von wo aus ich die Dächer erreichen konnte. Vielleicht an der nächsten Abzweigung? Aber ehe ich weiterdenken konnte, wickelte sich etwas um meine Beine und riss mich zu Boden. Ich spürte wie meine Hände schmerzhaft über den rauen Asphalt glitten.
Die Schritte waren nun ganz nah und der Mann kam nun um die Ecke. Als ich hastig mit den Beinen zappelte, spürte ich, wie mein Herz raste.
„Wie ein Meerjungfrau im Fischernetz“, höhnte er.
Ich konnte in den Augen des Mannes sehen, dass er kein Mitleid mit mir haben würde. Sein Fuß sauste mit voller Wucht in meine Seite, sodass ich am liebsten geschrien hätte, aber ich wollte ihm diese Genugtuung nicht geben. Aber dennoch spürte ich den brennenden Schmerz, der sich schnell ausbreitete. „Nur Feiglinge schlagen auf Mädchen ein!“
„Halt die Schnauze du kleines…!
Ich hob die Arme, als er diesmal auf meine Kopf zielt. Aber dann kam etwas, womit weder er noch ich gerechnet hatten.
Jemand ging dazwischen, blockte mit seinem Fuß den Tritt ab und dann bekam der brutale Kerl seine eigene Medizin zu schmecken. „Na na, wer wird denn so mit einem kleinen Mädchen umgehen?“
Der Blick des Mannes war nun sichtlich überrascht und rieb hastig sein Knie. Die Farbe der Kleidung der Person, die ihm gegenüberstand, war tiefblau und außerdem trug er noch einen Hut mit einer breiten Krempe. Entspannt wendete er sich zu mir und löste dann die Stricke von meinen Beinen. Aber so einfach wollte der Kerl sich nicht geschlagen geben.
„Pass auf!“, schrie ich, als mein Verfolger auf ihn losging.
Doch der Mann mit der blauen Kleidung fing den Fuß mit Leichtigkeit ab. „Warum müssen die Leute immer so penetrant sein? Vielleicht helfen da ein paar Dehnübungen.“
Jetzt stand er langsam auf, wobei das Bein des anderen immer weiter hochgehoben wurde. Der Verfolger versuchte verzweifelt, dieses von der Schulter des Mannes herunterzukriegen, aber er konnte sich den Griff nicht entziehen. „Spinnst du! Ich bin doch kein Zirkusakrobat.“
Der Mann hüpfte wie ein Storch auf dem einen Bein herum und fuchtelte dabei mit den Armen, um ja nicht das Gleichgewicht zu verlieren. „Aua! Lass mich sofort los, oder ich werde...“
Die Person mit dem Krempen Hut begutachtete ihn mit einem Lächeln und zog dabei die Augenbrauen unter seinem Hut hoch. „Wie ihre Majestät befielt!“
Mit einem kräftigen Ruck packt er nun den Fuß und stieß ihn nach vorne, sodass sein Gegner rücklings auf dem Boden landete. Als mein Verfolger einigermaßen wieder zu sich kam, beugte sich der Fremde nach vorne mit einer gespielten Neugierde. „Bist du wieder wach?“
„ääh…“
„Gut, jetzt mach, dass du wegkommst.“
„Einen Scheiß werde...“
Eine hellgraue Aura bedeckte nun seine Füße und diesmal wollte der Kerl es wirklich wissen. Doch davon war der Fremde nicht beeindruckt. „Hm, die Fähigkeit habe ich erst kürzlich bei jemanden gesehen.“
Ich sah, wie der Verfolger seine Füße auf einmal unglaublich schnell bewegte und auf das Gesicht zielte. „Verrecke, du Arsch!“
Doch der andere lenkte die Tritte ab, machte einen Satz nach vorne und stieß mit beiden Händen gegen die Brust. Wieder lag sein Gegner am Boden. „Deine Geschwindigkeit ist erstaunlich schnell, aber deine Angriffe ohne Sinn und Verstand.“
Der Verfolger wich nun von ihm zurück. „Wie kannst du so leicht meine Tritte abwehren?“
„Das ist für dich nicht von Belang. Verschwinde, bevor ich ungemütlich werde!“
Der Verfolger rappelte sich hoch und nahm dann die Beine in die Hand. Ich frage mich allerdings, wer dieser Mann war, der sich nun mir wieder zuwandte.
Sein Blick war freundlich und verständnisvoll, als er nach meinem Namen fragte. „So Mädchen, wie soll ich dich denn nennen?
„R..Riny, Sir.“
Er schmunzelte. „Das Sir lass mal weg, denn so förmlich muss es nicht sein. Nenn mich einfach Alyrun. Ähm… wo genau wohnst du?“
„Ich weiß grade nicht, wo…“
„So? Vielleicht kommst du erst mal mit zu mir.“
Was der Mann sagte, klang zwar sehr freundlich, aber ich machte mir Sorgen. „Was wenn er es nicht geschafft hat. Was wenn er wegen mir... „Ich kann nicht, Floyd...“
„Tief durchatmen Kind. Wer hat was nicht geschafft?“
„Floyd, mein Freund, Sie werden ihm wehtun!“
Er reicht mir die Hand und zog mich wieder auf die Beine. „Was ist denn passiert?“
Ich wusste im ersten Augenblick nicht, ob ich reden sollte. Aber Alyrun weckte in mir etwas, was ich seit Langem nur bei Floyd kannte, nämlich Vertrauen.
Jones Edward
Ich war gerade aufgestanden und machte das Frühstück. Miss Archer, die mit ihrem Mann im Dienst von Alyrun stand, sagte mir, dass ich nicht zu kochen brauchte, aber ich bestand darauf. Normalerweise war sie für das leibliche Wohl zuständig. Mit Erfahrung und viel Liebe bereitet sie so manche Köstlichkeit in der Küche zu und säuberte auch diese immer hinterher. Ihr Mann hingegen baute in den Garten verschiedene Sachen an, kümmerte sich um die Obstbäume und sogar um die Bienen, aus deren Honig er exzellenten Met braute. Mehr noch, die beiden übernahmen auch die Verwaltung des Hauses, da sie hundertprozentiges Vertrauen von Alyrun genossen. Ich selber habe zwar auch heute Morgen über die Hauskasse geschaut, aber meine Zweifel wurden widerlegt.
Die beiden Menschen waren sehr freundlich und machten sehr viel für das Haus, auch wenn Alyrun ebenso wie ich immer wieder darauf bestanden, dass wir auch selbst mal Hand anlegen. An dem Tag war es auch wieder so eine Gelegenheit, an dem die beiden mal ein freier Tag bekamen, und ich wollte ich mal was Schönes machen. So richtig schöne Pfannkuchen, bei denen einem auch das Herz aufging. Ich wusste noch zu gut, wie ich mit einigen Kameraden mal in der Wildnis allein unterwegs gewesen war. Da hatten wir einfach das genommen, was die Umgebung zu bieten hatte.
In den schlimmsten Fällen Würmer, Käfer und andere Sachen die mehr Kalorien hatten als die Kräuter in der Gegend. In extremen Situationen hatte man nicht den Luxus, dass man einfach einkaufen konnte.
Es fühlte sich daher umso besser an, wenn man im zivilen Leben mal etwas ganz Normales, sehr alltägliches machte. Etwas, was man entspannt und in Ruhe tun konnte.
Ich war doch sehr überrascht, dass ich nach so langer Zeit den selbstgemachten Sirup hinbekam. Die Zutaten hatte ich zum Teil aus dem Vorratsschrank, andere hatte ich mir in der Stadt besorgt. Das Ganze war eine Mischung aus Früchten, Honig und einem Mittel zum Andicken. Während ich den Sirup zubereitete, bediente ich die Pfanne, in der ich bereits den nächsten Pfannkuchen zubereitete. Mit einem kräftigen Schwenker beförderte ich dann die Teigware auf den Stapel, der bereits auf einem breiten Teller lag.
Im selben Moment hörte ich der Eingantür ein lautes Klicken. Also ging ich zur Haustür und war auch gleich verwundert, dass mein Freund nun jemanden dabeihatte.
Er war in Begleitung eines kleinen Mädchens mit Nachtschwarzen Haare, dass einen starken Kontrast zu ihrer hellen Haut aufwies. Was ich noch erkennen konnte, dass sie ihre Schultern zusammengezogen hatte und ihre Hand daran rieb. Zuerst dachte ich, dass es kein Wunder war, bei ihrer Kleidung war. Aber in ihre Violetten Augen wanderten ständig zur Seite. Warum diese Nervosität?
„Alyrun, ich frage lieber nicht, wo du mitten in der Nacht hinwolltest. Aber warum hast du denn das Mädchen bei dir?“
Er lächelte wieder. „Ihr Name ist Riny, sie wird erst mal bei uns bleiben, bis ich ihren Freund gefunden habe.“
„Was? Aber wäre es nicht besser, wenn wir sie zu ihrer Familie...“
„Später, Jones, aber im Moment wäre das nicht so gut.“
Er drehte sich dann zu dem Mädchen um. „Keine Angst, er braucht viel Zeit zum Nachdenken, aber in ihm steckt ein gutes Herz. Bleib erstmal hier, während ich weiter nach deinem Freund Floyd suche.“
„Was soll das schon wieder heißen!?!“
Bevor ich den Satz zu Ende geredet hatte, war er auch wieder weg. „Er braucht zeit zum Nachdenken“, grummelte ich vor mich hin.
Nun war ich da, mit Riny, wie sie hieß. Aber irgendwie erinnerte sie mich an Nya vom Aussehen her. Und außerdem hatte ich nach wie vor ein Herz für junge Leute, die auch noch Schlimmes durchgemacht hatten. Der Kleinen sah man auch an, dass sie ziemlich verunsichert war. Als ich in dem Moment drüber nachdachte, leuchtete es mir umso mehr ein, warum Alyrun sie hierhergebracht hatte. Vielleicht hatte sie Angst davor, nach Hause zu gehen. „Nun, Riny, du hast sicher Hunger oder nicht?“, sie nickte leicht, „Dann komm mal ins Haus, ich war sowieso am Frühstücken.“
Das Mädchen war, als ich ihr die Küche zeigte, sichtlich erstaunt, was für Gerätschaften es gab. Sie lächelte, als sie die Pfannkuchen sah. „Kochst du gerne?“
Ich überlegte. „Nun, es ist das erste Mal seit Jahren, dass ich wieder selbst koche.“
Sie schaute in den Topf, der schon kräftig blubberte. „Was ist das denn?“
„Na, Sirup.“
„Selbst gemacht?“
„Ja, geh aber nicht zu nah an den Topf.“
Neugierig sah sie sich das genauer an. Keine zwei Sekunden später fing das Gebräu an zu spritzen und etwas landete genau in ihrem Gesicht. Sie schrie auf und hielt sich die Hände vors Gesicht. Bevor sie aber nach hinten fallen konnte, war ich schon bei ihr. „Ich habe dir doch gesagt, du sollst aufpassen.“
„Entschuldigung“, sagte sie und senkte traurig den Kopf.
„Ach, jetzt komm“, sagte ich freundlich und versuchte mit einem feuchten Tuch den heißen Saft wegzuwischen, „davon geht die Welt nicht unter und so schlimm ist das nicht.“
Bei diesen Worten lächelte sie wieder.
„Jetzt kannst du mir noch beim Tischdecken helfen, dann können wir zusammen essen.“