Schweigend saßen sie eine Zeitlang nebeneinander und hingen ihren Gedanken nach, als Lisa Su plötzlich ansah.
„Ich habe irgendwie das Gefühl als wärst du gerade ziemlich aufgewühlt, hm? Warum? Entschuldige, geht mich ja eigentlich nichts an, aber … du wirkst unruhig...“
Su sah auf Pie der die Augen geschlossen hatte und döste und biss sich auf die Lippe.
„Nein … ja … keine Ahnung. Rick's Zwillingsbruder ist da. Ich habe dir doch von meiner Schwester erzählt? Ich dachte Rick wäre der Mann gewesen und wollte mich an ihm rächen, wollte ihn verliebt machen und dann sitzen lassen, wie er das mit meiner Schwester gemacht hatte. Doch gerade hab ich erfahren, dass es nicht Rick war, sondern Ryan und er hat mir eine ganz andere Geschichte erzählt als meine Schwester. Und jetzt weiß ich nicht mehr … alles ist durcheinander, nichts passt mehr und ich … ich wollte Rick glauben, wo Ryan noch nicht da war, wollte es unbedingt und es war mir scheißegal, dass er mit meiner Schwester … dass sie … aber jetzt...“
Lisa drehte sich leicht zu Su und sah sie aufmerksam an. „Jetzt weißt du, dass Rick die Wahrheit gesagt hat. Also ist doch alles gut, oder?“
„Nein, nichts ist gut. Verdammt...“ Su strich sich durch die Haare und fauchte wütend auf.
Lisa versuchte ein Grinsen zu unterdrücken und senkte kurz den Kopf, um sich zu sammeln. „Ich verstehe. Jetzt ist dein ganzer Plan im Eimer. Du hast dich obendrein in Rick verliebt und weißt nun nicht mehr, was du denken sollst, oder? Und warum wolltest du dich unbedingt rächen?“
Su sah auf ihre Hände und kam sich plötzlich ziemlich egoistisch vor. „Weil ich nun ganz allein bin. Ich hatte doch nur noch meine Schwester...“
Lisa sah sie überrascht an und biss sich auf die Lippen, um nichts zu sagen, sie hatte das Gefühl das Su gleich weiterreden würde.
Langsam rollte eine Träne über Su's Gesicht und Pie sah zu ihr hoch, als er ihre Stimme hörte, die leicht erstickt war. „...als ich fünf war, kamen unsere Eltern ums Leben. Die Eltern von unserem Vater konnten und aufgrund ihres Alters nicht aufnehmen, also kamen wir in ein Waisenhaus. Man wollte uns an Pflegefamilien vermitteln, doch die meisten wollten nur ein Kind, keine Geschwister und uns konnte man nicht trennen, wir machten dann wohl immer ziemlichen Theater....“ Nachdrücklich wischte sie sich über das Gesicht und schniefte kurz. „...Als Biene achtzehn wurde, ist sie sofort ausgezogen, besorgte sich einen Job und eine Wohnung und nahm mich dann zu sich. Sie sorgte dafür das ich meine Schule abschloss, eine Ausbildung anfing, alles schien gut zu werden und dann...“
„Was geschah dann?“ Lisa drückte leicht ihre Hand und sah sie fragend an.
„...es war kurz vor meinem zwanzigsten Geburtstag und ich kam von einem Lehrgang nach Hause und da … da fand ich meine Schwester ...tot. Sie hatte sich das Leben genommen, wegen einem Mann, der sie … wie sie mir in den Abschiedszeilen, auf dem Bild von sich und dem Mann, schrieb, verlassen hatte. Später hab ich von der Polizei erfahren, dass sie … das sie schwanger war. Sie hatte nicht nur sich getötet, sondern auch ihr Baby, meinen Neffen oder meine Nichte.“
...nicht nur ein Baby es könnten auch Babys gewesen sein, denn der Vater ist, wie du ja nun weißt, ein Zwilling...
„Oh Gott Kleines … du armes Ding. Und als du Rick gesehen hast, … er war der Mann vom Bild?“
Su schüttelte den Kopf und wischte sich erneut über die Augen „...ich dachte, dass er es war und wollte ihn so leiden lassen wie ich gelitten hatte und er sollte das durchmachen, was meine Schwester durchgemacht hatte. Doch ich … ich ... ich habe es ihm in der Hütte an den Kopf geworfen als er mich...“ Verlegen brach sie ab und schluckte.
„Er sagte, er war das nicht und das es sein Bruder gewesen wäre, er würde keine Biene kennen. Ich habe ihm nicht geglaubt. Und doch … ich wollte es glauben, irgendwie. Ich wollte das es wahr wäre und heute … jetzt ist Ryan da und er sagte, dass er der Freund von Biene gewesen war und erzählt die Geschichte ganz anders als Biene.“
Lisa sah Su aufmerksam an und lächelte leicht. „Jetzt bist du durcheinander, weil Rick die Wahrheit gesagt hatte. du dich an ihm nicht mehr rächen kannst oder willst und obendrein … bist du in ihn verliebt, ja?“
„Ich weiß es nicht … ich will nicht wie Tina oder Doreen sein, die total verrückt nach ihm sind und ihn nicht aus den Augen lassen. Ich...“
„...und doch hast du mit ihm geschlafen, hm?“ Lisa unterbrach sie leise und Su schnappte erschrocken nach Luft.
„Wie kommst du da drauf?“ Su sah Lisa entsetzt an und wurde erst blass und dann rot.
„Ich sehe es dir an. Du bist irgendwie anders als gestern, wo ich dir das essen gebracht habe … da ist etwas an dir ...“
„Oh scheiße...“ Su vergrub ihr Gesicht in den Händen und wurde mehr als verlegen. Sah man ihr das tatsächlich an, das sie mit Rick geschlafen hatte?
Lisa verzog kurz lächelnd das Gesicht, bevor sie wieder ernst wurde. „Keine Sorge, du rennst nicht mit einem Leuchtenden Schild auf der Stirn herum auf dem steht das du Sex hattest. Ich mache Recherchen für Bücher, ich habe einen Blick für Kleinigkeiten und Empfindungen. Kleinste Regungen … gute Instinkte, sagte man mir einmal.“ sie zuckte gleichgültig mit den Schultern.
...nur bei Bryan setzt es immer aus, er ist für mich ein Buch mir siebentausend sexy Schlössern...
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Ryan presste die Lippen zusammen und sah seinem Bruder hinterher, der gerade mit langen Schritten zum Haus ging, während er die Faust fester um die Kette in seiner Jackentasche schloss. Leise fluchend schloss er die Augen und atmete tief durch. Er hätte in New York bleiben sollen, dass einzig Gute, was bei seinem Flug herausgekommen war, war das er und Rick wieder anfingen sich zu verstehen. Er hatte seinen Bruder mehr als vermisst. Doch der Rest...
…„Hey, denk dran, dass du mir nun eine Stunde Prüfung schuldest.“ Ryan grinste seinen Bruder an und boxte ihm spielerisch auf den Arm. Sie kamen gerade von ihrem Kampfsport zurück, trugen beide wie immer die gleichen Klamotten, weil es ihnen Spaß machte die Menschen zu verwirren und hatten ihre Sporttaschen über die Schulter hängen.
Rick grinste und strich sich durch seine schulterlangen Haare. „Ja, weil du gefudelt hast Brüderchen. Du hast es ausgenutzt das ich abgelenkt war und mich nur dadurch besiegt.“
„Selber schuld, wenn du dich ablenk-...“ Ryan brach abrupt ab als er den Wagen vor ihrem Haus sah, aus dem gerade eine Frau mit ihrer Tochter ausstiegen. „...die Frau ist da und ihre … Tochter.“
Langsam überbrückten sie die wenigen Meter zu den beiden und blieben vor ihnen stehen. „Ihr wollt zu uns, ja? Joan und Doreen? Wir sind Rick und Ryan Anderson. Unser Dad ist drinnen.“ Ryan sah fasziniert auf das blonde Mädchen mit Pferdeschwanz und den Himmelblauen Augen die ihn nervös, aber neugierig musterte. Als sie leicht lächelte, sah er ihre Zahnspange kurz aufblitzen und wie sie augenblicklich verlegen wieder den Mund schloss, ihn aber nicht aus den Augen ließ.
„Ja. Sind wir. Hallo Rick und Ryan.“ Joan sah sie erstaunt an und lächelte dann leicht, während sie ihnen die Hand hinhielt.
Ryan lachte und zeigte auf sich „Ich bin Rick … das ist Ryan...“
Rick boxte ihm spielerisch in die Seite und lachte dann laut auf. „Hör auf Ryan, sie bleiben bei uns und werden uns bestimmt irgendwann auseinanderhalten. Hören Sie nicht auf ihn Joan. Ich bin Rick und das ist mein Brüderchen Ryan. Der Scherzkeks.“ Rick schüttelte die Hand der beiden und sah dann Doreen an „Soll ich dir dein Zimmer zeigen Doreen?“
Ryan sah den verlegenen Blick den Doreen ihm zuwarf, bevor sie Rick zunickte und versuchte beim Lächeln nicht zu viel Zahnspange zu zeigen. Gott, was war sie süß...
„Gib mir deine Tasche Rick, ich bringe die Sachen hoch, denk dran das wir nachher noch runter zu Dante's wollten. Du weißt das wir heute Abend...“
„Willst du mit Doreen? Dante's ist eine Eisdiele unten an der Straße, knapp zwei Meilen von hier, wir treffen uns da immer alle abends. Dann lernst du direkt einige Leute kennen?“ Rick unterbrach ihn und knallte ihm seine Tasche vor die Brust, während er Doreen packte und hinter sich herzog. Kurz warf sie noch einen Blick über die Schulter zu ihm, bevor sie mit Rick im Haus verschwand.
„Ryan, ja? Oder Rick?“ Joan's Stimme holte ihn zurück und er sah die Frau an, die bei ihnen einziehen sollte. Ihr Mann war bei der Armee und in Übersee stationiert und sie hatte sich angeboten den Haushalt zu machen, als die letzte Haushälterin, aufgegeben hatte, weil die Zwillinge sie nicht mochten und nur ärgerten.
„Ryan Ma'am. Rick ist gerade reingegangen.“
„Gut. Dann zeig mir bitte einmal den Weg zu dem Arbeitszimmer deines Vaters und Ryan? Wenn ihr Doreen mitnehmt, passt ihr auf sie auf. Sie ist erst zehn.“
Erst zehn? Scheiße, sie sieht wie mindestens fünfzehn aus, oder sechzehn. Warum hatte Dad nur gesagt eine Haushälterin mit ihrer Tochter und nicht wie alt sie war? Scheiße...
„Ja Ma'am. Machen Sie sich keine Sorgen, sie ist bei uns absolut sicher. Es wird ihr absolut nichts geschehen. Ich gebe Ihnen mein Wort.“
„Gut, das will ich auch hoffen. Danke Ryan.“ Joan sah ihn prüfend an und ging dann auf die Eingangstüre zu...
Ryan zog den Kragen seiner Lederjacke höher und zog die Schultern hoch, während er weiter auf den See hinaussah. In der Hand fühlte er das kleine Einhorn und kurz schloss er die Augen, als er an Doreen's fünfzehnten Geburtstag dachte. Sie hatten ihr kleine Geschenke gekauft. Alles mit Einhörnern, weil sie die so liebte. Kissen, Puzzle, Poster und einen Pyjama. Lachend hatten sie alles eingepackt und sich köstlich amüsiert, wenn sie an Doreen's Gesicht dachten beim Auspacken. Ryan's Griff wurde etwas fester, als er an den Abend dachte.
Sie hatten gefeiert und er war den ganzen Tag unruhig gewesen, er hatte noch ein besonderes Geschenk für sie, das wollte er ihr später geben. Eine kleine Kette mit einem Einhorn und einer kleinen Gravur. Nichts Besonderes und auch nicht zeigend was seit Jahren an ihm nagte. Einfach nur ein Geschenk, dass alles oder nichts bedeuten konnte, je nachdem aus welcher Perspektive man es sah. Ryan presste die Lippen zusammen und konnte doch die Gedanken nicht abschütteln. Gott er war damals zweiundzwanzig gewesen, Doreen gerade fünfzehn geworden und ein Kind und doch war sie alles für ihn, war sie immer noch. Er hatte schon Beziehungen gehabt, doch keine hatte Doreen lange aus seinem Kopf vertreiben können. Das Mädchen, mit dem er niemals zusammenkommen würde, weil sie viel zu jung war und die obendrein seinen Bruder süß fand, … wie sie es damals formuliert hatte.
Und als wäre das nicht schon genug, hatte er damals bei ihrem Einzug doch Joan versprochen auf sie aufzupassen und dass sie sicher bei ihnen war. Das bedeutete bestimmt nicht, dass er sich an sie heranmachen durfte, selbst wenn sie alt genug gewesen wäre. Ryan fluchte leise und spürte wie sich das kleine Einhorn in seine Hand bohrte. Er hatte sich all die Jahre von ihr ferngehalten. Und doch hatte er sie nicht aus seinen Gedanken vertreiben können. Immer wieder war sie da, sah er ihr Gesicht vor sich und spürte, wie es ihn fast zerriss.
…„Ihr seid so süß.“ Doreen lachte und drückte ihm und Rick einen Kuss auf die Wange. Ryan musste sich beherrschen, damit er sein Gesicht nicht drehte und ihre Lippen seinen Mund trafen. Spöttisch zog er eine Augenbraue hoch und musterte Doreen.
„Mein Herzblatt, wir sind zweiundzwanzig und damit bestimmt nicht mehr in der Kategorie süß … wie du es nennst.“ Amüsiert funkelten seine Augen Doreen an, sich nicht bewusst das sie gerade mehr golden schimmerten als grünbraun und Doreen wurde kurz verlegen und rot als sie ihn ansah.
„Ich … ehm...“ Verlegen senkte Doreen den Blick und biss sich auf die Lippe.
Grinsend stand er auf und ging einige Schritte beiseite. „Komm Rick, wir haben noch eine Verabredung und Doreen wollte doch mit ihren Freundinnen feiern, oder? Ab mit dir Kindchen.“
„Sei nicht so fies Ryan.“
„Ich bin kein Kind mehr Ryan.“ Empört funkelten ihre Augen ihn an und Ryan fand sie wieder einmal mehr als bezaubernd.
„Sicher, aber Erwachsen bist du auch nicht Kindchen.“
Rick stand auf und strubbelte Doreen durch ihre blonden Haare. „Bis morgen Kleines, viel Spaß mit deiner Freundin.“
„Ach Rick...“
Mit langen Schritten verließ Ryan das Wohnzimmer des Herrenhauses in New York und wartete draußen auf Rick. Sie waren für Doreen's Geburtstag von Frisco hergeflogen und hatten sich für den Abend mit alten Freunden verabredet, bevor sie dann am Sonntagabend zurückfliegen würden.
„Warum bist du immer so mies zu Doreen Ryan?“ Rick trat neben ihn und sah ihn fragend an.
„Bin ich doch gar nicht. Ich habe nur keine Zeit und keine Lust auf Kindergeburtstage und Spielchen.“ Spöttisch sah er seinen Bruder an und grinste dann. „...und wie immer eilst du der kleinen Doreen zu Hilfe. Der große Beschützer.“
„Sie ist unsere kleine Schwester … naja … irgendwie.“
„Ist sie nicht.“ Ryan biss die Zähne zusammen und vergrub die Hände in den Taschen seiner Jeans. „Ich muss kurz noch was erledigen, treffen wir uns gleich am Auto?“
„Sicher Ryan...“ Rick sah ihn kurz an und schlenderte dann Richtung Haustüre, während Ryan ihm nachsah und dann zurück zur Küche ging. Durch den Seitenausgang verließ er leise und schnell das Haus und konnte sich mehr oder weniger im Schatten aufhalten, so das er kaum gesehen wurde. Nach wenigen Schritten erreichte er den kleinen Zaun, der Joan's Kräutergarten vom restlichen Garten abtrennte und dahinter lag sein Ziel … Doreen's Fenster. Leise trat er an das offene Fenster heran und sah, wie sie sich gerade auf das Bett warf, während sie mit ihrer Freundin telefonierte die noch vorbeikommen und die Nacht hier verbringen würde.
„...ach ich weiß auch nicht, er ist immer so … keine Ahnung ... ich weiß nicht warum.“
Vorsichtig legte Ryan das kleine Päckchen auf die Fensterbank und lächelte leicht. Er wusste das sie sich darüber freuen würde. Er zog sich leise und langsam zurück und seufzte lautlos auf.
...du bist ein Idiot Ryan und quälst dich selbst...
„...nein, aber Rick ist sooo süß und lächelt immer so niedlich. Es ist so schade, dass die beiden nur noch so selten hier sind, ich vermisse sie und heute...“ Doreen brach ab und hörte kurz zu, bevor sie weitersprach.
„Ja, das stimmt … du hättest heute seine Augen sehen sollen. Sie waren sowas von schö-...“
Ryan ging mit langen Schritten weg und holte tief Luft, Doreen hatte sich in Rick verguckt? Gott...
Ryan zog langsam die Hand aus der Tasche und ließ das kleine Einhorn an der Kette vor seinem Gesicht baumeln. Einige Sonnenstrahlen trafen genau auf die Gravur und ließen sie in allen Farben aufblitzen. Es hatte damals ewig gedauert, bis er den Richtigen Graveur gefunden hatte, einer der diesen besonderen Schliff konnte. Und er war jeden Dollar wert. Wenn die Sonne auf die Schrift und das Herz fiel, blitze es in Tausenden Farben auf und sah aus wie mit unzähligen Diamanten besetzt. Ryan sah sich kurz das blitzten an und schloss die Augen. Er brauchte die Inschrift nicht zu lesen. Er wusste was da stand, es war damals die Wahrheit gewesen und war es immer noch, würde es immer sein. 'Always'