Du bist Aji.
Allyster und Arthrax haben beide die Steine bereits ergriffen, aber nicht aktiviert – Arthrax ist jedenfalls immer noch sichtbar und Allyster kann mit dem Blutjaspis ohnehin nichts tun. Die Visionen müssen sich für sie verändern. Dein Mentor scheint eher fasziniert davon, wie er das bewirken kann, denn er bewegt die Hand vor und zurück, um das auszutesten.
Arthrax dagegen hat seine Entscheidung offenbar gefällt. Er nähert sich dem Albino, bereit, die Steine auszuliefern.
Du streifst die Kette des Ametrin ab und folgst deinen Gefährten nach vorne. Es ist der einzige Weg. Dieser Kampf war von Anfang an zu hoch für euch! Ihr habt euch mit den Jenseitslanden angelegt und eine Weile hat es ja auch funktioniert. Doch jetzt, da eure Feinde von euch wissen, ist eure Mission unmöglich geworden. Ihr seid nur fünf Söldner – sechs, wenn ihr Karja mitzählt – keine Armee, die es eigentlich bräuchte.
An dem Kettenband, das den Stein hält, reichst du den Ametrin nach vorne. Der Albino lässt den Selenit los und streckt seine Hand aus, den Speer hält er allerdings wachsam umklammert.
Die Visionen verblassen. Falls ihr noch irgendeinen Beweis brauchtet, dass die Macht des Selenits nicht bloß auf Überzeugung basiert, so erhaltet ihr ihn jetzt. Denn obwohl der Stein nicht mehr aktiv auf euch wirken kann, glaubt ihr dem Albino noch immer.
Er wartet geduldig, aber angespannt, als rechne er mit Widerstand. Der ist auch durchaus im Bereich des Möglichen. Für eine Sekunde denkst du darüber nach, ihn anzuspringen, und das hat er sicherlich in der Vision irgendwo gesehen. Aber dann reichst du ihm den Stein, streckst die Finger und lässt die Kette los. Ein wenig trudelnd sinkt der Ametrin nach unten und du fühlst dich ein wenig kälter, als die vertraute Präsenz des Steines schwindet, eine Art warme Umarmung, die du erst jetzt wahrnimmst, da sie fehlt.
Allyster und Arthrax liefern ihre Steine ebenfalls aus und der Albino steckt sie in einen Beutel, den er an der Hüfte trägt.
„Folgt mir“, sagt er dann freundlich und schwimmt durch den Gang.
Gemeinsam mit Siwa lasst ihr euch durch die Schatzkammer nach draußen führen. Erst hier erwarten euch weitere Wachen: Der Albino hat die Verhandlungen ganz allein geführt. Und nach seiner Drohung über die Todesfalle, die das Lager darstellt, hat er dabei in mehr als einer Hinsicht sein Leben riskiert.
Die Wachen starren euch zum Teil missmutig oder wütend an, aber sie heben ihre Waffen nicht. Stattdessen nehmen sie euch in ihre Mitte und begleiten euch zurück in den Felsen, diesmal weiter oben als auf den Wegen, die ihr gekommen seid.
Die Graumeerer schwimmen langsam, sodass ihr mithalten könnt. Man könnte fast glauben, dass ihr diplomatische Reisende wärt. Ihr werdet nicht gefesselt – da ihr ihnen nicht gerade wegschwimmen könnt, brauchen eure Feinde solche Sicherheitsmaßnahmen vielleicht aber auch nicht.
Der Palast des Graumeers ist ebenso verwirrend wie das Labyrinth, nur sind die Gänge etwas größer und allesamt mit Quallenlampen ausgeleuchtet. Sie sind mit Mustern bemalt, die den Tattoos der Graumeerer gleichen, mit Muscheln und Schneckenhäusern geschmückt. Viele der Muscheln leuchten von sich aus blass, so schillernd, wie auch Siwas Tattoos ab und zu aufblitzen.
Mehr und mehr Graumeerer umgeben euch, als ihr die Halle erreicht. In einer Art senkrechtem Bett aus Seetang, das sich am Kopfende der Halle erhebt, schwimmt ein weiterer Graumeerer mit blondweißem Haar und dunkelbrauner Haut, geschmückt mit Bronze und Schmuck, unter dem du Einflüsse anderer Jenseitsvölker zu erkennen glaubst. Das muss der Herrscher des Graumeers sein, laut Siwa der Vorsitz eines Rats aus mehreren weisen Meermenschen.
Zu diesem Mann jedenfalls schwimmt der Albino, um ihm die Schöpfersteine zu überreichen.
„Diese Steine hatten euch erwählt?“, fragt der Herrscher euch.
Ihr tauscht einen unsicheren Blick – was sie mit euch vorhaben, wisst ihr noch immer nicht –, dann nickt ihr.
„Ich besaß den Ametrin“, erklärst du leise. „Arthrax war mit dem Ammoniten und dem Vesuvian verbunden.“
Der Herrscher lehnt sich zurück und nickt seinerseits, als hätte sich ein Verdacht bestätigt. Gemurmel geht durch die Graumeerer, die euch umschwimmen.
„Ihr versteht sicherlich, dass wir euch nicht mehr in die Nähe dieser Steine lassen können“, sagt der Herrscher. „Sie werden in ihre jeweiligen Länder zurückgebracht, um das Bündnis zu erneuern. Für die nächste Zeit müssen wir euch hier festhalten. Es wird eine Zelle an Land geschaffen, wo ihr nicht Sorge tragen müsst, dass eure Pikuns auslaufen. Sobald eure Verbündeten gefangen sind, bringen wir sie her. Und sobald wir sicher sind, dass ihr unsere Pläne nicht mehr durchkreuzen könnt, seid ihr frei.“
„Frei“, murmelt Allyster. „Ihr werdet uns nicht töten?“
Der Graumeerer lächelt. „Ihr habt mein Wort, Kalynorer. Wir sind keine Menschen, wir halten es. Es soll euch an nichts mangeln, solange ihr im Graumeer seid. Ihr werdet sogar vor den Angehörigen jener abgeschirmt, deren Tod ihr verursacht habt. Wir haben normalerweise keine Gefangenen der Festländer hier, doch wir werden alles vorbereiten.“
Allyster sieht zu euch. Das Verhalten der Graumeerer erstaunt euch alle. Oft kann man als gefangener Söldner nur noch hoffen, dass die Folter nicht zu lang andauern wird. Aber die Meermenschen scheinen euch nicht zu grollen, sie wollen nur sicherstellen, dass Kalynor von eurer Seite keine Hilfe mehr erfährt.
„Ihr seid besondere Wesen“, erklärt der Herrscher, als würde er eure Gedanken erraten. „Es geschieht nicht oft, dass die Schöpfersteine jemanden erwählen. Deshalb würden wir niemals jemanden töten, der mit ihnen verbunden ist. Vielleicht werdet ihr euch auch daran erinnern, dass ihr Söldner seid. Ich mache keinen Hehl daraus, ich hoffe, dass das Leben eurer Gefährtin mehr wert ist als das Gold aus Kalynor, dass ihr euch entscheidet, die Macht der Schöpfersteine zu unseren Gunsten zu schwingen. Doch diese Entscheidung könnt ihr treffen, wenn jene Brenna sicher bei euch angekommen ist.“
Ein faires Angebot. Unsicher siehst du zu Arthrax und Allyster. Ob ihr darüber nachdenken solltet?
„Herr?“, fragt Siwa Ekana mit einem Räuspern. „Was ist mit mir?“
Der dunkelhäutige Graumeerer wendet den Blick auf euren Kapitän. „Du bist ein bekannter Schmuggler und Dieb – und nun auch noch ein Landesverräter! Darüber kann ich nicht ohne Weiteres hinwegsehen. Du kennst unsere Gesetze: Eine Nacht draußen auf der See, oder Jahre im Gefängnis. Deine Wahl.“
Siwa schluckt schwer. „Das Gefängnis. Bitte.“
Der Herrscher neigt bestätigend den Kopf. „Ich empfehle dir, dich dort zu benehmen, dann können wir über eine Strafminderung sprechen. Ich denke, wir gehen von drei statt sechs Jahren aus, dafür wirst du außerhalb deines geliebten Meeres eingesperrt: Mit den Kalynorern!“
Siwa atmet nicht nur auf, es huscht sogar ein kleines Lächeln über seine Lippen. Je nachdem, wie lange ihr selbst hier festgehalten werdet, wird er also nicht einsam sein.
„Nun, da alles entschieden ist, würde ich euch vier bitten, eure Wachen zu begleiten, ohne Widerstand zu leisten. Ich danke euch für eure Kooperation, Kalynorer. Möge diese Weisheit eure Entscheidungen weiterhin begleiten.“
Ihr werdet abgeführt. Ein Schwadron aus Wachen bringt euch zur Oberfläche. Dort wurde eine der Hütten in der Zwischenzeit als Gefängnis umfunktioniert, mit Gittern vor den Fenstern und einem Schloss an der Tür. Tagein, tagaus stehen Wachen herum, doch einige von diesen sind ganz witzig. Da ihr euch in euer Schicksal fügt, ist es gar nicht so übel und ihr schließt einige Freundschaften. Arthrax versucht ein paar Mal, zu fliehen, weshalb er schließlich in Ketten gelegt wird. Aber auch das hört auf, als Brenna, Elred und Karja zu euch gebracht wurden. Durch Tipps der Graumeerer, die eure Informationen und die Visionen des Selenits nutzten, konnten die Zwerge sie gefangennehmen. Das lief wohl weniger glimpflich ab als bei euch. Karja wurde der Arm gebrochen und Elred wurde wirklich übel von den Zwergen zusammengeschlagen. Im Graumeer werden sie nun versorgt und können heilen.
Nachrichten aus Kalynor erhaltet ihr nur noch selten. Irgendwann jedoch öffnen die Wachen die Türen für euch und Siwa. Kalynor wurde bezwungen. Das Land, das ihr einst eure Heimat nanntet, wird nun unter den Jenseitsvölkern aufgeteilt, der Krieg ist vorbei.
Ihr habt keinen Ort, an den ihr zurückkehren könnt. Da Karja in der Sturmsee ebenfalls als Verräterin gilt, bleibt ihr zunächst im Graumeer.
Es dauert nicht lange, bis sich die Jenseitslande untereinander zerstreiten. Das Bündnis der Schöpfersteine zerbricht. Und eines Tages, als ihr in der Taverne am Strand sitzt und euch bemüht, die aufziehenden Gespenster der Dunkelheit zu ignorieren, kommt der Herrscher des Graumeers zu euch.
Er hat ein Angebot für euch, so riskant wie lohnenswert: Ihr sollt die anderen Schöpfersteine stehlen und ins Graumeer bringen, damit die Meermenschen den aufziehenden Krieg überstehen …
Ein Ende
Herzlichen Glückwunsch!
Dies ist zwar kein Canonende, aber ein
möglicher Abschluss der Geschichte.
Eigentlich geht es jedoch noch weiter.
Du musst dich nur entscheiden,
Brennas Leben zu opfern …