Du bist Allyster der Sehende.
„Wir müssen zum Labyrinth“, sagst du entschieden. Du kannst nicht erklären, wieso, aber du bist dir deiner Sache sicher. Ohne Zögern schwimmst du zurück Richtung Schatzkammer.
„Meister?“, ruft Aji dir nach. Deine Gefährten bleiben unsicher an Ort und Stelle.
Du wendest dich ihnen wieder zu. „Wir haben nicht viel Zeit, richtig? Also müsst ihr mir vertrauen. Mir … und dem Selenit.“
Der Stein hat dich erwählt. Er ist ein Verbündeter. Die anderen tragen doch auch Schöpfersteine, sie müssen es genauso spüren wie du! Doch Aji und Arthrax wirken unsicher. Eher widerstrebend beschließen sie endlich, dir zu folgen. Siwa Ekana wartet ihre Entscheidung ab und schließt sich euch dann an.
Der Graumeerer setzt sich an eure Spitze und erlaubt euch, seine Beine zu umfassen, damit er euch schneller durch die Tunnel ziehen kann. Arthrax hat eine Hand am Ammoniten. Du hältst mit der freien Hand Aji fest.
Kapitän Ekana bringt euch sicher wieder zur Schatzkammer und schwimmt dann nach unten. Noch halten die Filter eurer Pikuns, doch die Sorge, dass sich das bald ändern könnte, lässt sich nicht abschütteln.
Die Seeschlange ist längst wieder in die Tiefen abgetaucht. Trotzdem haltet ihr euch nicht lange auf, als ihr den Eingang in das Tunnelsystem erreicht habt, sondern taucht in das sichere Zwielicht.
„Einen Teil der Wege kenne ich“, murmelt Ekana. „Aber dann wird es schwierig.“
Du musst jedoch mit einem Mal Grinsen. „Keineswegs!“
Deine Gefährten sehen dich verwirrt an. Von der neuen Entdeckung berauscht deutest du fröhlich auf die Tunneldecke. „Wir folgen einfach der Spur!“
Dort, am Stein über euch, haben sich kleine Luftblasen gebildet. Die Bläschen, die aus euren Pikuns steigen, hängen noch immer in Ritzen und Kuhlen im Stein. Sie bilden eine durchgängige Spur, der ihr folgen könnt. Zwar ist es so dunkel, dass ihr nichts erkennen könnt, doch Ekana kann die Spur sehen. Ab und zu stockt er, während er euch durch die Dunkelheit führt, was dich dann doch nervös macht. Doch in diesen Fällen sind die Luftblasen meist einfach durch einen Tunnel aufgestiegen, der oben an euren Weg anschließt. In den vielen Kurven und Bögen des Ganges reißt die Spur manchmal ab, doch Kapitän Ekana findet sie jedes Mal wieder.
Schließlich seht ihr Licht vor euch. Ekana schwimmt etwas schneller und ihr kommt an der Seite des ausgehöhlten Berges heraus.
Erleichtert haltet ihr im Tunnelausgang und seht hinauf. Dort herrscht nun mehr Bewegung als zuvor. Viele Graumeerer kommen aus den Tiefen der weiten See zurück. Einige tragen Bündel auf dem Rücken: Säcke unbestimmbaren Inhalts, zusammengeschnürten Tang oder ähnliches. Wie Bauern, die ihre Ernte zum Lager bringen. Er ist faszinierend, wie sehr das Leben unter Wasser dem über den Wellen gleicht. Doch du siehst auch verdächtig viele Wachen.
„Der Diebstahl wurde bemerkt“, erkennt Ekana mit besorgt gerunzelter Stirn. „Sie sind in höchster Alarmbereitschaft!“
„Gar kein Problem“, meint Arthrax. „Mit dem Ammoniten werden sie uns nicht sehen können.“
„Aber sie könnten die Bewegungen spüren, die wir im Wasser erzeugen“, meint der Graumeerer. „Seht doch mal: Sie haben das Netz ausgebreitet.“
Du versuchst, seiner Geste zu folgen. „Was für ein Netz?“
„Oh, ich sehe es!“, ruft Aji aufgeregt. „Da, manchmal sieht man es blitzen!“
Du siehst noch angestrengter hin, und erkennst es schließlich auch: Ein sehr feines Netz treibt auf mehreren Ebenen vor der Stadt. Die Seile selbst sind kaum sichtbar, aber du erkennst dunklere Gegenstände dazwischen.
„Glocken“, erklärt Ekana, als du ihn danach fragst. „Die klingeln, wenn sie von Wellen bewegt werden. Eigentlich nutzen wir sie, wenn wir Haiüberfälle fürchten müssen. Während der Fischschlachtung oder wenn die großen Schwärme vorbeiziehen, dann sind Haie manchmal sehr aggressiv. Diese Netze bemerken sie nicht und sie können leicht durch die großen Maschen schwimmen, aber wir hören die Glocken als Warnung. In unserem Fall wird das Netz uns trotz der Unsichtbarkeit verraten – sie wussten, welchen Stein ihr in eurem Besitz habt.“
„Deshalb haben sie wohl alle Toten aus der Stadt geschafft“, murmelt Aji leise. „Es gibt nicht mal einen Friedhof oder so! Und irgendwer stirbt doch immer. Wenigstens tote Tiere hätte es geben müssen.“
Du ignorierst ihn und siehst wieder nach draußen. Das Netz ist noch dabei, sich zu entfalten, während Wachen die ankommenden Graumeerer kontrollieren. Wenn ihr schnell seid, könnt ihr in diesem Gedränge vorbeischlüpfen … Aber dann habt ihr nur noch wenig Zeit, vielleicht zwei Minuten. Ihr werdet wirklich schnell sein müssen.
Die Alternative besteht daraus, dass ihr euch langsam durch die Maschen bewegt, euch womöglich gar treiben lasst, in der Hoffnung, dass der Alarm nicht auf euch anspringt. Unsichtbar, sodass sie euch auch nicht sehen können. Und hoffen, dass eure Pikuns reichen und ihr still genug seid.
Wieder blitzt ein Teil der Vision vor deinem Inneren Auge auf: Ihr vier, wie ihr nach oben schwimmt. Du runzelst die Stirn. Was will dir der Selenit sagen?
Du entscheidest dich …
- … durchzubrechen. Lies weiter in Kapitel 33.
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- … durchzuschleichen. Lies weiter in Kapitel 34.