Samstags kommt die Post um elf. Ein Brief vom Verlag, einer von Leila und einer von Traudl. Dann noch einer von einer Firma IGDuM in Radolfzell. Welchen mache ich zuerst auf? Den vom Verlag. Es waren zwei Schecks und ein Dank für geleistete Arbeit sowie die Annahmebestätigung für die Bilder von Kim drin. Der eine Scheck war für mich: die Arbeit mit Irena, Jutta, Sören und Kim. 5200 Mark. Das waren zweihundert Mark zu viel. Der andere war für Kim. 2800 Mark. Die Negative solle ich mit den nächsten Bildern nachsenden. Dann stand da noch, die kleine Geschichte dazu wurde mit 200 Mark honoriert. Daher! Das reicht mir. Ich werde Kim den ganzen Scheck schicken. Ich stellte mir lachend vor, wie sie vor Freude herumhüpft.
„Und was ist so lachhaft?“, wollte Renate wissen, die gerade zu Tür rein kam. Ich hielt ihr den Brief hin. Sie las.
„Das kann ich mir vorstellen. Ich freue mich für Kim. Da hat sie ja noch ein gutes Taschengeld, wenn sie heimfährt. Den Brief werde ich gleich beantworten, dann kannst du ihn Montag wieder mitschicken. Ich mache dir eine Notiz, dass du die Negative nicht vergisst. Willst du Kim per Hand schreiben oder soll ich ...“
„Danke, meine liebste Sekretärin, das mache ich schon.“
Dann öffnete ich den Brief von Leila. Sie schilderte mir ebenfalls die Party im maurischen Hof, in den glühendsten Farben. Grüße von Mutti und Vati, Peter sei ein wahrer Schatz. Er sei inzwischen mehr als nur ein Ersatz für mich, den Bruder, geworden. Der Brief endete mit einem Lippenabdruck. Das war wohl ein Kuss. Ich küsste den Abdruck und gab den Brief ebenfalls an Renate. Sie lachte sich fast kugelig über die Schilderung des Zwergenauftritts - aus der Sicht von Leila. Es klärte auch die Sache mit den 101 Rosen auf. Hundert sind für die Familie. Sie werden in Demut und Dankbarkeit überreicht, um irgendeinen Dienst zu vergelten. Eine bekommt die Person, die das Geschenk als Symbol der Ehre, für die Familie annimmt.
Nun öffnete ich den Brief von Traudl. Es war eine zarte Liebeserklärung mit dem Hinweis auf den nächsten Sommer, voller Andeutungen. Ein paar verschlungene Herzen waren an passenden Stellen gemalt. Die Bestellliste der Fotos vom Sommerfest lag dabei. Nach Nummern geordnet, wie die Maschine sie halt ausgibt. Ich war verblüfft. Traudl hatte 2414 Fotos errechnet. Viele der Bestellungen waren für Bilder der Hulagirls. Darunter stand noch, ich möge bitte meine Kontonummer angeben, damit sie das Geld überweisen könne. Sie hätte um Vorkasse gebeten. Auch dieser Brief ging an Renate.
Den Liebesbrief gab sie mir nach lesen der ersten Zeilen zurück. „Nein, das ist sicher sehr privat. Ich würde es auch nicht wollen, dass ein Liebesbrief von mir in andere Hände gerät.“
Dann kam der Brief dieser Firma IGDuM dran. Er stammte von einem Herrn Wollweber. Ich las, dann richtete ich mich steil auf: „Ach du dicke Scheiße“, entfuhr es mir. Ich gab ihn Renate. Sie las den Inhalt laut vor:
„... möchte ich mich zuerst vorstellen. Ich vertrete eine neu gegründete Firma, deren einziger Zweck es ist, Gemeinschaftswerbung für die Produkte ihrer Mitglieder zu machen, ein Zusammenschluss von derzeit 29 Firmen, die hauptsächlich Reizwäsche (Dessous), Strümpfe und Mieder herstellen. Dazu gehören auch Badeanzüge, Bikinis, Sommertops und Nachtbekleidung. Es steht mir ein gewisser Etat zur Verfügung, über den ich, nach Rücksprache mit dem Konsortium, frei verfügen kann. Lassen sie es mich bitte kurz machen:
Ich bin seit zwei Monaten auf der Suche nach einem Fotografen der Bilder nach unserem Geschmack macht. Die Bilder vom Sommerfest in Bodman, die sie freundlicherweise direkt an Hedi Jeck gesandt haben, sind hervorragend gelungen. Wir würden gerne je 200 Bilder 13 x 18 cm, hochglänzend, von unseren Modellen, Bilder Nummer ... mit vollem Nutzungsrecht für das deutschsprachige Gebiet, für eine Pressekampagne bestellen. Wir denken dabei an einen Preis von unter drei Mark/Stück.“
„Warte mal“, rechnete Renate. „Das sind … 5400 Bilder. Bei, sagen wir mal 2.75 sind das knapp 15.000 Mark. Wow.“
„Das kommt hin“, bestätigte ich.
„Dein Rohgewinn dürfte bei der Hälfte liegen, wie ich deine Kalkulation kenne - ich glaube ich spinne.“ Ich holte tief Luft. Renate las weiter.
„... bieten wir ihnen an, monatlich etwa 100 Fotos zu machen, wovon das Konsortium die Besten für weitere Kampagnen aussuchen wird. Wir denken an eine Aufwandsentschädigung von 30 Mark pro Bild. Für die von uns ausgesuchten Bilder zahlen wir für die Nutzungsrechte 100 Mark. Dazu kommen natürlich die 200 Satz Kopien.“
In Renates Kopf tickte wieder die Rechenmaschine. „Wenn die 50 Bilder nehmen, dann sind das ja 6500 Mark“, errechnete sie.
„Und reichlich Geld für die Kopien“, stellte ich fest. „Weiter:
Werden die Fotomodelle von Ihnen gestellt, erhöht sich der Preis auf 60 bzw. 200 Mark. Die 30 Mark gelten natürlich auch für die Bilder von diesem Sommerfest in Bodman. Wir können ihnen natürlich gerne auch Modelle kostenfrei zur Verfügung stellen. Vielleicht rufen sie mich mal an. Am Telefon bespricht sich so manches sehr viel einfacher.
Mit freundlichen Grüßen erhoffen wir ihre positive Zusage.
Ppa. Willi Wollweber.“
Renate ließ sich auf einen Sessel fallen. „Scheiße, kann ich da auch nur sagen. Dein Glück möchte ich haben - die Arbeit nicht.“
„Ja, das fürchte ich auch. Ich rechne schon die ganze Zeit. Montag bis Freitag ist voll. Rappelvoll. Die Schule macht zwar noch keinen Stress, aber der kommt - so sicher wie das Amen in der Kirche. Ich könnte nach dem Originalplan nur noch am Samstag, und da höchstens zwei Stunden, einplanen. Das geht natürlich von unserer Freizeit ab aber man kann halt nicht alles haben.“
„Wir sprechen später darüber, das Essen ist bald fertig. Der Braten in der Röhre braucht noch 15 Minuten. Kommst du gleich mit?“, entgegnete Renate.
„Ich ruf schnell noch in Radolfzell an. Dann komme ich runter. Frage bitte Pop nach nem Trollinger. Von dem Brief sag aber bitte noch nichts.“
***
Herr Wollweber war in seinem Büro. Er war offensichtlich erfreut über meinen Anruf. Noch mehr als ich ihm sagte, wir würden sein Angebot ernsthaft in Erwägung ziehen und die Bilder würde ich ihm für 2.75 Mark verkaufen. Dann kam der Hammer: Er sagte, in seinem Büro ständen drei riesige Kisten mit einer Auswahl des Sortimentes aller beteiligten Firmen. Er würde sie mir gerne schicken, wenn ich den Auftrag annehme. Alle Ware, die kein Preisschild hat, könne dem Fotomodell, das sie zum Fotografieren trägt, überlassen werden. Die Ware mit Preisschild sei um 75% reduziert und könne ebenfalls nach dem Fotografieren zu diesem Preis abgegeben werden. „Ach ja“, sagte er dann noch, für 2.75 Mark solle ich die Bilder doch schnellstmöglich machen. Dann bedankte er sich für den Anruf und ich legte auf.
Ich holte Mom in ihrem Arbeitszimmer ab und schob sie ins Esszimmer, Renate brachte das Essen. Eine würzige Flädlesuppe zuerst. Pop schmatzte. Es folgte ein wundervoller Kalbsrollbraten. Außen knusprig, innen zart. Dazu die feinen Gemüse, die ich am Morgen besorgt hatte. Die Schupfnudeln, als Sattmacher, waren Klasse. Auch der Trollinger von Pop schmeckte hervorragend dazu. Als Nachtisch gab es Grießschnitten mit dicken Zibeben (schwäbisch: Rosinen) drin und Zimtzucker drauf.
Ich war genudelt (schwäbisch: vollgegessen). Pop kratze die letzten Reste zusammen und knurrte: „Wenn mein Sohn mit am Tisch sitzt, stehe ich wie immer hungrig auf.“
„War es zu wenig?“, erschrak Renate.
„Es war eher zu viel des Guten. Pop tut einfach verfressen. Er bekäme keine einzige Schnitte mehr rein“, beruhigte sie Mom.
„Dein Braten war auf jeden Fall ein Gedicht. Es ist mein Pech, dass ich erstens schon verheiratet bin und zweitens meinen Sohn nicht unnötig reizen will, sonst würde ich doch glatt um deine Hand anhalten“, lachte Pop.
Renate wurde puterrot, schnappe sich einen Teil des Geschirrs und verschwand in die Küche. Ich brachte den Rest nach.
„Ihr Oktobermänner seid völlig schamlose Schmeichler.“
„Gib ihm einfach einen Kuss, womöglich auf den Mund und du wirst sehen, wie er rot anläuft und Mom sich deswegen fast totlacht.“
„Mach ich glatt.“ Und sie machte. Jetzt bekam Pop einen roten Kopf und Mom lachte hell auf. Dann spendierte Pop uns einen Cognac.
Ich sauste hoch und holte meine Post. Den Brief von Leila gab ich Mom. Erst zögerte ich, dann den Brief von Traudl ebenfalls. „Der ist nur für Beatrix Mai, zu Studienzwecken.“ Mom nickte. Auch Renate nickte.
Die restliche Post gab ich Pop. Er las sie sehr aufmerksam, dazu schenkte er sich noch einen Cognac ein, nach kurzem Zögern uns auch. „Mein lieber Herr Gesangsverein. Du verdienst mehr Geld als ich. Wenn du jetzt auch noch für diese IGDuM arbeiten willst, was macht da deine Zeitplanung? Du weißt, die Schule geht auf jeden Fall vor! Das haben wir vereinbart und ich möchte da keinen Deut davon abrücken. Das gilt auch für deine Hilfen.“
„Wir haben es uns genau ausgerechnet“, erklärte Renate. „Montags kopiert Paul, nach den Hausaufgaben, die Bilder. Da kann es halt auch mal später werden, wir sind ja am Montag nicht da. Dienstag bis Donnerstag ist Lernen angesagt. Liebe gibt es nur, wenn das Lernen erfolgreich war. Freitag fallen normalerweise keine Hausaufgaben an. Bei Klassenarbeiten am Montag wird halt am Sonntagmorgen gelernt.
Freitagnachmittag gibt es drei Stunden für den Verlag, falls Aufträge vorliegen. Wir denken, am Samstag könnten wir für Herrn Wollweber zwei Stunden reservieren. Lis und ich werden kräftig mithelfen. Wir müssen unser Taschengeld ja auch verdienen. Wenn in der Schule etwas quer läuft, dann fallen eben eine oder beide Sitzungen aus. Paul sagt es macht ihm Spaß Fotos zu machen. Mir macht der Schreibkram Spaß. Ich werde bei Mom, ich darf doch so sagen, gell?“ Mom nickte. „Meine volle Zeit abarbeiten. Mein Schulstress ist nicht ganz so schlimm, ich arbeite nur auf eine Zwei im Abschluss hin. Ich beweise mich lieber in meiner Arbeit. Wenn sie Spaß macht, dann geht sie mir leicht von der Hand“, referierte Renate sehr ernsthaft und wohlüberlegt.
„Ihr seid eine Saubande. Aber ihr habt recht. Sein Vergnügen verdient man nur mit Fleiß und Arbeit. Nur was ehrlich verdient ist, kann man in Ruhe genießen. Ihr könnt zusagen. Haltet euch aber einen Rücktritt offen. Du Renate, schreibst wohl den Brief, lass ihn mich bitte sehen. Ich gehöre halt zu eurem Verein bis Paul erst einmal volljährig ist.“
„Das ist selbstverständlich. Brauchen sie eine Kopie?“
„Nö. Sag übrigens auch Pop, wenn du magst. Den Papierkram tue ich mir nicht an. Von dem kleinen Gewinn könnt ihr in Wien ja richtig prassen. Ich habe übrigens doch noch Karten für die Galavorstellung zu Sylvester, in der Oper, bekommen.“
Renate sauste, anders kann ich es nicht beschreiben, zu ihm hin. Er wurde abgeküsst und gedrückt. „Für die Idee mit Wien muss ich mich ja überhaupt noch bedanken. Paul hat es mir gestern gesagt, als ich ein wenig traurig war, wegen seiner Reise in den Herbstferien. Da hätte ich ihn eigentlich für mich haben wollen. Ich gönne natürlich Lis die Reise nach Teheran von ganzem Herzen. Jetzt, mit Wien, sogar noch viel mehr.“
Pop rückte sich die Krawatte wieder zurecht und lachte schmetternd los. Dann meinte er, auf Mom zeigend: „Es war eigentlich ihre Idee.“
Man kann es sich vorstellen, Renate flitzte zu ihr. Mom schreckte hoch, dann lächelte sie und ließ sich gerne beschmusen.
Danach ging Renate nach oben, wir hatten jetzt eine eigene Schreibmaschine. Sie schrieb das Angebot, zeigte es Pop, der zeichnete es ab, ich unterschrieb. Ein großer Schritt war getan. Ein bisschen schwindelig war mir aber schon. Wenn ich alle 14 Tage nur jeweils 50 Bilder für diese IGDuM mache, dann waren das 30000 Mark. Das ist eine Menge Geld - nicht nur für einen Schüler …
Mom holte mich in die Wirklichkeit zurück: „Der Brief von Traudl ist ja ganz reizend. Bei der hast du, mein lieber Paul, ja schweren Eindruck hinterlassen. Behandle sie so gut wie Lis, und sie wird dir ein Leben lang eine gute Freundin sein. Die Schilderung von Leila aber, die ist ja einfach göttlich. Das mit den 101 Rosen war mir unbekannt. Kannst du mir eine Kopie des Briefes machen lassen? Ich könnte ihn noch einhundert einmal lesen. Sie ist ein sehr liebes Geschöpf. Ich würde sie gerne kennenlernen.“
„Wenn ihr nichts dagegen habt, lade ich Leila, Traudl und Peter in den Osterferien nach Stuttgart ein. Leila soll halt bei Lis schlafen, um erst gar keine Probleme zu schaffen. Kristin schicke ich mit ihrem Axel in ein Hotel, wenn sie nicht sowieso wegfahren. Peter und Traudl schlafen im Gästezimmer. Es sind ja Geschwister.“
Mein Vorschlag wurde akzeptiert. Lis konnte ich deswegen noch nicht fragen, das werde ich in den nächsten Tag tun.
Renate stand auf. „Es waren bemerkenswerte 24 Stunden. Ich werde noch schnell die Küche fertigmachen, dann geht es nach Hause. Ich komme dann erst wieder am Dienstag. Morgen muss ich mit meiner Familie los.“
„Kann ich dir helfen?“, bot ich ihr an.
„Geschirr kann ich auch alleine kaputtmachen. Bleibe du bei Mom und Pop.“ Sie ging lachend in der Küche.
„Da hast du ja einen richtigen Schatz aufgetrieben, mein Sohn. Schade, dass sich eure Wege wieder trennen werden“, seufzte Mom. „Das Leben als junges Liebespaar ist halt schwer und voller Fallen. Ihr erlebt grade die erste wirkliche Liebe und sie ist auch noch so kompliziert, weil Lis da hineinspielt - und ihren Teil verlangt. Mit vollem Recht. Ich denke aber, diese Zeit werdet ihr wohl nie vergessen und, da bin ich ganz sicher, Renate wird ihren Zukünftigen oft betrügen, wenn sie mit ihren Gedanken bei dir ist. Behandle deine beiden Frauen gleich liebevoll. Bevorzuge keine und ihr werdet eure Liebe genießen. Wie gerne wäre ich in deiner Situation.“
***
Renate war kaum weg, da klingelte Lis, mit einer Tasche in der Hand. Ich ging mit ihr zu Mom und Pop. Wir plauderten ein Weilchen, bevor wir zu mir in die Wohnung gingen. Oben erzählte ich ihr von gestern, meinem Auftritt Familie Schäfer. Ich ahnte, dass sie das besonders interessieren würde.
„Es gibt jetzt nur noch ein Problem: Mama und Papa müssten es eigentlich auch wissen, oder was meinst du? Das wird sie auch beruhigen von wegen - du weißt schon, unser Versprechen. Ich glaube zwar, die beiden vertrauen uns, sonst hätte Papa nie zugelassen, dass ich bei dir übernachten darf.“
„Da hast du recht. Das ist die letzte Lücke. Ich glaube, da brauchen wir noch einmal den erfahrenen Rat von Mom. Das reicht aber sicher auch noch nächste Woche.“
Lis küsste mich überschwänglich, dann fragte sie: „Kann ich heute Nacht bleiben? Ich habe es zu Hause gesagt.“
Daher also die Tasche, dachte ich. „Natürlich kannst du. Ich sage später unten Bescheid. Schon wegen des Abendessens.“
„Das wollte ich eigentlich machen. Mama hat mich eingewiesen. Ich habe auch geübt, ein Frühstück zuzubereiten. Ich habe nämlich nachgedacht. Du machst zuerst deinen Meister. Papa sagte, du musst dann noch die Welt sehen. Das sehe ich ein und finde es vernünftig. Ich gebe dir ein Jahr. Da kannst du dir auch gleich die Hörner abstoßen. Dann, denke ich, können wir heiraten und Kinder bekommen. Drei mindestens. Du wirst keinen Grund mehr haben, fremd zu gehen. Sollte es bei deinem Beruf doch mal passieren, ist es kein Beinbruch, wenn du es mir gestehst. Soweit reicht meine Liebe allemal. Bisher sind wir mit Ehrlichkeit gut gefahren. In unserer Ehe soll sie das Leitmotiv sein. Nun sag schon was!“ Sie zog sich in ihre Couchecke zurück.
„Das war ja eine echte Ansprache und ich bin sprachlos. Hast du das alles auch mit Papa besprochen? Und was meint er dazu?“
„Er hat mich mal wieder ganz fest geknuddelt.“
„Ich sag dir was, ich werde es beim Kaffee unten verkünden und, um die Sache rund zu machen, sage ich es auch deinem Papa, dass wir uns an deinem Geburtstag verloben möchten. Siebzehn ist zwar noch ein wenig früh, dann braucht er sich auch keine großen Gedanken mehr wegen dem - du weißt schon, machen. Ich denke der Fairness wegen, solltest du aber Renate anrufen und es ihr sagen. Eure Vereinbarung ist zwar klar aber, das habe ich in den letzten Stunden erkannt, nur Ehrlichkeit schafft Vertrauen.“
Lis sagte nichts, sondern ging zum Telefon. Ich ging raus. Ich musste sowieso von dem Wein, zum Mittagessen, etwas loswerden. Als ich zurückkam, legte sie gerade auf.
„Renate hat mir zu meinem Entschluss gratuliert. Sie gab mir liebe Grüße an dich und - es sei mit Abstand die beste Idee überhaupt. Dass sie mir allerdings zweimal Zwillinge wünschte, fand ich etwas merkwürdig. Ich glaub, sie hat es aber nur gut gemeint.“
Nun fiel mir Lis um den Hals. Ihre Gefühle quollen über und ich musste sie trösten, ihr vielmehr gut zureden. Was tut man nicht alles für seine Liebste.
***
Um vier gingen wir runter. Pop kam mit Mom auch gerade aus deren Zimmer. Die beiden hatten wohl ihre Mittagspause zusammen verbracht. Ich sagte, dass Lis über Nacht bliebe und ich jetzt den Kaffeetisch decken würde, Renate hätte einen Gugelhupf gebacken. Meine Eltern waren natürlich einverstanden. Wegen des Gugelhupfs besonders, der ist Renates Spezialität.
„Wir haben uns heute entschlossen uns am siebzehnten Geburtstag von Lis zu verloben“, verkündigte ich völlig harmlos. Lis saß mit hochrotem Kopf da. Mom setzte ein Lächeln auf.
Pop lachte. „Mein Junge, du willst wohl dieses Wochenende voll klar Schiff machen. Also ehrlich, ich habe es schon gesagt, Renate wäre mir lieber.“ Lis zuckte zusammen. „Aber, dass daraus nichts wird, ist mir auch klar.“ Lis atmete auf. „Meine Zuneigung ging sowieso und hauptsächlich durch den Magen. Das Mädchen kann einfach gut kochen. Sonst bin ich natürlich mit eurer Verlobung einverstanden. Im September also. Irgendwie habe ich es auch erwartet. Du liebe Lis bist in unserer Familie herzlich willkommen. Ich glaube ihr werdet ein gutes Ehepaar. Ihr werdet euch noch ein bisschen die Hörner abstoßen müssen, dann spricht aber nichts gegen eine Heirat.“
„Alles Glück auf Erden für euch. Ich kann es kaum fassen, wie vernünftig und zielbewusst ihr euere Zukunft gestaltet“, sagte Mom. „Ich ahne, dass du, meine zukünftige Schwiegertochter, der treibende Kern bist. Du hast ja auch Renate ins Spiel gebracht. Mit ihr, als deiner Freundin, hast du alles im Griff, wie man so schön sagt. Paul kann Erfahrung sammeln, die Situation für dich ist durch die Vereinbarung aber klar - Paul ist für Renate halt nur der geliehene Mann.“
„Ich gebe es ja zu, es war genau so geplant. Aber sagen sie, hatte ich eine andere Chance? Dass alles plötzlich so schnell geht und auch noch so gut endet, damit hatte ich nicht gerechnet. Papa sagte früher einmal, ich sei ein kleines Biest. Er hat wohl recht. Aber nur was meine Zukunftspläne angeht. Ich bilde mir ein, den richtigen Mann gefunden zu haben. Ich wäre blöde, würde ich nicht alles versuchen ihn mir zu angeln und vor allem ihn festzuhalten. Das mit den Hörnern abstoßen hat Papa übrigens auch gesagt“, bestätigte Lis.
Pop ließ die Gläser im Schrank klirren und Mom lachte mit. „Ja, du wirst die richtige Frau für unseren Paul. Das gibt eine feurige Ehe, du hast Haare auf den Zähnen und lässt nichts anbrennen. Ich freue mich jetzt schon auf unsere Enkel. Wenn die alle Eigenschaften der Eltern erben, dann werden wir viel Freude auf unsere alten Tage hin haben. Ich werde sie als Oma aber hegen und pflegen, das verspreche ich dir. Sag übrigens bitte auch Pop und Mom zu uns, wie Renate es seit heute ebenfalls tut.“
Lis strahlte vor Freude. „Ich werde für diese nette Aufnahme auch kochen lernen. Ich muss es für meinen zukünftigen Mann ja sowieso und mache es auch gerne für meine zukünftigen Schwiegereltern.“
„Ich werde begeistert Versuchskarnickel sein“, grinste Pop.
***
Lis und ich gingen nach oben. Ich gab ihr die Briefe von Leila und Traudl. Über die Geschäftspost referierte ich nur. Den Brief von Traudl gab sie mir, wie Renate, gleich wieder zurück. „Es ehrt dich, mir den Brief zu zeigen. Er geht mich aber nichts an. Traudl ist halt in dich verknallt, dass das nichts Ernstes wird, das weiß sie selbst. Ich würde ihr an deiner Stelle einen ganz lieben Brief zurückschicken. Wenn er nett ist, würde ich mit ihm unterm Kopfkissen schlafen.“
Über den Brief von Leila lachte sie, wie Mom es getan hatte. Dann wollte sie mehr zu IGDuM wissen. Ich nannte ihr entsprechende Zahlen und den dazu gehörenden Aufwand.
„Fotograf zu sein scheint ja ein lukrativer Job. Wenn wir fleißig sind, sehe ich für unsere Ehe keine finanziellen Probleme. Da können wir uns notfalls auch die von Renate gewünschten Zwillinge leisten.“
Wir redeten noch ein ganzes Weilchen, über dies und das. Dann sagte Lis, sie wolle jetzt das Abendbrot richten. Sie denke an belegte Brote und Tee. Ich schlug ihr vor, doch Mom zu bitten, ihr einfach zuzuschauen und notfalls mit einem guten Ratschlag zu helfen.
Sie hatte alle ihre Liebe in die Dekoration der Brote gesteckt. Kleine Gürkchen, hauchfeine Zwiebelringe und Tomatenwürfelchen zierten die Wurst- und Schinkenbrote. Der Hartkäse war, wie das Brot auch, in Herzform geschnitten und als Überraschung gab es überbackenen Camembert mit Preiselbeeren.
Pop bekam große Augen, als er die Platte sah. „Du kannst ja auch kochen. Die kalte Platte ist auf alle Fälle schon mal gut gelungen“, lachte er.
Lis freute sich natürlich mächtig. Mom bestätigte, dass sie es alleine gemacht hat. Der Inhalt der Platte war reichlich, er wurde jedoch bis aufs letzte Stück verputzt. Dann machte Lis noch Mokka und rückte vom mitgebrachten Baklava raus. Daher also die Tasche. Pop konnte nicht umhin, uns einen Cognac einzuschenken. Um halb neun gingen wir hoch in meine Wohnung. Lis blätterte ein wenig in den Magazinen, dann fiel es ihr wieder ein.
„Du hast vorhin gesagt, dass du eine Kollektion von Wäsche von dieser IGDuM bekommst. Ist die nur zum Fotografieren oder - kann man davon was abhaben?“
„Ich habe das so verstanden, dass ich damit machen kann, was ich will. Hauptsache sie wird fotografiert. Die stellen sich wohl vor, dass ich sie meinen Opfern zur Verfügung stelle. Bisher kamen die ja in den eigenen Klamotten. Dieser Wollweber ist natürlich vor allem daran interessiert, dass die Wäsche der IGDuM gut ins Bild kommt. Da fällt mir ein, dem Verlag müssten solche Bilder doch auch gefallen - ich muss mal mit Wollweber darüber reden, was da möglich ist.“
„Mir ist da ne Idee gekommen“, meinte Lis sehr ernsthaft. „In der Schule werden, nach Rosa, einige sicher auf Fotos mit dir drängen. Was meinst du, könnten wir die dazu bringen, sich in schöner Wäsche deiner Kamera zu stellen? Aufreizend aber nicht pornografisch. Du kannst natürlich nur die Älteren fotografieren. Wenn sie das Geld von IGDuM bekommen sind sie bestimmt überglücklich. Wenn sie die Wäsche behalten können, noch mehr. Sie müssen sich nur darüber im Klaren sein, dass sie sich eines Tages womöglich an der Litfaßsäule wieder sehen.“
„Die Idee ist spitze. So was konnte natürlich mal wieder nur dir einfallen. Ich hätte da nie daran gedacht“, gestand ich.
„Was heißt eigentlich IGDuM?“, wollte sie noch wissen. Sie war die Erste, die es interessierte.
„Das habe ich Herrn Wollweber auch gefragt: Interessen GemeinschaftDessous und Mieder. Klingt ein wenig merkwürdig, doch was geht das uns an. Aber nun lass uns ins Bett gehen.“
„Ich wollte heute alleine ins Bad, kann ich?“
„Du Arme, hast du deine Tage?“
„Die kommen erst nächste Woche, keine Angst. Kann ich?“
„Klar, das ist eine dumme Frage. Wenn es auch schade ist. Ich sehe dir so gerne beim Ausziehen zu.“
„Das kannst du beim Anziehen auch noch.“
Sie kam mit einem Slip bekleidet zurück und ging in Schlafzimmer. Ich ging ihr nach. Sie kniete lächelnd auf dem Bett.
„Ich habe eine Überraschung für dich“, dann zog sie ganz langsam den Slip aus. Ich sah es sofort, sie hatte ihre Muschi kahl rasiert. Ich griff zur kleinen Kamera auf meinem Nachttisch und fotografierte.
„Sie sieht so ohne Haare ganz prächtig aus - ob du aber so bei den Naturisten Zugang hättest?“ Dann fiel es mir ein. „Doch, Leila haben sie ja auch rein gelassen in diesen Naturistenklub.“ Dann wurde wild geknutscht. Ich durfte mir ihr Prachtstück heute auch näher ansehen. Wir wurden langsam mutiger, die Verlobung rückte näher.
Um sieben Uhr weckte sie mich. „Wann habt ihr heute Frühstück?“
„Sonntags um halb neun, warum denn mein Häschen?“
„Ich habe mir von Renate sagen lassen, was die Familie Oktober zum Frühstück mag. Ich habe geübt, heute will ich ins kalte Wasser springen.“ Sie machte sich fertig und ging runter.
***
Der Kaffeeduft lockte Mom und Pop aus ihrem Schlafzimmer.
„Ist Renate auch da?“, war die erste Frage vom Mom.
„Nein, ich habe es alleine gewagt und Glück gehabt. Nichts ist angebrannt und nichts ist kaputt gegangen“, sagte Lis vergnügt.
Sie war sehr fleißig: Eier Benedikt, wundervolle selbst gebackene Brötchen und süße Stückchen. „Aus Fertigteig, sonst hätte die Zeit nicht gereicht“, gestand sie. Es gab auch frisch gepressten Orangensaft, Marmelade und Honig, zum Abschluss für jeden eine viertel Honigmelone mit Schinken, der mit frischem grünem Pfeffer bestreut war. Dass der Tisch liebevoll gedeckt war, konnte nicht sehr verwundern.
Mom und Pop waren sprachlos. Pop schmatzte heute schon beim Frühstück. Das gab es sonst nur beim Mittagessen. Lis wurde in den höchsten Tönen gelobt. Dass sie alles zu Hause geübt hatte, tat der Sache an sich keinen Abbruch.
„Liebe Lis, du hast dir meine Sprüche wohl sehr zu Herzen genommen. Bitte glaube mir, so waren sie aber gar nicht gemeint. Es ist jedoch sehr erfreulich, dass du mit demselben Ehrgeiz, mit dem du dein Leben gestaltest, auch an das Kochen gehst“, sagte Pop kauend.
Lis senkte ihr Gesicht, dass man die aufsteigende Röte nicht so sah und sagte: „Ich habe alle Zutaten mitgebracht und wollte zum Mittagessen, nach einem Rezept von Mama, etwas Persisches kochen. Ich habe auch diese Gerichte mit ihr geübt und nun will ich es wissen. Pop hat ja gesagt er sei gerne Versuchskaninchen. Darf ich?“
„Natürlich darfst du das. Wir sind sogar gespannt darauf. Paul hat schon viel davon gesprochen. Ob du mich wohl zusehen lässt? Nein, ich will dich nicht kontrollieren. Gott bewahre. Ich will es lernen. Immer nur schwäbische Küche wird auch langweilig“, ließ Mom verlauten.
***
Draußen regnete es. Wie meist Anfang September. Wir gingen hoch zu mir und werkelten im Studio rum. Gegen elf gingen wir duschen. Wir hatten uns in der Rumpelkammer etwas zugesaut. Wir trauten uns auch, erstmals, zusammen unter die Dusche. Ohne jegliche Weiterungen.
„Du schaust mich schon wieder so verlangend an, aber wir können leider nicht schmusen, ich muss jetzt in die Küche, arbeiten“, klagte Lis.
Das Mittagessen war eine Wucht. Die Suppe mit Hackfleisch war leicht säuerlich und schmeckte überraschend, aber sehr gut.
„Das ist Lammsuppe mit Zitrone“, erklärte Lis.
Pop zeigte echte Begeisterung.
Das Fleischgericht, eine Art Gulasch vom Lamm, war zart und toll gewürzt. Dazu gab es Bulgur. Der sieht ein wenig aus wie Reis, ist aber ganz grober Grieß. Als Nachtisch gab es eine Art Kuchen. Den kannte ich schon: Zwischen fünf Teigplatten waren Schichten von Nüssen und Rosinen. Das Ganze wird mit Honig und Rosenwasser getränkt. Dazu gab es Cannstatter Trollinger, den Lieblingswein von Pop. Er passte prima zu diesem Essen. Pop fraß. Ein gutes Zeichen. Mom erzählte voller Begeisterung, wie tüchtig Lis in der Küche gewirkt hätte.
Zum Tischgespräch fiel mir ein, dass Lis noch nichts von den Plänen mit den Konstanzern wusste. Ich erzählte es ihr.
„Das ist eine gute Idee. Auf Leila und Traudl freue ich mich. Es ist schön, die kennenzulernen, die dir am Herz liegen. Natürlich kann Leila bei mir schlafen. Papa und Mama werden einen Teufel tun dagegen zu sein. Sie gehört doch, als deine Schwester, zur Familie. Das mit Kristin regle ich. Papa soll sie einfach mit Alex in den Urlaub schicken. Da sie wie wahnsinnig hinter guten Noten her ist, wird ihr Zeugnis sicher auch gut. Ein Grund mehr für Papa, da etwas zu tun.“
***
Um fünf läutete das Telefon. Wir waren wieder oben, in meiner Wohnung; Mom war am Schreiben und Pop las Zeitung.
Lis stand gerade neben dem Telefon und ging dran. „Lis Bronner bei Paul Oktober. Ach du bist es Renate. Ja, es war ein voller Erfolg.“ Die Zwei quatschten. Ich hörte, ein Fass war gefunden, auch vom Reiten war die Rede, dann bekam ich den Hörer.
„Ich wollte eigentlich nur deine Stimme hören. Hat Lis mir denn noch ein bisschen Liebe von dir übrig gelassen?“
„Ja, sie hat so viel Liebe in sich, da kann sie den Teil meiner Liebe, der für dich reserviert ist leicht verschmerzen. Sie hat ja nächstes Jahr alle. Ja, du hast recht, fast alle, tief im Herzen wirst du wohl ewig bei mir bleiben.“ Ich hörte sie schlucken dann legte sie auf.
„Das hast du lieb gesagt“, freute sich Lis. „Liebe als Selbstzweck ist nicht gut. Ich hatte am Anfang ja so ein ganz klein wenig meine Zweifel gehabt, ob die Eifersucht nicht doch hoch kommt. Aber du bist zu uns beiden so lieb, du bevorzugst keine und hast sogar noch genug Charme, um auch zu andern Mädchen nett zu sein. Ich glaube es gibt einfach keinen Grund zur Eifersucht. Du wirst jeder von uns gerecht und bist für jede voll da. Fühlst du dich denn auch wohl in deiner Haut, mit deinen zwei Frauen?“
„Es ist irgendwie seltsam. Wenn wir zusammen sind, fühle ich mich wie in einer großen Familie, mit viel Liebe, wie ich es von zu Hause gewohnt bin. Bin ich alleine mit einer von euch, tritt die andere zurück und ich fühle die Schmetterlinge im Bauch für den Partner, der gerade da ist. Dann gehört ihr meine Liebe, ungeteilt. Die andere Geliebte hat sich in einen stillen Winkel meines Herzens zurückgezogen. Da ist sie natürlich noch, sie will aber nicht stören.“ Lis schlüpfte neben mich und weinte wieder einmal ein bisschen. Ich hielt sie fest im Arm, versuchte aber nicht sie zu trösten. Sie hatte es nicht nötig, sie war einfach glücklich - ahm - ich auch.
***
Nachdem Lis gegangen war und ich das Abendessen mit Mom und Pop hinter mich gebracht hatte, packte ich die Schultasche, dann sauste ich noch mal runter und holte mir bei Mom drei Blatt feinstes Büttenpapier. Ich schrieb Traudl einen ganz lieben Brief. Ich klebte auch eines meiner neuen Passfotos ein. Auf dem zweiten Blatt schrieb ich von der geplanten Verlobung und, dass Lis überhaupt nichts dagegen hätte, wenn wir im nächsten Sommerurlaub womöglich zusammen schmusen würden. Ich solle mir die Hörner abstoßen, um später treu zu sein. Dann schrieb ich noch eine förmliche Einladung für die Osterferien aus, für sie, Peter und Leila. Dass sie und Peter zusammen ein Zimmer hätten, bei mir auf der Etage, und Leila bei Lis übernachten würde. Zum Schluss erwähnte ich noch, dass wir in den Herbstferien nach Teheran fliegen würden. Dann unterschrieb ich mit dein Sommerfreund Paul.
Ich fügte noch einen Lieferschein hinzu, mit der Angabe des Bankkontos, rot unterstrichen. Danach las ich noch einmal alles durch und zeichnete auf dem Liebesbrief gut ein Dutzend Kussmünder.
***
In der großen Pause rief ich Onkel Franz an, er solle heute noch Papier für rund 20000 Fotos vom Großhändler beschaffen. Er war verblüfft, sagte es aber zu. Mein Geschäft boomte.
In der Schule gab es nicht Besonderes. Nach Schulschluss sagte mir Lis, sie hätte ein paar Mädchen überzeugt ihr Taschengeld aufzubessern, alle natürlich über Achtzehn, wie vom Verlag und von IGDuM verlangt. Um Ärger zu vermeiden, sollen sie aber die Erlaubnis von Zuhause erbitten und die Bilder dann erst den Eltern zeigen, bevor sie zu Willi und Mikel gingen. Den Mädchen war es wohl nicht so recht, aber mir. Pop fand es sogar ausgesprochen gut. Meine Lis scheint da mit Ideen recht kreativ zu sein.
Onkel Franz hatte das Papier besorgt. Er freute sich ein Loch in den Bauch, dass seine teure Anschaffung, der neue Kopierautomat, sich jetzt so richtig rentieren sollte. Er machte mir den Vorschlag, da ich neuerdings so viele Bilder hätte, ob wir uns nicht die Kosten für die Maschine einfach teilen wollten. Das Papier hatte er schon auf meine Rechnung besorgt. Er hatte auch an Entwickler und Fixierer gedacht, ich natürlich nicht. Ich erfuhr den Preis für die Maschine.
Dann begann die Sklavenarbeit: Kopieren. Es ist langweilig und stur. Nebenbei rechnete ich aus, nach einem Blick auf die Rechnung von Papier und Entwickler, was mich das Bild dann kostet, wenn ich pro Stunde 30 Mark Lohn rechne. Zimperlich wollte ich da nicht sein. Ich hatte nur noch wenig Freizeit, die wollte ich nur teuer verkaufen, vor allem da die Zeit ja nicht nur beim Kopieren hängen blieb. Da war ja noch das Sortieren, verpacken und wegschicken. Danach machte ich noch schnell das Paket für IGDuM und Traudl fertig. Dann ein Päckchen für die Bilder vom Freitag, Renate hatte die Lieferscheine bereits fertiggemacht. Das Nachtpostamt ist nicht weit. Das Kopieren ist ein harter Job. Ich kam erst um acht nach Hause und fiel nach dem Abendessen todmüde ins Bett.
***
Am Mittwoch standen, als ich heimkam, drei große Kisten von IGDuM im Flur. Ich rief Axel an. Er war daheim und kam sofort, um mir zu helfen. Bei Papa war er in der Schulzeit nur dienstags und donnerstags. Als ich ihm sagte, was in den Kisten drin war und was wir planten, meinte er gelassen, seine Kristin würde sich sicher auch gerne ein kleines Taschengeld verdienen.
„Du willst sie für Bilder in sexy Unterwäsche freigeben?“, fragte ich doch etwas überrascht.
„Wenn die Bilder nicht anstößig sind, warum nicht? Kristin hat eine tolle Figur und ist nicht prüde. Ob die Bilder ihrem Geschmack entsprechen, das muss sie natürlich selbst entscheiden. Im Übrigen kann es nur ihrem Ego gut tun, wenn ihre Bilder wirklich genommen werden.“ Mir war es recht, erste Versuche in der Familie zu machen. Da konnte ich noch ein wenig zusätzliche Erfahrung gewinnen, ohne dass es mit den Models zu sehr ins Geld ging.
Nachmittags läutete mehrmals das Telefon. Kundschaft für Freitag. Lis war baff, als ich ihr sagte, dass es Kristin mit der Erlaubnis von Axel wagen will, Modell zu stehen. „Ob sie das kann?“
„Natürlich, ich weiß nicht, ob die Bilder so werden, wie sie sollen, sie ist aber das ideale Opfer und es bleibt in der Familie.“
Wir packten gerade unsere Schulsachen zusammen, da läutete nochmals das Telefon. IGDuM war dran, Herr Wollweber. Es war ein sehr informatives Gespräch. Er bedankte sich zuerst für die prompte Lieferung und die gute Qualität. Man sähe, dass man bei Profis gelandet sei. Er wolle jetzt alle zwei Wochen eine Pressekampagne in Deutschland, Österreich und der Schweiz starten. Als ich ihm sagte, dass ich IGDuM am Samstag einschieben kann, er Abzüge dann am Dienstag, spätestens Mittwoch hätte, war er damit einverstanden. Am folgenden Freitag würde dann entschieden, welche der Bilder genommen werden, dass die je 200 Abzüge, dann am darauf folgenden Montag gemacht werden können. Er meinte noch, das seien ideale Voraussetzungen. Er würde es schriftlich fixieren und mir als Vertrag in die Post geben.
Ich wagte es einfach ihm vorzuschlagen, dass ich seine Wäsche gerne auch für andere Bilder nutzen wolle, die ich für einen anderen Auftraggeber mache. Ich würde mit den Models in seiner Wäsche ein paar Bilder für ihn, in anderer Dekoration, natürlich zusätzlich machen. Ich müsse dazu natürlich erst noch mit meinem Verlag reden.
Er fragte, mit welchem Verlag ich denn arbeiten würde. Ich sagte es ihm. Er kannte ihn und war scheinbar durchaus zufrieden damit. „Da der Verlag nicht nach Deutschland liefert, steht es ihnen frei ihr Copyright zu nutzen und ihm Bilder zu verkaufen. Wenn unser Text auf den Bildern steht, ist es besonders toll“, wurde mir gesagt. Wenn ich rechtzeitig anrufen würde, sei es auch kein Problem einen Kleinbus mit Models zu schicken.
Das Gespräch war zu Ende. Ich musste mich erst einmal setzten. Lis konnte nur meinen Textteil hören und war so gespannt, wie ein Flitzebogen was da Neues lief.
„Puh, ich bin geschafft“, klagte ich. „Renate müsste jetzt bei Mom sein, sie kommt erst zu mir hoch, wenn du weg bist. Es ist ja dein Mittwoch. Lass sie mich ausnahmsweise hoch holen, dann muss ich nicht alles dreimal erzählen. Meine tüchtige Assistentin sauste runter, kam wieder hoch und holte mich. Pop war auch gerade gekommen und Mom war sehr neugierig, wie immer.
Pop war verblüfft, dass wir den Auftrag tatsächlich bekamen. Auch von dem Handel den Onkel Franz vorschlug wusste er noch nichts. Er und Renate rechneten nach. Es lohnt sich schon, wenn ich mindestens 1000 Bilder im Monat mache. Das hatte ich bisher locker. Mit Radolfzell wurde der Preis deutlich günstiger, als mit unserer alten Kalkulation. Es war Pop, der anregte, meinen tüchtigen Mitarbeitern einen höheren Obolus zu zahlen. Die bekamen natürlich gleich glänzende Augen, als ich den Lohn verdoppelte.
Ich bat Pop mir 1000 Mark zu geben, für Anschaffungen. Von meinem Konto. Ich wolle oben eine kleine Bar hinstellen. Als Location und Warteplatz für einen Kleinbus voller Mannequins.
„Aber nicht, dass ihr selber zu Barhockern werdet“, befahl er.
***
Oben läutete schon wieder das Telefon. Ich spurtete hoch. Wieder eine Überraschung. Sogar eine Nette.
„Sohn Paul, Traudl hat gesagt Einladung“, hörte ich Rama. „Leila übernachten bei deiner Freundin. Gut. Würde auch vertrauen, wenn Peter in Nähe. So besser. Liebe und heißblütiges Mädchen, kann gefährlich sein. Einladung sein gut. Reden davon vor Ostern. Ist noch lange. Traudl gesagt ihr fliegen nach Teheran. Sehr gut, dass du und Freundin fahren mit.“
Ich erzählte ihr, dass wir nun quasi offiziell vorab verlobt waren.
Das freute sie irgendwie besonders, sie gratulierte. Dann sagte sie noch „Haben kleine Problem: Familie gerne Leila sehen wollen. Können mitnehmen? Ich bezahlen Flug, sie wohnen bei Familie und sagen sie auch gerne Dolmetscher sein für euch.“
„Mutti Rama, Lis ist gerade bei mir. Ich bringe sie sofort nach Hause und rede mit Papa Bronner. Ich sehe da kein Problem. Ich rufe in etwa einer halben Stunde zurück.“
Rama dankte und legte auf. Ich konnte nicht mal mehr Grüße ausrichten. Ich ging wieder runter und erzählte von dem Anruf.
„Dann lass uns losgehen. Auf Liebe muss ich heute wohl schon wieder mal verzichten. Dafür hatte ich wenigstens das Wochenende“, maulte Lis ein wenig.
Papa Bronner wurde gleich aktiv. Er rief bei der Fluggesellschaft an. Der Spätdienst war dran. Kein Problem. Leila fliegt mit uns in der ersten Klasse. „Es bringt mich nicht um, gleich zwei Familienmitglieder dabei zu haben ist da viel mehr Wert“, erklärte er mir.
„Wieso zwei Familienmitglieder?“, fragte ich.
„Nun, Leila ist die leibliche Tochter und du bist der Gwaihir und ihr Bruder. Der Rest ist arme Verwandtschaft“, wusste Papa. Dann fiel ihm noch etwas ein. „Wenn ich Elisabeth recht verstanden habe, dann hat sie dich tatsächlich rum bekommen und im Beisein deiner Eltern eure Verlobung fest geklopft.“
Ich fühlte, wie meine Ohren rot wurden. „Da habe ich vor lauter Leila und Persien gar nicht dran gedacht. Ich wollte am Sonntag meinen förmlichen Antrag machen, wie es sich gehört, und wollte auch noch wegen Renate reden.“
„Welche Renate? Die Freundin von Lis?“
Ich war über mich selbst entsetzt, es war mir einfach so rausgerutscht. Nun half nichts mehr. „Darf ich bitte Lis dazu rufen? Wie so oft ist sie nämlich der Verursacher des ganzen Schlamassels. Glaube mir, er ist nicht auf meinem Mist gewachsen.“
„Da bin ich aber mal gespannt. Es kann doch nur wieder etwas völlig Verrücktes sein. Mein Satansbraten hat zugeschlagen, nur um ihren Willen durchzusetzen. Sei bloß vorsichtig, sonst hat sie in eurer Ehe plötzlich die Hosen an.“ Dann brüllte er „Elisabeth!“
Die kam angerannt, bleich. In dem Ton gab es Ärger.
„Setzt euch, dann gesteht!“
Ich gestand unser Verhältnis zu Renate und Lis erklärte ihr Motiv dazu. Beide versicherten wir, dass wir alle drei sehr harmonisch zusammenleben würden. Dann sagte ich noch, dass Renates Eltern es ebenfalls wüssten, vor allem die Zeitbegrenzung. Dass meine Eltern es wüssten und Mom das Ganze als Roman verarbeiten würde mit dem Titel: Der geliehene Mann.
Papa lachte, dass ein Bild von der Wand fiel. Er blickte zu Lis und deutete auf den Cognac. Er konnte nichts sagen und auch nichts tun, es schüttelte ihn. Lis brachte gleich drei Gläser und schenkte ein. Langsam kam er zu sich. „Meine liebe Elisabeth, ein Satansbraten ist nichts gegen dich. Was ihr Mädchen in euerem Hirn habt, das ist einfach unglaublich. Du musst verrückt auf deinen Paul sein, um solche Kompromisse zu schließen. Du hättest ein Junge sein sollen - aber ich will nicht klagen. Axel und Kristin machen mir jetzt ebenfalls viel Freude. Wenn ihr Probleme habt, dann kommt zu mir. Dieses Kind werden wir auch noch schaukeln. Sind damit eure Überraschungen ausgestanden?“
„Nein, aber ich müsste zuerst Mutti Rama anrufen. Sie wartet sicher bereits ungeduldig.“
Papa schob mir das Telefon hin. „Lass mich dann bitte auch noch mit ihr sprechen.“
Schon beim ersten Läuten war Rama dran. Ich sagte, dass der Flug für Leila in der ersten Klasse gebucht und bestätigt sei. Leila könne also mit uns zusammen fliegen.
„Oh, erster Klasse, viel teuer“, klagte Rama.
„Gar nicht teuer, mein zukünftiger Schwiegervater sieht es sich als Ehre an, meine Schwester Leila einzuladen. Er würde gerne mit dir sprechen.“
Ich gab das Telefon an Papa. Er stand sogar auf und sprach recht lange mit Rama. Auf Persisch. Dann verneigte er sich sehr tief und legte auf. Danach war noch ein Cognac für ihn fällig.
„Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie ich mich fühle. Ich habe mit einer Radama gesprochen. Das ist fast, wie wenn man mit dem Schah spricht. Das Haus Radama ist uralter persischer Hochadel. Adeliger als der Schah und älter als viele Häuser des deutschen Hochadels. Ihr, in euerer Unbekümmertheit, habt überhaupt keine Ahnung.“ Er starrte einen Augenblick gedankenvoll an die Decke. Dann meinte er: „Nun, du hast noch mehr Überraschungen, wenn ich dich richtig verstanden habe.“ Er winkte Lis raus.
„Lass bitte meine Quasiverlobte da, es betrifft sie“, dann erzählte ich von der Einladung an Ostern.
„Kein Problem. Kristin und Axel wollen nach Mallorca. Falls das nicht so wäre, hätte ich sie einfach zu ihrem Verlobten ausquartiert. Ich kann doch Leila nicht enttäuschen. Es war übrigens eine prima Idee von dir, sie bei Elisabeth unterzubringen. So werden mögliche Probleme umgangen und die Zwei werden sich ja nach dem Flug schon angefreundet haben. Das war es?“
„Nö, diese Woche war aufregend genug da kommt es darauf auch nicht mehr an.“ Ich erzählte ihm von der Party in Bodman, wie ich offizieller Fotograf wurde und, dass die IGDuM mir einen Vertrag für rund 30000 Mark im Monat angeboten hat. Dann legte ich ihm ein paar Bilder der Mädchen vor. Die Schönsten natürlich und die Harmlosen. Ich erzählte von meinen beiden tüchtigen Assistentinnen, auch von den Kisten mit Wäsche.
„Als Fotograf verdient man ja scheinbar nicht schlecht. Du sagst Samstag drei Stunden und Montag bis spät in die Nacht? Alle Achtung. Wenn ich die Bilder so ansehe, die sind zwar sehr frech, aber das ist ja wohl heute so gefragt. Willst du dich auch so fotografieren lassen?“, fragte er dann Lis ganz harmlos.
„Wenn ich verlobt bin, dann ist es ein Thema zum Nachdenken. Jetzt nicht. Renate und ich wachen über Sitte und Anstand. Da ist bei Paul zwar keine Gefahr, was aber die verrückten Weiber angeht, da würde ich für keine die Hand ins Feuer legen. Renate hat sich, nicht zur Veröffentlichung, sondern zum Üben für Paul, zu einem Shooting bereit erklärt. Die Bilder wurden toll. Paul hat den Bogen wirklich raus. Aber Renate gestand mir, dass es ihr mächtig einheizte, so leicht bekleidet zu posieren. Das ist nichts für mich. Noch nicht.“
„Das war es dann wohl, oder kommt noch was?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Es passt zu euch, die Wahrheit nicht zu scheuen. Ich finde das ganz prima. Da weiß man als Elternteil, was los ist und kann ruhig schlafen. Aber ich habe auch was. Harmlos. Morgen Abend kommen Axel und Kristin zu eueren Eltern. Es war Kristin, die plötzlich auch mitdachte. Es geht darum, deine Eltern zur Verlobung einzuladen. Sie meinte, wenn Lis und du heiraten, gehören sie sowieso zur Familie. Da wir nur im Familienkreis feiern und du als Freund von Lis und Axel geladen bist, machte es Sinn sie ebenfalls einzuladen. Meine Frau fand die Idee gut, so lernen wir deine Eltern auch gleich kennen.“
Wir wurden in Gnaden entlassen. Ich kam noch einen Augenblick mit Lis auf ihr Zimmer, dann zog ich los. Zu Hause kündigte ich den Besuch an, machte mir schnell ein paar Brote und rief Renate an. Sie sagte, morgen gäbe es keine Liebe. Ihre Tage waren da. Nun hatte ich zwei Frauen, die auch noch fast synchron ihre Tage haben. Damit werde ich wohl leben müssen.
***
Der Donnerstag brachte eine üble Überraschung in der Schule. In Deutsch sollten wir, schon am Montag, eine Pressemeldung mit dem Obertitel Stuttgart Hauptbahnhof nach 20 Uhr abliefern. Proteste halfen nichts. „Reporter müssen nun einmal flott arbeiten“, bestand Knorr auf dem Termin.
„Ist doch nicht schlimm“, fand Lis. „Das packen wir am Freitag nach dem Fotografieren. Du lädst einfach deine zwei Frauen zum Abendessen beim Chinesen ein, dann haben wir danach Zeit genug uns im Hauptbahnhof vor Ort etwas zu überlegen.“
***
Kristin und Axel kamen um acht. Ausdrücklich nach dem Abendessen. Lis und Renate waren zu Hause. Lis dazu beordert, Renate fühlte sich nicht so gut. Die Tage zwickten ihr im Bauch.
Kristin übergab Mom drei wunderschöne Orchideenzweige, erst halb erblüht. Sie freute sich wie ein Kind darüber. Dann hielten die Zwei eine Rede. Abwechselnd. Paul (ich) wurde gelobt für seine Initiative, die zu einem so prächtigen Ergebnis führte, dann wurde darauf hingewiesen, dass die Familie Oktober in absehbarer Zeit, in ein verschwägertes Verhältnis zur Familie Bronner kommen würde.
„... und so ist es uns ein Bedürfnis, sie verehrte Frau Oktober und sie, verehrter Herr Professor, zu unserer Verlobungsfeier, im kleinen Kreise, am 10. Oktober um 19 Uhr, in den Bären einzuladen. Es ist ein Mittwoch. Am darauf folgenden Sonntag fliegen wir ja schon nach Teheran. Da gebietet es der Anstand, dass wir zumindest verlobt sind.