Zwei Wochen nach Mallorca kam Renate sehr aufgeregt zu mir ins Wohnzimmer und drückte mir ein Etui in die Hand. Ich öffnete es neugierig. Es lag eine Goldkette, mit fünf wunderschönen Smaragden in hellerem Gold gefasst drin. Wirklich prächtig und toll an den Hals von Renate passend.
„Was denkst du, wo die her ist?“, sie beantwortete die Frage gleich selbst, „von Agnes! Sie hat mir einen lieben Brief geschrieben und mir noch einmal für das Angebot gedankt, dich an sie auszuleihen. Sie hat in Düsseldorf drei Schmuckläden, das sieht man ihr ja nun wirklich nicht an“, zeigte sie sich ungewohnt aufgeregt.
„Ja, so kann es gehen. Ich sage es ja immer wieder, sei nett zu deinen Freunden, es schlägt voll zurück“, gab ich zurück.
Lis fand die Kette ebenfalls toll. Renate ließ sie schätzen. Über 1000 Mark. Sie schrieb einen langen Dankesbrief und ich fügte ein paar nette Zeilen an. Das gehört sich doch wohl so.
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Herr und Frau Schlegel meldeten sich nach drei Wochen. Die Fotos seien besser als erwartet. Unter der Bedingung keine Namen zu nennen, wurden sie für IGDuM und den Verlag freigegeben. Das Honorar dafür könne ich Bedürftigen schenken, den Mädchen in Singen etwa. Schlegels wollten aber 10 Belegexemplare.
Wie erwartet wurden alle Bilder genommen, von Mikel und von Willi. Ich schickte 4000 Mark nach Singen, der Spender will unbenannt bleibe. Je einen Tausender gab ich meinen Assistentinnen. Den Rest legte ich in den Safe. Nicht für mich, sondern als Notkasse für Problemfälle. Die werden sicher irgendwann mal wieder kommen, wie damals die Bilder mit den Mickimäusen.
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Pünktlich zum ersten April kamen die Belegexemplare der Sonderausgabe Fiesta 2, die zweiten Mickimäuse. Ich ging runter zu Mom. Sie blätterte schon in ihrer Ausgabe. „Mein lieber Paul, das hast du ja wieder mal ganz toll hingekriegt. Deine Bilder sind einfach prima geworden. Das neue Heft gefällt mir auch noch weit besser als das erste, es ist besser aufgemacht. Die Leute haben jetzt wohl ihren Stil gefunden. Und wie findest du denn meine neue Kurzgeschichte?“
Ich gestand ihr, diese nur kurz überflogen zu haben. „Wir werden uns das Heft erst heute Abend in aller Ruhe ansehen. Meine Frauen haben sich einen gemütlichen Abend gewünscht. Da lesen wir es dann gemeinsam.“
Mom hatte Verständnis dafür. „Ihr habt aber auch viel gewühlt. Ich bewundere immer wieder Renate, mit welcher Gelassenheit sie für dich arbeitet, dir deinen Haushalt macht und dann noch bei mir sehr fleißig ist. Wer die mal als Frau bekommt, hat mehr als Glück. Damit will ich natürlich nicht sagen, deine Lis sei nicht auch fleißig. Sie hat die gleichen Ziele wie Renate und sie ist sicher die Intelligentere von den beiden. Wo Renate Fleiß einsetzt, setzte Lis ihren Kopf ein. Ihre grauen Zellen müssen wohl ständig in Bewegung sein. Euer Dreierverhältnis scheint auch sehr stabil zu sein. Deine Mädchen sind immer fröhlich und ausgeglichen. Da müssen viel Liebe und Vertrauen im Spiel sein.“
Was konnte ich darauf schon sagen? Wir wurden gelobt, dabei waren wir doch nur wir selbst - so wie wir erzogen wurden.
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Am Abend, wir saßen bei mir oben im Wohnzimmer, holte ich die neue Fiesta raus. Meine Zwei fanden das neue Heft auch toll. Dann wurde die Geschichte von Mom vorgelesen. Sie hatte diesmal nicht den traurigen Unterton wie die erste, die ja auch traurige Erlebnisse dokumentierte. Diesmal ging es um das neue Leben von Mickis wilden Mädchen. Kleine rührende Geschichten von neuer erster Liebe gab es in der Story, aber auch knallhartes Fallenlassen eines Mannes, der nicht den Wünschen der Mädchen entsprach, wurde geschildert. Dazu gab es heitere Episoden aus dem Berufsleben. Auch erste Versöhnung mit den Eltern, wenn die Mädchen auch nicht mehr nach Hause ziehen wollten. Ich erfuhr, alle würden Englisch lernen, weil sie die erste Ausgabe der Fiesta kaum lesen konnten und auch sehr an den Heiratsanträgen rätseln mussten. Einige haben wohl eine Korrespondenz mit den Herren angefangen. Ende offen.
Es war eine der typischen Geschichten von Beatrix Mai, meiner Mom, deretwegen sie so beliebt bei ihren treuen Leserinnen ist. Neuerdings auch in England, wo ihre Art des Erzählens eigentlich herkommt.
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Gegen neun rief Micki an. Sie hatte die Hefte auch weggeschlossen, bis die Letzte da war. Sie seien voll begeistert. „Gerade wurde die Geschichte von deiner Mom vorgelesen. Man sah nur lachende Gesichter. Mit am fröhlichsten ist Frettchen. Unser einstiges Sorgenkind ist ein völlig neuer Mensch. Wir eigentlich alle. Wir verstehen nur eines nicht, wie ausgerechnet Nacktfotos unser neues Leben so beeinflussen konnten“, rätselte Micki.
„Sie haben euch Selbstvertrauen gegeben“, fiel mir dazu ein. „Vertrauen in euch selbst. Ihr seid wieder ansehenswerte Bürger und eueren Stolz habt ihr auch wieder. Ich habe das förmlich gespürt, als ich die zweite Runde fotografierte. Alle Hemmungen, im guten Sinne, waren raus. Ihr seid wieder oder endlich wer und könnt auf euch selbst stolz sein. Vor allem könnt ihr nun selbst bestimmen, was ihr wollt. Da gibt es keine bösen Buben mehr die euch erniedrigen. Höchstens einen armen Fotografen auf einer ganz wilden Party.“
„Was für eine Party? Von was sprichst du? Hat schon eine angerufen? Wir haben uns doch gerade erst geeinigt, hier im Hause eine Party zu schmeißen. Erstmals dürfen auch Herren ins Haus. Es soll sittsam aber nicht langweilig zugehen. Wir möchten euch - dich, Lis, Renate, Kristin und Axel am Samstag dazu herzlichst einladen. Willi und Blondi werden auch da sein, dazu ein paar neue Freunde der Mädchen. Die Party beginnt um sechs und endet um zehn. Dann bekommt ihr noch den Nachtzug. Ihr könnt natürlich auch hier schlafen, wir besorgen euch Zimmer im Hotel. Du weißt ja, über Nacht können Herren nicht im Hause bleiben“, lachte sie laut und brachte damit das Telefon zum Scheppern.
„Dann besorge uns mal zwei Zimmer. Eines mit einem extra großen Bett oder noch besser mit zwei großen Betten“, bat ich sie.
„Lis und Renate können natürlich bei uns schlafen. Es geht ja nur darum, unseren Ruf zu bewahren. Lasse ich dich und Axel hier schlafen, sehen die Freunde der Mädchen nicht ein, warum sie nicht auch bleiben können. Die meisten hatten noch keinen intimen Kontakt und würden die Chance nur zu gerne nutzen wollen. Das wollen die Mädchen aber noch nicht, zumindest die meisten. Unsere Prüfung ist hart und dornenreich für euch Männer, das sind wir uns schuldig. Ein fauler Apfel kann uns noch nur zu leicht wieder anstecken.“
„Da habe ich das vollste Verständnis dafür. Danke übrigens, dass mein Besuch bei euch vor einiger Zeit nur ein feuchter Traum war. Nur meine Frauen wissen davon. Sie haben es wohl auch aus dem Gedächtnis verbannt. Es ist kein Thema mehr.“
„Uns hat es damals geholfen. Du hast es überlebt. Es ist auch aus unseren Gedanken verschwunden, selbst wenn es schön war und alle die mitmachten es genossen haben. Also kommt ihr?“
„Wir kommen. Ich werde das gleich regeln. Sonst rufe ich noch mal an. Grüße alle“, damit legte ich auf.
„Es war Micki, wie ihr euch denken könnt“, erklärte ich meinen Weibern. Party am Samstag in voller Besetzung. Axel und Kristin sollen auch mitkommen. Wir treffen dort auch Willi und Blondi. Die Mädchen buchen uns zwei Zimmer. Ihr könnt bei mir schlafen oder bei den Mädchen, wie ihr gerade Lust habt. Männer dürfen das nicht.“
„Ich schlafe bei den Mädchen“, entschied Lis. „Dann habt ihr eure Ruhe und macht mich nicht unruhig. Ganz so wissensdurstig wie früher bin ich ja nicht mehr, vor allem was dieses Gewisse angeht. Und was das Schmusen angeht? Was man ständig haben kann, kann man gut auch einmal lassen“, gab sie mal wieder einen ihrer weisen Sprüche von sich.
Ich rief Axel an und gab Bescheid. Er würde vielleicht nachkommen müssen, wenn bei Papa zu viel Betrieb sei, erfuhr ich. Arbeit gehe vor, aber manchmal sei Papa auch sehr human.
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Es wurde eine fantastische Feier. Klarissa hatte zusammen mit der zweiten Köchin ein großartiges Buffet gezaubert. Es gab sogar eine Bowle, wenn auch recht dünn. Das Haus selbst war inzwischen mit den gewagtesten Bildern von ihnen selbst geschmückt. Ich hatte sie für die Mädchen vergrößert. Als Höhepunkt der Party wurde ihre einstudierte Tanznummer vorgeführt. Diesmal bekleidet. Bei den recht offenherzigen Kostümen hatte sicher Willi geholfen. Inzwischen kannte ich das Sortiment. Es gab viel verdienten Applaus für die Nummer.
Die Herren, die da waren, schienen auch meinen Frauen zu gefallen. Sie plauschten ungezwungen mit ihnen. Bei zwei Herren gab es anfangs Probleme, sie hatten erst aus den Bildern an der Wand und danach auch noch aus den Heften der Fiesta auf dem Tisch, erfahren, welche Art Mädchen sie sich da geangelt hatten. Willi schilderte ihnen seine guten Erfahrungen mit Blondi, die prompt errötete. Lis und Renate redeten ebenfalls auf sie ein. Tenor war: Diese Mädchen gehen nicht mehr fremd. Sie werden bis zum bitteren Ende treu bleiben.
Wir haben heute noch Kontakt zu den Mädchen. Es gab in all den Jahren nur einen Fehltritt. Der Mann war für drei Monate in Übersee, die Frau alleine. Ein Freund des Mannes griff zu, angeblich im Auftrag des Mannes. Der Mann hat ihr verziehen. Der Freund ist keiner mehr.
Die Party als solche war so richtig fröhlich. Nach dem köstlichen Essen wurde sogar nach Musik vom Plattenspieler getanzt, leider keinen Walzer, den ich doch mit Renate geübt hatte. So stolperte ich halt etwas arg über meine Füße, als ich von verschiedenen Damen zum Tanzen aufgefordert wurde.
Für einige der männlichen Gäste gab es sogar ein paar Küsschen - wenn auch noch sehr zaghaft und keusch, da waren die neuen Verhältnisse wohl noch zu frisch dafür.
Ich schlief solo im Hotel. Wir trafen uns aber zum Frühstück in der WG. Danach verhandelte ich mit Micki noch Geschäftliches. Die Mädchen hatten jetzt eine gut gefüllte Kriegskasse, es wurde jedoch eisern weiter gespart. Da musste Aussteuer her, die Mädchen hatten ja nichts. Ich bot Micki an, hin und wieder gerne ein Shooting mit dem einen oder anderen der wilden Mädchen zu machen. Der Verlag wird sicher noch reichlich Nachfrage haben. Der Vorschlag wurde begrüßt und befolgt.
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Die Aufnahmen für den Verlag waren fast eine Entspannung. Kristin half uns jetzt immer. Axel war im Laden bei Papa Bronner und sie langweilte sich samstags zu Hause, so alleine. Immer öfters kamen nun auch alte Kunden. Betty war wieder da und Irena Wallbusch. Als sie anrief, bat sie um die gleiche Location. Der Verlag wollte in einem anderen Heft die Geschichte noch einmal bringen. Eine Freundin brachte sie auch gleich mit, sie sollte eines der Mädchen in den USA spielen. Das Problem war Maiskolben aufzutreiben. Renate beschaffte welche aus Plastik, eigentlich zu Dekorationszwecken gedacht.
Mom sollte dazu eine Kurzfassung des Geistes im Maisfeld liefern. Mit ihrem Verlag war es bereits geklärt.
Mikel berichtete mir, man denke im Verlag daran, englische Ausgaben der neueren Romane von Mom zu drucken. Die Verhandlungen liefen bereits. Ein neuer Markt tat sich da für Mom auf. Sie schenkte meinen beiden Frauen vor Freude wunderschöne Armreifen. Beide bekamen die gleichen.
Die Freude war groß, denn meine Frauen sind etwas eitel geworden. Nur die beste Kleidung und die schönste Unterwäsche. Das färbte auch auf mich ab. Weniger die Unterwäsche, ich legte aber mehr Wert auf gute Anzüge und vor allem schöne Hemden. Meine Frauen ließen sich da nicht lumpen, immer mal wieder lag ein neues Hemd auf meinem Bett. Langsam aber sicher taten wir den Schritt vom jungen Teenager zum Erwachsenen.
Lediglich bei den Shootings trug ich noch verwaschene Jeans und ein blaues Poloshirt. Im Winter einen blauen Pullover darüber. Es war einfach bequemer und wurde bald mein Markenzeichen.
Meine Assistentinnen hatten sich ebenfalls so eine Art Uniform besorgt; Jeans mit Jeansbluse und Jeansjacke. Jede hatte über der linken Brustseite groß ihren Vornamen eingestickt. Dazu ein rotes Tuch, keck um den Hals gebunden. Sie hatten dazu noch eine freche Mütze, im gleichen Rot wie das Tuch.
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Am Donnerstag hatten wir eine Physikarbeit. Wir hatten gut gelernt, der Stoff saß. Nach der Klausur, es war große Pause, kam Lis kreidebleich zu mir. „Ich hab sie verhauen. Die erste Aufgabe hatte ich schnell fertig. Dann bekam ich rasende Kopfschmerzen. Meine Tage hatten angefangen. Ich konnte mich plötzlich an gar nichts mehr erinnern. Es war grauenhaft. Da ist meine Note wohl dahin“, schniefte sie.
Dr. Schotter, unser Physiklehrer, hatte Pausenaufsicht. Ich zog Lis zu ihm. „Dürfen wir sie einen Moment sprechen?“, bat ich. Wir durften.
„Los Lis, sag was du mir gesagt hast.“
Lis erklärte ausführlich, was los war.
„Du warst in den letzten Monaten so fleißig und in den anderen Fächern bist du auch gut“, antwortete er und zog seinen Kalender hervor. „Was habt ihr Montag dritte Stunde?“
„Englisch bei Dr. Ottmar.“
„Ich spreche mit ihm. Du Bronner, kommst in der dritten Stunde in die B-Klasse. Du bekommst eine zweite Chance, ich sehe dein Problem ein. Bist du dann wohlauf?“
„Es ist eigentlich ungewöhnlich. Ich hatte bisher immer nur leichte Kopfschmerzen und das nur am ersten Tag. Montag bin ich bestimmt fit.“ Lis wäre ihm fast um den Hals gefallen.
Am Nachmittag wusste sie wieder alles. Ich rief trotzdem bei Lisl an, der Freundin von Roland. Sie ist ja in der B-Klasse. Sie gab mir zwei Aufgaben durch, die wir nicht hatten. Ich verschob sämtliche Termine, Schule geht vor. Wir gingen alle Aufgaben gleich zweimal durch.
Montag. Englisch. Dr. Ottmar wusste Bescheid. 15 Minuten vor Ende der Stunde kam Lis bereits zurück ins Klassenzimmer.
„Oh Fräulein Bronner. Ich sehe es ihnen an, es hat geklappt. Setzen sie sich. Seite 39, Kapitel 2. Übersetzten sie, dann lösche ich die Fehlstunde, sie habe dann ja mitgearbeitet.
Lis flog diagonal über den Text, dann begann sie. Herr Ottmar wanderte, wie es so seine Art ist, durch die Klasse. Jetzt kam ein schwieriges Wort, itinerary. Man konnte aus dem Text erahnen, was es bedeutet: Reiseplan. Lis sah zu mir rüber. Ich markierte Schlitzaugen. Sie begriff sofort und übersetzte richtig.
Herr Ottmar drehte sich um zu ihr. „Gut. Das hätten viele nicht gewusst, dabei steht es hinten. Ich bin sehr zufrieden mit ihnen.“
„Englisch ist für uns halt wichtig“, sagte Lis. „Wir fliegen in den Osterferien nach Japan. Da ist es die einzige Sprache, mit der wir uns verständigen können, wie in Persien im letzten Herbst.“
Herr Ottmar war sehr erstaunt. „In der nächsten Stunde wirst du uns ausführlich darüber berichten. Auf Englisch. Dann hast du deinen Vortrag auch gleich weg. Oder macht dir das ein Problem?“ Das machte es natürlich nicht.