Polternd stürzte ein Eisblock herab. Ein donnerndes Geräusch und Schneestaub, die Manodriil weckten. Reflexartig sprang er auf und blickte nach oben. Nur um zu sehen, dass sich ein weiterer Klumpen anschickte, herab zu stürzen. Mit einer noch nie gekannten Geschwindigkeit sprang er zur Seite. Da nun Brocken auf Brocken herab stürzten, begannen seine Beine zu rennen, scheinbar ohne auf einen Befehl aus seinem Gehirn zu warten. Der Boden unter ihm zitterte, hinter ihm wackelten die Wände. Loser Schnee wehte herab und bedeckte den Eisboden. Was zwar seine Angst schürte, aber gut für den Halt seiner Füße war, die besser voran kamen. Vor ihm tat sich ein breiter Querspalt auf, in den es noch einige hundert Meter hinab ging. Nackter Fels auf der einen Seite, gurgelndes Wasser, das in der Tiefe verschwand, eine Eiswand auf der anderen Seite. Ruckartig kam Manodriil zum Halt, verlor den Boden unter den Füßen und wurde in die Höhe geschleudert, während seine Beine weiter versuchten zu laufen.
Hilflos hing der Junge über dem unterirdischen Abgrund. Das Wasser rauschte unter ihm in die Dunkelheit. Kopfüber sah er eine riesenhafte, schuppige Gestalt. Offenbar baumelte er im Maul eines Drachen, war der erste Gedanke, der sein Bewusstsein wieder erreichte. Langsam wurde er von zurückgezogen, bis unter ihm wieder Boden zu sehen war. Kurz darauf lag er darauf und konnte sich aufsetzen. Sein ganzer Körper zitterte. Er begann zu frieren, seine Klamotten waren durchnässt. Teils vom Schnee, teils vom Schweiß.
Warmer Rauch blies in sein Gesicht, föhnte ihn trocken.
Manodriil streichelte vorsichtig die Unterlippe, vor der er noch kürzlich davon gelaufen war. Erleichtert begann er zu weinen und der Drache ließ es geschehen.
Nachdem er zur Ruhe gekommen war, begann der Drache mit den Krallen seiner Vorderbeine an der Eiswand zu kratzen. Allerdings mit wenig Erfolg. Wütend pustete er dagegen - mit dem Erfolg, dass ein Block des gefrorenen Wassers taute und Manodriil Richtung Abgrund spülte.
"Aaaargh!"
Der Drache bekam ihn zu fassen und zog ihn zurück. Nach dem Trockenfönen, das der Junge mittlerweile angenehm fand, stuppste der Geschuppte gegen die Eiswand. Dann blickte er den Jungen an. Sein Blick wirkte traurig.
"Hm, du willst die Wand schmelzen, damit wir hinaus kommen?" Manodriil schaute sie sich an. "Kannst du dein Feuer vielleicht etwas dosieren? Ein bisschen weniger davon, sodass das Eis nur ein bisschen taut und mich nicht gleich überflutet?"
Nachdenklich neigte der Drache den Kopf. Dann trat er zurück und blies vorsichtig gegen die Wand. Eine kleine Flut spülte auf die beiden herunter. Aber sie wurden nicht von den Beinen gerissen. Allerdings sah dies Eiswand nun ziemlich ausgehöhlt aus. Ob die Wand zusammenbrechen würde?
"Ich habe eine Idee!" Manodriil sprang auf. "Kannst du NOCH vorsichtiger pusten? Immer nur ein ganz bisschen Eis schmelzen. Wenn du mich hochhebst, kann ich aus dem weichen Material vielleicht eine Stufe formen!"
Der Drache schleckte mit seiner Zunge über das Eis. Dann stieß er kleine Rauchwolken aus den Nüstern. Zu weit oberhalb für den Jungen.
"Dort komme ich nicht an, kannst du weiter unten arbeiten?"
Der Drache schüttelte den Kopf. Dann verneigte er sich vor dem Jungen.
Was jetzt? Eine Geste der Demut? Verlegen kratzte sich Manodriil hinter den Ohren. Es dauerte eine Weile, bis er begriff: Sein Freund lud ihn ein, auf ihn zu klettern. "Oh." So bequem es ging, setzte er sich hinter dessen Ohren. Nun konnten sie zusammen ans Werk gehen. Der Drache lockerte das Eis, der Junge nutzte seine Hände, um das weiche Material zu Stufen zu formen. Nicht eine schnelle Lösung, aber immerhin ein Weg.
Langsam arbeiteten sie sich voran. Die erste Stufe zu erschaffen, war am schwierigsten: Zunächst wollte sich Manodriil mit einer schmalen Plattform, breit und tief genug für seinen Fuß formen. Aber natürlich reichte das nicht aus! Er benötigte Stufen, die auch die Säulen-artigen Stampfer des Drachen aufnehmen und halten konnten.
Mehrfach musste er eine Pause einlegen. Ab und zu ließ er sich zu Boden gleiten, um sich wieder trocknen zu lassen, so Schweiß treibend war die Arbeit. Nur der Drache zeigte keine Anzeigen von Müdigkeit. Eines der ewigen Rätsel, die den Jungen auch bei der Arbeit beschäftigten. Eigentlich gar nicht so schlecht, auf diese Weise erschien ihm die Zeit nicht ganz so quälend langsam zu vergehen, wie seine Muskelschmerzen anzeigten.