Wer bist du? Wieso zeigst du dich nicht? Manodriil nutzte intuitiv nur seine Gedanken, um mit der geheimnisvollen Gestalt zu kommunizieren. Eine Antwort erwartete er nicht. Umso überraschter war er, ein stimmloses Lächeln als Reaktion zu bekommen. Komm mit.
Die Mysteriöse wandte sich um und schritt voran durch hohe Flügeltüren in einen riesigen Saal mit Holz vertäfelten Wänden. Aus dem Saal führten mehrere Türen. Im Vorübergehen erhaschte der Junge einen Blick aus den Fenstern in den Hof, der ihm den Atem stocken ließ: Als wäre der Park, mit einem runden Springbrunnen, den eine Weltkugel und Figuren aller Art zierten, als Mitte, weiten Grünflächen und alten Bäumen, eigens für den Blick aus dieser Perspektive angelegt, so klar war er gestylt, gleichzeitig lebendiger Lebensraum für Waldtiere und Pferde, die ihn in Gruppen bevölkerten.
Bedauernd, diesen Anblick nicht auskosten zu können, folgte Manodriil seiner Gastgeberin durch eine der Türen, durch Räume unterschiedlicher Einrichtung, durch Flure und über Treppen, bis sie wieder am Ausgangspunkt anlangten. Erklärungen gab es keine, Gefühle und Ahnungen schwappten in dem Jungen auf und ebbten wieder ab, noch ehe er sie ganz erfassen konnte. Nicht alles, was er sah, gefiel ihm, aber einiges erschien ihm seltsam vertraut. Nicht zuletzt viele verschiedene Gerüche und Klänge verwirrten seine Sinne. Er wusste, dass er etwas Wichtiges sagen sollte. Etwas erfahren, aber es entzog sich ihm wieder und wieder im letzten Moment.
Seine Gastgeberin winkte ihm zum Abschied und zog sich zurück, sodass ihm kaum etwas anderes blieb, als den Palast zu verlassen.
Brenzliger Geruch stieg ihm in die Nase und weckte ihn, als die Sonne schon hoch am Himmel stand. Sein Begleiter war um einiges geschrumpft, was auch seine Narben kleiner erscheinen ließ. Offenbar hatte er keine oder kaum Schmerzen, denn er vergnügte sich damit, einen Stapel Holz und Blätter, den er wohl zusammen gescharrt hatte, mit Rauch anzupusten. Kleine Flammen züngelten daran und ließen es qualmen, sodass Manodriil husten musste.
"Bist du verrückt!" Beim Aufspringen stolperte er fast über seine eigenen Füße, mit den Händen wedelte er den Qualm zur Seite.
Der Reisig-Holz-Blätter-Haufen wackelte. Eine winzige Nase kam zum Vorschein.
Reaktionsschnell sprang Manodriil darauf zu und packte das Wesen, um es vor dem Feuer zu retten. "Autsch!" Er schrie, als er gebissen wurde. "Benimmt man sich so gegenüber seinem Retter?" Der Junge versuchte, den Drachen vom Kokeln abzuhalten und das Feuerchen zu löschen. "Hör doch mal auf damit!"
Sein Freund zeigte allerdings keine Neigung, die Aufforderung zu befolgen. Stattdessen stand er auf und intensivierte seine Bemühungen.
Die Scheite und Blätter wurden nun durcheinander gewirbelt - und ein erschrockenes Pelztier schoss heraus. Es floh Richtung Bäume, blieb dann in einiger Entfernung sitzen und blickte zurück.
"Ein Buschnager!" Verblüfft starrte Manodriil dem Tier in die Augen.
Als Reaktion darauf setzte es sich und leckte seine Vorderpfoten.
"Wieso hast du es verletzt? Wolltest du es etwa bei lebendigem Leib grillen?" Dem Jungen traten Tränen in die Augen, als er nun seinen Freund fixierte. Der Drache ein sadistischer Mörder? Oder ernähren sich Drachen von Nagetieren?
Schmollend wandte sich der Drache von ihm ab und wanderte Richtung See. In Manodriil stieg eine unendliche Traurigkeit und Angst, wieder verlassen zu werden, auf. "Bitte, geh nicht!" Vergeblich rief er seinem Freund hinterher, der bereits den Rand des Teichs erreicht hatte und ins grünliche Wasser starrte.
Warum können wir keinen Konflikt gemeinsam lösen? Wieso müssen wir so oft Streit haben und auseinander gehen? Warum antwortet dieser dumme Drache mir nie? In seiner Gedankenschleife gefangen war Manodriil unfähig, etwas zu unternehmen oder seine eigene Beteiligung an dem Zerwürfnis zu erkennen.
Der Buschnager war nicht nur vergessen. Er war auch im Wald untergetaucht. Vermutlich würde er sich nun einen neuen Vorrat anlegen, um sich eine Unterkunft zu bauen. Material gab es hier ja in Fülle.
Der Drache hingegen senkte seinen Kopf gedankenverloren zum Wasser und pustete hinein. Wasser spritzte auf, Wellen liefen hinüber zum anderen Ufer. Dann ließ sich das Wesen in das nasse Element fallen.