Du bist Arthrax Sundergeer.
„In Ordnung, Siwa, wir bleiben.“
„Was?“, stößt Allyster neben dir aus. Der Magier geht beinahe in die Luft, jedenfalls scheint er mit einem Mal deutlich größer zu sein. „Haben sie dich auch mit dem Aberglauben angesteckt? Zählt meine Einschätzung gar nicht mehr?“
„Wenn du Angst vor den Klippen hast, dann kann uns das da draußen erst recht passieren“, widersprichst du ruhig. Vielleicht sind Klippen der Ursprung der Gerüchte. Es gibt viele zahnartige Felsen dicht unter der Oberfläche, die man nur am Tage sieht. Nachts sinken hier sicherlich viele Schiffe, weil sie diese Gefahr nicht erkennen.
Das erklärst du auch Allyster, worauf dieser zwar nicht mehr wütet, aber noch immer mit finsterem Blick vor sich hin grummelt. Dass du dich nun schon zweimal gegen ihn gestellt hast, wird er dir nicht so bald verzeihen. Du solltest in Zukunft sehr viel vorsichtiger sein …
Siwa Ekana ist dir immerhin dankbar, und die Mannschaft wirkt auch, als hätte sie ansonsten eine Meuterei angezettelt. Umsichtig steuert der Kapitän das Schiff in die Bucht von Finkey. Der Eingang zur Bucht ist bei dieser Tide ein echtes Nadelöhr, doch Siwa hat offenbar Erfahrung. Du stellst dich mit Aji an die Reling und siehst zu, wie nah das Schiff an den scharfkantigen Felsen vorbeifährt.
Dass ihr das gleiche Manöver auch morgen wieder schaffen sollt, erscheint dir unmöglich. Doch dann wird der Wellengang schlagartig ruhiger. Ihr habt die Bucht erreicht und es ist, als wäre ein Sturm abgeflaut.
Die Küste von Finkey ist felsig und schroff. Die Kais sind aus aufgehäuftem Geröll gebaut worden, auf dem einige Bretter aufliegen. Die Schiffe ankern ein Stück auswärts, vermutlich, damit eine kräftige Welle sie nicht gegen die Felsen schmettern kann. Auch ihr müsst mit Ruderbooten übersetzen, die dicht über den dunklen Wellen liegen.
Während ihr euch den Lichtern des Hafens nähert, ist es vollends dunkel geworden. Die Wellen erkennst du nur an dem schimmernden Widerschein der Buglampe, flackernden, goldenen Streifen in der Schwärze.
Dir ist, als hörst du Gesang, der allerdings leiser wird, je näher ihr der Siedlung kommt. Du drehst dich um. Ist jemand auf einem der Schiffe, der singt? Es klingt nach mehreren Frauen, doch eine solche Singstimme würde man in jede Taverne mitnehmen, in der Hoffnung auf Freibier!
Dann allerdings erinnerst du dich an Siwas Warnung, dass es in Finkey ohnehin keine Tavernen gibt. Und das erwartet dich dann auch, als ihr endlich aus dem schwankenden Ruderboot an Land klettert. Das Dorf auf den Klippen besteht aus windschiefen Hütten, steilen, schmalen Pfaden und dunklen Steinhängen. Du siehst nur Gebäude, die nach Wohnhäusern aussehen, kleine Hütten mit erbärmlich löchrigen Wänden. Aber keine offizielleren Gebäude wie Schmieden, Handwerker oder Geschäfte. Sonst erkennt man diese an den aushängenden Schildern oder größeren Höfen, aber neben den Häusern bleibt schon kaum Platz für die Wege.
Am Ufer erwartet euch ein älterer Mann, der nur noch ein Auge besitzt, und nicht viel mehr Zähne und Haare. Einige schlohweiße Strähnen hängen über die Augenklappe, welche sich bei seinem Brauenrunzeln bewegt. Mit verengten Augen, eine Laterne in der zittrigen Hand erhoben, mustert er euch.
„Ihr seid spät unterwegs.“
„Wir mussten noch eine unplanmäßige Fahrt wagen“, sagt Siwa mit einem schnellen Seitenblick zu euch. „Und morgen würden wir früh raus. Gibt es in der Nacht noch Händler?“
Zu deiner Überraschung nickt der alte Mann und schlurft euch dann voraus, einige Stufen hinauf zu einem Haus, das nicht so wirkt, als hätte es nur ein einziges Zimmer. Dieses Haus scheint zwei Räume zu beinhalten – was sich dann als großer Saal herausstellt, in dem neben euch noch weitere Matrosen sind. Der Boden ist fast vollständig mit Decken und Schlafrollen bedeckt. Viel geräumiger als auf einem Schiff ist es also auch hier nicht. Dafür sind die meisten Seefahrer noch wach und nur allzu befreit, mit Siwa zu handeln. Bald befinden sich eure Begleiter im angeregten Gespräch. Ihr sucht euch dagegen eine ruhigere Ecke und streckt euch zwischen anderen aus, die es irgendwie fertigbringen, bei dem Stimmengewirr zu schlafen. Die Seeleute sind nach der harten Tagesarbeit sicherlich so müde, dass sie überall schlafen könnten. Das kennst du noch von einigen anstrengenden Aufträgen.
Während du dich in die Decken hüllst, begegnest du Allysters zornigem Blick. Der Zauberer ist alles andere als froh über diese Nacht, so viel ist klar. Du tust, als hättest du nichts bemerkt, und rollst dich mit flauem Gefühl auf die andere Seite.
War das die richtige Entscheidung?
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Im Morgenlicht sieht Finkey nicht fröhlicher aus als in der Nacht. Eher im Gegenteil: Die Trostlosigkeit der Straßen, die fahlen Gesichter der Bewohner und die Müllberge sind in der Sonne noch besser zu erkennen. Es gibt kaum Pflanzen, die der Steininsel und dem scharfen, salzigen Wind ihr Leben abtrotzen. Das Holz der Hütten modert vor sich hin, alle Fenster sind grau und blind. Der Stadt sieht man ihr Alter an und es wirkt, als würde sich hier seit Jahren nichts verändern.
Du atmest auf, als du die Planken des Schiffes betrittst, die deutlich sauberer sind. Nachdem ihr mit dem Ruderboot die Bucht überquert habt und die Leiter an der schwankenden Schiffsseite hinaufgestiegen seid, könnt ihr an Bord noch etwa eine Stunde warten, während die getauschten Waren zum Hafen und neue Waren zum Schiff gerudert werden.
Allyster wird immer ungeduldiger. Er sitzt mit Aji vorne und übt Deklinationen oder so etwas, bei der man Wörter ganz oft wiederholt und die Endungen immer verändert werden. Bei jedem Fehler von Aji verbessert Allyster ihn mit schärferer Stimme.
„Ekunja, nicht Ekunjai!“, faucht er, dass es über das gesamte Schiff hallt. „Das ist ein unregelmäßiger Fall, das hatten wir doch!“ Die Blicke, die die Mannschaft dem verhüllten Aji zuwirft, sind mitleidig. Doch der Junge macht stoisch weiter, unbeeindruckt von seinem Meister.
Schließlich ist alles verladen. Die Sonne steigt bereits über die Wellen, die Luft wird freundlich warm. Als ihr aus der Bucht fahrt, kannst du den trostlosen Anblick von Finkey auch endlich vergessen. Das Meer umgibt euch wieder azurblau und endlos. Ihr macht schnelle Fahrt bei stetigem Wind und bestem Wetter. Sogar Allysters schlechte Laune verfliegt wie eine Möwe, nachdem sie den Fisch geklaut hat. Die Mannschaft beginnt, bei ihrer Arbeit Seemannslieder zu singen.
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Euer Ziel ist die Insel Hallon. Sie erreicht ihr am späten Nachmittag. Die Sonne steht tiefer, knallt aber mit unverminderter Kraft auf euch herab. Das Wasser ist um die sandigen Strände herum grünlich, außerdem kannst du in flacheren Gewässern Korallen erkennen. Allyster behauptet, dass das Lebewesen wären, aber es sind einfach knorrige Pflanzen.
Delfine begleiten euer Schiff für eine Weile, als ihr die Insel umrundet. Die Docks befinden sich nämlich im Norden, während ihr aus dem Süden kommt. Es sind hölzerne Stege auf Pfählen, die einen viel besseren Eindruck machen als die bisherigen klobigen, halb verfallenen Docks. Der Hafen von Hallon ist auch deutlich größer, sogar größer als alle Häfen am kalynorischen Festland, die du kennst. Zwar sind die Stege etwas schief, aber sie werden eindeutig gepflegt.
Viele Schiffe liegen an der Insel vor Anker. Kleinere Einmaster wie Siwas Schiff, aber auch große Fregatten. Die Siedlung auf Hallon, Wenjaq, besteht aus Hütten mit Dächern aus Palmwedeln, einige größere Häuser sind aus geborstenen Schiffsteilen gebaut und teilweise noch mit Seepocken besetzt. Doch selbst diese Gebäude haben liebevoll geschnitzte Eingänge, Gemüsebeete auf dem Dach oder vor den Fenstern und wirken gut gepflegt.
Die Bewohner sind überwiegend Graumeerer mit gebräunter Haut, gekleidet in normale Kleidung oder die hier übliche Kleidung aus großen Palmblättern.
Ihr ankert etwas abseits und rudert an den flachen Strand, um dem Gedränge zu entgehen.
„Dort hinten findet ihr Gasthäuser und Tavernen“, erklärt Siwa euch. „Ich werde die Pikun besorgen. Da ich vorher ein bisschen was verkaufen muss, könnte das bis morgen dauern.“
„Bis morgen?“ Allyster runzelt schon wieder die Stirn.
„Hätte ich in Krabvest verkaufen können …“, murmelt der Kapitän vielsagend.
„Schon in Ordnung“, greifst du schlichtend ein. „Wir warten.“ Immerhin besteht die Aussicht auf etwas Rum. Sicherlich wird Allyster dich nicht viel trinken lassen, aber solange du morgen keinen Kater hast, sollte das deine Kampfkraft ja nicht beeinträchtigen!
Ihr begebt euch also zu den Gasthäusern hinüber, Allyster schweigend voran. Du hast bereits Mitleid mit dem Wirt, der gleich mit ihm zu tun kriegt.
Als ihr euch den Schenken nähert, treten jedoch mit einem Mal Graumeerer auf die Straßen. Sie müssen sich zwischen den Hütten zu beiden Seiten versteckt haben. Innerhalb von Sekunden seid ihr umzingelt.
„Mit der blutroten Sonne werden sie kommen, die Blut bringen!“, ruft einer der Inselbewohner, ein kräftiger Mann mit ähnlichen Tattoos wie Siwa, jedoch größer und muskulöser. Er deutet auf euch. „Seht! Wie es gesagt wurde, da sind die Kalynorer!“
Du tastest nach deiner Axt und spuckst in den Sand. „Scheiße.“
Allyster versucht, Aji hinter sich zu ziehen, doch da ihr umzingelt seid, bringt ihm das nicht viel. Der Junge tastet nach dem Schöpferstein um seinen Hals. Du willst den Unsichtbarkeits-Ammoniten umfassen, aber die Kette hat sich unter deinem Hemd verhakt. Während du noch daran ziehst, setzen die Graumeerer mit Kriegsrufen vor. Sie schwingen Harpunen, Speere und Dolche.
Rasch lässt du die Steine los und setzt stattdessen deine Axt ein. Knurrend schneidest du dich durch die Angreifer. Arme, Hände und Finger fliegen in alle Richtungen, aber es sind zu viele. Schon trifft dich ein Speer in die Seite, dann dringt ein Dolch in deinen Oberarm ein. Die Inselbewohner drängen sich zwischen euch. Du hörst Allyster etwas rufen und Aji schreien. Dann rast eine Feuersteinklinge auf dein Auge zu. Ein scharfer Schmerz, der bis zu deinem Hinterkopf zieht. Feuchtigkeit auf deiner Wange. Und dann, im nächsten Herzschlag, ist alles still.
Dies ist kein Canon-Ende, deswegen gibt es hier keine Fortsetzung.
Um das Canon-Ende für Arthrax‘ Teil der Geschichte zu erreichen, musst du mit den Schöpfersteinen trainieren.
Vielen Dank fürs Lesen und viel Spaß beim Weiterspielen!