Du bist Aji.
„Wartet einen Augenblick“, rufst du deinen Begleitern zu, die bereits in den Schutz des Ammoniten tauchen wollen.
Allyster runzelt ungehalten die Stirn. „Was ist denn jetzt schon wieder?“
„Ich finde, wir sollten das mit der Ablenkung versuchen. Wieso sollten wir jemanden töten, wenn es auch so geht – noch dazu mit einem geringeren Risiko für uns?“
Allyster sieht zu Arthrax, der neben ihm wieder sichtbar wird, als er den Ammoniten loslässt. Die beiden grübeln einen kurzen Moment, dann nickt Allyster.
„Mir ist das egal. Siwa, willst du losschwimmen?“
„Natürlich.“ Der Kapitän lächelt. „Ich mag zwar ein Dieb und ein Schmuggler sein, aber mir wäre es auch lieber, unnötiges Blutvergießen zu vermeiden.“
„Dann machen wir es so“, sagt Allyster. „Ob wir noch etwas warten oder nicht, macht nicht mehr viel aus.“
So schwimmt der Graumeerer mit ruhigen Flossenschlägen in den Tunnel, während ihr in der Höhlenöffnung zurückbleibt. Vor den Wachen seid ihr durch das Gewirr der großen, verästelten Korallen verborgen, doch ihr behaltet die Meermenschen dennoch im Blick.
Bisher haben die Graumeerer nicht erkannt, dass ihr die Gruppe seid, die die Steine stehlen. Es gibt immerhin noch einige andere Reisende in diesem Land. Aber drei Kalynorer, die sich bei der Schatzkammer herumdrücken, wären dann doch zu auffällig.
Die Zeit dehnt sich in die Länge. Du betrachtest die Luftblasen mit Sorge, die aus euren ‚Rüsseln‘ nach oben steigen. Ein Pikun hält nicht für alle Ewigkeit, irgendwann ist der Filter aufgebraucht und kann euch keine Luft mehr beschaffen. Hatte Siwa recht und die Pikuns werden den ganzen Tag über reichen? Die Vorstellung, dass ihr zu lange hier festsitzt und euch unter Wasser die Luft ausgeht, ist erschreckend. Angst steigt bei der Vorstellung in dir auf und du merkst sofort, dass sich dein Atem beschleunigt, denn in der Maske kriegst du damit wenig Luft. So wirst du vom Pikun zur Ruhe gezwungen und schaffst es, die Angst zurückzudrängen.
Dann erklingt ein kupfernes Dröhnen. Die Glocke unter Wasser ist gedämpft, doch eindeutig eine Glocke, deren Töne durch die Gänge im Felsen verzerrt werden.
Sofort kommt Bewegung in die Wachen, die zu kleineren Grüppchen zusammenschwimmen und sich besorgt austauschen. Dann wird eine Gruppe aus zehn Meermenschen losgeschickt, um den Ursprung des Lärms zu erkunden.
Das ist bloß ein Fünftel der Wachen, doch das genügt euch. Nun sind auch ein Fünftel der Eingänge zur Schatzkammer unbewacht. Die Wachen schwimmen zwar noch rings um das Netz, aber das ist auch von Vorteil für euch. So ist so viel Bewegung im Wasser, dass die Graumeerer eure Schwimmzüge nicht wahrnehmen sollten.
Arthrax macht euch unsichtbar und ihr schwimmt los, wobei sich Allyster an euch beiden festhält. Ihr haltet euch zuerst an den Schutz der wurzelartigen Riesenkorallen, dann durchquert ihr den offenen Raum um das Netz und passt eine Lücke zwischen den Patrouillen ab, um ins Innere der Schatzkammer zu schwimmen.
Die Wände bestehen aus Münzen, Statuen und goldenem Tand. Die Gegenstände sind so dicht ineinandergefügt, dass sie eine feste, unebene Wand bilden. Wie Mauerwerk, doch ganz ohne Mörtel. So entstehen sichere Gänge aus Gold, durch die ihr tiefer und tiefer in die Schatzkammer eindringen könnt. In der Mitte schließlich gibt es eine größere Öffnung, einen runden Raum, in dessen Mitte ein Sockel schwebt, von einigen Ketten an seinem Platz gehalten.
Der Glockenklang verstummt. Siwa musste fliehen und eure Zeit ist damit begrenzt, bevor die Wachen zurückkehren. Doch es gibt ein Problem.
„Wo ist der Stein?“, zischt Allyster ungehalten. „Der Selenit sollte doch hier sein!“
Auf dem Sockel befindet sich kein Schöpferstein, obwohl ihr die Kuhle erkennt, wo er wohl liegen sollte.
Gleichzeitig durchdringt ein Ruf von draußen die neue Stille. „Das ist das Omen! Stille folgt auf den Glockenschrei! Es ist Zeit, schneidet das Seil durch!“
„Das Seil?“, fragst du alarmiert.
Arthrax befindet sich bereits wieder auf dem Weg nach draußen. Eilig schwimmt ihr ihm nach, doch ihr seid nicht weit gekommen, als eure Umgebung mit einem Mal absackt und ihr dadurch gegen die Gangdecke gepresst wird. Es knirscht, als sich die Massen an Gold um euch herum bewegen. Das Gewicht der Decke drückt euch weiter nach unten: Die gesamte Schatzkammer sackt ab!
Goldener Wolkennebel füllt die Gänge. Einige Goldstücke lösen sich aus der Wand, die zu sehr in Bewegung geraten ist, und du siehst erschrocken, dass der hintere Teil der Münze grau ist.
Es ist ein Stein! Ein mit Blattgold überzogener Stein!
Wie schnell ihr nach unten rauscht, kannst du nicht sagen, doch du spürst ein Knacken in den Ohren. Die Gänge lösen sich jetzt auf, das feste Muster, das ihnen Stabilität verlieh, ist gebrochen. Ihr versucht, euch zwischen den Steinbrocken hindurchzuwühlen. Dein Körper schmerzt und das Atmen wird noch schwieriger. Feine Risse durchziehen das Augenglas deines Pikuns.
Allyster und Arthrax rufen, aber du kannst ihre Worte nicht verstehen. Das Rumpeln um euch ist zu laut. Dann, mit einem Schlag, den du in deinen Ohren brennen spürst, kehrt eine beunruhigende Stille ein.
Betäubt siehst du zu, wie die Risse auf deiner Maske wachsen. Steine drücken dich nach unten. Eine unsichtbare Faust scheint sich um dich zu ballen.
Dann bricht das Augenglas, Wasser schlägt wie eine Faust auf dich ein, und es folgt rasch Schwärze.
Dies ist kein Canon-Ende, deswegen gibt es hier keine Fortsetzung.
Um das Canon-Ende für Ajis Teil der Geschichte zu erreichen, musst du das Labyrinth wählen.
Vielen Dank fürs Lesen und viel Spaß beim Weiterspielen!