So langsam legte sich die Nacht über die archaischen Zinnen der Stadt Ogrimmar. Der Mond, welcher heute beinahe voll war, ging an einem samtblauen, sternenübersäten Himmel auf. Noch hing die Hitze des Tages in den Gassen und zwischen den trutzigen Gebäuden. Die zugespitzten Stützpfeiler, hoben sich klar und schwarz vom Hintergrund ab. An einigen Stellen, wo weder Mond noch Sternenlicht vordrangen, herrschte absolute Finsternis. Doch die Hauptwege, waren hell erleuchtet. Die junge Elfin Balduraya, ging träumerisch die Strassen zum Tal der Weisheit entlang. Dort, so hatte sie vernommen, befand sich die Gemeinschaft der Paladine. Bis vor kurzem, hatten die Blutelfen, als einziges Hordenvolk zu Paladinen ausgebildet werden können, doch mittlerweile gab es auch unter den Tauren jene, die zu den Kriegern des Lichts ausgebildet wurden. Vielleicht würden noch andere Völker folgen. Doch bisher war es noch nicht so weit. Die Trolle, hingen noch sehr an ihren alten Göttern und die Orcs, interessierten sich mehr für den schamanischen Weg. Die Untoten hatten sowieso keinen Zugang mehr zum Licht, da ihnen die Voraussetzungen dafür fehlten, weil sie eigentlich gar nicht mehr an den Kreislauf des Lebens angeschlossen waren.
Auf einmal wurde Balduraya sehr nachdenklich, denn sie musste an die beiden Untoten denken, welche sie hierher begleitet hatten. Besonders Dabog, ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Er war ein äusserst seltsamer Geselle. Irgendwie hatte sie ihn ins Herz geschlossen. Dabei war ihr klar, dass dies eigentlich vollkommen verrückt war. Wie konnte man so etwas für eine Kreatur, welche gar keine Seele mehr hatte, empfinden? Doch… etwas an diesem Verlassenen war besonders. Er machte einen so lebendigen gefühlvollen Eindruck, auch wie er sie manchmal ansah. Er war so ganz anders, als alle Untoten, die ihr je begegnet waren. Sie dachte an den seltsamen Moment zurück, als Dabog auf einmal wieder ganz anders gewesen war. Was war nur geschehen? Es hatte sie irgendwie sehr erschüttert. Etwas war eigenartig an dieser ganzen Geschichte, auch dass Varunna und Dabog sich scheinbar zu kennen schienen, seltsam… Nun wie auch immer, Dabog war und blieb ein Verlassener ohne Seele und die Sympathien die sie für ihn hegte, waren fehl am Platz! Balduraya ging zu dem klaren Teich, welcher sich im Magierviertel befand und schaute hinab ins Wasser.
„Auch noch etwas unterwegs?“ fragte auf einmal eine bekannte, leicht schleppende Stimme hinter ihr.
Sie drehte sich etwas erschrocken um. Vor ihr stand Dabog! Sein Aussehen und sein Geruch, befremdete sie noch immer etwas, auch wenn sie sich schon grösstenteils daran gewöhnt hatte. Irgendwie fühlte sie sich ertappt und schuldig, weil sie gerade so schlechte Gedanken über den Untoten gehabt hatte. „Dabog…“ stotterte sie „du hier?“ „Ja“, gab der Verlassene mit seltsamer Heiterkeit zurück. „Du tust ja gerade so, als ob du einen Geist gesehen hättest!“ Balduraya räusperte sich, war ihre Verlegenheit so offensichtlich? „Ich hatte gerade keine so netten Gedanken.“ „Du bist zu streng mit dir selbst!“ erwiderte Dabog leichthin und setzte sich auf einen Stein, am Rand des Teiches. „Nein, eigentlich sollte ich meine Gedanken als Paladin rein halten.“ Dabog sprach: „Ich weiss nur wenig darüber, wie die Lebenden ticken, aber ich glaube, dass jeder mal negative Gefühle hat. Schau nur mal mich an, ich sollte eigentlich als Untoter unberührt von allem bleiben, weil… ich eigentlich keine Empfindungen mehr kenne und trotzdem bewegen mich in letzter Zeit Gedanken, die ich früher nicht kannte. Es ist… irgendwie, als hätte sie mir jemand in den Kopf gepflanzt, einfach so…“ Er klopfte an seinen Schädel, wobei sein bereits ziemlich lockerer Kiefer, leicht klapperte. Auch wenn Balduraya es nicht wollte, musste sie auf einmal lachen. Das alles war irgendwie total seltsam, die ganze Situation fast unwirklich. Das sass sie nun auf einem Stein, neben einem Untoten und sprach mit ihm, wie mit einem alten Freund. „Warum lachst du?“ fragte Dabog, musste dann jedoch selbst schmunzeln. „Ich weiss, dass alles an mir schon ziemlich klapperig ist. Wenn man bedenkt, wie stark und jung ich war, als ich starb. Ich hätte dir gefallen, denk ich. Nun scheint es, als würde ich schon seit Jahrhunderten leben, ich fühle mich alt und verbraucht, Gefühle die die Verlassenen sonst eigentlich nicht haben. Bevor ich diese seltsamen Erlebnisse mit diesen Träumen und dem grünen Nebel hatte und vor meinem Blackout, da war das alles noch kein Thema für mich. Doch seither, funktioniert es da oben nicht mehr, wie es sollte.“ Noch einmal klopfte er sich gegen den Schädel und wieder klapperte dabei sein Kiefer. Balduraya gab ein Prusten von sich, um ein noch lauteres Lachen zu unterdrücken. „Also eigentlich gefällst du mir ganz gut, so wie du jetzt bist.“ „Ich gefalle dir?“ Dabog schaute mit einer säuerlichen Miene an sich herunter „was kann einem daran schon gefallen, ich meine… wenn man eine Lebende ist?“ „Ich meine nicht das. Es ist, wie du sonst bist. Du hast Humor und du machst mir einen sympathischen Eindruck.“ „Dachte ich mir doch, dass ich dich mit meinem Körper nicht mehr beeindrucken kann. Tja, so ist das halt, wenn man zu den Verlassenen gehört. Nun wenigstens sind wir nicht die Sklaven des Lich Kings. Das haben wir unserer Fürstin Sylvanas zu verdanken. Und ausgerechnet sie, habe ich nun bestimmt enttäuscht. Es war nicht klug von mir, mit euch zu gehen, aber… was mit mir los war als ich diese Entscheidung traf, weiss ich beim besten Willen nicht. Wie gesagt, seit meinem Blackout stimmt nichts mehr mit mir.“ „Das ist aber vielleicht ganz gut so“, sprach Balduraya, „vielleicht war es dir vom Licht bestimmt, dass dein Horizont erweitert wurde.“ „Mein Horizont erweitert…, vom Licht…? Wohl kaum.“ „Warum denn nicht?“ „Weil das Licht nichts mit unsereins zu schaffen haben will. Wir sind unnatürliche Kreaturen, welche eigentlich gar nicht existieren dürften.“ „Du bist zu streng mit dir“, sprach die junge Elfin, und kurz darauf mussten die beide erneut schmunzeln, weil Dabog das gerade erst zu ihr gesagt hatte. Dann jedoch wurde der Untote wieder ernst „Gerade solche Gedanken sind es, die eigentlich einer wie ich nicht haben sollte und trotzdem… alles fühlt sich manchmal so falsch an. Dieser Körper, mein Dasein, einfach alles.“ „Willst du dich deshalb auf den Weg nach Darnassus machen?“ Dabog überlegte einen Moment „Ich weiss es nicht…“ erwiderte er schliesslich. „Ich weiss es wirklich nicht, ich bin durcheinander und manchmal ist es, als würden dunkle Schatten mein Dasein umwölken und ich finde mich… gar nicht mehr zurecht. Auch dass ich jetzt bei dir sitze und mich so mit dir unterhalte, es ist für jemanden wie mich widernatürlich.“
Balduraya nickte nachdenklich und starrte ins glasklare Wasser des Teiches. Ein paar Fische mit glitzernden Leibern flitzten vorbei und verschwanden wieder. So schnell, wie sie gekommen waren. Sie schaute Dabog an, dessen Blick war irgendwie plötzlich leer und es wirkte, als wäre er auf einmal wieder weit entrückt…
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