Rating: P16
Datum: 1723 nach Bernstein
Basiert auf der Geschichte des Whitman-Massakers:
https://de.wikipedia.org/wiki/Whitman-Massaker (Artikel spoilert wenig)
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„Ein Medizinmann soll sich mit Leib und Seele für das Wohl seines Stammes einsetzen. Wer seinem Schutz anvertraut wurde, den muss er vor allen üblen Geistern beschützen.“ Häuptling Apephianai sah in die Runde, die sich im Lehmhaus versammelt hatte. Der Lichtschein aus der Feuerstelle flackerte auf gebräunter Haut und rotem Haar und ließ die Augen der Indianer kampfeslustig glitzern.
Es kam nicht oft vor, dass der Stamm der Umihunra das alte Gesetz in Anspruch nahm. Ein Medizinmann, der bei der Heilung seiner Patienten versagte, konnte mit Leib und Seele für seinen Fehler zur Rechenschaft gezogen werden.
Für gewöhnlich verzichteten die Assai-Indianer darauf. Sie wussten, dass nicht jeder Mensch zu retten war. Der Tod gehörte für sie auf diesem Kontinent der Langlebigen zum Alltag.
Doch mit diesem Medizinmann stand es anders. Es häuften sich die Gerüchte, dass er die Krankheit verbreitete, statt sie zu lindern. Die Hälfte aller Kinder des Stammes und mehrere Erwachsene waren bereits an ihr gestorben, insgesamt nun einhundert Personen. Darunter auch drei der Kinder des Häuptlings. Während die Assai einer nach dem anderen dahingerafft wurden, starben drüben im Lager der Grünhäute, ihrer Mission Besh-Nash, nur eine Handvoll besonders kränklicher Kinder.
Dass der Medizinmann ein Grüner war, bestärkte die Indianer weiter in ihren Verdächtigungen.
„Er ist kein Heiliger Mann“, sagte Rheskfa, einer der Krieger. „Ich sah ihn, wie er mit den Lengba-Karten um Geld spielte.“
Ein Raunen ging durch die versammelten Kämpfer. Seit ihrer Ankunft predigte Adeus-Abashmudhes von der Heiligkeit der Karten, die nicht entehrt werden durften.
„Und ich sah“, warf ein anderer Krieger ein, „wie ein Kind Gaben vom Schrein stahl. Er sah es ebenfalls und tat nichts dagegen.“
„Die Grünen sagen das eine und tun das andere“, stellte Häuptling Apephianai fest. „Ich sage: Wir können ihm nicht vertrauen! Adeus-Abashmudhes genießt nicht länger unsere Freundschaft. Er soll gerichtet werden.“
„Muw!“, stimmten die Krieger zu.
Der Häuptling nahm die Platte vom Boden, die in der Mitte des Raumes gestanden hatte. Darauf lagen dicke, rote Feuerbohnen, die im Licht der Flammen schimmerten.
Stille sank über die Versammlung.
„Die Grünhäute kommen in unser Land und bringen ihren falschen Glauben mit“, sprach Häuptling Apephianai feierlich. „Ihnen folgt Verderben für alle, die ihnen die Hand in Freundschaft reichen. Und nun wollen sie unser Land stehlen.“ Er senkte die Platte wieder. „Wer ist bereit, unser Land mit Blut zu befreien?“
Rheskfa war der Erste, der zugriff. Er nahm eine der Bohnen und steckte sie sich in den Mund. Andere Mutige folgten seinem Beispiel. Sie verzogen die Gesichter, als der Saft der Bohnen im Mund brannte und die Schärfe ihnen den Atem nahm. Dann spuckten sie die roten Kerne in ihre Hände, verrieben sie zu einem pulverigen Brei und zogen die traditionellen, schmerzenden Linien der Kampfbemalung über ihre Haut.
⁂
Rheskfa schlich durch die Dunkelheit. Die Siedlung der Grünen lag nur wenige Meilen entfernt. Ihre klobigen Bauten aus rauem Stein erinnerten ihn manchmal an das Spielzeug von Kindern.
Die Umihunra schlichen durch das Präriegras, ohne einen Laut zu verursachen.
Seit fünf Jahren waren die Missionare nun schon ihre Nachbarn und Freunde. Obwohl es Rheskfa widerstrebte, jemandem zu schaden, den er so lange gemocht hatte, wusste der Krieger doch, dass es keinen anderen Weg gab. Und war es wirklich Freundschaft gewesen, die sie verband? Der Missionar sprach wenig mehr Assai Sawhet als die Kinder des Stammes, die anderen Grünhäute oft nur einzelne Worte. Nun sahen die Umihunra klar, dass die Fremdlinge sich nie an ihre Kultur angepasst hatten. Stattdessen wollten sie die Assai zu ihrer eigenen Lebensweise bekehren.
Es dämmerte der Morgen und sie verbargen sich im Schatten der kleinen Blechschmiede. Die Männer der Grünhäute gingen zur Arbeit. Doch Adeus-Abashmudhes würde noch einige Zeit in der Kapelle verbringen, die die Dhubyani hier errichtet hatten.
Es waren viele Fremdlinge im Lager. Die meisten hatten grüne Haut und grüne Haare, doch es gab auch noch merkwürdigere. Die wenigen Gebäude platzten aus allen Nähten. Allmählich hatten die Assai begriffen, dass die Siedler bleiben würden. Dass es mehr werden würden. Dass sie ihnen das Land ihrer Vorfahren trotzig machten.
Als die Männer sich an ihre Arbeit machten, gab Rheskfa seinen Kriegern ein Zeichen. Sie huschten über das kurze Stück gelben Grases und hinter die Kapelle.
Drinnen erklang die Stimme des alten Missionars, der seine Götter im Gebet anrief.
Alles Lügen. Das wusste Rheskfa nun. Er zückte den Tomahawk aus Kupfer und eilte als erster durch die Tür. Die feurig brennenden Linien in seinem Gesicht erinnerten ihn stetig an die Pflicht, die er zu erfüllen gedachte.
Der ältliche Dhubyani kniete mit dem Rücken zur Tür im Rauch des Schreins. Er hörte Rheskfas Schritte nicht über seinem Gesang.
Ein kurzer Schnitt, um ihr Volk von einem großen Übel zu befreien. Rheskfa wusste, dass dies nicht das Ende sein würde, sondern der Anfang. Abashmudhes‘ Volk und Familie würden Rache wollen. Noch während das Blut seine Haut netzte, wusste er, dass er damit zornige Geister auf das Volk der Umihunra herabrief.
Doch sie waren bereit. Schon bevor der leblose Leib des Missionars auf den Boden sank, waren die Krieger aus der Kapelle geflohen. Ihr Stamm befand sich schon auf dem Weg, mit Spitzzelten der Nunya und Vorräten für einige Monate. Verstreut würden sie in den nahen Bergen Schutz suchen.
Es war kein leichter Weg, doch er musste gegangen werden.
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Fortsetzung: Wie diese Geschichte weitergeht, konnten meine Spieler im Hyphurion-P&P entscheiden. Die Zusammenfassung der Runde findet sich hier: https://belletristica.com/de/books/27338/chapter/402821