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Datum: etwa 1730 nach Bernstein, Sommer
Nach dem Prompt „Biber“ der Gruppe „Crikey!“
Weitere Quellen: "My Mother told me" (Nordisches Volkslied), Grey Owl (Trapper & Biberschützer)
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Styrmir fasste den Stock fester und zog sich das letzte Stück herauf. Der kühle Wind des Gebirges fuhr in sein Haar wie früher die eisige Brise des Meeres. Er seufzte wehmütig und rückte das schwere Bündel auf der Schulter zurecht.
Eigentlich mochte er die jährlichen Treffen. Wie könnte er auch nicht? Nach Monaten in der Einsamkeit der wajbaqischen Wildnis konnte er endlich wieder andere Erdwesen sehen. Sonst traf man nur vereinzelte Indianer, Nunya oder Assai, die auf Handelsreisen vorbeikamen. Aber beim Treffen der Trapper kamen die Siedler zusammen. Zwerge, Menschen und Elfen aus ganz Korr'dai, zusammengeschweißt zu einer eingeschworenen, bunten Gesellschaft im Schatten der Nandi. Er würde Freunde wiedersehen und die Geschichten der langen Einsamkeit erzählen können.
Außerdem würden die Pelzhändler hier sein. Das schwere Bündel Pelze über seiner Schulter würde sich bald in deutlich leichtere Flaschen und Vorräte verwandeln. Die Schneider und Lederarbeiter der Tasmada-Städte warteten schon sehnsüchtig auf die Waren.
Trotzdem erfasste ihn Wehmut, wie immer. Schon von hier oben konnte er das Gewimmel am Fuß der Canyons sehen. Lirhajner, Dhubyani, Castianer und mehr versammelten sich um die große Blockhütte am einzigen Fluss in der Nähe. Doch es waren keine Vikrir darunter. Styrmir hätte ihr rotes Haar sofort erkannt.
Er atmete noch einmal tief durch und machte sich dann an den Abstieg. "Pah", murmelte er vor sich hin. "Die Thosta mit ihrer Prophezeiung! Ein Schiff mit Laderäumen voller Gold und eine ergebene Mannschaft. Und wo bin ich? In einer Wüste!" Er würde über die Ironie lachen, wenn es nicht so traurig wäre.
Am Abend saßen die Trapper nach vielen Begrüßungen in der großen Hütte des Halbbluts. Sajo Schakwen war zur Hälfte ein Assai, zur anderen Hälfte lirhajnischer Elf und wohnte bereits an die dreißig Jahre in diesem Haus, zusammen mit den wilden Bibern der Nandi. Entsprechend war seine Hütte zur Hälfte eine Biberburg, deren Ausläufer sich in den See erstreckten, den die Tiere selbst gestaut hatten. Die Trapper saßen im trockenen Teil der Halle und die Biber waren im Wasser zu sehen, wo sie die Fremden misstrauisch ansahen und sich durch gelegentliche Schläge des Waffelschwanzes in der Strömung hielten.
"Lasst uns Geschichten hören!", rief Sajo nach dem Abendessen. Er zückte Papier und Kohlegriffel, denn wie immer hielt er die Abenteuer der Trapper fest.
"Ich habe eine Geschichte!", rief der erste. "Als ich am Fluss war, um Lachse zu fischen, stand ich plötzlich vor drei Hyänen! Es war nämlich so: Die Vorräte waren mir ausgegangen und ich brauchte neuen Fisch. Wie ich mich da so mit Speer und Netz über das Wasser beugte, höre ich ein Knurren hinter mir! Immer habe ich auf meine Umgebung geachtet, doch in diesem Moment war ich zu hungrig ..."
Alle rückten näher zusammen. Die Geschichte des Zwerges, der wie sie alle bärtig und wettergegerbt war, gekleidet in alte, muffige Pelze, war sicherlich übertrieben. Aber sie würde unterhaltsam sein.
Styrmir überlegte, was er erzählen könnte. Einige gefährliche Momente hatte es in diesem Jahr gegeben. Ein paar Mal hatte er gar geglaubt, das Treffen nicht mehr zu erleben. Er könnte von dem Riesengeier berichten, den er gesehen hatte - wirklich und wahrhaftig, wie in den Legenden der Wilden! Niemand würde ihm glauben, doch er hatte einen Trumpf: Eine riesige Feder im Gepäck.
Doch damit wäre er höchstens der Jarl der Geschichtenerzähler, oder etwa nicht?
Er tastete nach der Feder. Immerhin Jarl für einen Tag ...
Ungläubig sah Styrmir auf den schweren Beutel, den der Händler ihm reichte.
"F...für die Feder?" Er umklammerte den Stiel zögerlich.
Der Zwerg ihm gegenüber nickte. Es war ein Zwerg mit smaragdgrüner Haut und ebenso dunklem Haar, das jedoch einen breiten Streifen bernsteinfarbener Strähnen hatte. "Das ist die einzige Spur auf ein neues Typusexemplar! Donnervogel nennen die Indianer ihn, sagtet Ihr? Das muss ich unbedingt erforschen!"
"Na gut ..." Ungläubig legte Styrmir die Feder vor sich ab und nahm den Beutel mit Dinan entgegen. So viel Gold! Was sollte er damit bloß tun? Ihm war leicht schwindelig. In Alkohol konnte er das Gold jedenfalls nicht umwandeln. Schon in Münzform wog es so viel wie die Pelze, die er abgesetzt hatte. Das würde ihm den Rücken brechen!
Schwankend, das Gold in beiden Armen, begab er sich fort von dem merkwürdigen Zwerg und zu den anderen Händlern. Die meisten von ihnen hatten Zugtiere dabei ...
"Wo hast du den Vogel gesehen, Styrmir?", fragte ihn Bold, ein lirhajnischer Zwerg. "Glaubst du, du kriegst noch mehr Federn?"
"Das habe ich vor", murmelte Styrmir. Bold konnte man das anvertrauen. "Sie sind leichter als Biberpelze und auch weniger schwierig zu transportieren. Selbst wenn keine Wissenschaftler dafür zahlen ..."
"Dann vielleicht Kleidermacher." Bold nickte eifrig. "Das haben ich und ein paar der Jungs uns auch gedacht. Denkst du, du kannst uns mitnehmen? Gegen einen Anteil an unserem Erlös?"
Styrmir stockte. "Schon ... Ich kenne ein paar Orte, wo alte Nester sein könnten. Mit einer größeren Truppe wären sie leichter zu plündern."
Bold nickte breit grinsend. "Dann ist es abgemacht! Ich frag mal rum, wer alles mitkommt. Die meisten wollen ja doch eher auf traditionelle Fallen machen."
Als das Treffen nach zwei Wochen fast ununterbrochener Feierlichkeiten endlich um war, verließ Styrmir es als ein gänzlich anderer Zwerg. Nicht mehr als schwer stapfender Trapper, sondern auf dem Rücken eines Trampeltiers, in dessen wiegenden Gang er sich einfügte. Die Taschen des Tieres waren voll mit Vorräten und dem Gold, das er nicht mehr losgeworden war, und ihm folgte ein Trupp aus befreundeten Trappern, denen er erlaubt hatte, ihn zu begleiten. Viele hatten mitgewollt, doch er hatte nur jenen die Erlaubnis gegeben, denen er vertraute.
Das Trampeltier machte wiegende Schritte, fast wie ein Schiff auf den Wellen. Styrmir trug ein Lied auf den Lippen und wusste, dass nun doch alles eingetroffen war wie prophezeit.