Mindestens ebenso ungelenk, wie ihr erster Kuss, stolperten Rick und André nicht ganz drei Stunden später die Stufen eines Treppenhauses nach oben. Wohlgemerkt nicht das, welches zu Rickys Wohnung führen würde. Das war ihm im Augenblick aber reichlich egal. Weniger egal waren ihm die Hände, die ihn vorwärtsdrängten und dabei an dem Hemd zerrten, dass sich offensichtlich irgendwo in seiner Hose verhakt hatte.
Die verdammte Jacke störte auch gewaltig! Ganz zu schweigen von den Klamotten, die André noch immer am Körper trug. Die waren definitiv im Weg. Da half auch alles Zerren und Schieben nichts.
„Du hast gesagt, du wohnst näher“, zischte Ricky gereizt, weil sie hier noch immer quasi in aller Öffentlichkeit rummachten, während er sich schon seit mindestens zwanzig Minuten lieber in der Horizontalen befunden hätte.
„Dann beweg deinen süßen Hintern halt endlich da rauf!“, keifte André ebenso ungeduldig zurück. „Oder muss ich dich etwa tragen?!“
Ricky stöhnte, weil der Gedanke Bilder in ihm auslöste, die er hier im Hausflur ganz sicher nicht zum Leben erwecken wollte. „Welche Tür?!“, keuchte er stattdessen.
„Nächste Etage. Rechts“, knurrte es an Rickys Hals, während ihn zwei kräftige Hände unter dem Po griffen und jetzt doch die folgenden drei Stufen hochhoben.
Ein weiteres Stöhnen entkam ihm. Für einen Moment musste Rick die Augen schließen, um seinen Atem einigermaßen wieder unter Kontrolle zu bringen. So verflucht spitz war er seit Monaten nicht mehr gewesen. Und das lag ganz sicher nicht nur daran, dass der letzte Sex schon eine Weile her war. In seinem Rücken schob sich nun eine der Hände unter seine Jacke. Von dort fand sie ebenso den Weg unter das Hemd. Und kurz darauf, nachdem sie über viel zu erhitzte Haut geglitten war, auch den in seine Hose.
„Beweg dich, Ricky. Ich will den Rest von dir endlich näher kennenlernen.“
„Beim ersten Date gleich im Bett zu landen, ist nicht sonderlich schicklich“, gab der mit einem leichten Grinsen zurück – stolperte aber trotzdem die letzten zwei Stufen hoch und ließ sich nach rechts zur Wohnungstür drängen.
„Ist mir egal.“
„Also willst du nur mit mir vögeln und sonst nichts?“
Ruckartig schnellte André Kopf nach oben. „Ich wollte ... nicht ...!“, stammelte er mit einem Mal verdattert. Als er jedoch Ricks hämisches Grinsen sah, presste er diesen mit einem weiteren Knurren heftig gegen die Tür. „Du spielst gern, was?“
Mehr Stöhnen, als sich Andrés Hand diesmal vorn in seine Hose schob. Die Lippen, die sich gleichzeitig auf seine eigenen legten, ersparten es Ricky, nach einer passenden Antwort zu suchen. Aber ja, gewissen Spielen konnte er durchaus etwas abverlangen. Vor allem, wenn er sie mit den richtigen Männern treiben konnte. Und dass André ein solcher war, stand für Rick nach den vergangenen Stunden außer Frage.
Wie auch immer der Kerl es schaffte, zwischen den Küssen eine freie Hand zu finden, um die Tür auf zu schließen, würde Ricky vermutlich nie begreifen. Auch nicht, wie sich kurz darauf schon wieder ein paar Hände wie fünf anfühlen konnten. Mindestens zwei zerrten ihm die Jacke von den Schultern. Weitere fummelten an den Knöpfen seines Hemdes und da war auch noch irgendwoher eine aufgetaucht, die sich erneut in seine Hose schob.
„Oh, Mann“, keuchte Rick, als sich Andrés Hand um ihn schloss und ein Daumen mit genau dem richtigen Druck über empfindliche Haut glitt.
Nicht einmal das unüberhörbare Krachen, als die Tür zu getreten wurde, konnte ihn im Augenblick von den Fingern ablenken, die da gerade ausgesprochen freundlich zu Ricky wurden. Woher die ganzen Hände auf einmal kamen, war ihm völlig unklar. Um sein Denkvermögen war es im Moment allerdings nicht sonderlich gut bestellt, also beschränkte Ricky sich auf ein weiteres Keuchen.
Erst als er spürte, wie sein Hemd, endlich offen, zur Seite geschoben wurde, fanden die Synapsen in seinem Hirn wieder eine Verbindung zueinander. Hastig beeilte er sich, wenigstens eine Schicht bei André ebenfalls endlich loszuwerden. Immerhin wartete er seit fünf verdammten Tagen immer unruhiger drauf, herauszufinden, was sich unter den eng anliegenden Poloshirts wirklich verbarg.
Ein dumpfes, fast klopfendes Geräusch und aus dem Augenwinkel konnte Rick sehen, das ein paar Schuhe durch die Gegend gekickt wurden. Seine Eigenen bekam er dummerweise nicht einfach so abgestreift, was reichlich nervte.
„Moment“, forderte er leise lachend, als sich ein Paar Lippen bereits erneut an seinem Hals entlang zum Schlüsselbein vorarbeitete. Jede Sekunde, die André von ihm abließ, schien zu viel zu sein. Während Rick fahrig an seinen Schnürsenkeln riss, schaffte sein Begleiter es, ihm zwischendrin das Hemd zumindest über die Schulter zu ziehen. Weiter kam er allerdings nicht, denn Ricks Hände waren noch immer mit den verfluchten Schuhen beschäftigt. Deren Bänder hatten sich offenbar beim Aufziehen verknotet.
Dafür schien André keine Geduld mehr aufbringen zu können. Mit einem Mal beugte er sich ein Stück vor und ehe Rick sich versah, hing er mit einem Mal über dessen Schulter. „Hey!“, quietsche er mit einem lauten Lachen. „Was wird das denn jetzt?“
„Du bist zu langsam!“, gab André mit einem eigenen, unüberhörbaren, Grinsen in der Stimme zurück.
„Lass mich runter!“, feixte er belustigt, als er bereits durch den Flur geschleppt wurde. Hastig krallte Ricky sich in das Shirt an Andrés Rücken, um nicht doch noch herunterzufallen. Die Position war allerdings ausgesprochen unangenehm – aus diversen Gründen – und so konnte er nicht aufhören herumzuzappeln.
„Halt lieber still, sonst fällst du noch runter und ich hab keine Lust, dich verarzten zu müssen.“
Schon flog Rick förmlich durch die Luft und landete kurz darauf federnd auf einer angenehm weichen Matratze. Ein weiterer Rundblick bestätigte, dass sie es endlich bis ins Schlafzimmer geschafft hatten. Wirkliches Interesse hatte er an der Einrichtung jedoch nicht, weshalb sein Blick prompt wieder auf dem braunen Haarschopf landete, der sich inzwischen zu seinen Füßen befand.
„Da gefällst du mir schon deutlich besser“, rutsche es Ricky heraus, während sich ein hinterhältiges Grinsen auf seinen Lippen zeigte.
Überrascht sah André auf. Es dauerte sicherlich drei Sekunden, bis seine Gedanken endlich folgen konnten. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, zerrte er die Schuhe von Rickys Füßen und schmiss sie über die Schulter nach hinten. Sein Grinsen wurde breiter – und verging ihm prompt, als Andrés Hände ihm die Hose vom Po bis zu den Knien runter zogen und Lippen, samt Zunge, begannen seinen Schritt näher zu erkunden.
„Fuck. Ja“, keuchte Rick verhalten.
Der Versuch, stillzuhalten und einfach nur zu genießen, scheiterte bereits im Ansatz, als die gleichen Lippen sich endlich um ihn legten. Selbst wenn er am Bett festgenagelt gewesen wäre, hätte er sich nicht dagegen wehren können, nach oben zu stoßen.
Leider war der Mund dann auch schon wieder verschwunden und Rick murrte unzufrieden. Das fette Grinsen auf Andrés Lippen sprach Bände. Eine ganze Romanreihe, die er verflucht dringend lesen wollte. Mehrfach. Genau die Art von Literatur, der er sich nur zu gern widmete.
„Du hast eindeutig zu viele Klamotten an“, raunte Ricky stattdessen, während sein verhangener Blick von Andrés verheißungsvollen Lippen tiefer zu dessen Brust wanderte. Den weiteren Weg verbot er sich selbst. So ein bisschen Prickeln musste immerhin noch für den Rest der Nacht bleiben.
Mit einem erneuten Ruck zog André Rickys Hose – samt Unterhose – endgültig von seinen Beinen, sodass der schließlich nur mit seinem bereits offenen Hemd dasaß. Bevor ihm das auch noch abhandenkam, krabbelte er jedoch rückwärts das Bett entlang, bis er gegen das Kopfteil stieß und sich dagegen lehnte. Rickys Blick hing weiterhin auf André, allerdings weniger auf dessen Gesicht, als irgendwo auf Hüfthöhe. Denn im Augenblick konnte er sich nicht mehr entscheiden, ob er auf den deutlich ausbeulenden Schritt oder die heftig bebende Brust starren wollte.
Mit der rechten Hand fuhr er einmal über seinen eigenen Ständer, bevor er sich entschied, André lieber nicht zu viel Arbeit dahingehend abzunehmen. Ein kurzer Blick auf die glasigen, graublauen Augen, die Rick ganz sicher ebenso wenig ins Gesicht sahen, verrieten ihm jedoch nur zu deutlich, dass der das wohl kaum als ‚Arbeit‘ bezeichnet hätte.
„Ausziehen“, zischte Ricky, während seine Hand erneut auf Wanderschaft ging. Hastig zuckten Andrés Finger zum eigenen Shirt. „Schön langsam ...“
Ein Stöhnen, aber trotzdem wurde seine Anweisung befolgt. Mit garantiert nicht weniger glasigen Augen starrte Rick auf den Bereich frei zugänglicher Haut, der sich vor ihm offenbarte. Den ganzen Abend, nein schon die letzten Tage, hatte er sich immer wieder vorgestellt, was sich da neben den definitiv nicht zu verachtenden Brustmuskeln alles verbarg.
Eine Sekunde lang war er irritiert, dass auf der rechten Brust ein kleines Tattoo prangte, doch zum Nachdenken hatte er weder Lust noch Muse. Vielleicht auch einfach nicht genug freies Blutvolumen. So genau konnte man das schließlich nicht sagen.
„Wie viele Stunden verbringst du eigentlich täglich im Fitnessstudio“, wispere er stattdessen zufrieden, als das Shirt endlich zu Boden sank.
„Würde es dich sehr schockieren, wenn ich sage, gar keine?“, gab André lachend zurück. Langsam kletterte er aufs Bett. Ganz allmählich schlich er auf allen vieren näher.
„Eher sehr verwundern“, murmelte Rick, während er den gierigen Blick Andrés nicht aus den Augen ließ. Das hier gefiel ihm viel zu gut. Jede verdammte Sekunde dieses Spiels genoss er bis zum Ultimo.
„Sport mache ich lieber für mich alleine“, erklärte André weiter. Dann grinste er plötzlich. „Ausgenommen diese eine Art von ... Sport.“
Ricky lachte und schlug sich leicht auf den klar und deutlich untrainierten Bauch. „Wie man sieht, bin ich nicht so der Sportler.“
In dem Moment griff André sich Rickys linken Fuß und zog ihn mit einem kräftigen Ruck zu sich heran. „Hast du nicht nötig“, wisperte er leise und drückte Rickys Beine auseinander. „Alles genau so, wie es sein soll, an dir.“
Gerade wollte André sich zu ihm runterbeugen, als er plötzlich einen Fuß im Gesicht hatte. Irritiert und mit reichlich Verwunderung wurde selbiger Fuß beiseitegezogen. Dann sah er zu Rick, der ihn breit angrinste.
„Erst will ich das volle Angebot sehen, André. Danach reden wir weiter.“
Mit einem Knurren beugte der sich vor und eroberte ungebremst Rickys Lippen. „Viel geredet wird jetzt nicht mehr, dass das klar ist.“
Gespielt zurückhaltend drückte er André von sich und grinste schelmisch. „Ach ja? Was dann?“
Eine forsche Hand fuhr Ricky wenig sanft über den Schritt, massierte, während André ihn nicht aus den Augen ließ. Schon konnte Rick spüren, wie sich sein Herzschlag zusammen mit seiner Atemfrequenz beschleunigte. Aber so einfach sollte er diesem Mann nicht die Führung überlassen.
Also bäumte er sich auf und schaffte es André zur Seite zu rollen. Der wehrte sich allerdings auch nicht gerade dagegen. Das Lächeln unter ihm war ausgesprochen zufrieden. Ebenso die Hände, die zuerst über seinen Po und anschließend unter dem noch immer lose von seinen Schultern hängenden Hemd nach oben fuhren.
Ein kurzer Umweg über Rickys Brust, dann wanderte eine Hand wieder tiefer zu seinem Schritt. „Also ich dachte, ich bringe erst einmal zu Ende, was ich eben anfangen wollte.“
„Und danach?“
Scheinbar mühelos richtete André sich auf, während er Rick weiter auf dem Schoß hielt. Mit der rechten Hand streifte er über dessen Schulterblatt und damit das Hemd von Rickys Schulter. Als sich auch noch ein paar Lippen an seinen Hals legten, schien jede Vernunft aus ihm herauszufließen. Glücklicherweise nur die, denn da wanderte schon wieder eine Hand in Richtung seines Schritts.
„Dann zeige ich dir das Bad“, raunte André an Rickys Ohr. Filigrane Finger glitten seinen Rücken hinab und schob sich über seinen Po. „Und danach werde ich sehen, wie oft ich dich heute Nacht kommen lassen kann.“
Für einen Moment wusste Ricky nicht, was er dazu sagen sollte. Aber die Vorfreude darauf, dass André seine Worte tatsächlich wahr machen würde, ließ ihn in dessen Schoß unruhig hin und her rutschen.
„Ganz schön von dir überzeugt.“
„Zu Recht.“ Ricky grinste, antwortete jedoch nicht. „Ich wette, mindestens dreimal.“
Diesmal zog Rick die Augenbrauen hoch. „Um was?“, schoss es aus ihm heraus, bevor er sich bremsen konnte.
„Wenn ich es schaffe, gehst du weiter mit mir aus.“
Vorausgesetzt André hielt Wort, wäre das im Falle einer Niederlage nicht gerade ein hoher Preis. „Und wenn nicht?“
Ein kurzes Lächeln, dann zuckte André mit den Schultern. „Darüber denk ich nicht mal nach. Also wähl deinen Einsatz.“
Was da gegen Rickys Po drückte, war mehr als verlockend. Und die Hände, die noch immer über seinen Körper wanderten zu ablenkend, als dass er einen klaren Gedanken fassen konnte. Verzweifelt versuchte Ricky, irgendetwas zu finden, aber im Grunde wollte er diese Wette nur zu gern verlieren. In seinem Kopf schien gähnende Leere zu herrschen.
Deshalb hatte Ricky auch keine Ahnung, woher seine Antwort schließlich kam: „Ein Foto von Marie bei der Hochzeit.“
„Wie bitte?“ Irritiert sah André auf und runzelte die Stirn.
Beschämt senkte Rick den Kopf. Wieso war ihm ausgerechnet das jetzt eingefallen? Das war ja wohl das Mieseste, was er hatte setzen können. Trotzdem zwang er sich ein Lächeln ab.
„Ich wollte schon immer mal sehen, wie meine Kleider bei einer Hochzeit wirklich aussehen.“
André lächelte. „Deal.“
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Es war ein merkwürdiges Kitzeln an seinem Rücken, das ihn weckte. Langsam fuhr ein Finger seine Wirbelsäule entlang – vom Nacken bis hinunter in Richtung Po. Eine Spur kleiner Nervenexplosionen, die angenehmer nicht sein könnten. Na gut, vielleicht etwas schöner, aber im Augenblick nicht viel. Fast war er versucht, die Augen geschlossen zu halten, allerdings war Ricky sich sicher, dass er das kurze Zittern seines Körpers nicht hatte verstecken können.
Trotzdem glitt der Finger voran. Weitere kamen dazu, bis sich eine Hand zärtlich über seinen Po legte und darüber hinweg fuhr. Er lächelte, als die gleichen Finger ihren Weg in Richtung weniger sichtbarer Bereiche suchten.
„Noch nicht genug?“
„Die Nacht ist bisher nicht ganz vorbei“, murmelte André, während er einen Kuss in Rickys Nacken hauchte. „Ich muss jede Minute nutzen.“
Langsam drehte er sich auf den Rücken. André machte ihm Platz, beugte sich aber sofort halb über ihn. „Meine Chance auf das nächste Date gebe ich nicht so schnell auf.“
Rick lächelte, denn immerhin konnte er André nicht vorwerfen, dass der nicht alles gegeben hatte. Aber irgendwann war zumindest er selbst einfach zu müde und körperliche Grenzen erreicht gewesen. Deshalb zog er statt einer Antwort den Kopf über ihm zu einem Kuss nach unten und schloss die Augen.
„Hat nie jemand gesagt, dass es, solltest du verlieren, kein weiteres Mal geben kann“, flüsterte er leise. Denn wenn Rick ehrlich war, wollte er nur zu gern wieder mit André ausgehen. Nicht nur weil der Sex in der Tat verdammt befriedigend gewesen war. Vielmehr da dieser Mann in jedem Detail genau das zu sein schien, was er sich von seiner nächsten Beziehung vorgestellt hatte.
„Jederzeit, Ricky“, raunte André und küsste ihn erneut. „Es war ein toller Abend mit dir.“ Er sah auf und Rick direkt in die Augen. „Und ich meine wirklich den Abend, nicht allein die Nacht. Ich würde nur zu gern noch sehr viel mehr davon mit dir genießen.“
Ein Flattern machte sich in Rickys Bauch breit. „Das klingt gut“, wisperte er leise. Denn genau das tat es. Es war so verdammt einfach gewesen. Der ganze Abend, die Verabredung und auch wenn er normalerweise nicht gleich beim ersten Date im Bett mit jemandem landete ... Selbst das hatte sich schlicht richtig angefühlt. Vielleicht diesmal ...
Ein sirenenartiges Handyklingeln riss ihn aus seinen Gedanken. Seufzend ließ André den Kopf auf Rickys Brust fallen. „Entschuldige.“
Verwundert runzelte er die Stirn: „Wieso?“
„Ich muss los“, erklärte André mit einem schiefen Grinsen. Dann richtete er sich auf und deutete über die Schulter in die Richtung, aus der noch immer der Sirenenklingelton ertönte. „Arbeit ruft.“
Ricky lachte und sah, weiterhin im Bett sitzend zu, wie André hastig frische Sachen aus dem Schrank zerrte und danach in Richtung Bad sprintete. Auf dem Weg dorthin hatte er wohl auch sein Handy gefunden, denn der penetrante Ton hörte endlich auf.
Zwei Minuten später stand André schon wieder mit nassen Haaren und angezogen im Schlafzimmer. Rick hatte es gerade einmal geschafft, aus dem Bett zu klettern und seine Sachen zusammenzusuchen. Verdattert starrte er André an.
„Dein Boss muss ja reichlich nervig sein, wenn du sofort springst“, murmelte er irritiert von der Eile.
„Entschuldige“, gab André nur grinsend zurück und küsste ihn auf die Wange. „Lass dir Zeit. Du weißt, wo die Dusche ist. In der Küche gibt es Kaffee und vielleicht auch noch was im Kühlschrank. Da bin ich zugegeben nicht ganz sicher. Zieh die Tür hinter dir zu, wenn du gehst. Ich melde mich später. Okay?“
Was sollte das denn jetzt? Nackt, wie er war, folgte er André in den Flur, wo der sich schon die Schuhe anzog. „Ist irgendwas passiert?“, fragte Rick verunsichert von der plötzlichen Eile.
„Nein, alles okay“, gab André noch immer lächelnd zurück. „Der Klingelton ist nur für Notfälle. Wenn sie da anrufen, dann muss ich gleich los. Tut mir leid.“
Ein unangenehmes Ziehen breitete sich in Rick aus. Im Grunde wusste er ganz genau, dass er die nächste Frage nicht stellen sollte. Eine düstere Vorahnung, die ihn versuchte, davon abzuhalten. Weil er es im Grunde gar nicht wissen wollte.
„Was ... ist das für ein Job?“
„Hm?“
Das Ziehen wurde stärker. Einfach nicht fragen. Unwissenheit war manchmal eben ein Segen. Aber wie lange wollte er das durchziehen? Man konnte doch nicht mit jemandem eine Beziehung erwägen, wenn man nicht einmal wusste, was der den ganzen Tag so trieb. Oder?
André schien das Beben nicht zu bemerken, das Ricky meinte, durch seinen eigenen Körper laufen zu fühlen. Er zog sich die Jacke an und trat lächelnd noch einmal auf ihn zu. Mit beiden Händen umfasste er Ricks Gesicht, ein Daumen streichelte über seine Wange, während das Ziehen in seinem Bauch unerträglich wurde.
„Ich mag dich echt, Ricky“, flüsterte André leise und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen.
„Als was arbeitest du?“, krächzte er selbst statt einer richtigen Antwort.
Kurz irritiert wich Andrés Kopf zurück, dann zuckte er mit den Schultern. „Ich bin Assistenzarzt in der Uniklinik.“
Damit gab er Rick noch einen weiteren Kuss auf die Wange, bevor er sich lächelnd umdrehte und aus der Wohnung verschwand. Wie angewurzelt stand er da und starrte auf die hinter André zugefallene Tür. In seinem Kopf herrschte Leere, aber diesmal nicht auf die angenehme Art wie in der Nacht zuvor oder noch vor ein paar Minuten im Bett.
Er hätte alles Mögliche sein können. Wie viele verdammte Berufe gab es in diesem Land, die keinen Hochschulabschluss erforderten? Das Ziehen in Rickys Bauch wurde unerträglich. Nicht einfach nur jemand, der zwei Jahre an der Uni rumgehangen und seinen Bachelor gemacht hatte. Kein diplomierter Irgendwer. Nein, André musste natürlich gleich in die Vollen greifen. Warum ausgerechnet ein Arzt?! Betreten ließ Ricky den Kopf hängen.
„Scheiße“, murmelte er, während das Ziehen zu einem Reißen wurde. Ihn innerlich zu zerfetzen drohte. Weil er so sehr gewollt hatte, dass es funktionieren konnte. Aber es das war nur eine Illusion. Ein Wunschtraum. Eine kleine Stimme in Rickys Kopf wollte ihm einreden, dass André anders war. Immerhin hatte der Mann doch von Anfang an gewusst, wo er arbeitete. Und er hatte ihn trotzdem eingeladen. Es war ihm definitiv nicht unangenehm gewesen. Er hatte erst vor ein paar Sekunden sogar gesagt, dass er Ricky mochte.
Der Gedanke, dass er André irgendwann genau wie seinen letzten Verflossenen einfach nur noch peinlich sein würde, war schier unerträglich. Andererseits wäre es nicht ebenso unfair, ihm keine Chance zu geben? Aus dem bloßen Grunde, weil er ein paar Jahre an der Uni studiert hatte?
Ricky war sich nicht mehr sicher. Aber das ungute Gefühl in seinem Magen wollte nicht verschwinden. Wenn er weiterhin mit André ausging, würde der ihn irgendwann Kollegen und Freunden vorstellen wollen. Und dann? Würde es genauso laufen, wie bei den anderen. Und ebenso enden.
„Nein“, krächzte Ricky mit belegter Stimme. „Nicht noch einmal.“