Der Abend war spät. Genau genommen war es Nacht. Eine, die sich immer deutlicher dem Morgen näherte. Entsprechend hatten sich die meisten der Gäste längst verabschiedet. Die älteste Generation war bereits gegen zehn verschwunden, die übrigen in den nachfolgenden zwei Stunden. Die jetzt noch Verbliebenen konnte man beinahe an den Fingern einer Hand abzählen.
Er selbst würde sich nur zu gern allmählich in die Horizontale begeben. Aber da er das sicherlich nicht allein tun würde, hockte er jetzt hier und genoss den sich ihm bietenden Anblick. In geradezu kindischem Trotz nippte er an seiner Weinschorle und weigerte sich, der Müdigkeit und der zunehmenden Watte im Hirn nachzugeben. Gedankenverloren drehte er das Glas zwischen den Fingern. Das Wievielte war das? Vermutlich das eine oder andere zu viel. Zumindest fühlte er sich nicht sonderlich betrunken – wenigstens nicht vom Alkohol. Ein leichtes Lächeln wanderte über seine Lippen. Wie lange war es her, dass er dieses Ziehen in der Brust gefühlt hatte?
Zu lange? Nicht lange genug? Irgendwo dazwischen.
„Wieso bist du nicht auch da drüben?“, fragte mit einem Mal eine leise Stimme. Der Stuhl neben ihm wurde zurückgezogen und mit einem unüberhörbaren Stöhnen in Beschlag genommen. „Das Kleid ist übrigens erstaunlich bequem, dafür, dass ich es schon den ganzen Tag trage. Und solche Dinger nicht ausstehen kann. Aber meine Füße bringen mich um.“
Er lachte und schüttelte den Kopf, bevor er Selbigen nach links drehte und grinste. „Selbst Schuld, wenn du dir den Job als Brautjungfer antust, Feli.“
Einen Moment zögerte die junge Frau neben ihm, dann lächelte sie verhalten zurück. „Hättest du an meiner Stelle nicht das Gleiche gemacht, André?“
Sein Lächeln verschwand, als er zu der jungen Braut auf der Tanzfläche blickte, die seine eigene Verabredung noch immer in Beschlag nahm. Scheinbar wollte Marie ihren Traumdesigner gar nicht mehr von dort verschwinden lassen. Glücklicherweise schien Simon ihr das nicht krummzunehmen, sondern war Rick im Gegenzug vermutlich eher dankbar. Zumindest wenn man nach dem fröhlichen Lachen ging, das Simon seinem großen Bruder und dessen Frau ein paar Tische weiter eben zeigte.
„Wie machst du das?“, murmelte André irgendwann.
„Was genau?“, fragte Feli zurück und nahm ein Schluck aus ihrem eigenen Weinglas. „Das stumme Leiden? Die Selbstfolter? Oder die Idiotie auch nach acht verdammten Jahren eine experimentelle Nacht mit zu viel Alkohol nicht aufgeben zu können?“
Er grinste und zuckte mit den Schultern. „Vermutlich alles davon.“ Wieder wanderte sein Blick zu Marie. „Du hättest es ihr irgendwann einfach sagen können.“
„Und riskieren, dass sie sich nicht mehr mit mir abgibt, weil sie keine Ahnung hat, wie sie damit umgehen soll?“ Feli schüttelte den Kopf. „Ich bin lieber weiterhin ihre beste Freundin als das zu riskieren.“ Wieder hob sie ihr Glas und hielt es André demonstrativ entgegen. „Außerdem haben andere Mütter auch hübsche Töchter. Und da du mir keine wegnimmst ... mehr Chancen für mich.“
André stieß sein eigenes Glas gegen ihres zum Toast, bevor er antwortete: „Du bist blöd, Feli.“
„Und du hast den hübschen Schneider nicht für deine Schwester eingeladen.“
André nahm einen großen Schluck und wünschte sich mit einem Mal, dass der Wasseranteil der Schorle verdunsten würde. Auf diese Weise könnte der Alkohol vielleicht endlich die Wirkung erreichen, die André davor bewahrte, etwas zu sagen, was peinlich, dumm und voreilig war. So wie am Nachmittag, als er Rick diesen schmalzigen Sermon vor den Latz geknallt hatte. Dummerweise war das einfach aus ihm herausgesprudelt, ohne dass er sich hatte bremsen können.
„Ist es so offensichtlich?“, fragte André stattdessen, nach einigen Minuten des Schweigens, verhalten zurück.
„Ich bitte dich“, entgegnete Feli entrüstet und knallte demonstrativ ihre Pumps auf den Tisch. „Marie ist bei so was ja total blind, wie wir beide wissen. Bist du mit ihr deshalb in den Laden? Wie lange läuft das jetzt schon?“
André seufzte und murmelte dann: „Zwei Wochen.“
Er konnte hören, wie Feli herumfuhr, reagierte aber nicht weiter darauf. Stattdessen starrte André wieder zu Rick, der mehr stolpernd als tanzend versuchte, mit der unermüdlichen Marie Schritt zu halten. Aber er sah zufrieden aus. Da war ein Lachen auf diesen wunderbaren Lippen, die deutlich mehr drauf hatten, als zu grinsen und scheinbar fiese Sprüche abzulassen.
„Rick sieht aus, als ob er Spaß hat, oder?“, fragte André leise und hasste sich selbst dafür, wie zittrig seine Stimme dabei klang.
„Kann mir zwar nicht vorstellen, was daran so lustig sein soll, wenn man nicht in deine Schwester verknallt ist ... Aber ja, ‚Herr Hansen‘ sieht aus, als ob er durchaus seinen Spaß hat“, antwortete Feli – das Stirnrunzeln konnte man aus ihrer Stimme heraushören.
„Gut ...“
Wieder trat Schweigen ein, während sie inzwischen beide zur Tanzfläche starrten – wie André nach einem kurzen Seitenblick zu Feli feststellte. Vielleicht war es doch ein Glas Wein zu viel gewesen, aber er kam nicht um den Gedanken herum, dass Rick dort drüben auf der Tanzfläche ‚richtig‘ aussah. Nicht weil er ein sonderlich guter Tänzer wäre. Das nun wirklich nicht. Auch nicht, weil Rick und Marie ein hübsches Paar abgegeben hätten. Obwohl das objektiv betrachtet durchaus der Fall war. Nein, es war einfach ‚richtig‘, dass dieser Mann hier war. Bei Maries Hochzeit. Nicht für dieses Kleid, nicht für die Braut, sondern als Andrés Partner.
„Das sieht dir nicht ähnlich“, murmelte Feli irgendwann und zog damit seine Aufmerksamkeit wieder auf dich.
„Was genau?“
Sie seufzte. „Du warst doch immer der Playboy, der mitgenommen hat, was sich ihm anbot – und ein paar Kerle mehr. Da war nie irgendjemand, bei dem es dir ernst zu sein schien. Vielleicht abgesehen von ...“
„Lass es!“, unterbrach André sie harsch und trank den Rest aus seinem Glas mit einem Zug aus. „Da war nie was.“
„Mhm.“
„Feli!“
„Klar“, bemerkte sie und deutete auf die Weinflasche auf seiner Seite des Tisches. „Ist die leer?“
Wortlos griff André hinüber und weil sie schwer genug schien, um noch recht voll zu sein, schenkte er ihr direkt nach. Da es nicht so aussah, als ob Marie ihren Tanzpartner gehen lassen wollte, nutzte André die Gelegenheit, ebenso sein eigenes Glas aufzufüllen. Auf das Wasser verzichtete er diesmal.
„Ich hab ein bisschen mit Rick geplaudert. Er ist ein echt netter Kerl“, wisperte Feli irgendwann vorsichtig.
„Ja.“
Mit einem Mal landete eine kräftige Faust an seiner Brust und ließ André ächzend zusammenzucken. „Hey! Was soll das denn?“
„Wenn du es nicht ernst meinst, mach ihm keine falschen Hoffnungen. Kapiert?“
André seufzte. „Ich weiß ja selbst nicht, was mit mir los ist. Es ist einfach passiert und ich ... hab das Gefühl, es sind nicht zwei Wochen, sondern eher zwanzig Jahre.“
„Willst du mich verarschen?“, quietschte Feli geradezu entsetzt. „Ich kann dir sagen, was los ist: Der Playboy hat sich Hals über Kopf verknallt und diesmal sogar eine echte Chance, dass es was werden kann. Fuck, jetzt bin ich neidisch.“
Angefressen schnaubte André und nahm einen großen Schluck. Dieses Gespräch wurde zunehmend unerträglicher – jedenfalls für sein aktuelles Alkohollevel. Bevor er antworten konnte, gesellte sich jedoch ein weiterer Gast an ihren Tisch.
Mit einem breiten Lächeln ließ sich Simon auf einen der freien Stühle fallen und hielt André sein leeres Glas entgegen. Der grinste und füllte den Rest aus der Flasche ein, bevor er sie mit einem bedauernden Schulterzucken beiseitestellte.
„Entschuldigt, ich hab heute Abend kaum Zeit gehabt, um auch mit Euch zu reden“, meinte Simon mit einem verhaltenen Lächeln.
„Keine Bange, bei der Menge an Gästen dürfte es nicht gerade leicht gewesen sein, jedem gerecht zu werden“, gab Feli mit einem eigenen Lächeln zurück.
„Ja, meine Eltern haben definitiv etwas ... übertrieben bei der Liste der ‚absolut notwendigen Gäste‘“, gab Simon mit einem Seufzen zu. „Glücklicherweise passten in den Saal irgendwann keine weiteren Leute mehr rein.“
André hob sein Glas und hielt es Simon entgegen, der lächelnd mit ihm anstieß. „Auf den völlig überarbeiteten Bräutigam und seine scheinbar nicht tot zu bekommende Braut. Viel Spaß in der Hochzeitsnacht.“
Glücklicherweise tat der Tritt, den Feli André unter dem Tisch verpasste, angesichts der fehlenden Schuhe, nicht sonderlich weh. Simon lachte allerdings fröhlich, wie immer und sah zu seiner Braut, die dem zunehmend schlapper erscheinendem Rick weiterhin keine Pause gönnte.
„Danke, André“, meinte Simon plötzlich und drehte sich zu ihm herum. „Dafür, dass du ihr mit dem Kleid und allem geholfen hast. Und ich glaube, dass du Herrn Hansen dazu gebracht hast herzukommen, war das beste Geschenk, das du ihr machen konntest.“
„Sie ist fast geplatzt vor Stolz“, meinte auch Feli mit einem Lachen. „Und sie sah wirklich traumhaft aus in dem Kleid während der Trauung.“
„Das tut sie immer“, flüsterte Simon verhalten. Dann drehte er sich zu André und Feli. „Aber ich gebe zu, dass das Kleid wirklich perfekt zu ihr passt. Ich wette, da dürften demnächst ein paar gut betuchte junge, heiratswillige Damen bei Herrn Hansen aufschlagen.“
André grinste, sagte jedoch nichts.
„Wie hast du ihn überredet?“, fragte Simon. „Er wird ja sicherlich kein Hobby daraus machen, irgendwelchen Kundinnen deren Wunsch nach seiner Anwesenheit auf ihrer Hochzeit zu erfüllen.“
Hastig nahm André einen Schluck aus dem Glas und überlegte. Im Grunde hatte es ja nicht wirklicher Überzeugungsarbeit bedurft, um Rick dazu zu bringen, ihn zu begleiten. Im Gegenteil. Er hatte dem Mann damit offenbar einen eigenen Wunschtraum erfüllen können.
„Du hast doch selbst eben gesagt, dass er vermutlich jetzt mit einigen neuen Aufträgen rechnen kann“, kam Feli André mit einem Grinsen zu Hilfe.
„Ah. Klar“, gab Simon stirnrunzelnd zurück. „Schade.“
Irritiert sah André über den Rand des Weinglases zu seinem frisch gebackenen Schwager. „Wieso?“
„Ach, ich fand, ihr seid ein hübsches Paar.“
Hustend versuchte André den Wein aus seiner Luftröhre zu bekommen. Als es ihm endlich gelungen war, stellte er fest, dass es Feli scheinbar nicht anders neben ihm ergangen war. Denn auch die klopfte sich auf das in Rickys Brautjungfernkleid gut ausgestellte Dekolleté.
„Was ist?“, fragte Simon in seiner unnachahmlich naiven Art und Weise.
Genau die Art, durch die er André schon vor all den Jahren auf seiner ersten Studentenparty aufgefallen war. Die, auf der er Simon recht direkt und unverblümt angegraben hatte – mit leider absolut Null Erfolg.
„Wie bist du in deiner Schickimicki Welt eigentlich so ein naiver, kleiner ...“, Feli schnaubte und nahm einen großen Schluck, bevor sie fortfuhr: „Verdammt netter und normaler Kerl geblieben?“
Simon lachte und hob sein Glas. „Entschuldige, Feli.“
„Mann, ich würde dich so gern hassen können“, murmelte sie und wandte sich von Simon ab. André lachte verhalten und erntete dafür einen weiteren Schlag gegen die Brust. „Bei dir hab ich da weniger Probleme.“
„Ihr streitet wie ein altes Ehepaar“, unterbrach Simon plötzlich mit einem Grinsen so breit, das es ihm fast von Ohr zu Ohr zu reichen schien.
„Buäh!“, ächzte Feli und steckte sich demonstrativ den Finger in den Mund.
„Hey!“, protestierte André mit einem Lachen bevor er ihr. Breit grinsend, hob er einen Arm und zog sie an sich, um ihr einen Kuss auf die Wange zu drücken. „Willst du etwa abstreiten, dass du mir früher hinterhergeschmachtet hast?“
Hastig drängte sie ihn zurück und wischte sich über die Wange. „Mit zwölf warst du halt noch süß.“
„Ach ja?“, fragte eine kühle Stimme mit einem Mal hinter ihnen und ließ André zusammenfahren.
„In der Tat“, meinte Feli mit einem fiesen Lachen. „Ich kann Ihnen gern ein paar Bilder besorgen Rick.“
„Danke, dass Sie meine Frau so ausdauernd unterhalten haben!“, fiel in dem Moment Simon mit einem lauten Lachen ein. Er war aufgesprungen und zog nun den etwas finster dreinblickenden Rick auf einen Stuhl neben André und platzierte sich danach selbst auf der anderen Seite. „Wo ist sie eigentlich?“
„Toilette.“
„Uh“, ächzte Feli. „Ich geh mal sehen, ob sie Hilfe mit dem Kleid braucht.“
Ehe einer der drei Herren widersprechen konnte, war sie bereits verschwunden. Aus dem Augenwinkel schielte André zu Rick, der etwas verkniffen und reichlich verkrampft neben ihm hockte.
„Frechheit. Als ob ich jetzt nicht mehr süß wäre“, murmelte André, in dem vermutlich recht sinnlosen Versuch, die Stimmung zu verbessern.
Es schien allerdings trotzdem zu funktionieren, denn fast sofort zuckten Ricky Mundwinkel, auch wenn er das Lächeln krampfhaft unterdrückte. Es war da. Irgendwo da drinnen. Dennoch trat zunächst Schweigen ein. Eines, das zunehmend unangenehmer wurde. Verhalten nippte André erneut an seinem Wein – wenigstens war der Wasseranteil inzwischen gering genug, um für Ablenkung zu sorgen.
„Ich muss mich noch bei Ihnen bedanken, Herr von Nierheim“, meinte Rick irgendwann in Simons Richtung.
Dabei sah er André nicht einmal an. Das zu einem weiteren, unangenehm ziehenden Gefühl führte. Mit einem Mal war André sich nicht mehr sicher, ob Ricks Mundwinkel überhaupt gezuckt hatten. Womöglich bildete sich das alles nur ein. Aber Feli hatte auch gesagt, dass Rick so wirkte, als ob er Spaß gehabt hätte.
„Hm? Wofür?“, fragte Simon verwirrt zurück.
„Dass ich hier sein durfte“, antwortete Rick und lächelte diesmal tatsächlich.
Allerdings in Simons Richtung. Und auch wenn von dem keine Gefahr ausging, gefiel André das nicht. Hastig nahm er einen Schluck Wein. Vermutlich war das eher der falsche Weg, aber eine andere Ablenkung hatte er gerade nicht zur Hand.
„Ich bitte Sie“, gab Simon mit einem herzhaften Lachen zurück. „Ich glaube, man konnte Marie heute kein besseres Geschenk machen.“
„Oh, ich denke, ein besseres habe ich durchaus bekommen“, meinte eben die und ließ sich auf den Schoß ihres Mannes fallen. „Ah, ich bin fix und fertig.“
„Erstaunlich. Es ist doch erst zwei Uhr und außer uns fünfen alle anderen längst im Bett“, stichelte André, konnte sich das Grinsen aber nicht verkneifen.
„Ist es tatsächlich schon so spät?“, fragte Marie mit überraschtem Ausdruck. Hastig wanderte ihr Blick durch den Raum, aber es war nirgendwo eine Uhr zu finden. Lächelnd hob Simon seinen Arm und hielt ihr die Armbanduhr daran hin. „Tatsache!“
„Bitte sag mir, wo du deine Schuhe her hast, wie kannst du in denen nach dem ganzen Tag überhaupt noch tanzen?“, ächzte Feli derweil und ließ sich wieder auf ihren Platz an Andrés anderer Seite fallen.
Marie grinste und hob einen Fuß über die Tischkante. Als sie ihr Kleid darüber zog, waren jedoch keine Schuhe zu sehen.
„Clever“, murmelte Feli und widmete sich wieder ihrem Weinglas.
„Ich möchte mich auch bei Ihnen bedanken, Marie“, meinte Rick in diesem Moment. Als André zu ihm hinüber blickte, saß sein Begleiter weiterhin etwas verkrampft auf seinem Stuhl.
„Bei mir?“, fragte sie verwirrt. „Aber Sie haben doch diese tollen Kleider entworfen und genäht. Da sollte wohl eher ich mich bedanken.“
Rick senkte kurz den Kopf, bevor er mit einem verhaltenen Lächeln wieder aufsah. „Na ja, das ist mein Job. Nicht wahr? Ich ... bin ein Schneider und wir verkaufen Brautkleider.“
Marie sah kurz zu ihrem Ehemann und gab ihm einen leichten Kuss auf die Lippen. Danach sah sie zu Ricky zurück und strahlte ihn an. „Also ich finde, Sie verkaufen Träume.“
„Ein neuer Slogan für einen Laden“, meinte André grinsend.
„Ich werde es meiner Tante bei Gelegenheit vorschlagen. Aber ich glaube ... jetzt wird es allmählich doch etwas spät.“
„Natürlich!“, versicherte Simon hastig, und reichte über den Tisch hinweg Rick die Hand entgegen. „Es hat mich sehr gefreut und ... danke auch, dass Sie meine Frau die letzten Stunden so gut unterhalten haben.“
„Ach du!“, murrte Marie und stieß ihrem Mann gespielt gegen die Brust. „Auch wenn Sie meinen, es wäre Ihr Job gewesen. Das Kleid ist traumhaft geworden. Besser als ich es mir je hätte vorstellen können. Danke.“
André konnte sehen, dass es Rick allmählich unangenehm wurde, schon wieder so arg im Fokus zu stehen. Also schütte er hastig sein eigenes Glas hinunter und schlug sich mit beiden Händen auf die Unterschenkel, um aufzustehen.
Den sofort einsetzenden leichten Schwindel konnte André hoffentlich gekonnt abfangen. Trinken, während man die ganze Zeit nur rumsaß, war eine dämliche Idee. Hatte er das nicht schon auf zahlreichen Partys in seiner Studienzeit gelernt?
„Ich glaube, ich sollte lieber nichts mehr trinken und stattdessen Rick auf sein Zimmer zurückbringen.“
Der erhob sich ebenfalls und warf André ein kurzes Grinsen zu. „Sicher, dass du nicht vorher umkippst?“
„Die Treppe würde ich nicht mehr nehmen, aber der Laden hat ja glücklicherweise einen Fahrstuhl“, erwiderte André grinsend und versuchte, nicht darüber nachzudenken, dass der Boden sich zunehmend instabil anfühlte.
„Für mich ist der Abend ebenfalls vorbei“, meinte Feli in diesem Moment und sprang mit einer Leichtigkeit auf, die André für einen Augenblick neidisch werden ließ. Allerdings hatte er in den über zwanzig Jahren ihrer Bekanntschaft mehr als einmal merken müssen, dass die Frau ihn an ihren schlechten Tagen noch immer unter den Tisch saufen würde. „Na komm, mein Großer, bringen wir dich ins Bettchen.“
Das erneute Grinsen konnte André sich nicht verkneifen. „Hättest du wohl gern.“
„Ich glaube, er hat für heute tatsächlich genug. Ich werde Ihnen helfen, Felizitas“, knurrte Rick in diesem Moment und ließ André zusammenfahren. Das klang irgendwie nicht so positiv, wie er es sich für diesen Abend erhofft hatte.
Eben wollte André ansetzen, etwas zu sagen, da drehte Rick sich noch einmal zu Simon und Marie um. „Danke für den schönen Tag. Ich ... hatte viel Spaß.“
André erstarrte – und grinste danach vermutlich reichlich dümmlich, als Rick ihn am Oberarm packte und in Richtung Fahrstuhl schob. Dass Feli auf der anderen Seite lief, fiel André nicht wirklich auf. Im Foyer angekommen war sie es jedoch, die den Rufknopf drückte. Und ihn damit daran erinnerte, dass er im Augenblick eben nicht alleine war.
„Kommen Sie mit ihm klar?“, fragte Feli plötzlich mit einem Lachen, das von der anderen Seite prompt erwidert wurde.
„Ich denke schon.“
Ein kurzer Klopfer auf Andrés Rücken, danach drehte Feli sich herum und schlenderte stattdessen in Richtung Treppe. „Schlaft gut, Jungs“, flötete sie, brach jedoch umgehend in ein deutliches Lachen aus.
Das alles interessierte André in diesem Moment allerdings wenig. Als der Fahrstuhl kam, stolperte er mit Rick am Arm in die Kabine. An der Rückwand konnte er sich anlehnen. André schloss kurz die Augen und versuchte, sich zu konzentrieren. Als er eben am Tisch saß, war der Alkohol nicht so deutlich zu spüren gewesen. Im Augenblick fühlte es sich allerdings so an, als würde das Blut André permanent aus dem Hirn sacken, weil es dort schon alles voll mit alkoholisiertem Nebel war. Leider landete nichts von diesem Blutvolumen unterhalb der Gürtellinie.
„Du hattest also Spaß?“, flüsterte André, nachdem der Fahrstuhl sich in Bewegung gesetzt hatte.
Ricks Griff um seinen Oberarm wurde fester. „Ja.“
„Ha“, ächzte André und konnte den Felsbrocken, der sich in seinem Inneren löste, auf den Boden der Kabine aufschlagen hören.
Ein leises Lachen neben ihm, ließ André den Kopf drehen und direkt in dieses wunderbare Lächeln sehen, das ihn so heftig und schnell in seinen Bann hatte ziehen können. Er wollte verdammt sein dafür, dass er Feli tatsächlich mal recht geben musste. Aber es war nicht zu leugnen, dass Andrés Puls bei diesem Anblick ein paar Schläge zulegte und sich in seinem Bauch etwas bewegte.
In dem Moment erreichten sie ihr Stockwerk und schwankten gemeinsam in Richtung ihres Zimmers. Da würde heute wohl eher nicht mehr passieren, als dass sie ins Bett fielen und endlich schliefen. Aber morgen war ja schließlich auch noch ein Tag. Und sie mussten erst bis 14 Uhr aus dem Zimmer raus sein. Jede Menge Zeit, die er zu nutzen gedachte. Immerhin ...
„Ich hab gewonnen“, wisperte André mit einem kurzen Glucksen, während er in ihr Zimmer stolperte.
Er konnte hören, wie Rick die Tür schloss. Aber ehe André sich umdrehen konnte, schlangen sich zwei Arme von hinten um seinen Bauch. Ein fester, warmer Körper presste sich an ihn.
„Ich denke, wir haben beide gewonnen. Aber die Wette kannst du für dich verbuchen.“