Es fühlte sich beinahe so an, als wäre es das Rauschen in seinen Ohren das langsam aus dem Schlaf holte. Wie ein körpereigener Wecker – angestoßen von einem wohligen Kibbeln, das den Rücken entlang wanderte. Wobei Ricky sich allmählich an das Gefühl gewöhnt haben sollte. Diese federleichte Berührung, wenn ein Finger langsam neben seiner Wirbelsäule vom Steißbein nach oben geführt wurde. Immerhin war das offensichtlich Andrés liebste Art, ihn aufzuwecken. Und wenn Ricky ehrlich war, gab es nur wenige andere Arten, die er genauso anregend fand.
„Dir gefällt das“, raunte André ihm ins Ohr.
Da es keine Frage war, verzichtete Ricky ebenso auf eine Antwort. Vor allem deshalb, weil es nicht so einfach war, sich auf die Worte zu konzentrieren, die er sagen wollte – und gleichzeitig nicht das auszusprechen, wonach der Rest von seinem Körper verlangte. Vor allem der Teil, der sich trotz der letzten Nacht schon wieder reichlich hart in die Matratze bohrte. Ricky stöhnte und hielt die Augen geschlossen. Erst als das Kitzeln den Nacken erreichte, konnte er sich nicht mehr zusammenreißen und zog zischend die Luft ein, während er die Schultern nach oben zog.
„Kitzelt“, wimmerte Ricky und erntete prompt ein leises Lachen in seinem Nacken.
Kurz darauf wurde die parallele Spur auf der anderen Seite der Wirbelsäule ebenfalls vom Steißbein an nach oben verfolgt. Ein weiteres Zischen aus Rickys Mund, denn diesmal war es kein Zeigefinger, sondern eine warme, feuchte Zunge, die sich über seine Haut zog.
„Ich werde es so was von genießen, das hier den ganzen Tag vor Augen zu haben“, wisperte André, kaum dass er ein weiteres Mal Rickys Nacken erreicht hatte.
Der biss sich auf die Unterlippe. „Sicher, dass es nicht zu viel Ablenkung sein wird?“, keuchte er zaghaft. Als sich kurz darauf Andrés Schritt gegen seinen Po presste und dessen Mund sich erneut an Rickys Nacken legte, konnte er ein deutliches Stöhnen nicht verhindern. „Du bist unersättlich ...“
„Wohl eher süchtig. Nach dir.“
Das Blut schoss Ricky in die Wangen. Er presste das Gesicht mit einem leisen Wimmern ins Kissen. Warum musste der Kerl ständig dermaßen übertriebene Sachen sagen? Dinge, die neben dem, was André so alles mit Rickys Körper anstellte, auch noch das Blut in ihm zum Kochen brachte. Sein Herz dazu antrieb wie wild in der Brust zu hämmern, während im Bauch die Schmetterlinge tobten und nach Freiheit verlangten.
Andrés Fingerspitzen legten sich auf Rickys linkes Handgelenk. Von dort starteten sie einen weiteren Weg. Langsam, bedächtig mit einem Kitzeln, das Segen und Fluch zugleich war. Es eilte den Fingern voraus, als wollte es ihnen den Weg weisen. Und André folgte der unsichtbaren Spur. Den Arm entlang, über das Schultergelenk, wo sie sich einmal drehten. Nur noch die Spitzen der Fingernägel wanderten von der Achsel weiter an Rickys Seite entlang.
Automatisch versuchte er, sich von den Fingern wegzuschieben, aber damit rieb Ricky nur seine eigene Erektion gegen das Laken und eine andere, mindestens ebenso erwartungsvoll in seinem Rücken zuckende, über seinen Po. Unter den geschlossenen Lidern verdrehte Ricky die Augen. Oh, verdammt! Er war so hart, dass er in Erwägung ziehen würde, die Matratze zu vögeln – insofern sich da nicht jemand anderer zur Verfügung stellte.
„Ich hoffe doch sehr, dass es keine ist, von der man dich entwöhnen müsste“, presste Ricky als Antwort heraus, um sich wenigstens einigermaßen abzulenken.
„Hm?“, murmelte es versonnen in seinem Nacken.
Offenbar hatte André mal wieder die eigenen Worte vergessen. Das passierte der Kerl häufiger, wenn er von anderen Dingen zu sehr abgelenkt war. Wobei Ricky zugeben musste, dass er es oft genug genoss, genau die richtige Ablenkung darzustellen. Dem unter ihm eingezwängten Ständer konnte er aber so gar nichts abgewinnen. Der wollte Aufmerksamkeit – egal welcher Form. Und wenn André hier nicht bald einen Schritt vorwärtskam, würde er die offenbar nur von Rickys eigener Hand bekommen. Das wiederum wäre ausgesprochen schade. Wo er doch schon nicht alleine hier war.
„Das Vorspiel kannst du aufs Nachspiel verlagern“, zischte Ricky entsprechend ungeduldig.
„Hm ...“, brummte André erneut, das Grinsen war aber nicht zu überhören. „Ich lass mir lieber Zeit. Wir haben schließlich den ganzen Tag zusammen. Und ich werde es unheimlich genießen, diesen hübschen kleinen Hintern hier nackt durch die Gegend wackeln zu sehen.“
Ricky stöhnte, als André sich erneut an seinem Po rieb. Allmählich war er trotzdem eher genervt als erregt. Wenn der Mistkerl das noch ein paar Mal machte, würde Ricky nicht einmal mehr selbst Hand anlegen müssen, um zu kommen.
„Du hast genau zehn Sekunden, dir zu überlegen, ob ich dich oder die Matratze rammeln soll“, knurrte Ricky und blickte herausfordernd über die Schulter. „Falls du dich dafür entscheidest, dass es nicht das verfluchte Laken ist, hast du noch einmal zehn Sekunden um zu überlegen, welches Ende v...“
Weiter kam Ricky nicht, denn schon wurde er herumgerissen. Andrés fordernder Kuss ließ jedes Wort verstummen, das da hätte folgen wollen. Wenigstens hatte er den Anstand sich nur über Ricky zu beugen und seinem Schritt damit zumindest ein paar Sekunden Erholung zu gönnen.
Die war allerdings schnell vorbei, als Andrés Hand über seine Brust hinab fuhr. „Schwere, schwere Entscheidung.“
Er begann, den Fingern folgend, eine Spur kleiner Küsse Rickys Hals entlang zu ziehen. Als Andrés kratzige Bartstoppeln mit einem Mal über seine linke Brustwarze strichen, wäre Ricky beinahe aus dem Bett gesprungen.
„Deine zehn Sekunden sind fast um“, quietschte er stattdessen.
Davon ließ André sich nicht beirren, zog die Spur tiefer – bis er kurz vor dem Ziel schon wieder unterbrach. Dafür kam ein Finger zurück, zog einen kleinen Kreis um Rickys Bauchnabel und wanderte von dort tiefer. Auch der sparte allerdings seine sträflich vernachlässigte Erektion aus und fuhren stattdessen spielerisch am Oberschenkel entlang.
‚Scheiße, das ist zu viel!‘
André konnte ein dermaßen fieser Mistkerl sein, dass Ricky ihn am liebsten dafür treten würde. Gerade setzte er zum Protest an, als ihm der selber im Hals stecken blieb. Denn endlich bekam da jemand die Aufmerksamkeit, die er wollte. Welche Worte auch immer Ricky auf der Zunge gelegen hatten, sie waren wie weggeblasen.
Wortwörtlich.
Ein etwas irre anmutendes Lachen entrann Rickys Brust. Zumindest für ihn war es allerdings schon immer, verflucht schwer, bei klarem Verstand zu bleiben, wenn sich da eine so ausgesprochen freundliche Zunge überraschend unter die eigene Vorhaut schob. Der zischend eingezogene Atem half wenig, um den allmählich übermächtig werdenden Druck zu reduzieren. Ein verdammter Druckluftkessel, der kurz vorm Explodieren stand.
„Du hast dich entschieden?“, krächzte Ricky.
Seine Hand lag auf Andrés braunem Haarschopf. Ganz sicher würde der ihm nicht gleich wieder entkommen. Er schien glücklicherweise zumindest vorerst keine entsprechenden Anstalten zu machen. Die Geschwindigkeit, mit der Andrés Zunge von der Wurzel zur Eichel entlang wanderte, war allerdings deutlich zu langsam. Ganz zu schweigen davon, dass Ricky kurz davor war aus der Haut zu fahren, als der zu sanfte Atem, ihn reizte – ohne dass sich diesem die erhofften Lippen ein weiteres Mal anschließen würden.
„Immer mit der Ruhe, wir haben den ganzen Tag Zeit ...“, wisperte André stattdessen. Das dämliche Grinsen, was dem Kerl auf den Lippen lag, musste man nicht sehen, um zu wissen, dass es da war.
Ein Knurren entkam Ricky. So sehr er diese Spielchen liebte, jetzt ging ihm doch die Geduld aus. Sein Griff in Andrés Haaren wurde fester – dem Zischen aus Höhe von Rickys Schritt nach vielleicht zu stark. Geschah dem fiesen Mistkerl zwischen seinen Beinen allerdings nur recht. Als Ricky den Arm anspannte, folgte André entsprechend umgehend der Bewegung nach oben.
Mit der anderen Hand stützte Ricky sich ab und kam dem miesen Orgasmusverweigerer auf halber Strecke für einen fordernden Kuss entgegen. Auch wenn er Andrés meist eher sanfte Art sehr mochte, die Aussicht heute den ganzen Tag dessen Blick auf sich zu spüren, ließ Ricky erschaudern. Nicht vor Angst, sondern vor noch mehr Verlangen – der Art, die er normalerweise selbst André gegenüber nicht ganz so direkt zeigte. Garantiert würde Ricky sich dem nicht aussetzen, solange er hier nicht in naher Zukunft gekommen war.
Entsprechend grollend war Rickys Stimme, als sich ihre Lippen voneinander lösten: „Wenn du den Tag heute genießen willst, dann hörst du auf, mich hinzuhalten.“
André grinste schelmisch. Aber an der Art, wie seine Augen hin und her zuckten, konnte Ricky sehr gut erkennen, dass er überrascht war. Sicherlich nicht von der fordernden Art an sich, denn die zeigte er nicht zum ersten Mal. Den Ton hatte Ricky bisher allerdings vermieden.
„Sonst?“, fragte André trotzdem und versuchte, sich scheinbar nichts anmerken zu lassen. Was eben so offensichtlich scheiterte.
Die Worte waren raus, bevor Ricky darüber nachgedacht hatte: „Versohl ich dir für diese Unverschämtheit den Hintern und vögel dich so hart in die Matratze, dass du den Rest des Tages nicht mehr sitzen kannst.“
„Woah!“ Andrés Augen wurden weit und ihm klappte die Kinnlade runter. Buchstäblich, denn der Mann starrte ihn nur mit offenem Mund an.
So spitz, wie Ricky ohnehin gerade war, hätte ihm dafür gleich noch ein dämlicher Spruch rausrutschen können. Dummerweise machte ihm der überraschte Gesichtsausdruck ausgesprochen eindrucksvoll klar, dass sein Hirn gerade ausgesetzt hatte. Und was Ricky somit herausgerutscht war.
„Scheiße! Ich meinte ...“
Ehe ihm weitere peinliche Sachen entkommen konnten, wurde Ricky rückwärts nach hinten geworfen und fand sich erneut in einem fordernden Kuss wieder. Andrés Schritt rammte sich förmlich gegen seinen eigenen, was ihm selbst ein weiteres frustriertes Stöhnen entlockte.
„Fuck, das macht mich an“, keuchte André, kurz bevor er die Zähne in Rickys Oberarm vergrub.
Der tiefe Atemzug und das folgende Stöhnen, tat nichts, um die eigenen, drängender werdenden, Bedürfnisse auch nur ansatzweise zu befriedigen. Ricky biss sich erneut auf die Unterlippe. Der Schmerz reichte, um nicht die Kontrolle zu verlieren. Aber lange würde das nicht mehr anhalten.
Andrés Hände gruben sich in seine Hüften, bevor er sich mit sichtlichem Widerwillen von ihm abstieß und stattdessen nach rechts in Richtung Nachttisch hechtete. Als Rickys Blick auf den vor ihm liegenden, nackten Hintern fiel, konnte er nicht widerstehen. Immerhin hatte er André vorgewarnt.
Trotzdem war dessen Gesichtsausdruck einfach traumhaft, als Rickys Hand klatschend auf dem straffen Gluteus-Trio landete, das er schon so oft im Park hatte bewundern dürfen. Die Überraschung verwandelte sich aber sehr schnell in etwas, das nun seinerseits Ricky keuchen ließ. Die sonst graublauen Augen wirkten mit einem Mal tiefschwarz – genau wie das Verlangen, das er darin sehen konnte.
André drehte sich wieder um und riss die Schublade förmlich auf. „Scheiße. Wo zum Teufel sind die Gummis?“‘, fluchte er und sah sich um.
Lachend schubste ihn Ricky mit dem Fuß weiter in Richtung Bettkante. „Auf dem Boden, wo du sie letzte Nacht verteilt hast, als du die blöde Packung nicht gleich aufbekommen hast.“
Erstaunlicherweise reichte das, um Ricky für einen Augenblick von seinen eigenen, eben noch so dringend erscheinenden Bedürfnissen abzulenken. Ein erneutes Durchatmen und er schaffte es, sich ein Stück auf dem Bett nach oben zu schieben. Mit einer Hand im eigenen Schritt und einem vermutlich reichlich dümmlichen Grinsen, beobachtete Ricky, wie sich der stramme Hintern vor ihm weiter streckte, als André nach einem der Kondome auf dem Boden angelte.
Die Versuchung der anderen Backe einen zweiten, passenden Fleck zu verpassen war groß genug, dass sie Ricky ein weiteres Knurren entriss. Um nicht schon wieder über die Grenze zu rutschen, wurde der Griff seiner Rechten fester.
„Wie lange dauert das denn?“, schnaubte Ricky, als Andrés Hintern noch immer so verdammt verführerisch über der Bettkante hing.
Der lachte zufrieden auf und wackelte mit besagtem Hinterteil. „Hältst du es schon nicht mehr aus?“ Mit einem verschmitzten Grinsen schielte André über die Schulter. „Oder war das etwa alles, was ich heute von dirty Ricky zu sehen bekomme?“
Rickys Augen verengten sich. Er mochte Spiele. Sehr. Verbal wie ‚andere‘, obwohl er sich da bei André in Bezug auf Letzteres bisher zurückgehalten hatte. Aber Frust war etwas, das Richard Hansen gar nicht leiden konnte. Schon gar nicht, sobald man ihn erst einmal richtig gereizt hatte. Und André war über das Stadium allmählich hinaus bei ihm.
Mit Schwung warf Ricky sich auf den Mistkerl, der ihn weiter hinhielt und griff nach dem Kondom in dessen Hand. Leider hatte er die Entfernung überschätzt und so rutschten sie beide vom Bett. Lachend klammerte André sich an die die kleine Packung, die Ricky ihm noch immer aus den Händen zerren wollte.
Nach einigem hin und her, kamen sie übereinander zu liegen. Der raue Teppich rieb unangenehm über Rickys Hinterteil. Der Gedanke, was die Reibung mit seiner Vorderseite gerade anstellen würde, trieb ihm allerdings prompt das Blut in die Wangen.
„Hab ich dir schon gesagt, dass ich die eifersüchtige Wildkatze gestern verflucht heiß fand?“, raunte André mit einem mal in sein Ohr. Ein weiteres Stöhnen presste sich aus Rickys Kehle, als seine Vorderseite jetzt doch etwas deutlich angenehmere Reibung abbekam. „Und das freche Großmaul eben noch viel mehr.“
Ricky riss die Augen auf. Die meisten Männer, auf die er stand, hatten sowohl mit dem frech als auch mit dem Großmaul ihre Probleme. „Heißt?“, keuchte er, während er Andrés Po ergriff und ihn fester an seinen eigenen Schritt presste.
Das schelmische Grinsen, das ihm entgegenschlug, als André sich auf den Armen abstützte, um ihn anzusehen, ließ Rickys Herz einmal hüpfen. Andere Körperteile waren leider zu sehr eingeklemmt, um sich dem anzuschließen. André hob die Hand und hielt ihm die Kondompackung vor die Nase.
„Du wählst.“
„Was wählen?“
Andrés Grinsen wurde breiter, als er sich wieder zu ihm herunterbeugte und flüsterte: „Die Seite.“
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Das übertrieben theatralische Stöhnen zu ignorieren, war einfach. Der Rücken, der sich kurz darauf an seinen schmiegte, deutlich schwerer. Aber nachdem er vorerst mehr als befriedigt, und vor allem bereits frisch geduscht war, wollte Ricky nicht schon wieder an einen verschwitzten Körper gepresst werden. Demonstrativ schubste er André deshalb mit dem Hintern von sich weg.
„Vorsichtig, was du mit dem hübschen Ding anstellst“, murrte der unzufrieden.
„Geh erst einmal duschen, du stinkst nach Sex.“
Im Spiegel konnte Ricky sehen, dass es ein eher sanftes und zufriedenes Lächeln war, das auf Andrés Lippen lag und nicht das verführerische verschmitzte Grinsen, das er an diesem Vormittag schon mehrmals gesehen hatte.
„Dann solltest du die Verantwortung dafür übernehmen und mitkommen“, murrte André schmollend.
Mit gespielter Fassungslosigkeit drehte Ricky den Kopf und sah über seine Schulter zu dem Mann hinter ihm. Die zehn Zentimeter Größenunterschied zwischen ihnen waren nicht wirklich viel, aber es reichte, damit Ricky zu ihm aufsehen musste.
Eine vermutlich genauso freche Antwort wie das, womit er André früher am Morgen gereizt hatte, lag Ricky auf der Zunge. Allerdings war er inzwischen wach genug, sodass sie ihm nicht direkt über die Lippen polterte. Stattdessen stopfte er sich die Zahnbürste in den Mund und fing grinsend an, sich die Zähne zu putzen.
„Unfair“, grummelte André. Die Belustigung in seinen Augen strafte den Ton jedoch lügen. Erst recht die direkt nachfolgenden Worte: „Und wag es ja nicht, dir was anzuziehen.“
„Nymphomane“, nuschelte Ricky um die Zahnbürste herum.
Obwohl das Wort für ihn selbst kaum zu erkennen war, schien André nur zu gut zu verstehen. Prompt landete eine große, kräftige Hand klatschend auf Rickys nacktem Hintern und schickte ein angenehmes Kribbeln durch seinen Körper. Den ganzen Tag, ohne Klamotten rumlaufen zu müssen, würde die Hölle auf Erden werden. Irgendwas musste er sich einfallen lassen um wenigstens an eine Unterhose zu kommen.
Ein kurzer Seitenblick versicherte Ricky, dass André endlich unter der Dusche stand. Bei dem Anblick überlegte er ernsthaft, ob er sich nicht doch noch dazu gesellen sollte. Allerdings ging es inzwischen vermutlich auf Mittag zu und er hatte bisher keinen Kaffee gehabt.
„Prioritäten“, murmelte Ricky und spülte sich den Mund aus.
Als er in den Spiegel sah und seine Hand über das Sandpapier gleiten ließ, das sich sein Kinn nannte, überlegte er eine Sekunde, sich zu rasieren. Dann fiel ihm Andrés Gemeinheit vom Morgen ein und er ließ es. Über Brustwarzen Kratzen war für Anfänger, da konnte er deutlich fieser werden. Und wenn der Herr Doktor erst einmal um Gnade winselte, wäre ebenso das Thema Unterhose geklärt.
Ricky grinste und wandte sich ab. Kaffee, etwas zu Essen und mal sehen, was André außer weiteren Sex heute vorhatte. Nachdem Ricky dank seiner verlorenen Wette hier nach aktuellem Stand den ganzen Tag nackt rumlaufen musste, würde der Kerl sicherlich nicht rausgehen wollen.
„Schade“, murmelte Ricky leise, während er in die Küche schlenderte. Im Park zu sitzen und André beim Laufen zuzusehen war zu einer seiner Lieblingsbeschäftigungen für ansonsten relativ langweilige Sonntage geworden. Jedenfalls insofern André wie heute weder Bereitschaft noch sonstigen Dienst hatte.
Rickys Bewegungen in der Küche kamen inzwischen wie automatisch. Erst als er an der Kücheninsel lehnte und ungeduldig der Kaffeemaschine zuschaute, wie sie Tropfen um Tropfen der schwarzen Flüssigkeit entließ, wurde ihm klar, wie selbstverständlich das alles bereits war. Ricky schluckte und sah für einen Moment unsicher in die Richtung, aus der André jeden Augenblick kommen musste.
Rickys Puls beschleunigte sich. Wann war das passiert? Bei ihrem ersten Date vor nicht einmal drei Monaten hatte er André gesagt, dass er normalerweise in seinem eigenen Bett schlief und das war kein Scherz gewesen. Meistens hatte er sich in den Wohnungen seiner Beziehungen eher unwohl gefühlt. Rickys Blick wanderte durch die Hochglanzküche und hinüber zu dem direkt anschließenden Wohnbereich.
Eine große Couchlandschaft, auf der er sich ausgesprochen gern rekelte, ein Couchtisch aus Massivholz. An der Wand stand ein ebenso massives Bücherregal. Wobei Ricky sich nicht erinnern konnte, André jemals mit einem Buch in der Hand gesehen zu haben. Der Fernseher war von hier aus nicht zu sehen. Welche Art von DVD-Sammlung sich möglicherweise in dem Möbelstück unterhalb des Geräts befand, hatte Ricky bisher nicht in Erfahrung gebracht.
Er senkte den Blick auf die dunkle Arbeitsplatte. Andrés Wohnung war modern eingerichtet und gerade die Massivholzmöbel dürften vermutlich nicht ganz billig gewesen sein. Aber nichts von dieser Einrichtung schrie nach Geld. Dabei war Ricky sich sicher, dass André mit zwei Ärzten als Eltern in nicht gerade ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen war.
„Was ist los?“, wisperte es in diesem Moment neben Rickys Ohr und entlockte ihm ein vorsichtiges Lächeln. Die Hand auf seiner Hüfte fühlte sich angenehm warm an.
„Wie kommst du darauf, dass irgendwas ist?“, fragte Ricky ebenso leise zurück.
Der sanfte Kuss in den Nacken jagte ihm prompt eine Kribbeln die Wirbelsäule entlang. Es blieb jedoch dabei. Die Hand von der Hüfte verschwand. Stattdessen hörte Ricky hinter sich, wie die Tür vom Oberschrank geöffnet und klappernd zwei Tassen herausgenommen wurden.
Kurz darauf stand eine davon mit dampfendem Kaffee vor ihm. Die bräunliche Farbe sprach für die genau richtige Menge Milch und Ricky war sich sicher, dass er keinen Zucker darin vorfinden würde. André wusste exakt, wie er seinen Kaffee mochte. Immerhin bekam er jeden Morgen, an dem er hier aufwachte, eine geradezu perfekt abgestimmte Dosis. Und wie Ricky eben bereits festgestellt hatte, war das überraschend oft.
„Wenn Du ausgerechnet jetzt darüber nachdenkst, ob wir zusammen passen, oder nicht, hau ich dich, Rick.“
Seine eigenen Augenbrauen zuckten nach oben, als er zu André sah. Das Grinsen konnte Ricky sich gerade noch verkneifen.
„Und es wird dir nicht gefallen!“, fügte André mit einem Lachen hinzu.
Er verzichtete auf eine Antwort, grinste stattdessen nur anzüglich. Da waren sie mit einem Mal wieder mitten in diesem wunderbaren Spiel, das Ricky so sehr mochte. Allerdings bisher in seinen Beziehungen nur wenig Gelegenheit gehabt hatte, es zu verfolgen. Denn die Mehrzahl von denen spielten lediglich zum Flirten. Sobald die Grenzen, respektive die Klamotten, gefallen waren, endete ebenso das Spiel.
André stöhnte, gab allerdings lachend zu: „Du machst mich heute echt fertig, Rick.“
Er zuckte mit den Schultern und nippte vorsichtig am Kaffee. Leider war der noch etwas zu heiß. Also nahm Ricky die Tasse mit ins Wohnzimmer und ließ sich demonstrativ auf dem Sofa nieder. Mit übereinandergeschlagenen Beinen, die Kaffeetasse in der Hand, sah Ricky herausfordernd zu André hinüber. Der rieb sich stirnrunzelnd über das Kinn, bevor er sich offensichtlich dazu entschied, ihm zu folgen.
„Ich ... hab das übrigens ernst gemeint“, nuschelte André irgendwann.
Es fiel ihm augenscheinlich schwer, den Blick auf den Fernseher an der gegenüberliegenden Wand zu richten und nicht seitlich nach unten. Das ständige Hin und Her Rutschen ließ Rickys Grinsen weiter anwachsen. Da hatte offenbar jemand Probleme still zu sitzen.
„Was genau?“
Diesmal drehte André den Kopf und sah ernst zu Ricky hinüber. „Dieser Rick, der gestern Theo den Hintern aufgerissen hat, gefällt mir.“ Erneut versuchte er, das Gewicht zu verlagern. „Der vorhin meinen bearbeitet hat, im Übrigen auch.“
Wie schon zuvor am Morgen machte Rickys Herz bei den Worten einen kleinen Sprung. Er lächelte beschämt. Nach einem kurzen Moment des Überlegens drehte er sich zur Seite und rutschte weiter hinter, bis er mit dem Rücken an die Armlehne stieß. Vorsichtig, um den Kaffee nicht über seinem nackten Schoß auszukippen, machte er es sich dort mit angezogenen Knien einigermaßen bequem.
„Was ... genau ... hat dir gefallen?“, fragte er zögerlich nach.
„Keine Ahnung“, gab André mit einem verhaltenen Lachen zu. „Ich ... hab nicht wirklich irgendwelche ... Kinks. Also ... nicht richtig.“
Ricky zog die Augenbrauen hoch. Das klang irgendwie unvollständig. „Aber?“
Ein Stöhnen entrann André. „Fuck. Es macht mich an, wenn du so direkt bist wie heute Morgen. Und gestern ...“
Der blöde Muskel in Rickys Brust fing schon wieder an, sich zu beschleunigen. „Was war gestern?“
„Du warst eifersüchtig.“
Ricky lächelte. „Nicht wirklich“, bemerkte er betont lässig und nippte erneut an seinem Kaffee. Der hatte allmählich die richtige Temperatur. Also konzentriert er sich zunächst darauf und ließ André weiter zappeln.
„Warst du wohl“, platzte es aus dem irgendwann mit einem Lächeln heraus.
„Nein“, widersprach Ricky erneut – diesmal mit ernsterem Ton.
Während in seiner Brust das Hämmern immer heftiger zu werden schien, sah Ricky schließlich langsam auf. André wirkte irritiert. Er selbst meinte das aber weder scherzhaft noch als Herausforderung. Und wenn er seinen eigenen Rat an Tim befolgen wollte, sollte er das wohl auch klarstellen.
„Ich war wütend. Stinksauer. Und beleidigt. Weil dein Doktor Blöd nicht den Anstand hatte, seine Wichsgriffel von dem zu lassen, was mir gehört.“
Schweigen trat ein und Ricky war sich nicht sicher, ob er jetzt doch zu weit gegangen war. Aber auch wenn es bisher nur etwas über zwei Monate waren, hatte er das Gefühl, als könnte er wenigstens ein Stück weit die Selbstkontrolle fallenlassen. André antwortete jedoch weiterhin nicht, starrte ihn nur mit undeutbarem Gesichtsausdruck an. Und mit jeder verstreichenden Minute, verwandeltes ich das eigentlich angenehme Kribbeln im Bauch in ein unangenehmes Ziehen. Vielleicht hatte er doch falschgelegen.
Ricky senkte die Augen auf den Kaffee. „Entschuldige“, murmelte er verhalten.
„Wofür?“
Er zuckte mit den Schultern und zappelte kurz hin und her, um die Knie zur Seite legen zu können. Es fühlte sich immer noch merkwürdig an, hier vollkommen nackt zu sitzen. Weniger, weil es Ricky peinlich wäre, sondern vielmehr, da Andrés Blicke ihm ein permanentes Kribbeln über den Körper wandern ließen. Und das war nicht einmal sehr unangenehm, ganz im Gegenteil. Trotzdem war das kein Gespräch, das Ricky splitterfasernackt führen wollte. Schon gar nicht, wenn André weniger als zwei Meter von ihm entfernt immerhin eine Jogginghose vorweisen konnte. Zumindest war aufgrund früherer Erfahrungen zu vermuten, dass er da keine Unterhose drunter trug.
„Rick?“
Langsam schüttelte er den Kopf. „Können wir das ein anderes Mal besprechen?“
André runzelte die Stirn, stellte seine Kaffeetasse weg und drehte sich zu Ricky herum. Auch dessen Tasse wanderte kurz darauf auf den Couchtisch. Mit einem eigenen Stirnrunzeln stellte Ricky fest, dass André beide Mal wieder direkt auf das Holz platzierte. Irgendwann würde das unschöne Ringe geben ...
„Rick“, riss eine zögerliche Stimme ihn zurück in die Gegenwart.
Als er sich wieder André zuwandte, war dessen Gesicht nur wenige Zentimeter vor seinem eigenen. Überrascht fuhr Ricky zusammen. Die graublauen Augen waren deutlich zu nah und vor allem viel zu fragend. Jedenfalls wenn man in Betracht zog, dass die Frage, die sie stellten, zur Abwechslung nichts damit zu tun hatte, wie schnell er die Klamotten loswerden konnte.
Andrés Augen zuckten kurz über Rickys Gesicht. Plötzlich stand er auf und verschwand. Irritiert, um nicht zu sagen, reichlich verunsichert, sah Ricky ihm nach. Einige Augenblicke später war André wieder zurück und hielt ihm eine ausgeleierte kurze Jogginghose vor die Nase. Die wäre zwar garantiert zu groß, aber er würde sich wenigstens nicht mit zu langen Hosenbeinen herumärgern müssen.
Kaum hatte Ricky sie überzogen, wurde er bereits zurück auf die Couch verfrachtet. Diesmal bekam er jedoch nicht den Platz in der Ecke, sondern landete prompt auf Andrés Schoß. Der zog ihn näher zu sich heran, ließ aber die Hände locker auf Rickys Po liegen.
„Wofür hast du dich entschuldigt?“, fragte André ein weiteres Mal.
Ricky zuckte mit den Schultern. Es war nicht wirklich zu erklären, jedenfalls nicht rational. Aber die Tatsache, dass das Kribbeln im Bauch weiterhin weg war, schien danach zu verlangen.
„Es war ...“, murmelte er irgendwann, da es nicht aussah, als würde er um eine Antwort drumrum kommen.
„Frech?“, fiel André ihm direkt ins Wort und brachte sie damit beide zum Lachen.
„Ja, ich schätze, das war es wohl“, antwortete Ricky zögerlich.
Die warme Hand, die beruhigend über seinen Rücken strich, war angenehm. Genauso wie das Gefühl der Haut unter Rickys eigenen Fingern. Viel zu schön um den Gedanken zuzulassen, dass er gerade dabei war, das hier durch eine unbedachte Bemerkung in den Sand zu setzen.
„Das erklärt nicht die Entschuldigung.“
Das Reißen in Rickys Bauch wurde stärker, aber er antwortete noch nicht.
„Ich hab doch vorhin schon gesagt, dass ich den ... frechen Rick mag.“
Vorsichtig hob er den Blick und versuchte, in Andrés Gesicht zu sehen, ob der das wirklich so meinte. Diese Worte hatte Ricky in den letzten Jahren in einigen Betten gehört. Am Ende waren sie nie erst gemeint gewesen. Aber André war anders. Er meinte, was er sagte – jedenfalls nahm Ricky ihm das ab. Manchmal wünschte er sich, dass er genauso sein könnte. Einfach sagen, was er dachte, ohne ständig darüber nachzudenken, was der Rest der Menschheit von ihm deshalb halten würde. Denn tatsächlich entscheidend war im Moment doch nur, was André von ihm hielt.
Oder nicht?
Ricky schluckte und sah auf den eigenen Finger, der nervös über das kleine Tattoo auf Andrés linker Brust fuhr. Immer wieder folgte er der zarten blauen Linie, zeichnete die fallende Feder nach. Im Augenblick hatte Ricky auch das Gefühl, als würde er unausweichlich in einen Abgrund stürzen. Allerdings nicht langsam schwebend wie eine Feder, ehe wie ein Stein, der vermutlich am Boden zerschellen würde.
Erst Andrés Hand auf seiner stoppte die nervöse Bewegung. „Das kitzelt“, flüsterte André mit einem leisen Lachen.
„Es war ... ungehobelt so ... zu reden“, presste Ricky irgendwann heraus und verzog das Gesicht, weil ihm seine eigenen Worte merkwürdig vorkamen. „Ich ... bin kein ... Trampel, der ...“
„Nein, bist du nicht“, unterbrach André sofort. „Geht es darum?“
Ricky zuckte mit den Schultern. Er wusste es selbst nicht. Aber er wollte weder ungehobelt noch ‚unangemessen‘ wirken. Denn so würde er nicht in Andrés Welt passen. Und letztendlich war das weiterhin Rickys größte Sorge. Dass er eben nicht hierher passte – in diese Wohnung, zu diesem Mann. Zumindest nicht alles von ihm – zum Beispiel der Teil, der am Morgen herausgebrochen war. Die Angst war nicht immer da, aber auch noch nicht weg.
„Warum wirst du weiterhin derart unsicher?“, fragte André mit einem Stirnrunzeln. „Wie man gestern gesehen hat, können sich auch Doktoren daneben benehmen.“ Ein kurzes Grinsen huschte über Rickys Lippen. „Und deinen Kommentar von vorhin ... Ich bin eigentlich kein Fan von ... irgendwelchen ... Dominanzspielen oder so. Also versteh das nicht falsch, Rick. Aber ganz ehrlich ... es macht mich tierisch an, wenn du sagst, dass ich dir gehöre.“
Diesmal schnaubte Ricky belustigt, doch als er André ins Gesicht sah, war dort kein Lachen, sondern ein ausgesprochen ernster Gesichtsausdruck.
„Ich meine das genau so, wie ich es sage, Rick. Die wilden Jahre hab ich hinter mir. Ich suche keine Experimente mehr, sondern was ... Ernsthaftes.“
Das Herz, das gegen Rickys Rippenbogen schlug, schien förmlich aus Selbigen rausspringen zu wollen. Er war sich nicht sicher, was er davon halten sollte, aber André war zu ernst, als dass er diese Dinge nur aus einer Laune heraus sagen würde.
„Was meinst du damit?“, fragte Ricky dennoch vorsichtig zurück.
„Ich hab die Studienjahre wirklich ... sehr genossen“, gab André mit einem verlegenen Lächeln zu. „Beziehungen konnten andere haben. Ich wollte Spaß. Wenn ich ausgegangen bin, dann irgendwohin, wo ich garantiert nicht alleine wieder rauskam – oder zumindest nicht ohne im Klub schon zum Zug zu kommen. Und es war mir oft genug reichlich egal, was die Männer, mit denen ich etwas hatte, für Persönlichkeiten waren. So lange wir uns ... einig waren.“
„Nymphomane ...“, murmelte Ricky mit einem beschämten Lächeln.
„Was ist mit dir?“
Ricky senkte den Blick. Während seiner Lehre hatte er durchaus den einen oder anderen Klub besucht, Leute kennengelernt und nicht wenige auch nur für ein paar sich wiederholende Nächte. Aber das war eher Mittel zum Zweck. Um herauszufinden, was er mochte, worauf er stand – und vor allem was nicht. Außerdem war Ricky damals weit weg von hier gewesen. Niemand kannte ihn, keine Eltern oder Freunde, denen man zufällig über den Weg laufen konnte. Anonymität in jedem nur erdenklichen Bereich. Da war es einfach offen für gewisse Dinge zu sein.
Aber diese Zeit des anonymen Sex, der Dreier, Vierer und der Abende der Blicke – und Hände –, die Ricky schon auszogen, bevor er nur ein Wort gesagt hatte, waren seit einer ganzen Weile vorbei. Jedenfalls wenn es darum ging, was er dauerhaft in seinem Leben wollte. Brauchte. Ricky wünschte sich Stabilität, Sicherheit – in jedem Bereich. Und vielleicht auch die Ruhe und das Vertrauen, sich nicht ständig verstellen zu müssen. Nicht zuletzt, um darüber ebenfalls die Selbstsicherheit zu finden, seiner Familie gegenüber endlich ehrlich zu sein.
„Hast du jemals ... experimentiert?“, fragte André erneut, als er nicht antwortete.
Ricky zuckte etwas lahm die Schultern. Er holte tief Luft und schaffte es, doch endlich auf- und André in die Augen zu sehen. „Während meiner Lehre, ja. Ich ... war eine Zeit lang nicht sicher, was ... ich mag. BDSM ist es übrigens nicht. Das war mir zu Hardcore. Aber das eine oder andere Detail ...“ Als Andrés Augenbrauen nach oben wanderte, konnte Ricky spüren, wie ihm das Blut in die Wangen schoss, dennoch er hielt den Blick und nuschelte: „Nun ja, es war eine vergleichsweise kurze Phase und ist länger her.“
André grinste. „Dann hast du wohl eher gefunden, was du gesucht hast, als ich.“
Mit einem Stirnrunzeln betrachtete Ricky den Finger seiner linken Hand, die schon wieder über die feinen Linien der Feder wanderten. „Weiß nicht“, murmelte er verhalten. „Glaub nicht.“
Erneut stoppte André die Bewegung des Fingers, indem der die eigene Hand darüber legte. „Was suchst du, Rick?“
„Weiß nicht“, gab er prompt ein weiteres Mal zurück, ohne nachgedacht zu haben. Erst danach setzten sich die Rädchen in seinem Kopf in Bewegung. „Etwas Dauerhaftes, anstatt wiederkehrenden Zwischenlösungen“, meinte Ricky schließlich mit einem scheuen Lächeln. „Das ... alles passt.“
„Wo du auch mal ein sexy freches, dominantes Großmaul sein kannst?“
Rickys Lächeln wurde breiter, für eine Sekunde zu einem Grinsen, als er erneut mit den Schultern zuckte, diesmal schweigend. Auch André sagte zunächst nichts mehr, ließ nur einfach die Hände weiter auf Rickys Rücken und hielt ihn damit an sich herangezogen.
„Ich hab dir schon gesagt, dass ich bisher nie eine richtige Beziehung hatte, oder?“
„Ja“, antwortete Ricky leise, nicht sicher, woher der plötzliche Themawechsel kam.
„Erzähl mir von deiner letzten.“
Stirnrunzelnd sah Ricky auf, als er zurückfragte: „Beziehung?“
„Ja.“
Das Schnauben entkam ihm, bevor er sich stoppen konnte. Auch wenn er die Nähe zu André mochte, war das der Moment, in dem Ricky von dessen Schoß rutschte und ein Stück zur Seite. Über seine Verflossenen wollte er bestimmt nicht reden und schon gleich gar nicht mit André. Am Ende fing der noch an zu verstehen, was die anderen gesehen hatte. Nein, schlimmer, er würde womöglich begreifen, was diese Männer eben nicht in ihm gesehen hatten.
„Rick?“
Seufzend rieb er sich über die Stirn. Das war definitiv kein Gespräch, das er führen wollte. Und Rickys grummelnder Magen machte das nicht besser. Um wenigstens den Koffeinmangel auszugleichen, griff er zu Kaffeetasse und trank einen Schluck. Inzwischen war der schon fast kalt und damit auch eher eine Enttäuschung.
André gab jedoch nicht auf: „Wie lange wart ihr zusammen?“
„Halbes Jahr. Etwas mehr vielleicht“, murmelte Ricky, hielt den Blick aber stur auf die Tasse mit dem viel zu kalten Kaffee.
Als er nicht fortfuhr, fragte André weiter: „Wo habt ihr euch kennengelernt?“
„Im Rush-Inn.“
Ein kurzer Seitenblick zu André zeigte neugierige Augen und ein vorsichtiges Lächeln. Brachte aber vorerst keine weiteren Fragen. Seufzend stellte Ricky die Tasse wieder ab. Das Zeug schmeckte ja eh nicht mehr.
„Er war ... ist Architekt“, fuhr er zögerlich fort.
„Ich dachte, du willst keine Akademiker“, fragte André verwundert nach.
Ricky schnaubte und zog die Knie an, um seine Arme darum legen zu können. Nachdem er die Tasse nicht mehr in der Hand hielt, brauchte er irgendwas anderes, an dem er sich festhalten konnte. Und André stand dafür bei dem Gespräch, das der hier führen wollte wohl nicht zur Verfügung.
„Und ich dachte, es hat gepasst. Das hab ich jedes Mal gedacht.“
„Aber?“
Ein Seufzen entkam Ricky. „Im Schlafzimmer ist das freche Großmaul am Anfang noch willkommen, irgendwann später nicht mehr gern gesehen. Und auf der Party mit den Freunden ... hat es definitiv nichts zu suchen.“
Verwundert stützte André seinen Kopf mit der Hand auf der Rücklehne des Sofas ab. „Das verstehe ich nicht.“
„Ich hab mir nichts bei gedacht. Es waren seine Freunde und ... keine Ahnung, ich wollte mich nicht verstellen. Also hab ich geredet, wie ich eben ... mit meinen Freunden reden würde“, erklärte Ricky hastig, bevor er den Mut verlor, es auszusprechen. „Irgendwann am Abend hat er mich beiseitegezogen und gemeint, ich solle mich endlich mal zusammenreißen.“
„Was hast du denn gesagt?“, hakte André irritiert nach.
Ricky lachte und schob die Beine von der Couch, bevor er in einer geradezu hilflosen Geste die Arme zur Seite ausstreckte. „Ich kann es dir nicht einmal sagen. Aber als er meinte, ich sei ‚nur noch peinlich‘, hab ich ihm eine gescheuert und bin gegangen. Für immer.“
„Verständlich“, schnaubte André.
Als Ricky den Kopf drehte und ihn ansah, konnte er die Verärgerung sehen, die ihm entgegen blitzte. Das Reißen in seinem Inneren wurde schwächer, während das angenehmere Kribbeln allmählich in ihm aufstieg.
„Was ich gestern gesagt habe, war auch so etwas“, gab Ricky leise zu. „Ich ... hätte das nicht sagen sollen. Jedenfalls nicht so. In der Öffentlichkeit.“ Das tiefe Lachen, das aus Andrés Brust polterte, ließ nun seinerseits Ricky die Stirn runzeln. „Was?“
„Du hast genau das Richtige gesagt. Mit den besten Worten überhaupt“, gab er weiterhin lachend zurück. „Und glaub mir, wenn die Szene jemandem peinlich sein sollte, dann Theo.“
„Aber ...“
„Nein, kein aber, Rick. Nicht in dem Punkt“, fuhr André sofort dazwischen. Das Lachen war verschwunden und stattdessen wieder der ernste Gesichtsausdruck zurück. „Ich mag dich, Rick.“
„Ich dich auch ...“
„Dann gibt es nur eine Sache, die ich von dir will“, meinte André. Nur um direkt mit einem breiten Grinsen hinzuzufügen: „Okay, zwei.“
Unsicher rutschte Ricky hin und her, bevor er zögerlich fragte: „Was?“
„Ich will, dass du aufhörst, dich zu verstellen.“
Ein Schauer lief durch Rickys Körper, als er in Andrés ernste Augen blickte. „Ich hab mich nicht verstellt. Nicht ... wirklich“, meinte er irgendwann. „Jedenfalls nicht dir gegenüber.“
„Dirty Ricky hab ich heute aber zum ersten Mal erleben dürfen“, schnaubte André mit einem anzüglichen Grinsen und nicht wirklich lasziv wirkenden Wackeln der Augenbrauen, während er hin und her rutschte.
Ricky zuckte mit den Schultern und konnte sich ein eigenes Grinsen nicht verkneifen. „Er kommt nicht so oft raus zum Spielen.“
„In dem Fall habe ich drei Punkte“, gab André mit einem weiteren Lachen zu. „Noch einmal: Kein Verstellen. Ich will mit dem echten Richard Hansen zusammen sein, nicht mit einer ausgeblichenen Kopie.“
Ricky nickte, auch wenn er weiterhin Sorge hatte, dass das die Dauer dieser Beziehung eher verkürzen als verlängern würde.
Wieder verlagerte André das Gewicht von einer Pobacke auf die andere. Mit einem Knurren, dass Ricky seinerseits direkt in den Schritt wanderte, fuhr er fort: „Zweitens: Der sexy Typ, der heute Morgen in meinem Bett lag, kann gern öfter zum Spielen herauskommen.“
Ein schelmisches Grinsen, denn damit hatte Ricky in der Tat kein Problem. „Und das dritte?“
„Zieh die verdammte Hose aus, du schuldest mir weiterhin einen Tag mit deinem nackten Hintern. Und glaub bloß nicht, dass ich da nicht heute noch meinen Namen hineinritzen werde.“