Seit zwei Wochen war Ricky jetzt in einer Beziehung.
So zumindest die offizielle Zählung – beginnend vom Tag seiner Aussprache mit André an. Vielleicht nicht die besten vierzehn Tage seines Lebens, aber definitiv unter den Top zehn. Und so war es womöglich nachvollziehbar – zumindest nicht verwunderlich – dass Ricky in diesem Moment, grinsend wie ein Honigkuchenpferd vor einem Brautkleid im Arbeitsbereich stand. Vor sich hinträumend wie ein Teenager.
Und sah man davon ab, dass er der Teenagerzeit schon ein paar Jahre entwachsen war, traf es das wahrscheinlich schlicht sehr genau. Denn auch wenn Ricky es sich am Anfang nicht eingestehen wollte, musste er inzwischen zugeben: Da waren definitiv verdammt viele dieser ominösen Schmetterlinge in seinem Bauch angekommen.
„Du wirst mir aber nicht krank, oder?“, fragte jemand mit einem Mal neben ihm.
Erschrocken zuckte Ricky zusammen und sah sich verwirrt um. Wo kam denn Helena auf einmal her? Die war doch eben noch unterwegs gewesen. Irritiert sah Ricky sich weiter um und wurde dabei auch prompt mit Annabells kritischem Blick konfrontiert. Dass die es genau wie der Rest der Mutterfiguren in seinem Leben nicht böse meinte, war Ricky durchaus klar. An dem Punkt hörte seine geistige Klarheit im Augenblick aber auf. Wo auch immer seine Gedanken gerade geschwebt waren – es war verflucht weit weg gewesen.
„Was?“
„Himmel, Junge. Du stehst seit Minuten da rum und träumst vor dich hin.“ Plötzlich weitete sich Helenas Mund zu einem Grinsen. „Sag bloß, deine Mutter darf sich am Ende Hoffnungen machen?“
„Was?!“, wiederholte Ricky erneut, bevor ihm dämmerte, worauf seine Tante hinaus wollte. „Nein!“
Offenbar hatte Helena jedoch Lunte gerochen und sah nicht nur wissend, sondern auch breit grinsend zu Annabell, die ebenfalls lächelnd nickte. Das lief gerade viel zu schnell in die vollkommen falsche Richtung. Eine, die wenn nicht Rickys Mutter, dann zumindest ihn selbst ins Grab bringen würde.
„Garantiert“, kam es von Annabell, nur um ein weiteres Nicken von Helena zu ernten. Die Wände von Rickys Sarges begannen Formen anzunehmen.
„So was von“, fügte seine Tante hinzu. Und damit war der letzte Nagel beinahe eingeschlagen.
„Erzähl Mama bloß nicht so einen Unsinn!“, verlangte Ricky hastig. Geradezu verzweifelt versuchte er, irgendetwas zu finden, was als Ablenkung herhalten konnte. Dummerweise fand Ricky nichts und stellte am Ende nur beschämt fest, dass er aus dieser Sache vermutlich nicht ohne eine Erklärung herauskommen würde.
„Also bitte, Richard“, mischte sich Annabell erneut lächelnd ein. „Ich habe fünf Söhne und jeden einzelnen davon verliebt gesehen. Du glaubst nicht ernsthaft, dass du uns etwas vormachen kannst, oder?“
‚Oh, Mann. Das V-Wort.‘
Ganz sicher hatte Ricky nicht vor das in naher Zukunft derartig offen zu benutzen! Vollkommen egal, was die Schmetterlinge in seinem Bauch trieben. Erst recht nicht wenn es um Helena beziehungsweise Annabell ging. Oder, Gott bewahre, seine Mutter.
„Ich bin überhaupt nicht ...“, stammelte Ricky deshalb verlegen, brach jedoch ab, als das Grinsen auf den Gesichtern seiner Kolleginnen immer breiter wurde. Hier half nur noch ein strategischer Rückzug! „Da fehlt was, ich hol es schnell aus dem Lager“, rief er hastig und drehte sich bereits herum.
Bevor Ricky verschwinden konnte, baute sich jedoch Helena vor ihm auf. Recht beeindruckend angesichts der Tatsache, dass sie lockere fünfzehn bis zwanzig Zentimeter kleiner war, als er selbst. Mit den Händen in die Hüften gestemmt, funkelte sie Ricky an. Wäre das wissende Grinsen nicht auf den geschminkten Lippen gewesen, hätte man vermuten können, dass sie sauer war.
„Helena, bitte“, ächzte er. „Sag Mama bloß nichts.“
„Ach komm schon, Rick“, gab sie mit einem Lachen zurück und schlug ihm gegen die Brust. „Was ist daran denn so schlimm?“
Nun ja, das fing schon einmal mit der Tatsache an, dass die Frau, die seine Mutter erwarteten würde etwa 1,90 Meter groß und überhaupt nicht weiblich war. Aber das konnte er Helena natürlich nicht sagen. Also kratzte Ricky sich lediglich verlegen am Nacken und zuckte mit den Schultern. Er brauchte eine Ausrede. Und so wie seine Tante aussah, vermutlich eine verflucht gute.
„Es ... ist zu frisch“, murmelte Ricky, in der Hoffnung, dass das ausreichte.
Hinter sich konnte er Annabell schnauben hören. Verwundert drehte er sich um, aber sie war bereits wieder an ihre Arbeit zurückgegangen und sagte nichts weiter dazu. Okay, ein Stück mehr Wahrheit war vielleicht angebracht. Also sah Ricky zurück zu seiner Tante und seufzte.
„Ich will nicht, dass Mama sich falsche Hoffnungen macht.“
Helena verzog das Gesicht, nickte aber. „Okay“, stimmte sie glücklicherweise zu. „Sobald es ernst wird, rufst du sie allerdings an. Ich werde ganz sicher nicht weiterhin für dich den Anrufbeantworter spielen, wenn sich ihr größter Wunsch am Ende doch noch erfüllen wird.“
Das Husten hinter ihm irritierte Ricky erneut, Annabell schwieg jedoch hartnäckig. Ganz sicher hatte er keine Lust Helena zu gestehen, dass sich der Wunsch seiner Mutter so oder so nicht würde erfüllen lassen. Selbst wenn das mit André und ihm weiterhin derartig gut laufen würde. Naturgemäß konnte das schlicht nicht zu den erhofften Enkeln führen.
„Versprochen“, murmelte Ricky dennoch und verzog sich in Richtung Lager.
Dort angekommen ließ er sich seufzend gegen die Tür gelehnt nach unten gleiten. Irgendwann würde er ihnen allen die Wahrheit sagen müssen. Zumal die Sache mit André eben tatsächlich verdammt gut lief, sodass Ricky sich immer wieder fragte, wie er jemals auf die dämliche Idee gekommen war, den Mann sitzen zu lassen.
Ricky das Handy aus der Hosentasche und rief die Bildergalerie auf. Der Mai war bisher sehr freundlich und warm gewesen und so hatte er sich mehrmals mit André im Park getroffen. Dieser zog dort scheinbar fast täglich eine Joggingrunde durch. Und auch wenn Ricky selbst sich für den Sport wenig begeistern konnte, machte es für ihn genauso viel Spaß im Gras liegend auf André zu warten. Mit einem Lächeln auf den Lippen scrollte er durch die Bilder, die bei diesen Gelegenheiten entstanden waren.
„Tatsächlich verliebt?“, fragte Ricky sich selbst flüsternd.
Das Flattern, das er bei den ersten Treffen im Bauch verspürt hatte, war seit einer Weile einem lieb gewonnenen Kribbeln gewichen. Einer Leichtigkeit, die er nur zu gut kannte, aber bewusst bisher nicht benennen wollte. Jedenfalls nicht derartig offen. Ricky schloss die Augen und lehnte den Kopf gegen die Tür.
„Vielleicht.“
Ein Eingeständnis an sich selbst, das dieses Flattern jedoch kurzzeitig in ein ebenso bekanntes Ziehen verwandelte. Denn auch wenn es objektiv betrachtet kein Grund für Rickys Sorge gab, konnte er den Gedanken daran, dass es früher oder später enden würde nicht verdrängen. Diese immer wieder aufsteigende Angst, dass er nicht gut genug war. Dabei hatte André ihm dafür nun wirklich nicht den geringsten Grund gegeben. Und stattdessen mehrmals betont, dass er jedem direkt auf die Nase binden würde, dass er mit Ricky zusammen war. Sofern der damit einverstanden war. Wieder kehrte das Flattern im Bauch zurück.
Das Lächeln wurde größer, als Ricky ein weiteres Mal auf das Selfie starrte, dass sie vergangenes Wochenende gemacht hatten. André grinste breit in die Kamera, einen Arm über Rickys Schulter, der glücklich lächelte.
„Nicht nur vielleicht“, wisperte er.
Ja, verdammt, er war verknallt!
So albern es erscheinen mochte und so sehr Ricky sich davor fürchtete. Aber dieser Drang in ihm, es in die Welt hinauszuschreien war nicht zu leugnen. Zu der gehörte allerdings auch seine Familie. Und womöglich war es am Ende eben doch schlichtweg Feigheit, was hin zurückhielt.
„Richard?“, hörte er plötzlich eine Stimme vor der Tür. „Bist du da drinnen?“
Hastig rappelte er sich auf und steckte das Handy weg. Gerade öffnete Helena die Tür, als er wahllos nach einer der Kisten griff und hineinsah, als würde er etwas suchen.
„Ist wirklich alles in Ordnung mit dir?“, fragte sie mit einem weiteren Stirnrunzeln.
Ricky nickte schnell und schloss die Kiste. Mit dem Kram würde er sie nicht ablenken können. Vermutlich mit nichts in diesem Raum, denn im Grunde hatte er sich ja nur hierher verzogen, weil er Helenas forschenden Augen hatte entkommen wollen.
Die schüttelte seufzend den Kopf. „Geh nach Hause, Rick“, meinte sie mit einem Mal und deutete dann in einer vagen Bewegung durch den Raum. „Du bist nicht bei der Sache und das können wir alle sehen. Die Aufträge sind gut im Zeitplan. Auf den Tag heute kommt es nicht an.“
„Nein, ich ...“, setzte Ricky an, brach aber bei ihren hochgezogenen Augenbrauen sofort ab. „Tut mir leid.“
Das laute Lachen ihrerseits ließ ihn zusammenfahren. „Nichts für ungut, mein Junge. Aber dafür brauchst du dich nun wirklich nicht entschuldigen.“ Ricky sah sie lediglich verwirrt an. Helena lächelte ihn jedoch geduldig an und tätschelte ihm wie einem kleinen Kind die Wange. „Es reicht mir, wenn du wieder fröhlicher bist.“
„Danke, Helena“, murmelte Ricky verlegen. „Ich ... geh dann ... mal.“
„Tu das.“
Obwohl sie ihm ganz klar gesagt hatte, dass er verschwinden sollte, zögerte Ricky. Wenn er sich nicht mit Arbeit ablenken konnte, würde er vermutlich den restlichen Tag entweder mindestens genauso verträumt oder zumindest total hibbelig in seiner Wohnung herumsitzen. Und dummerweise würde vorerst kein André dort auftauchen, um ihn abzulenken. Vermutlich gar nicht. Denn mit dem war er schließlich erst für den nächsten Morgen verabredet. Trotzdem trottete Ricky langsam aus dem Lager.
„Ach und Richard ...“, rief ihm Helena noch einmal in deutlich ernsterem Tonfall zu. „Deine Mutter möchte nur, dass du glücklich bist.“
Er stockte. Für einen Moment erwägte Ricky, den Kommentar zu übergehen und nicht zu antworten. Aber das Grummeln im Bauch wollte er nicht mit nach Hause nehmen.
„Und wenn es nicht Hochzeit und Kinder sind, die mich glücklich machen werden?“
Helenas Antwort kam umgehen und ohne zu zögern: „Das ändert nichts.“ Verwundert sah Ricky über die Schulter, aber seine Tante lächelte ihn lediglich an. Mit einer kurzen Handbewegung deutete sie auf die Tür: „Schusch!“
Da konnte er sich ein eigenes Lächeln nicht mehr verkneifen und beeilte sich, zurück in den Laden zu kommen. Dort verabschiedete er sich von Annabell, die nur ebenso merkwürdig grinste, wie Helena und machte sich dann auf den Weg nach Hause.
Dort angekommen passierte jedoch genau das, was er kurz zuvor befürchtet hatte. Ricky wusste nichts mit sich anzufangen. Seufzend sah er sich im Wohnzimmer um. Er konnte sich nicht einmal mit Aufräumen ablenken. Das hatte er bereits am Vorabend erledigt. Und zwar so gründlich, dass Küche und Schlafzimmer da mit eingeschlossen gewesen waren. Dummerweise aus dem gleichen Grund, warum er schon wieder hier stand, wie bestellt und nicht abgeholt.
„Und jetzt?“, fragte Ricky sich und prüfte die Uhrzeit.
Andrés Schicht würde am frühen Nachmittag enden. Bis dahin war allerdings noch viel Zeit zu überbrücken. Zumal sie für heute nicht einmal verabredet waren. Zögerlich starrte Ricky auf das Handy. Sollte er ihm trotzdem eine Nachricht schreiben? Das Flattern im Magen sagte ganz eindeutig ‚ja‘, während das Hirn darauf bestand, dass der Mann nach einer anstrengenden Schicht vermutlich Besseres zu tun hatte, als ihn abzulenken. Andererseits könnte Ricky ja umgedreht vielleicht für etwas angenehme Ablenkung bei André sorgen.
Glücklicherweise konnte der sein hinterhältiges Grinsen gerade nicht sehen. Aber auch nach nur zwei Wochen hatte André augenscheinlich inzwischen verstanden, dass das neckische Geplänkel, das permanent zwischen ihnen zu entstehen schien, mehr Vorspiel als alles andere war. Das half Ricky bei seinem aktuellen ‚Problem‘ allerdings nicht weiter. Und das war nicht in erster Linie die Langeweile, die hier in Kürze über ihn hereinbrechen würde, sondern vielmehr die Unruhe, die damit einherging. Denn mit der kam leider ebenso die weniger erfreulichen Gedanken in ihm auf.
Diese wollte Ricky aber auf keinen Fall zulassen – und erst recht nicht heute.
『Schon aufgeregt?』, blinkte es plötzlich mit einem Piepen auf dem Handy.
Lächelnd entsperrte er das Gerät und antwortete: 『Kannst du hellsehen?』
『Nein. Aber ich kenne dich, glaube ich, inzwischen so ein bisschen ;)』, kam prompt die Antwort zurück.
Das Flattern in Rickys Bauch wurde stärker, verwandelte sich in ein nur zu bekanntes Kribbeln, das sich immer schneller im ganzen Körper auszubreiten schien. Aber anstatt auf die unterschwellige Herausforderung einzugehen, riss Ricky sich zusammen. Andrés Schicht war noch nicht zu Ende. Vermutlich hatte er lediglich eine kurze Pause. Dass der dumme Kerl die ausgerechnet dafür nutzte, um ihm zu schreiben, verstärkte das Kribbeln umso mehr. Und ließ André ein weiteres Stück in Rickys Ehrengalerie steigen. Nicht, dass da noch sonderlich viel Platz nach oben gewesen wäre. André führte die Rangliste seit Kurzem unangefochten an.
Einem plötzlichen Impuls folgend tippte Ricky daraufhin: 『Wie lange bist du heute auf Arbeit?』
Es dauerte nur etwa eine Minute, da kam auch schon die Antwort: 『Ich komme gegen vier hier raus, denke ich.』
Während Ricky überlegte, wie er seinen Plan am besten umsetzen konnte, kam auch schon die nächste Nachricht: 『Kannst du ohne mich nicht einschlafen? ;P』
Rickys Lachen war laut und geradezu befreiend. Auch wenn es albern war, da sie sich geplant ja am folgenden Morgen ohnehin sehen würden. Aber der Drang, André heute noch treffen zu wollen, war mit einem Mal so groß, dass Ricky ihm einfach nachgeben musste.
『Ich bin gegen fünf bei dir』, schrieb er hastig zurück.
『Ich kann unterwegs Pizza holen』, kam es kurz darauf von André.
Wieder musste Ricky lächeln. Das Wissen, nicht fragen zu brauchen, ob es okay war, vorbei zu kommen, sondern es schlichtweg anzukündigen war eine Sache. Dass André sie mit so einer Selbstverständlichkeit annahm eine andere.
‚Du bist verl....‘
„Keine Pizza!“, entschied Ricky spontan und sprach es laut aus, um die eigenen, total kitschig werdenden Gedanken zu übertönen. Daran waren nur Helena und Annabell schuld!
Außerdem würde Ricky André ganz sicher keine profane Pizza besorgen lassen, wenn er sich schon selbst bei dem einlud. Davon abgesehen, dass die Schichtdienste für André vermutlich bereits stressig genug waren. Das Mindeste, was Ricky für den Mann tun konnte, war ihm etwas Anständiges zu Essen auf den Tisch zu stellen.
Also antwortete er: 『Ich bringe was mit.』
↬ ✂ ↫
Es war zehn vor fünf, als Ricky die Stufen zu Andrés Wohnung hinauf stieg. In der Linken trug er einen Beutel mit Einkäufen, mit der anderen einen Kleidersack, über der Schulter eine Reisetasche mit weiteren Klamotten. Auf seinen Lippen prangte ein seliges Grinsen. Kurz: Ricky fühlte sich blendend und die Aussicht auf einen schönen Abend mit seinem Freund ließ sein Herz höherschlagen.
Überrascht hielt Ricky mitten auf der Treppe inne und starrte ins Leere. Hatte er eben ernsthaft von André als ‚seinem Freund‘ gedacht?
Mit jeder Sekunde schien sich Rickys Puls weiter zu beschleunigen. Dass da mehr als nette Treffen für etwas Sex zwischen ihnen war, konnte garantiert niemand abstreiten. Auch das ominöse V-Wort hatte er heute ja bereits mehrmals in Zusammenhang mit André gefallen. In diesen klaren Bezeichnungen war ihre Beziehung bisher allerdings nie definiert worden. Durch keinen von ihnen.
„Sollte sie aber“, murmelte Ricky und stieg lächelnd weiter die Stufen hinauf.
Kaum dass er die letzten Treppen betrat, öffnete sich auch schon die Tür zu Andrés Wohnung. Der stand mit einem zu breiten Grinsen, und ebenso deutlich zu engem Unterhemd, grinsend im Türrahmen.
„Hallo, Schatzi!“, tönte er feixend, als Ricky zu ihm trat.
Der drückte André laut lachend zunächst den Beutel mit den Einkäufen gegen die Brust und drängte ihn danach in die Wohnung.
„Hör auf! Sonst nenn ich dich nur noch Bärchen, Hasi, Schnuckiputz oder so einen Mist, sobald deine Schwester in der Nähe ist.“
Statt zu antworten, stellte André den Beutel ab, warf die Tür zu und zog Ricky an sich. Kaum, dass sich sanfte Lippen auf die eigenen legten, rutschte die Reisetasche von Rickys Schulter und landete mit einem Krachen auf dem Boden. Sein Hirn war allerdings zu vernebelt, um darauf achten zu können. Nur mit Mühe schaffte Ricky es, sich aus der bereits einsetzenden Trance und sich selbst damit von André zu lösen.
„Die Pute muss entweder in den Kühlschrank oder in die Pfanne“, murmelte Ricky verträumt, während er weiter um Selbstbeherrschung kämpfte.
Schließlich war er hier um André ein leckeres Essen zu kochen und einfach dessen Gesellschaft zu genießen. Nicht, dass Ricky etwas gegen Sex hätte, aber sein heutiger Besuch hatte damit eigentlich nichts zu tun gehabt. Jedenfalls nicht primär. Okay, es war vermutlich total hirnrissig zu glauben, dass er die Finger von André lassen könnte, aber manchmal musste der gute Wille eben einfach ausreichen.
„Was für eine Pute?“
Ein tiefer Atemzug, der Ricky den Geruch von Duschbad in die Nase wehte. Die dabei sofort aufkommenden Bilder eines nackten, wohldefinierten Körpers, wie der sich unter der Dusche rekelte, halfen so gar nicht. Jedenfalls nicht, wenn es darum ging, die blöden Einkäufe in die Küche zu bringen. Und auch nicht für den Vorsatz, heute mal nicht direkt im Bett zu landen. Oder auf der Couch. Der Küchentisch war ebenso bereits Opfer unkontrollierter Hormone geworden.
„Ah, verdammt“, murmelte Ricky und stieß sich schweren Herzens endlich von André weg. Nicht ohne seine Finger kurz über dessen Bauch hinab zum Bund der locker sitzenden Jogginghose gleiten zu lassen. „Ich hab wie versprochen etwas fürs Abendessen mitgebracht.“
„Hab grad nur diesen einen ... Hunger“, knurrte André und zog ihn hastig wieder zu sich heran.
Lachend schob Ricky ihn ein weiteres Mal von sich, ließ dabei aber trotzdem noch einmal die Finger über das eng anliegende Unterhemd gleiten. Er schloss für einen Moment die Augen und atmete erneut tief durch.
„Du hattest einen langen Tag, André. Lass mich das für dich machen“, flüsterte Ricky schließlich mit gesenktem Kopf.
Jetzt, wo er hier war, klang es total kitschig. Aber sie landeten irgendwie immer direkt beim Sex. Da hatte er zwar sicherlich nichts dagegen, denn in der Hinsicht hatte Ricky nicht gerade Beschwerden vorzubringen. Das wäre den Schmetterlingen gegenüber heute jedoch nicht fair. Die verlangen nämlich definitiv nach, dass das zwischen ihnen beiden mehr als nur Sex sein sollte.
Bevor Ricky es sich versah, fand er sich gegen Andrés Brust gepresst. Überrascht riss er die Augen auf. Alles, was er sehen konnte, war jedoch das weiße Unterhemd, von dem er noch immer nichts anderes denken konnte, als dass er es André am liebsten ausziehen würde. Da waren plötzlich ein paar Lippen an Rickys Schläfe – nur ganz leicht, im Grunde kaum spürbar. Aber er fühlte sie trotzdem. Die Schmetterlinge waren umgehend wieder aktiv und flatterten wie wild in seinem Bauch herum.
„Ich koch gar nicht so schlecht“, murmelte Ricky mit einer Spur Verlegenheit in der Stimme.
Ob er das kurze Auflachen und einen erneuten flüchtigen Kuss an die Schläfe für den Spruch oder eben diese Unsicherheit kassierte, wusste Ricky nicht, aber es stachelte die Schmetterlinge trotzdem ein weiteres Mal an.
„Kann ich dir wenigstens dabei helfen?“
Lächelnd hob Ricky die Arme, presste sich an den Mann vor ihm und hauchte nun seinerseits einen Kuss an Andrés Halsbeuge. Er war sich zwar nicht sicher, ob es eine gute Idee war, sich dieser Versuchung in Person während des Kochens auszusetzen, aber die Gesellschaft zu verführerisch. Letztendlich waren Rickys Essenspläne sowieso derartig trivial, dass man es schon fast nicht ernsthaft als ‚Kochen‘ bezeichnen konnte.
„Na los, sonst komme ich doch noch auf abwegige Gedanken und du nicht zu deinem Essen.“
Damit stieß Ricky sich erneut von André weg – nur um prompt in ein breites, äußerst verheißungsvolles Grinsen zu blicken. „Ach, ich lass mich gern von dir ablenken. Und den Hunger ertrag ich bestimmt auch noch etwas länger.“
Lachend schüttelte Ricky den Kopf und deutete in Richtung Küche. „Wie gesagt ... heute nicht.“
„Nachher?“
„Vielleicht.“