Das Essen war gewohnt lecker. Dass er nach zwei Monaten bereits von ‚Gewohnheit‘ sprechen würde, war in seinen bisherigen Beziehungen nie der Fall gewesen. Allerdings musste André zugeben, dass in Bezug auf frühere Liebschaften diese Bezeichnung eigentlich nicht zutreffend war.
Lächelnd schielte André zu Rick, der im Gegensatz zu ihm selbst noch mit den letzten Resten der Mahlzeit beschäftigt war. Das Lächeln wurde zu einem Grinsen, als er daran dachte, wie die hübschen Augen ihn vor etwa einer Stunde im Schlafzimmer noch wütend angefunkelt hatten. Der Reis, den Rick vor seiner Ankunft gekocht hatte, war nicht mehr genießbar und musste neu aufgesetzt werden. Der Rest war glücklicherweise noch nicht in der Pfanne gelandet gewesen. Andernfalls wäre André vermutlich nicht so glimpflich davon gekommen.
„Was ist los?“, fragte Rick mit einem Mal und holt ihn aus dem einsetzenden Kopfkino zurück.
André schüttelte den Kopf. „Nichts weiter. Oh, doch. Da wäre was“, meinte er mit einem breiter werdenden Grinsen und lehnte sich nach vorn. „Du magst Picknicks oder?“
Das Stirnrunzeln, das ihm entgegenschlug, sah nicht sonderlich ermutigend aus. „Weiß nicht. Ich kann mich nicht erinnern, schon einmal auf einem Picknick gewesen zu sein“, antwortete Rick schließlich. „Ist das nicht etwas ... altmodisch?“
Lachend lehnte André sich wieder zurück. „Nicht so ein Picknick. Mehr ... Grillen im Park“, erwiderte er und winkte ab. „Die Kollegen veranstalten regelmäßig solche Treffen. Nicht wirklich verpflichtend, aber es geht um Teambuilding und so. Ist eigentlich ganz lustig. Kommendes Wochenende ist wieder eins“, erklärte er stattdessen.
Schon konnte André förmlich sehen, wie Rick innerlich zurückzuckte. Die schlanken, filigranen Finger auf der anderen Seite des Tisches spielten bereits mit der Gabel, während Rick nur zu offensichtlich eine Antwort suchte, die André nicht verletzten würde. Als ob das möglich wäre. Begeisterung sah trotzdem anders aus. Und in gewissem Sinne konnte er Ricks Zurückhaltung verstehen. Dennoch drängte alles in André danach, diesmal nicht alleine dort aufzutauchen. Das zwischen ihnen war eine Beziehung. Eine, die er plante noch lange fortzuführen. Dazu gehörte für André auch, dass gewisse Leute endlich kapierten, dass er vergeben war. Glücklich. Im Grunde genommen sollten sie ruhig alle sehen, dass er eine Beziehung führte.
Trotzdem war ihm klar, dass der Mann auf der anderen Seite des Tisches damit noch immer ein Problem zu haben schien. Deshalb fügte er mit einem erzwungenen Lächeln hinzu: „Es ist okay, wenn du nicht mitkommen willst, Rick.“
Die Lüge kam erstaunlich leicht über seine Lippen. Was André sich wirklich wünschte, war trotzdem, dass Rick einfach zustimmte. Mitkam. Und dass sie dort auf diesem verdammten Picknick standen, gemeinsam. Nebeneinander. Weil es sich für André zum ersten Mal so anfühlte, als könnte es wirklich funktionieren. So richtig. Längerfristig. Dass er zur Abwechslung kein One-Night-Stand, Affäre oder Experiment sein würde. Für jemanden, der sein bisheriges Leben lang immer nur von einem Mann zum nächsten gelebt hatte, um Spaß zu haben, war das zwischen ihnen verflucht ernst. So sehr, dass es André manchmal Angst machte. Denn bisher hatte er sich schließlich nie wirklich Mühe geben müssen, was seine Partner anging. Zumindest nicht, wenn es darum ging, diese zu behalten.
Aber bei Rick war das anders. Lockerer. Einfacher. Leichter. Es passte alles und das sollte gefälligst so bleiben. Vor allem wollte er, dass das endlich auch jeder sehen konnte. Schließlich hatte André sich bisher nie versteckt. Es war ihm nie peinlich gewesen, dass er auf Männer stand. Nicht einmal, wenn er sehr offensichtlich die Falschen ansprach und sich damit durchaus auch hier und da eine Faust im Gesicht eingehandelt hatte. Und die eine oder andere Wildkatze hatte sich hinterher ja schließlich doch als reichlich interessiert herausgestellt. Ein kurzes Lächeln huschte bei der Erinnerung an früher Zeiten über Andrés Lippen. Aber darum ging es hier nicht. Rick wollte das Gleiche wie er, da war André sich sicher. Und sie verstanden sich gut, das hatten die letzten zwei Monate gezeigt. Also wünschte er sich, auf diesem blöden Picknick zu stehen, und genau das zeigen können.
„Die Familien sind explizit mit eingeladen und ... na ja, ich dachte ...“
„Ich weiß nicht.“
Da war sie wieder, diese Zurückhaltung – fast Unsicherheit –, von der André inzwischen mehrmals geglaubt hatte, dass sie sie bezwungen hätten. Dabei verstand er weiterhin nicht, wo Ricks Problem war. Dieses alberne Gerede von wegen, dass er André irgendwann peinlich sein würde, nur weil er kein Abi hatte. Dabei war der Mann offenbar in seinem Job so gut, dass der Laden seiner Tante im Umkreis von zweihundert Kilometern quasi berühmt war. Jedenfalls wenn André den Worten seiner eigenen Mutter glauben schenkte – und das tat er so gut wie immer. Denn die Frau hatte, obwohl ihre Art mitunter schwierig war, nun einmal meistens recht bei allem, was Klatsch und Tratsch betraf. Mit der Absage hatte André trotzdem gerechnet und sich eigentlich vorgenommen, das auch zu akzeptieren. Vielleicht hatte er Rick nur noch immer nicht deutlich genug gemacht, dass er das zwischen ihnen nicht als Spiel betrachtete.
„Ich meine das hier ernst“, sagte André, während er sich in seinem Stuhl zurücklehnte und zu Rick hinübersah. „Ist zugegeben bisher nicht ... wirklich oft der Fall gewesen.“
„Wie meinst du das?“, kam es sofort fragend und mit gerunzelter Stirn zurück.
André seufzte und zuckte mit den Schultern. Wie sollte er das erklären, ohne dass Rick ihn für einen Idioten hielt, der gar nicht in der Lage war, sich auf jemand anderen einzulassen?
„Ich war bisher nicht gerade ... drauf aus ... Ich war immer recht zufrieden ohne eine Beziehung.“
Die Furche zwischen Ricks Augen wurde tiefer. Das hier lief definitiv in die falsche Richtung. André verzog den Mund. Genau solchen Gesprächen hatte er immer aus dem Weg gehen wollen. Das war einfach nicht seins. Er hatte keine Ahnung, was er sagen sollte. Und bei den meisten seiner früheren Bekannten auch nie das Gefühl gehabt, als wollte er es herausfinden. Bei Rick war das aber anders.
„Bei dir ... Ich meine ... das hier“, André wedelte mit der Hand zwischen ihnen hin und her. „Ich will, dass das funktioniert und nicht ... nur für ... eine Weile. Für ... länger.“
Irgendwie klang das weiterhin nicht nach dem, was André sagen wollte. Aber ihm fehlten die Worte, um das zu beschreiben, was in ihm vorging. Er holte tief Luft und hob allmählich an sich selbst zweifelnd die Arme.
„Es ist ... okay, wenn du nicht mitkommen willst. Ich ... versteh das. Irgendwie. Ein Haufen fremde Leute, die du nicht kennst und so. Aber ...“
Rick schwieg weiter, die Furche zwischen seinen Augen fing jedoch allmählich an, sich zu glätten.
„Ach verdammt!“, rutschte es André heraus, als seine Hand auf den Tisch knallte – und ließ damit seinen Gegenüber zusammenzucken. „Ich will dich da mitnehmen und mit dir angeben können, Rick. Ich möchte neben all den anderen stehen, die ihre Partner dabei haben und sagen können: Hab ich auch. Der da. Das ist meiner.“
Die Furche zwischen den Augenbrauen war verschwunden, dafür waren die lockere zwei Zentimeter nach oben gewandert, als Ricks Augen sich geweitet hatten. Trotzdem konnte André spüren, wie es von innen nur so gegen seinen Brustkorb hämmerte. Wenn der Mann jetzt ‚Nein‘ sagte, wäre das ein verflucht harter Tiefschlag. Einer, bei dem André ernsthaft würde überlegen müssen, wie viel Zukunft sie langfristig hatten.
„Es wird gegrillt und üblicherweise gibt es ein Fußballspiel. Ein Haufen verschwitzte Leute, die so tun, als könnten sie tatsächlich kicken, während sie vermutlich aussehen, wie Teenager auf dem Schulhof.“ André grinste. „Ich wette, du wirst Spaß dran haben.“
Ein Grinsen zog an Ricks Mundwinkeln. „Ach ja?“
„Ja!“, rief André mit einem eigenen Lachen. „Komm schon! Der Park ist nicht weit weg von hier. Wenn du keinen Bock mehr hast, gehen wir einfach. Es ist keine Pflichtveranstaltung oder so etwas. Niemand muss bis zum Schluss dortbleiben.“
Er konnte sehen, dass Rick nicht völlig überzeugt war, aber nach einer gefühlten Ewigkeit bekam André endlich das ersehnte Nicken und ein kaum hörbar geflüstertes: „Okay.“ Ein Grinsen zog über die hübschen, schmalen Lippen. „Um was bist du bereit zu wetten?“
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Die Woche verging wie im Flug und als André am kommenden Samstag bei Rick im Flur stand, schlug ihm dann doch das Herz bis zum Hals. Dabei hätte er nicht einmal sagen können warum. Okay, das war nicht ganz richtig, denn immerhin hatten sie – schon wieder – eine Wette laufen, die André gedachte zu gewinnen. Scheinbar konnte man Rick auf die Weise am einfachsten zu Sachen überreden, vor denen er sich normalerweise drücken würde.
Ein Grinsen huschte über Andrés Lippen, während er darauf wartete, dass Rick sich endlich fertig anzog. Schnell wandte er den Blick ab, damit der das nicht bemerkte. An den Wetteinsatz sollte André jetzt aber wohl lieber nicht denken. Jedenfalls wenn sie einigermaßen pünktlich im Park ankommen wollten. Der verkniffene Gesichtsausdruck und die zusammengepressten Lippen zeigten deutlich, dass Rick weiterhin nicht begeistert war mitzukommen. Aber er hatte sich durchgerungen. Und André verbuchte das für heute vorsorglich als Erfolg.
„Wenn du keine Lust mehr hast, können wir jederzeit gehen“, meinte André. Allmählich wurde er selbst nervös. Nicht, weil er Rick mitbringen würde, sondern eher da er weiterhin befürchtete, dass der ihn beim Wort nehmen würde. Damit wäre leider auch automatisch ihre Wette beendet.
Statt zu kneifen, schüttelte Rick jedoch lächelnd den Kopf und sagte: „Lass uns erst einmal hingehen.“
Der Park war nur ein paar Straßen entfernt. Nicht der gleiche, in dem André normalerweise joggen ging, aber auch hier hatte er in den letzten Wochen die eine oder andere Runde gedreht. Meistens nachdem er die Nacht zuvor bei Rick verbracht hatte.
Im Gegensatz zum Stadtpark, in der Nähe von Andrés eigener Wohnung, war dieser hier deutlich kleiner. Und so brauchen sie nur ein paar Minuten, bis man die ersten lauten Rufe der Kollegen hören konnte. Die Anspannung in Rick war förmlich körperlich spürbar. Je näher sie den Stimmen kamen, desto langsamer wurden dessen Schritte. Ehe André darüber nachgedacht hatte, hob er die Hand und ergriff Ricks.
Der sah etwas überrascht zu ihm hinüber, riss sich aber nicht los, sondern lächelte erneut zögerlich. „Na komm“, meinte Rick und mit einem Mal war er es, der André mit sich zog, als sie den Weg entlang das letzte Stück bis zu der großen Wiese liefen.
„Hallo!“, rief ihnen eine rundliche und gut gelaunt lachende Dame in ihren Fünfzigern zu.
Ehe André etwas sagen konnte, war die eben eroberte Hand aus seiner eigenen verschwunden. Stattdessen verknoteten sich Ricks Finger hinter dessen Rücken förmlich miteinander. Trotz der eher zurückweisenden Haltung musste André lächelnd. Er ließ sich davon nicht abschrecken, sondern legte seine Hand dafür an Ricks unteren Rücken und schob ihn ein Stück vorwärts.
„Hallo, Susanne“, grüßte André schließlich zurück.
Schon konnte er spüren, wie sich die Muskeln unter seiner Hand anspannten. Wenn Rick wirklich darauf bestand, zu gehen, würden sie das tun. Das hatte André oft genug in den letzten Tagen versprochen – und er gedachte dieses Versprechen zu halten. Denn ganz sicher würde er Rick nicht zu irgendetwas zwingen, was der nicht wollte. Ein bisschen Überredung war aber offensichtlich erlaubt – und oft genug notwendig.
„Kommen Sie auch endlich einmal in Begleitung, Herr Doktor“, fügte sie mit anhaltendem Lächeln. „Ich bin übrigens Susanne.“
„Rich... Rick“, murmelte dieser verhalten.
„Nett Sie kennenzulernen. Dort drüben sind schon die Getränke aufgebaut. Warum holen Sie sich nicht erst einmal etwas.“
André nickte und dankte Susanne, bevor er Rick weiter in die angegebene Richtung schob. Bestimmt würde der sich wohler fühlen, wenn er erst einmal etwas zu Trinken in der Hand hatte, an dem er sich festhalten konnte. Aus dem Augenwinkel konnte André sehen, dass noch nicht sehr viele der Kollegen von seiner eigenen Station da war. Etwas irritiert runzelte er die Stirn, als er dafür mehrere Leute aus einem ganz anderen Bereich des Krankenhauses entdeckte.
„Hey, André!“, begrüßte sie mit einem Mal jemand von links und ließ ihn zusammenzucken.
„Ah. Hi, Theo“, gab André mit einem kurzen eigenen Lächeln zurück. Dass ausgerechnet der hier auftauchen musste, passte ihm gar nicht in den Kram. Aber sagen konnte er deshalb natürlich nichts. „Was machst du denn hier?“
„Sieht so aus, als ob die Chefetage der Meinung ist, dass wir auch unter den Stationen etwas mehr ... Teambuilding brauchen könnten“, antwortete Theo mit einem lautstarken Lachen. Der Blick, der kurz darauf an Rick hinabglitt, gefiel André noch viel weniger als die Tatsache, dass Theo überhaupt hier war.
„Ah“, gab er mürrisch zurück und setzte dazu an, Rick in Richtung der Getränke zu lotsen. Überall wäre besser, als ausgerechnet hier. Leider kam er nicht weit, denn prompt trat Theo einen Schritt beiseite und stand André und Rick damit effektiv im Weg.
„Doktor Theodor Berov“, stellte der Kerl sich dann auch noch vor und streckte die Hand nach vorn. „Aber ich glaube, hier sind alle beim Vornamen, also für Sie genauso nur ‚Theo‘.“
„Ri...ck Hansen“, nuschelte es schon wieder neben André.
Die Art und Weise, wie Rick dabei den Kopf einzog, gefiel ihm gar nicht. Wenn das so weiterging, war die Stimmung am Boden, bevor das Picknick überhaupt richtig begonnen hatte. Ganz zu schweigen davon, dass André seine Wette so garantiert verlieren würde, wollte er auf keinen Fall, dass Rick sich dermaßen unwohl fühlte. Ziel dieser Aktion war es am Ende schließlich nicht, diese blöde Wette zu gewinnen, sondern Rick davon zu überzeugen, dass André kein Problem damit hatte, ihn als seinen Freund vorzustellen.
„Wir wollten uns nur schon mal was zu trinken holen“, meinte André kühl. Das Lächeln sparte er sich und schob Rick stattdessen weiter in Richtung der Getränke. War ja nicht so, als ob er mit Theo befreundet wäre.
„Klar doch“, rief der ihnen hinterher. „Wir haben schließlich noch den ganzen Nachmittag zum Kennenlernen.“
André biss die Zähne zusammen und rang sich ein weiteres Lächeln ab, während er Rick in Richtung der aufgebauten Biertische schob. Missmutig schielte André zu Susanne. Die hätte ihn ruhig vorwarnen können. Immerhin versuchte Theo schon seit Monaten, ihn dazu zu bringen, dass sie sich ‚kennenlernten‘. Und Susanne wusste ganz genau, dass er darauf keine Lust hatte.
Dabei sah Theo unbestreitbar verdammt gut aus. Während Andrés Studentenzeit hätte er zu dem Mann sicherlich nicht „Nein“ gesagt. Schon gleich gar nicht, da Theo mehr als offensichtlich an ihm interessiert war. Aber seine Studentenzeit war vorbei. Er hatte sich genug ausgetobt und „Just-For-Fun“-Typen wie Theo waren inzwischen sehr weit weg von dem, was André sich für eine Beziehung vorstellte. Sein Arm zog sich fester um Ricks Schulter, während er den weiter in Richtung der Biertische lenkte.
Außerdem war Theo ein Kollege, noch dazu im gleichen Krankenhaus. Das war genug Grund, um auf Andrés geistiger No-Go-Liste zu landen. Mit anderen Ärzten würde er garantiert nichts mehr anfangen und schon gleich gar nicht mit Leuten, denen er alle paar Tage auf dem Flur über den Weg lief. Wie reichlich peinlich das nach der ersten gemeinsam verbrachten Nacht werden konnte, bevor man wieder normal miteinander umgehen konnte, hatte André auf die harte Tour lernen müssen.
„Wie ... ist das hier eigentlich geplant?“, fragte Rick plötzlich und holte André damit aus seinen Gedanken zurück.
„Ah. Weiß nicht genau, ob es für heute irgendwelche Pläne gibt. Im Wesentlichen treffen wir uns zum Grillen und quatschen. Nachher ist wie gesagt das Fußballspiel.“
Rick nahm sich eine Flasche Wasser vom Tisch und drehte sich zu ihm um. „Muss ich da mitspielen? Fußball ist nicht wirklich mein Ding ...“
André grinste und beugte sich vor, damit er Rick ins Ohr flüstern konnte: „Wie Schade. Dabei hätte ich so überhaupt kein Problem bei dir die Manndeckung zu übernehmen.“
Das entlockte seinem Begleiter zumindest ein schnaubendes Lachen. „An deiner Stelle wäre ich vorsichtig. Wer sich zu sehr auf die Manndeckung konzentriert, verliert den Blick dafür, wo der Ball tatsächlich gerade rollt.“
André zog die Augenbrauen hoch. Da war wohl jemand zum Spielen aufgelegt. Ein Lächeln huschte über seine Lippen. Diese Art von Schlagabtausch lieferte er sich nur zu gern mit Rick.
„Ich hab meine Augen aber viel lieber auf dir“, antwortete er deshalb mit einem Grinsen auf den Lippen.
„Das hoffe ich für dich“, meinte Rick mit einem süffisanten Lächeln, das prompt ein Kribbeln in André aufsteigen ließ. „Andernfalls kannst du deine ... Manndeckung ... für heute so oder so vergessen.“
Lachend schüttelte André den Kopf. „Keine Sorge, es gibt garantiert niemanden hier, den ich lieber im Auge behalten will“, flüsterte er mit einem Augenzwinkern zurück.
Ricks Blick war jedoch nicht zu ihm gerichtet, sondern definitiv zur Seite. Als André ebenfalls in die Richtung sah, stand dort ein paar Meter entfernt Theo und lächelte ihnen kurz darauf winkend zu. Der Kerl fing allmählich an zu nerven. Ein prüfender Blick zu Rick zeigte André, dass er mit dem Gefühl wohl nicht alleine war. Jedenfalls, wenn er die schmal aufeinandergepressten Lippen und den finsteren Blick richtig deutete.
„André?“, sprach ihn in diesem Moment jemand von der anderen Seite an. Als sie sich beide dorthin umdrehten, kam Susanne auf sie zu. „Könnten Sie beim Ausladen der übrigen Tische mit helfen?“
Er zögerte einen Augenblick, denn eigentlich wollte er Rick hier nicht alleine einfach stehen lassen. Andererseits hatte Susanne das zwar als Bitte formuliert, es aber garantiert nicht so gemeint. Noch so eine Sache, die André seit er im Krankenhaus angefangen hatte, schnell gelernt hatte. Rick schob ihn allerdings sowieso bereits in Susannes Richtung, sodass Widerstand offensichtlich sinnlos war.
„Natürlich macht er das.“
„Aber ...“
„Nichts da. Ich kann sehr gut alleine hier rumstehen und zuschauen, wie du arbeitest.“
Das schelmische Grinsen, das André schon wieder entgegenschlug, gefiel ihm nur zu gut. Gleichzeitig hieß das allerdings auch, dass er wohl nicht um die Arbeit herumkommen würde. Andererseits ging es bei diesen Treffen schließlich um genau das, also wäre es ziemlich mies von André, wenn er sich einfach drücken würde.
„Theo!“, rief in diesem Moment Susanne. „Helfen Sie bitte auch.“ Mit einem strahlenden Lächeln wandte sie sich danach an Rick, der bereits zusammengezuckt war. Vermutlich weil er befürchtete, gleich als Nächster aufgerufen zu werden. „Keine Sorge. Die Gäste können einfach den Nachmittag genießen.“
Unsicher schielte André zu Rick, der erneut mit reichlich verkniffenem Gesicht dastand. Als ‚Gast‘ hatte er seinen Begleiter eigentlich nicht vorzeigen wollen. Immerhin brachten die Kollegen genauso ihre Ehefrauen und Freundinnen mit. Und letztendlich war Rick doch für ihn etwas Vergleichbares. Dass André hier nicht einfach irgendeinen Freund mitbringen würde, dürfte Susanne klar sein. Immerhin hatte er von Anfang an keinen Hehl vor ihr oder anderen daraus gemacht, dass er sich aus den Krankenschwestern nichts machte und lieber dem hübschen kleinen Pflegeschüler von der Nachbarstation auf den Hintern glotzte.
Okay, von dem Gedanken sollte Rick vielleicht besser nichts erfahren. Als Theo gut gelaunt zu ihnen trat, sah Andrés Begleiter nämlich noch immer aus, als wolle er gern jemanden umbringe. Allerdings war André sich nicht sicher, ob das auf ihn oder Theo abzielte.
„Na, los“, meinte der Letzterer lachend und packte André am Oberarm. „Dann lass mal die Muskeln spielen.“
Er schnaubte und entzog seinen Arm dem Griff. Da Susanne sie jetzt aber sehr vehement in Richtung des Autoanhängers scheuchte, in dem sich die Biertischgarnituren für ihr Picknick befanden, hatte André nicht mehr wirklich die Gelegenheit etwas zu sagen.
„Pass auf, dass du ordentlich in die Knie gehst“, tönte Rick ihm mit schneidender Stimme hinterher. „Nicht, dass du dir noch was verrenkst.“
„Keine Sorge“, antwortete Theo, bevor André dazu kommen konnte. Die Hand, die daraufhin diesmal auf seiner Schulter landete, gefiel dem weiterhin nicht. „Es sind ja genug Ärzte da, um ihn wieder einzurenken.“
Ein Schauer lief über Andrés Rücken und im Grunde wusste er, dass es ein Fehler war, schon als er dazu ansetzte, sich umzudrehen. Trotzdem konnte er dem Drang nicht widerstehen und sah zu Rick zurück. Der stand breit lächelnd neben Susanne. Die beugte sich just in diesem Augenblick zu seinem Begleiter hinüber und flüsterte ihm mit einem offensichtlichen Kichern etwas zu, das André auf die inzwischen zu groß gewordene Entfernung nicht mehr verstehen konnte. Was auch immer es war, es hob die Stimmung nicht. Denn trotz des weiterhin auf Ricks wunderbare Lippen gepflasterten Lächeln sagte dessen finsterer Blick etwas ganz anderes. Der wollte definitiv jemanden umbringen.
„Fragt sich nur wen ...“