Es war ein ziemlich anstrengender Tag geworden. Deutlich schlimmer, als er beim Aufwachen gehofft hatte. Allerdings war er da noch davon ausgegangen, dass er sich ein paar weitere Stunden mit diesem netten jungen Herrn vergnügen könnte, bevor er gegen Mittag zum Dienst antreten musste.
Ein Anruf und all das schien mit einem Mal unendlich weit entfernt. Das Schlimmste war, dass André keine Ahnung hatte, wie es dazu kommen konnte. Sie hatten sich doch wunderbar verstanden. Jedenfalls war das sein Eindruck gewesen. Rick wäre schließlich kaum mit ihm mitgegangen, wenn er keinen Spaß gehabt hätte. Oder?
„André?“, riss ihn eine weitere Stimme aus seinen Gedanken. Er sah auf und lächelte freundlich zurück. Sofort war die Maske wieder an Ort und Stelle. Auch wenn es im Augenblick unglaublich schwerfiel.
„Ist sie aufgewacht?“, fragte er mit belegter Stimme. Ein kurzes Lächeln, ein Nicken und endlich konnte er erleichtert aufatmen. „Wie sind ihre Reaktionen?“
„Sieht gut aus“, antwortete die ältere Dame lapidar mit einem weiteren Lächeln. „Tut mir leid, dass wir Sie rufen mussten.“
„Kein Problem, Susanne.“ Die Worte kamen ihm leicht über die Lippen, obwohl sie da nichts zu suchen hatten. Denn irgendwas war zwischen letzter Nacht und heute Morgen ganz offensichtlich zu einem Problem geworden. Und es würde ihn schon sehr wundern, wenn es nichts mit dem Anruf und seinem überstürzten Aufbruch zu tun hatte. Aber das hier war sein Job. Einen, den André ausgesprochen gern mache. Und schlussendlich war er gerade einmal im ersten Jahr seiner Facharztausbildung. Da würden vermutlich noch so einige dieser Anrufe bei ihm ankommen.
„Alles in Ordnung bei Ihnen?“, fragte sie weiter.
Er nickte lediglich. Susanne war nett, die gute Seele der Station. Aber ganz sicher niemand, mit dem er über persönliche Probleme reden würde. Die gingen hier nun wirklich keinen etwas an.
„Doktor Berov würde nachher gern noch einmal mit Ihnen über den kleinen Sammy reden.“
André seufzte und rieb sich die viel zu müden Augen. Offiziell hatte seine Schicht erst vor zwei Stunden begonnen und schon fühlte er sich völlig erschlagen. Im Grunde wollte er sich nur hinlegen und aufholen, was er letzte Nacht an Schlaf verpasst hatte – und dank des frühen Anrufs heute Morgen nicht wie geplant nachholen konnte.
„Der Wilms-Tumor vor ein paar Tagen“, murmelte er nachdenklich und sah aus dem Augenwinkel zu Susanne, die kaum merklich nickte. „Der Professor hat die Operation durchgeführt, ich war nur Assistent. Sie ist problemlos verlaufen. Was will Theo?“
Diesmal lächelte die ältere Dame wohlwollend, wie sie es oft tat, während sie mit den Schultern zuckte. „Das werden Sie ihn schon selbst fragen müssen, Herr Doktor.“
André seufzte und schüttelte den Kopf. „Danke. Ich werde das nachher klären“, antwortete er verhalten. Zuerst brauchte er einen Kaffee und etwas zu essen, bevor der nächste Patient um die Ecke kommen konnte.
Glücklicherweise ließ Susanne ihn in Ruhe. Leider fand André eben diese nicht wirklich, auch wenn er kurz darauf gedankenverloren in der Cafeteria saß und lustlos im Essen stocherte. Wieder zog er das Handy heraus und entsperrte den Bildschirm.
Seit er aus der Operation raus war, hatte er das Ding fast ununterbrochen angestarrt. Wirklich begreifen konnte er es aber noch immer nicht. Als er heute Morgen von zu Hause aufgebrochen war, hatte er eigentlich keinen Zweifel gehabt, dass sie einen schönen Abend und eine noch bessere Nacht verbracht hatten.
„Wieso dann diese Nachricht?“, murmelte André gedankenverloren.
Eigentlich sollte er sich nicht damit quälen, trotzdem konnte er sich nicht bremsen und entsperrte das Display. Ein weiteres Tippen seines Fingers und schon öffnete sich die Messengerapp. Für eine Sekunde zögerte er, aber dann rief er den Chat mit Rick auf und starrte – erneut – auf dessen letzte Nachricht.
『Danke für einen tollen Abend und eine wundervolle Nacht. Aber ich befürchte, das wird auf Dauer nicht funktionieren. Deine Wettschuld musst du nicht einlösen. Trotzdem alles Gute. Rick』
Wenn der Abend so toll und die Nacht so wundervoll gewesen war, warum kassierte er diese dämliche Absage? Das konnte doch nicht sein. Denn um ehrlich zu sein, hatte André sich schon lange nicht mehr so hervorragend mit jemandem verstanden. In jeder nur erdenklichen Hinsicht wohlgemerkt.
Zugegeben, er würde sich jetzt hier nicht hinstellen und behaupten, dass es der beste Sex seines Lebens gewesen war. Da waren schließlich schon einige Highlights in seinen sechsundzwanzig Jahren zu verzeichnen. Aber als André Rick am Morgen gesagt hatte, dass er ihn mochte, war das ehrlich gemeint gewesen. Und vor allem hatte er gehofft, dass es dem vielleicht genauso ging.
Missmutig starrte er auf seine eigene Nachricht, die er schon vor Stunden rausgeschickt hatte. Um genau zu sein, die Frage nach dem ‚Warum‘. Rick hatte sie offensichtlich gelesen, aber bisher nicht geantwortet. Und je länger André auf das Handy starrte, desto sicherer war er, dass auch keine mehr kommen würde.
„Was zum Teufel ist schiefgelaufen?“, fragte er sich flüsternd – und zwar nicht zum ersten Mal an diesem Nachmittag.
Im Grunde genommen sollte er es akzeptieren und weitermachen. Mein Gott! Am Ende war Rick auch nur ein Mann, wie viele andere. War ja nicht so, dass er sich Hals über Kopf in den Kerl verknallt hatte. Mal ehrlich. Dafür war er nun echt zu alt. Und scheinbar auch nicht der Typ. Denn wann hatte er sich schon mal wirklich verliebt? Trotzdem saß André hier wie bestellt und nicht abgeholt. Weil er zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit gedacht hatte, dass das letzte Nacht nicht bloß eine oberflächliche Bekanntschaft bleiben könnte.
André stöhnte. Wenn das ein gewisser Jemand hörte, würde er ihn postwendend für den Rest des Jahres damit aufziehen. Dummerweise war genau diese Person aber auch der Einzige, mit dem über diese Sache würde reden können. Vorher musste er allerdings erst einmal herausfinden, was falsch gelaufen war, dass Rick ihn einfach so abservierte. Denn am Morgen hatte das schließlich noch ganz anders geklungen.
Da ihm ohnehin der Appetit vergangen war, schob André den Teller zurück und fing an eine weitere Nachricht zu tippen. Gut zwanzig Minuten später saß er immer noch da und hatte es bisher nicht geschafft, etwas zu schreiben, was irgendwie den Eindruck erweckte, als könnte es zum Ziel führen.
„Doktor Clavier?“, rief es mit einem Mal hinter ihm.
Erschrocken zuckte André zusammen. Kurz darauf fluchte er verhalten, als er merkte, dass er versehentlich den letzten Entwurf der Nachricht abgeschickt hatte. Hastig fingerte er auf dem Display herum, um sie zu löschen, aber da tauchte auch schon der zweite Haken auf und beide wechselten die Farbe.
„Mist!“, zischte er wütend.
„Doktor?“, fragte die junge Frau erneut, während sie neben seinem Tisch herumzappelte.
„Was ist?!“ Als die Schwester zusammenzuckte, verzog André das Gesicht. „Tut mir leid“, murmelte er deshalb entschuldigend.
„Frau Lange möchte mit einem Arzt wegen ihrem Sohn sprechen“, erklärte sie zögerlich. Ihre Augen zuckten zwischen dem noch immer vollen Teller, André und dem Handy hin und her. Vermutlich wägte sie gerade ab, ob sie lieber die Flucht antreten oder doch darauf warten sollte, dass er mitkam.
André hingegen schaffte es nicht, den Blick vom Handy zu lösen. Bisher keine Antwort, aber die Statusanzeige behauptete, dass Rick weiterhin online war. Also vielleicht ...
„Ich komme gleich“, murmelte er und deutete über die Schulter hinweg zum Ausgang der Cafeteria. „Sagen Sie Ihr bitte Bescheid?“
Dankenswerterweise folgte die junge Frau der Aufforderung und so konnte André weiterhin – und diesmal ungestört – auf sein viel zu inaktives Handy starren. Sein Blick hing weiter an der Statusanzeige. Die zeigte zwar hartnäckig, dass Rick online war, aber leider nicht, dass der diesmal eine Antwort tippen würde.
Noch einmal wanderte Andrés Blick über die eben versehentlich verschickte Nachricht: 『Es tut mir leid, dass ich heute Morgen so schnell verschwinden musste. Aber ich dachte, es lief gut zwischen uns. Sag mir bitte wenigstens, was das Problem ist. Vielleicht können wir es lösen.』
Als auch zwei Minuten später noch keine Antwort da war, ließ André das Handy sinken. Zeit, wieder an die Arbeit zu gehen. Womöglich würde Rick sich ja irgendwann melden. Der Gedanke, dass genau das am Ende nicht passieren würde, lag André allerdings schwer im Magen, als er zurück zu seiner Station ging. Deutlich heftiger wohlgemerkt, als er sollte. Jedenfalls wenn man bedachte, dass Rick auch nur irgendein Kerl war.
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Den Rest der Schicht über hatte André dann jedoch recht schlagartig keine Zeit mehr, um sich um sein Privatleben Gedanken zu machen. Ein Unfall mit einem Reisebus auf der Autobahn sorgte für Betrieb in der Notaufnahme. Der Dienst dort war in seiner Ausbildung zwar weder für dieses noch im nächsten Jahr vorgesehen, aber dank Personalmangel interessierte das schnell niemand mehr. Und da auch zahlreiche Kinder beteiligt waren, hatte André zusammen mit zwei älteren Kollegen seiner Station reichlich zu tun.
Erst als er nach Schichtende im Umkleideraum saß, schaffte er es, endlich wieder abzuschalten. Müde hockte André da und versuchte, nicht daran zu denken, wie jung das Mädchen gewesen war, dass es nicht geschafft hatte. Er sah genug schlimme Fälle jeden Tag und letztendlich machte es keinen Unterschied, ob sie gegen einen Autounfall oder einen Hirntumor verloren. Sie würde leider nicht die Letzte in der Zeit bis zur Rente sein.
„Entscheidend sind die Siege“, sagte er sich flüsternd. Mit einem kurzen Seufzen kämpfte André sich nach oben und machte sich auf den Heimweg.
Ein Grummeln in seinem Magen erinnerte ihn daran, dass es hilfreich sein würde, wenn ihn zu Hause nicht einfach nur eine leere Wohnung erwarten würde. Aber die Hoffnung schien mal wieder in weite Ferne gerückt zu sein. Dabei war der Abend mit Rick so vielversprechend gewesen.
Noch im Bus holte er das Handy aus der Tasche und starrte auf dessen Nachricht. Irgendwann im Laufe des Abends hatte sich der Kerl scheinbar doch zu einer Antwort durchringen können. Allerdings verstand André sie nicht wirklich – und das machte es nur umso schlimmer.
『Ich passe nicht in deine Welt. Belassen wir es bei der schönen Erinnerung. Alles andere kann nicht gut enden.』
‚Was zum Geier meint Rick damit?!‘, fragte er sich sicherlich zum zehnten Mal an diesem Abend. Nachdenklich kratzte André sich am Kinn und starrte aus dem Fenster.
Es war ja nicht so, dass er dem Mann gleich einen Heiratsantrag machen wollte. Aber man könnte sich doch zumindest erst einmal kennenlernen, bevor man feststellte, dass es nicht funktionieren würde. Und was für eine verdammte ‚Welt‘ sollte das denn sein, in der er lebte und Rick nicht?
Aber je länger André darüber nachdachte, desto weniger verstand er es. Er war sich sicher, dass sie sich sowohl bei ihrem ersten Treffen im Rush-Inn als auch am gestrigen Abend beide gut amüsiert hatten. Oder war es Rick eben doch nur um Sex gegangen? Na gut, das könnte André ihm jetzt nicht wirklich vorhalten, immerhin hatte er bis vor Kurzem da nicht sehr viel anders gelebt. Vor allem seine Studienzeit war nicht gerade von der Suche nach einer Beziehung geprägt gewesen.
‚Letztendlich also so wie immer‘, sagte er sich selbst und versuchte, den Gedanken an Rick zurückzudrängen. ‚Nur ein weiterer Kerl auf der Strichliste.‘
André verzog das Gesicht. So wollte er nicht mehr denken. Er war inzwischen sechsundzwanzig. Wie lange sollte dieses ‚austoben’, wie sein Vater es einmal genannt hatte, dauern? Im Grunde hatte Marie mit ihrer Bemerkung in Ricks Laden halt nicht wirklich weit daneben gelegen. Ein tatsächlich nennenswertes Privatleben hatte er nicht vorzuweisen. Ein Sexleben durchaus, aber das war schließlich nicht das Gleiche.
‚Hör auf, an ihn zu denken‘, sagte André sich selbst, als er die Haltestelle erreichte und ausstieg.
Eine halbe Stunde später saß er, nur mit einer schlabberigen alten Jogginghose bekleidet, auf der Couch und starrte auf den ausgeschalteten Fernseher. Das mit dem ‚nicht dran denken‘ hatte überhaupt nicht funktioniert. Vielleicht sollte er die Flimmerkiste einschalten, das könnte helfen, um sich abzulenken. Bei dem Gedanken daran, kampflos aufzugeben, zog sich Andrés Magen jedoch zusammen. Er war noch nie der Typ gewesen, der wegrannte, sobald es schwierig wurde. Wenn er etwas wollte, dann hatte er stets dafür gekämpft. Egal wie sinnlos es erschien.
Ehe er darüber nachdenken konnte, was er tat, hatte er schon die Kurzwahl gedrückt und das Handy auf Lautsprecher geschaltet. „Hey“, murrte er, sobald am anderen Ende abgehoben wurde. „Hast du Zeit?“
„Für dich immer“, tönte es aus dem Handy und das kurze Lachen half für eine Sekunde gegen das Ziehen in Andrés Bauch. Leider nicht für länger.
Und jetzt? Schweigend hockte er da und starrte auf das Handy. Wie zum Teufel sollte er anfangen, das zu erklären? Er verstand es ja selbst nicht.
„André?“
„Ja.“
Ein Seufzen, dann hörte er ein Rascheln. Gedankenverloren rieb er sich über den nackten Bauch, in dem noch immer das verfluchte Ziehen rumorte und einfach nicht verschwinden wollte.
„Ich hab jemanden kennengelernt“, murmelte André irgendwann. Schließlich konnte er nicht ewig schweigen und immerhin war er es gewesen, der angerufen hatte.
„Das ist gut!“, kam es sofort zurück. „Sag bloß, du hast diesmal das erste Date geschafft, ohne im Bett zu landen?“ André stöhnte und sank auf der Couch zusammen. „Das ist dann wohl ein ‚Nein‘.“
„Du bist doof, Alan.“
Ein weiteres Lachen, das dieses dämliche Ziehen in Andrés Bauch zunehmend erträglicher zu machen schien. Dann fuhr sein alter Studienfreund feixend fort: „Das sagt man mir öfters.“
„Zu Recht.“
Als André nicht fortfuhr, seufzte es irgendwann erneut am anderen Ende und er konnte förmlich hören, wie Alan sich am Kopf kratzte und überlegte, was er sagen sollte. Schließlich hatte er sich wohl entschieden und fragte leise: „Was ist passiert, André?“
Dummerweise war das genau die Frage, die er selbst nicht beantworten konnte. „Ich weiß es nicht“, murmelte er zögerlich, während er schon wieder über seinen Bauch fuhr, in der Hoffnung das verdammte Ziehen endlich loszuwerden. „Es war ein toller Abend.“
„Aber?“
„Kein aber“, flüsterte André kaum hörbar zurück. Denn ihm fiel partout nichts ein, was an dem Abend und der Nacht wirklich ‚schiefgelaufen‘ sein könnte. Okay, er hatte seine Wette verloren, das war aber sicherlich nicht an genug Engagement seinerseits gescheitert.
„Warum rufst du dann an?“
Bei dem Gedanken an die vergangene Nacht stiegen sofort die ersten Bilder in ihm auf und André schloss die Augen. „Es hat alles gepasst“, murmelte er, während er sich selbst sah, wie er Rick in Richtung Bad gedrängt hatte. Das leise Stöhnen, das ihm entkam, hatte Alan hoffentlich nicht gehört.
„Wo ist also das Problem?“
André öffnete die Augen und starrte wieder auf den schwarzen Bildschirm des Fernsehers. „Er will sich nicht mehr treffen“, antwortete er tonlos.
Ein kurzes Seufzen am anderen Ende und André wusste genau, was Alan dachte. Wie oft hatte er irgendeinem Kerl klar und direkt gesagt, dass es nur Sex war? Tatsächlich hatte er bisher nie sonderlich viel Wert auf eine dauerhafte Beziehung gelegt.
„Er meint, wir leben in verschiedenen Welten“, fuhr André irgendwann fort. „Ich versteh das nicht, Alan. Was soll der blöde Spruch heißen? Was ist schiefgegangen?“
„Ich war nicht dabei“, gab der mit einem unüberhörbaren Lächeln in der Stimme zurück. „Was ist er für ein Mensch?“
„Freundlich. Nett. Lustig“, schoss es sofort aus Alan heraus. „Normal eben.“
„Hm“, murrte es aus dem Telefon. „Hast du ihn im Rush-Inn aufgerissen?“
André verzog das Gesicht. „Ich hab ihn gar nicht ‚aufgerissen‘, sondern eingeladen. Pizza und Kino.“
„Welcher Film?“
„Der neue ‚Guardians of the Galaxy‘.“
Ein kurzes, nicht wirklich verhaltenes Lachen. „Hast du den ausgesucht oder er?“
„Er“, gab André grummelnd zurück. „Und hör gefälligst auf, deshalb zu lachen, Blödmann!“
„Also was den Filmgeschmack angeht, lebt ihr zumindest nicht gerade Galaxien voneinander entfernt“, kam es glucksend aus dem Telefon. „Ich weiß immer noch nicht, was passiert ist. Es klingt bisher nicht so, als ob er mehr auf Chris Pratt als auf dich stand?“
Wieder seufzte André und schloss die Augen. „Er stand definitiv mehr auf mich“, murmelte er gedankenverloren. Ein weiteres Mal brachte sein Geist Bilder hervor, die ihm ein kurzes Stöhnen entlockten. „Gab jedenfalls letzte Nacht keine Beschwerden.“
André konnte das Schulterzucken am anderen Ende förmlich hören: „Dann versteh ich das Problem nicht.“
„Ja. Ich halt auch nicht.“
„Komm schon, was genau hat er gesagt?“, hakte Alan weiter nach. Wenigstens glaubte André inzwischen kein Lächeln mehr, in der Stimme seines Freundes zu hören.
„Ich passe nicht in deine Welt. Das kann auf Dauer nicht funktionieren“, nuschelte André die Worte, die sich weiterhin permanent in seinem Kopf zu drehen schienen, vor sich hin. „Ich kapier das nicht, Alan. Ist nicht so, dass ich ihm einen Antrag gemacht hätte. Er hat mir nicht mal eine Chance gegeben.“
„Wolltest du denn eine?“, schoss es aus dem Telefon sofort zurück.
André schloss die Augen und überlegte für einen Moment, bevor er leise flüsternd antwortete: „Ich glaube schon.“
„Hast du ihm das gesagt?“
„Ja.“ Zumindest glaubte André, dass er das getan hatte. Und wenn nicht? Mit einem Mal war er sich nicht mehr sicher. „Meinst du, ich sollte ihn noch mal anrufen?“
Alan schwieg zunächst. So lange, dass André immer unruhiger wurde. „Ich weiß nicht, was das für eine Welt sein soll, die dich von ihm trennt. Aber wenn es da einen Mann gibt, den du nicht nur wegen seiner Bettperformance magst, dann ruf ihn an und klär das. Und danach stellst du ihn mir irgendwann vor. Denn den Menschen will ich kennenlernen.“
„Und wie soll ich das anstellen?“, stöhnte André. Ein lautstarkes Lachen schlug ihm auf die Frage hin entgegen, sodass er verwundert die Augen öffnete und auf sein Handy starrte.
„Keine Ahnung. Aber du könntest damit anfangen, ihm zu erklären, dass du auch nur ein Trottel bist, wie jeder andere.“
„Hey!“
Das tiefe Lachen, das aus dem Telefon drang wurde noch lauter. „Ein schwanzgesteuerter Vollpfosten wie der ganze Rest da draußen.“
„Du bist so doof, Alan!“
„Was?!“, gab der glucksend zurück. „Willst du etwa behaupten, dass du nicht gerade mit der Hand in der Hose auf deinem Sofa hängst?“
Hastig setzte André sich aufrecht hin. Scheiße! Erwischt. „Gar nicht“, behauptet er trotzdem nuschelnd.
„Gar wohl! Komm schon, ich hab zu lange mit dir unter einem Dach gewohnt, um nicht zu wissen, wie dein Atem klingt, wenn du dir heimlich einen runterholst.“
„Mistkerl!“
Alan lachte weiter, was die Situation in keiner Weise besser, dafür umso peinlicher machte: „Wofür sind Freunde da?“ André stöhnte, leider eher genervt als zufrieden. „Ruf ihn an. Und wenn er nicht rangeht, fahr zu ihm hin.“
„Damit er mich für einen Stalker hält?“
Einen Moment lang schwieg Alan und schien zu überlegen. „Dann finde einen Vorwand, um ihn zu treffen“, sagte er schließlich. „Etwas Unverfängliches. Am besten irgendetwas, was nach äußeren Umständen aussieht und weniger wie Absicht.“
„Okay“, murmelte André nachdenklich.
Die einzigen Möglichkeiten, die er haben dürfte, um Rick zu treffen, waren das Rush-Inn oder der Brautladen. In der Bar wäre es zwar unverfänglich, aber dafür müsste er sich dort erst einmal jeden Abend rumtreiben und hoffen, dass Rick auftauchte. Keine sonderlich guten Chancen. Blieb der Brautladen.
„Danke, Alan“, gab er mit einer Spur Hoffnung zurück.
„Jederzeit, mein Freund“, antwortete der mit einem weiteren glucksenden Lachen. „Und nimm endlich die Hand aus der Hose, sonst wirft das ein ziemlich mieses Licht auf deine Absichten mit diesem ominösen Mann, der jemanden wie dich auf den Pfad der Tugend zu führen scheint.“
„Ich hasse dich, Alan“, zischte André, während er seine rechte Hand verstohlen unter dem Hosenbund hervorzog.
„Und ich liebe dich trotzdem, mein Freund.“
Ehe André noch etwas erwidern konnte, hatte Alan schon aufgelegt. So sehr er den Kerl mochte, manchmal ging ihm diese geradezu hellseherische Art und Weise so etwas von auf den Keks. Allerdings hatte Alan mit der einen oder anderen Sache womöglich tatsächlich recht. Jedenfalls was Rick betraf.
„Ein Vorwand“, murmelte er vor sich hin.
Wenn er das Ziehen in seinem Bauch richtig deutete, kam aufgeben diesmal nicht infrage. Also gab es wohl nur eine wirkliche Möglichkeit. André stöhnte genervt.
„Marie wird mich das nie vergessen lassen ...“