Niko starrte entsetzt zu den zwei Männern, war wie erstarrt und konnte nicht fassen, was – oder viel mehr wen – er da vor sich hatte. Mira folgte seinem Blick, doch sie erkannte nur einen der beiden Männer – den König.
Immer wieder kreuzte dieser ihren Weg. So langsam wurde ihr das unheimlich.
Dennoch sah Mira genauer zu dem zweiten Mann. Und tatsächlich, sie erkannte in ihm Nikos Vater. Doch war dieser nicht tot? Mira war verwirrt.
Sie setzte sich auf und deutete den zwei anderen Männern an, sich zu Niko und ihr zu gesellen. „Ich glaube, wir müssen reden“, meinte sie ernst.
Während Nikos Vater zögerte, setzte sich der König zu den Beiden. Lotus stupste Niko an, so dass dieser aus seiner Starre erwachte. Ratlos sah er zu Mira, die ihm nur aufmunternd zulächelte. Sie war bei ihm, und würde ihn nicht allein lassen.
„Setz dich, Theodor“, forderte der König den anderen Mann auf, der sich langsam setzte. „Worüber…?“
„Warum lebst du noch?“, richtete da auch schon Mira die Frage an Nikos Vater. Ihre Frage war scharf und bissig. Und doch es war die Frage, auf die Niko am dringendsten eine Antwort brauchte. Sie spürte das.
Theodor seufzte. Er bemerkte die Blicke zwischen Niko und Mira – sie waren mehr als platonisch – und er wusste nicht, was er davon halten sollte. „Wir waren wie geplant auf dieser Mission“, begann er schließlich nach einem auffordernden Blick des Königs. „Die Mission an sich ist unwichtig, nur die Geschehnisse währenddessen sind ausschlaggebend. Ich habe, wie der König es forderte, Frederick in die Berge begleitet. Dort sollte es angeblich ein Versteck der Adler geben.“
„Habt ihr es gefunden?“, fragte der König ruhig.
Theodor schüttelte den Kopf, um dann doch zu nicken. „Ich weiß nicht, ob es das Versteck ist. Aber dort ist etwas. Der Ort, an dem sich die Adler zurückziehen, an dem sie ihre Feinde gefangen halten, bis diese sterben.“
Niko und Mira sahen sich an. Feinde? Die Drachen?
„Ich fürchte, dass nicht nur Drachen dort festgehalten werden“, meinte Theodor. „Auch Menschen, die den Adler wie auch immer schaden wollen.“ Er sah zum König. „Magische“, fügte er bedeutungsschwer hinzu.
Alle schwiegen einen Moment.
„Auf dem Weg dorthin veränderte sich Frederick. Dieses Versteck hatte eine große Anziehungskraft auf ihn. Er ist… wahnsinnig geworden. Anfangs wirkte es, als wäre er im Drogenrausch. Doch wir stellten schnell sicher, dass er keine Drogen bei sich hatte. Es war schrecklich mit anzusehen. Jeder musste zu jeder Zeit achtgeben“, begann Theodor zu erzählen. „Als wir vor dem Eingang angekommen waren, wollte er sofort und quasi blind hineinstürmen. Ich habe mich ihm in den Weg gestellt, wollte, dass er nachdenkt. Ich war der Einzige, der das konnte. Er hatte die anderen irgendwie… beeinflusst, ich weiß es nicht genau. Aber sie stimmten allem zu, was er sagte. Da ist es dann zu einer Rangelei gekommen. Ich bin scheinbar abgestürzt und Frederick… er konnte das Versteck betreten.“
„Frederick ist dort gefangen“, ergänzte Theodor nach einem Moment des Schweigens. „Und er hat die Kontrolle über die Adler. Sein Adler vertraut ihm und herrscht über die anderen Adler. Deshalb sind sie verschwunden. Aber Frederick ist nicht mehr der, der er einst war.“
„Er ist kein Sadist mehr?“, fragte Mira schnaubend.
Erschrocken sah Theodor zu ihr.
„Er hat Mira als kleines Kind immer geärgert und immer versucht, ihr Schaden zuzufügen. Darum ist… darum ist Annalena tot“, klärte der König das dunkelste Geheimnis seiner Familie auf. „Frederick hatte Mira wieder mal unter die Zange genommen. Annalena bemerkte dies und stellte sich dazwischen, was sie mit ihrem Leben bezahlte.“ Der König seufzte. „Darum habe ich dafür gesorgt, dass Mira von hier verschwindet. Ich wusste, Frederick würde sie irgendwann auch töten. Und ich wollte wenigstens meine Tochter schützen, wenn ich schon nicht meine Frau retten konnte.“
Mira schluckte. Dunkel erinnerte sie sich an den Tag, von dem der König gesprochen hatte; an die Frau, die sich mutig vor sie gestellt hatte. Eine stille Träne rann ihr Gesicht hinunter.
„Was ist sein Plan?“, fragte Mira dann.
„Er will den Thron. Und da sein Vater diesen noch innehat und er ihn nicht töten kann, nutzt er ein anderes Mittel“, erklärte Niko.
Der König nickte bedächtig.
„Dann müssen wir das verhindern“, meinte Mira.
„Und wie?“, fragte Theodor. „Er hat die Adler unter seiner Kontrolle.“
Mira und Niko sahen sich an. „Nicht alle“, meinten sie unisono.
„Das ist nicht möglich“, meinte Theodor.
„Doch“, widersprach auch der König Theodor. „Wenn ein Adler eine besondere Verbindung zu einem Thronfolger hat.“ Dann sah er zu Mira. „Oder zu einer Thronfolgerin.“