Heute war der große Tag. Mira würde vor aller Augen Niko das Ja-Wort geben. Bereits vor einiger Zeit hatten die Beiden im Kreis ihrer engsten Vertrauten geheiratet. Mira hatte dies allen kommuniziert und ausdrücklich gefordert, keine Glückwünsche danach zu bekommen. Und tatsächlich hatten sich alle darangehalten.
Das hatte König Georg überrascht, war es doch zu seiner Hochzeit damals anders abgelaufen. Der König war stolz auf seine Tochter, sie hatte geschafft, was ihm misslungen war. Durch Mira hatte er auch gelernt, offen zu seinen Fehlern zu stehen. So hatte er seine Fehler aufgearbeitet und zugegeben, welche gemacht zu haben. Seltsamerweise hatte man ihn nicht verurteilt oder gar dazu bewogen, seinen Thron an Mira abzugeben. Nein, man hatte ihn bestärkt, weiter an sich zu arbeiten. Und das tat er. Jeden Tag, immer. Und es trug Früchte. Die magische Welt rückte zusammen.
Für ihn fühlte sich das Regieren jetzt nicht mehr ganz so wie reine Pflicht an, sondern war eine Freude und es machte ihm sogar Spaß. Hätte er nur Mira eher an seiner Seite gehabt.
Unwirsch schüttelte der König den Kopf. Er sollte sich auf das Hier und Jetzt konzentrieren. Allein Mira und Niko waren heute wichtig. Nicht seine Fehler oder sein Regieren, allein die Beiden sollten an diesem Tag glänzen. Daher hatte er sich für seine schlichte Paradeuniform entschieden. Er wollte blass neben seiner Tochter wirken.
Und diese strahlte. Seitdem sie das wunderschöne Kleid trug, strahlte Mira aufrichtig. Es war schlicht gehalten. Der König hatte noch nie so ein reines Weiß gesehen. Das Beste an diesem Kleid war, wenn Licht auf es fiel – dann strahlte es in den verschiedensten Farben. Es war wahrlich magisch. Der Ausschnitt fiel fast prüde aus, war er doch recht hoch geschnitten. Doch der Rücken und die Arme waren frei. Und das erste Mal konnte der König das Tattoo des Adlers – Miras Adlers – bewundern. Es war nicht lebensgroß, aber sehr detailgetreu.
Der König bewunderte es und beglückwünschte seinen Schwiegersohn zu dieser genialen Idee.
„Wie gefällt es dir?“, fragte Mira schüchtern ihren Vater.
„Das Kleid oder das Tattoo?“, fragte dieser trocken zurück.
Unruhig fummelte Mira an ihrer Frisur herum. „Das… beides?“
„Das Kleid ist phänomenal, muss ich sagen. Es ist wunderschön. Du bist die schönste Braut, die ich kenne“, meinte der König sanft. „Und das Tattoo ist… magisch. Es ist richtig, richtig schön. Bei jeder deiner Bewegungen scheint es sich zu bewegen. Eine tolle Arbeit!“
Mira erstrahlte bei den Worten ihres Vaters. „Danke“, meinte sie aufrichtig.
„Fehlt eigentlich nur einer“, meinte da Genève.
Natascha rammte ihr einen Ellenbogen in die Seite. „Mensch!“, machte sie.
„Das ist schon okay“, meinte Mira – und kurz flackerte Traurigkeit über ihr Gesicht. „Sie hat ja recht.“
Britney wollte gerade etwas sagen, als plötzlich die Fanfaren ertönten.
„Es ist so weit“, meinte Lisa und sah zu den drei anderen Brautjungfern. „Wir gehen dann mal.“
Damit verließen die Vier das Zimmer und ließen Vater und Tochter zurück.
Der König trat auf seine Tochter zu.
„Deine Mutter wäre stolz auf dich“, hauchte er und umarmte seine Tochter fest. „Hast du die vier Dinge, die eine Braut braucht?“
Fragend legte Mira den Kopf schief.
„Etwas Altes, etwas Neues, etwas Geborgtes und etwas Blaues“, erklärte der König.
„Etwas Altes ist die Kette meiner Mutter“, begann Mira aufzuzählen. „Etwas Neues ist das Kleid. Etwas Geborgtes…“
Der König lächelte sanft. Dann bewegte er kurz die Hände und ließ einen Schleier erscheinen. „Dies ist der Schleier deiner Mutter“, erklärte er, während er ihn an Miras Haarreif befestigte. „Ich borge ihn dir für den heutigen Tag.“
„Danke“, hauchte Mira ergriffen. Der Schleier passte sehr gut zu ihrem restlichen Erscheinungsbild, rundete es sogar noch ab.
„Und etwas Blaues?“, fragte da der König.
Mira hustete etwas. „Ja, aber das zeige ich dir jetzt nicht“, erwiderte sie.
Grinsend nickte der König. „In Ordnung!“
Dann hob er seinen Arm und forderte Mira auf, sich einzuhacken.
„Bist du aufgeregt?“, fragte er, als er Mira langsam zur Kirche führte.
„Ziemlich“, meinte Mira. „Ist das…?“
Ein Schrei zerriss den Moment und ließ Mira erstarren.
„Es ist normal“, meinte der König und sah verwundert zu seiner Tochter. „Komm! Niko geht es sicherlich genauso wie dir.“
Mira nickte und riss sich zusammen. Sie hatte diesen Schrei erkannt. Aber anhand der Reaktion ihres Vaters nahm sie an, dass er Einbildung war.
„Es wäre so schön“, murmelte sie.
„Allerdings!“, stimmte der König zu.
Dann schnippte er mit den Fingern und die Tür in die Kirche öffnete. Drinnen standen alle Anwesenden auf und sahen zur Braut und ihrem Vater.
In dem Moment schrie erneut ein Greifvogel auf und alle sahen dieses Mal in die Richtung des Schreis.
„Ist das…?“, begann der König.
Mira lächelte nur und hob ihren freien Arm. Und tatsächlich – ein ganz bestimmter Adler setzte sich darauf nieder. Ein zweiter, weit aus kleinerer, blieb in der Luft schweben und sah zu Mira. Zärtlich sah Mira zu dem Adler. „Alec“, hauchte sie. Dieser schloss kurz die Augen und nickte dann. Dann schrie er erneut, der zweite Adler antwortete und beide flogen zum Altar, neben dem ein Podium aufgebaut war. Dort ließen sich die Beiden nieder.
Niko begrüßte ehrfurchtsvoll den Adler und lächelte, ehe er zu seiner Braut sah, die Schritt für Schritt näher zu ihm kam. Näher in eine gemeinsame Zukunft – in eine glückliche.
-ENDE-