„Es ist seltsam“, meinte Niko beim Familienfrühstück eines Sonntags.
Seit Mira zusammen mit Niko in einer eigenen kleinen Wohnung in der Nähe des Königspalastes wohnte, hatten sie begonnen, am Wochenende zusammen zu frühstücken und sich auszutauschen. Mal waren es private Themen, mal Belange der magischen Welt. Jeder konnte offen seine Meinung äußern, ohne Konsequenzen zu fürchten. Mira hatte diese Idee auch bei der Exekutiven umgesetzt. Dort traf man sich regelmäßig. Natürlich konnte nicht jeder immer teilnehmen, aber man versuchte so oft wie möglich da zu sein. Denn es war für alle Seiten eine Chance, sich offen und ehrlich auszusprechen. Und viele Neuerungen waren dort entstanden, die die magische Welt weiterbrachten.
„Was meinst du?“, wollte Georg von seinem Schwiegersohn in Spe wissen.
„Seit die Adler verschwunden sind, sind die Drachenangriffe zurück gegangen“, meinte Niko. „Und seit jenem Tag…“ Alle wussten, welchen Tag er meinte. „… wurde nicht mal mehr ein Drache gesichtet.“
„Hm“, machte Theodor und überlegte.
„Nun ja“, begann da Georg und lehnte sich zurück. „Der Sage nach verschwinden die Drachen, wenn ein Adler als Junges dem Tod durch einen Drachen um Haaresbreite entkommt und sich dann zum so genannten Königsadler entwickelt. Denn die Drachen wissen dann, dass sie keine Chance mehr haben.“
Mira sah zu Niko, der ihren Blick erwiderte. Sie wussten, nach welchem Adler das klang.
„Die Sage geht aber noch weiter, Georg“, meinte da Theodor und sah zu dem anderen Mann. „Die Drachen verschwinden, da ihr Anführer das Tribut für diese Tat zahlt. Er geht freiwillig in das Versteck der Adler und befreit besagten Königsadler, der dann jedoch all seine Bindungen verliert. Nur ein Gefühl der Leere bleibt zurück.“
Mira schluckte. „Kann es passiert sein?“, fragte sie leise. Sie wollte die Hoffnung nicht zulassen, dass Alec vielleicht doch noch lebte. Aber sie konnte nichts dagegen tun, dass die Hoffnung begann zu keimen.
„Ja“, meinte Theodor abwägend. „Und nein.“ Er sah bedauernd zu Mira. „Es tut mir leid! Aber wir haben das Versteck so oft untersucht.“
„Und bei der letzten Untersuchung haben wir nur die sterblichen Überreste von Frederick und mehreren Adlern gefunden“, meinte auch Niko. „Es gab kein Anzeichen, dass…“ Niko biss sich auf die Zunge. Er konnte nicht aussprechen, was alle dachten. Doch er wusste auch so, dass sie ihm zustimmten. Mira lächelte tapfer.
Später – am gleichen Tag – war Niko mit Mira im Garten von Anna. Die Beiden zog es immer wieder zu diesem Garten zurück. War es doch der Ort, an dem für ihn alles anfing und mittlerweile ein Ort der Ruhe geworden. Lotus war oft bei ihnen, um ihnen Gesellschaft zu leisten.
„Was hast du vorhin eigentlich noch mit meinem Vater besprochen?“, wollte Mira wissen, als die Beiden stumm neben dem kleinen Teich lagen. Sie lagen nebeneinander, berührten sich kaum und sahen in den Himmel.
Niko lächelte. Dann richtete er sich auf und drehte sich zu Mira. „Du weißt, dass ich dich liebe, oder?“, begann er.
Mira erkannte die Ernsthaftigkeit in seiner Stimme und setzte sich ebenfalls auf. Dann nickte sie. Ja, sie wusste es. „Und ich liebe dich.“
Niko lächelte. „Ich würde alles für dich tun“, meinte er. „Ich weiß, dass Alecs Verlust dich schmerzt. Leugne es nicht! Ich kenne dich, Mira.“ Niko sah ernst zu der Frau, die er liebte. „Ich werde dich immer auffangen. Und ich weiß, dass du das auch immer tun wirst. Aber dennoch…“ Er seufzte und holte tief Luft. „Willst du meine Frau werden?“
Mira schluckte. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie schluckte erneut. Ihre Gedanken rasten. Sie war zu keiner Reaktion fähig.
„Dein Vater hat schon vor einer Weile mit mir darüber gesprochen, dass wir irgendwann heiraten sollten. Einfach pro forma. Aber er hat auch verstanden, dass ich dich fragen will, wenn ich es für richtig halte. Ich will mit dir alt werden, dich lieben und schätzen. Ich will das alles wegen dir, Mira“, begann Niko zu erklären. Und je mehr er sagte, desto schneller wurde er. „Bitte sage ja! Ich will dich heiraten – wegen dir, und nicht wegen deiner Position als Thronfolgerin. Meine Güte, ich… das hat mich sogar…“
Weiter kam er nicht. Denn ein Kuss unterbrach seinen Redeschwall.
„Halt die Klappe!“, hauchte Mira, ehe sie ihn küsste und ihm ihre Antwort zeigte.
Beide verpassten den Schrei eines Greifvogels weit oben am Himmel.