Auf dem Weg zum FitnessCenter nahm ich die U-Bahn, nutzte das Studententicket und fasste so wenig wie möglich an, redete mit keinem und schaute nur auf das Handy. Ich ignorierte jede Frage, die mir persönlich gestellt wurde und hielt selbst dem Kontrolleur nur stumm die Karte hin, als er nach einem Ticket fragte.
So seltsam das klingen mochte und so seltsam ich mich dabei fühlte, es schien zu funktionieren, dass ich wohlbehalten ohne weitere Probleme durch die Flügeltür trat und schnell in einem Spint meine Sachen einschloss. Die Tüte mit den Brötchen hatte ich noch mitgenommen, falls ich Hunger bekam. Was ich allerdings bezweifelte.
Ziergerichtet fand ich Rambo in den hinteren Reihen des SportsClub, wie sich das Gym nannte, und sah zu, wie er einige Kilos an der Hantel stemmte. Für mich fühlte sich das immer an wie die Streckbank, wenn ich auf einer viel zu verschwitzten Lederbank lag, trotz des Handtuchs. Und egal wie viele Kilo ich stemmen würde, es fühlte sich nie richtig an. Trotz des Abos kam ich selten hierher, und wenn, dann nur, um mit Rambo zu quatschen.
Der Hüne überragte mich um einen Kopf, während der die Hantelstange in die Verankerung fasste und sich schweratmend aufrichtete. Die dunkle Haut tropfte nur so vor schweiß, während das Handbuch sicher den Schwall voller Körperflüssigkeit nicht mehr aufsaugen konnte. In dem Tanktop sah man die durchtrainierten Muskeln, das Tattoo, das sich durch die Farbe nur schwerlich von der Haut abhob und wiederum deutlich die lange Narbe, die an seiner linken Seite prangte.
Rambo sah mich, grinste mir zu und hob die Hand. Ich schlug ein, umarmte ihn kurz trotz des Schweißgeruchs und fühlte mich seit dem Morgen zum ersten Mal wieder wirklich wohl. Er grinste mich an, der Dreitagebart stand ihm gut und seine fröhliche Ausstrahlung wellte zu mir herüber. Ich grinste, wenngleich auch ein wenig zu übertrieben. Er kaufte mir meine Masche so oder so nicht ab, während er sich über das Gesicht rieb und einen Schluck Wasser nahm. Mit einem Kopfnicken gab er mir zu verstehen, um zu folgen. Ich trat hinter ihn, lief in Richtung der Mitarbeiterräumlichkeiten, während mein Blick über den weiten Raum glitt.
Kurzzeitig hielt ich inne, als ich eine Frau in einer Leggins sah, die versuchte hatte, ein grellrotes Oberteil mit gelber Hose zu kombinieren. Durch ihre Rückenübung sah ich sei nicht, doch als sie den Blick kurzzeitig hoch, wurde ich langsamer. Dieser stechende Blick der bernsteinfarbenen Augen fixierte mich wieder. Wie der Jäger seine Beute peilte sie mich an, als hätte sie auf mich gewartet. Eine Sekunde müsste vergangen sein, als ich bemerkte, wie sie ihre Haare diesmal mit einer großen Klammer zusammengebunden hatte. Die Kopfhörer, altmodisch mit Kabel, verdeckten ihre Ohrmuscheln, und doch gab ihr durchtrainierter Körper eine gute Kombination von zu viel und zu wenig preis. Also genauer gesagt hatte sie einen optimalen Körper, fast schon perfekt für...
„Hey, hör auf meine Kunden zu begrabschen!“
Ich schüttelte den Kopf und drehte mich zu Rambo. „Ich berühre doch niemanden.“
„Nein, aber du würdest gerne, und das geht hier nicht!“ Meine Augenbrauen stiegen in die Höhe, während die Bäckereiverkäuferin sich wieder ihrer Trainingseinheit zuwandte. Sie ignorierte mich vollkommen, und doch hatte ich den Blick bemerkt. Auch sie hatte mich wiedererkannt.
„Komm jetzt!“ Rambo zog mich in sein Büro, schloss direkt die Tür und wies mich an, mich zu setzen. Ich kam der Bitte nach, auch wenn es keine war. Sich mit einem hundert Kilo schweren Muskelpaket anzulegen, wäre sicher kein Erfolg. Und so würde ich meinen Frust zwar rauslassen können, jedoch war mir meine Haut zu schade für weitere Schrammen und blaue Flecken.
„Jetzt sag mir mal erst was passiert ist. Du siehst aus...“ Ich ergänzte seinen Satz.
„…als wäre ich lachend in eine Kreissäge gerannt?“ Er nickte nur und schmunzelte. „Annika ist nicht hier“, wiederholte er erneut und lehnte sich an den Schreibtisch, ich hob nur träge die Hand. Je mehr ich von meinem Tag erzählte, desto eher entglitten ihm die Gesichtszüge. Schließlich endete ich mit unserem Anruf.
„Das ist ein Scheißtag. Und so willst du morgen zur Uni?“ Ich schüttelte den Kopf. „Hab frei, aber das bringt mir nichts. Ich weiß nicht, wo Anni steckt. Das ist doch alles nicht mehr normal!“
„Klar, aber was willst du denn bitte tun?“
Mein bester Freund hob die Schultern und blickte mich ratlos an. „Ich meine, du kannst ihr Handy ja nicht zu Tode klingeln.“ Sein Versuch, lustig zu sein, blieb ihm im Hals stecken.
„Schon, aber es würde mir vielleicht...“
Rambo unterbrach mich. „Nein, du machst jetzt folgendes: Trainieren!“
„Jetzt ist nicht die Zeit für einen Sommerbuddy, Gunnar!“ Ich wurde lauter, sodass der Hüne verstummte. Ich nannte seinen verhassten Vornamen. „Ich kann doch nicht einfach ein paar Kilos stemmen, während meiner Freundin wer weiß noch was passieren könnte. Mein Leben ist mir ja scheiß egal, aber ihres? Wie soll ich denn schlafen können, wenn ich weiß, sie wird verfolgt….oder gar schlimmeres?“
Rambo schüttelte mich leicht, schließlich ganz. „Ich weiß, klingt jetzt scheiße, aber fällt dir momentan was Besseres ein? Stemme mit mir ein paar Hanteln, lauf ein wenig auf dem Band und du wirst sehen. Dein Körper wird sich beruhigen, dein Kopf...“, er tippte mir auf die Stirn. „...findet einen Weg. Jetzt wirst du keine Lösung finden, aber Schlaf ist auch wichtig. Ist dein Körper kaputt, kannst du heute Nacht wenigstens ein paar Stunden die Augen zu.“ Ich hasste es, wenn er Recht hatte. Und das wusste er. Wortlos zog er mich vom Stuhl, während ich mich auf den Muskelkater meines Lebens vorbereitete.