Das Schlürfen der Cola meines Gegenübers war das einzige Geräusch, das meine Ohren vernahmen. Müde und ein wenig zermürbend kaute ich auf dem letzten Bissen Burger herum, während Vaya genüsslich in ihren Salat biss. Sie kaute extrem langsam, redete aber die meiste Zeit auch.
„Und so bin ich dann aufgetaucht“, beendete sie ihren Monolog und schien vergessen zu haben, wie wenig ich zugehört hatte. Allein die Tatsache, endlich mal zu sitzen, keine Pechsträhne zu haben und zu wissen, nichts würde explodieren, wenn ich etwas anfassen würde, und noch etwas zwischen die Zähen zu bekommen: Das war ein wahrer Traum.
Doch der Albtraum folgte sogleich. Annika blieb stumm und ich hatte Rambo einfach schlafend vor seinem FitnessCenter liegen gelassen. Wie assozial von mir.
Wie gut, dass ich kein schlechtes Gewissen habe. Heute und vor allem jetzt gönnte ich es mir einmal, auch an mich zu denken.
„Hast du mir überhaupt zugehört?“, fragte Vaya enttäuschend, während ich den Blick der anderen Kunden an den Tresen bemerkte. Das Restaurant mit dem goldenen M hatte noch als einziges offen gehabt, während die anderen, teils besoffenen Kunden, Vaya sehnsüchtige Blicke hinterherwarfen. Selbst die Frauen beneideten mich. Dabei empfand ich nicht mal ansatzweise Charme oder Freude.
Tonlos schluckte ich den Happen herunter. „Nein.“
Vaya blinzelte. „Was?“
Ich blickte in ihren goldenen Blick, dessen Farbe vergleichbar war mit der blinkenden Reklametafel draußen und dem Symbol darüber. Währenddessen sammelte ich die restlichen Pommes zusammen und tunkte sie in eine Mischung aus Mayo und Ketchup. Vaya sah mich mit gerunzelter Stirn an und zeigte dann auf mich.
„Du hast ein mächtiges Artefakt...“ Ich hob die Hand, wartete mehrere Sekunden, biss absichtlich langsamer und schluckte dann. Vaya bemerkte meine Provokation, doch blieb überraschenderweise ruhig. Noch.
„Du sagst mir, dass dieses Ding hier...“, ich kramte den handgroßen Bernstein aus der Tasche und schmiss ihn beinahe auf den Tisch. Der Laut schreckte viele im Laden auf, doch alle drehten sich wieder schleunigst um. „…ein Scheißemagnet ist.“
„Nein, nein….nein, absolut nicht. Oder vielmehr doch.“ Vaya wägte ab, was sie sagen sollte.
„Vaydandada..“, sagte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen. „Mein Tag lief schon beschissen. Eine Erklärung einer Esoterikerin, so scharf du auch aussehen magst, genügt mir nicht. Beweise es mir!“
„Vaya reicht.“ Der trockene Tonfall überlagerte ihre Wut, doch das Lächeln zeigte, dass ihr mein Kompliment sie schmeichelte. „Und ich habe dir bereits alles gesagt. Ich entstamme einem Volk, das den Bernstein hütet. Es hat eine Macht inne, die ich nicht erklären kann. Aber habe ich das gute Stück bei mir...“
„…würdest du Königin werden und darauf hast du keine Lust. Also hast du das verdammte Mistding in meine Bäckertüte gestopft, damit diese Mafiosi dich nicht erwischen. Und diese Typen haben mich verfolgt, wodurch das Pech förmlich auf mich übergelaufen ist.“
„Fast.“ Sie lächelte. „Das Volk der Obsidian und Onyx sind praktisch die Polizei. Nur ein wenig grober. Sie versuchen die Regen einzuhalten. Dabei sind sie ein wenig..direkter…“
„Einen Toten am Steuer eines Fahrzeuges und einen Freund, der mit einer Pistole bedroht wird, würde ich als brutal bezeichnen. Vor allem verstehe ich nicht, wieso Rambo nicht tot ist.“
„Platzpatronen.“ Ich stutzte. „Ah.“
Das Schweigen senkte sich über uns. Das Leuchten des Bernsteines wurde durch das Licht der Leuchten gedämmt. Ich hatte mehr Fragen als Antworten, keine Erklärung über Annikas Verschwinden . Doch wenigstes der Versuch Vayas, mir ein wenig die Angst zu nehmen trotz ihrer merkwürdigen Methoden, hielt mich im Zaum. Die Frau holte Luft und versuchte es erneut.
„Seit Menschengedenken gibt es das Volk der Edelsteine, wenn man das so sagen mag. Die Esoteriker heute sind die Einzigen, die noch an uns glauben, aber das nur nebenbei. Wir sind wenige, aber uns gibt es. Inmitten der normalen Menschheit gehen wir ganz normaler Arbeit nach. Ich bin ja auch..“
„…eine Königin, die in einer Bäckerei arbeitet.“ Ich grinste frech. Ihre Mundwinkel zuckten.
„.Ja. Das ganze mit den Edelsteinen ist praktisch ein nerviger Nebenjob. Je nach Volkszugehörigkeit hütet man das, was diesen Edelstein ausmacht. Meistens erkennt man uns an den Augenfarben.“
Diese Verbindung war mit bereits aufgefallen.
„Und ich gehöre eben dem Volk an, dass den Chef des ganzen symbolisiert. Praktisch die gesamte Verantwortung liegt auf meinen Schultern, weil das vorherige Oberhaupt...“, sie schluckte und unterbrach sich.
„Und was würde passieren, wenn es euch nicht gibt. Der Untergang der Welt?“ Sie schüttelte träge den Kopf. „Leider nein.“
Ich wartete ab, bis sie nach den richtigen Worten rang. Ihr Blick, so berauschend er auch sein mag, wurde trüb, bis das Gold in ihren Iriden traurig glänzte. Die Freude war aus ihrem Gesicht gewichen. „Wir haben die Aufgabe das Gleichgewicht wieder herzustellen und zu erhalten. Es gibt Krieg zwischen den einzelnen Völkern wie es auch hier in der normalen Welt Krieg gibt. Es ist also nichts wirklich harmonisch oder so. Würde es die Völker nicht geben, würden Menschen sich vermutlich eher ihren Trieben hingeben und das Zeitalter der Technik wäre von dannen.“
Interessiert lehnte ich mich zurück und verschränkte die Arme. „Habe ich richtig verstanden, dass ein Haufen jahrtausendalter Steine für die Technik unserer Zeit verantwortlich sind? Und ohne diese Dinge ich mir am Baum hängend eine Banane reinziehen würde?“
„Ja, ich glaube, so habe ich das versucht zu vergleichen.“ Meine Nasenwurzel zwischen meinen Fingern wurde schier wundgerieben, so sehr versuchte ich mich zu konzentrieren.
„Alles klar, was war in dem Salat? Das ist ja wie als würdest du eine Larve mit einem Elefanten vergleichen.“
Sie lächelte. „Sind beides Tiere. Eine Ähnlichkeit ist immer da.“
Stumm schüttelte ich den Kopf.
„Das ist mir alles zu blöd. Nur weil du für deinem Esoterikclub keine Verantwortung übernehmen willst, brummst du mir einen Mist mit Pechsträhnen auf und stopft mir irgendwelche Steine in die Bäckertüten.“ Wieso gerate ich immer an solchen Menschen? Irgendwas war wohl dran, wenn man sagte, man sollte schönen Frauen nicht trauen.
Ich stand auf, ignorierte den Stein und sie und ging aus dem Laden. Die U-Bahn war direkt gegenüber, also würde ich zwanzig Minuten im Bett liegen und nur die Hölle auf Erden würde mich aufwecken könnten. Plötzlich zog etwas an meinem Ärmel.
„Kannst du nicht wenigstens so nett sein und mir heute Nacht Unterschlupf gewähren?“ Ihre Blinzelattacken und auf Auf-Lippe-kauen funktionierten bei mir nicht.
„Nein.“
„Aber ich habe keine Wohnung..und die letzten Nächte..“ Hatte sie sich dank ihres Charms wohl bei Leuten eingeschleimt, damit sie ein Bett für die Nacht hatte. Ich stöhnte.
„Eine Nacht!“