Die Fahrt von zehn Stunden können lang sein. Vor allem, wenn man eine schnarchende Vaya im Auto sitzen hatte. Ihr Leibwächter Jamy dagegen störte sich an der Geräuschkulisse nicht, gönnte sich selbst jedoch keine ruhige Minute. Er starrte mich missmutig an, doch ein Gespräch kam nie zu Stande. Egal, was er sagen würde, ich könnte ihm zum Schweigen bringen. Wohl die Schmach, dass er sein Selbst aufgeben musste, um seine Liebe zu retten, schien ihm nicht wirklich schwergefallen zu sein. Hieß jedoch auch, dass Vayas Leben in meinen Händen lag, so sehr ich auch geschworen hatte, sie zu beschützen.
Alles in allem war ich die Spinne, während in meinem Netz alle Beteiligten im Fahrzeug zappelten. Einzig Georg störte sich nicht dran, was jedoch an unserer gemeinsamen Vergangenheit lag.
Ich dagegen mühte mich ab, schlafen zu wollen, konnte jedoch nur wenige Stunden dösen und fand keine Ruhe. Vor allem nicht, als ich denjenigen angerufen hatte, der am allerwenigsten von der ganzen Sache wusste und wissen sollte.
Der T4 fuhr die lange Auffahrt an der kalifornischen Küste hoch und hielt vor dem Anwesen. Georg stieg aus und öffnete sogar die Tür. Vaya wurde wach, doch wurde von Jamy huckepack getragen, also schlief sie unbekümmert weiter. In seinem Armen schien wohl die Welt noch in Ordnung. Er stockte, als er den Palast vor sich betrachtete und mich dann ansah.
„Deins?“
Ich schüttelte den Kopf. „Hätte ich die Asche, würde ich sicher nicht in einer teuren Mietwohnung in Berlin leben, während ich sowas in der Hinterhand hätte.“
Ein paar Bedienstete öffneten die Flügeltür und hießen uns mit einer kurzen Verbeugung willkommen. Mir was das unangenehm, doch dagegen konnte ich nichts tun.
„Die gehören alle deinem Clan an“, stellte Jamy fest, als er den einzelnen jungen Personen in die Augen blickte. Sie schien es nicht zu stören, doch ich nickte nur und blieb vor einer riesigen Treppe stehen. In dem Foyer funkelte alles, was teuer aussah und war.
Vaya wurde von dem Personal in einen Krankenflügel gebracht, unter Protest Jamys natürlich. Ich musste ihm wieder einen stummen Befehl geben, sie in Ruhe zu lassen. Er würde schon zu ihr stoßen, doch viel mehr war es wichtig, dass Jamy Vertrauen zu mir aufbauen konnte, in dem er den Inhaber der Villa kennenlernte. Damit er sich sicher fühlen konnte.
Und zufälligerweise wurde ich nicht von ihm, sondern von seinem Liebhaber mit offenen Armen begrüßt, als dieser das Ende der Treppe erreicht hatte.
„Keine drei Tage her und mein Leben ist auf dem Kopf gestellt. Komm her, Tophi! Lass dich knuddeln!“ Und schon rissen mich die starken Oberarme Rambos aus meinen Gedanken und warfen mich fast in die Höhe, so sehr presste er mich an seine Brust.
„Schön, dass es dir gut geht“, murmelte ich zwischen den Brustmuskeln, bis ich schließlich wieder Luft holen konnte. Jamy sah Rambo verstört an, ergriff jedoch die hinhaltende Hand. „Wir kennen uns nicht, ich bin Rambo.“ Er lachte fröhlich auf, als sich ein weiterer Mann dazugesellte. Jamy spannte sich an, während ich leidig aufstöhnte.
„Hallo in die Runde. Ich muss sagen, dein Anruf hat mich überrascht, lieber Neffe.“
„Ja, wenn es nicht hätte sein müssen, hätte ich dich auch in Ruhe gelassen.“ Meine Worte prallten an dem einstudierten netten Lächeln ab, das er jedem von uns schenkte. Georg nickte nur grimmig und fand so oder so alles und jeden, der mir gefährlich werden konnte, doof. Jamys Augen dagegen kullerten gleich vor Erstaunen aus dem Kopf, während sein Gegenüber seine Sprachlosigkeit erheiternd fand.
„Sie sind doch…der Politiker...“, er rang um Worte, während ich meinen Onkel vorstellte.
„Das ist kein Politiker, das ist mein Onkel. Er ist aktuell derjenige, der das ganze drumherum im Clan verwaltet und quasi…Mädchen für alles darstellt.“
„Also hast du doch Asche…“, mit hochgezogenen Augenbrauen musterte mich der Leibwächter.
„T´Cik Ishaar ist sogar das amtierende Oberhaupt und jemand ganz besonderes.“ Er nickte mir freundlich zu und wollte sich schon verneigen, während ich ihm mit zusammengekniffenen Augen deutete, er solle das lassen. „Eigentlich wollte er sich aus der ganzen Sache zurückziehen, aber irgendwie scheint er das nicht zu schaffen.“ Er lächelte erneut und seine weisen Zähen strahlten uns an. Ich musste die Augen schlussendlich zukneifen, als ich diese Heiterkeit und Freundlichkeit mit der Strahlung der Atomkraftwerke Fukushimas verglich. Man sah den Schaden nicht kommen, aber er krach ein wie eine Bombe. Ich müsste mich später mit ihm beschäftigen.
„Mein Name ist T´Arin Ishaar. Mit Arin bin ich aber zufrieden.“
Er deutete Jamy, ihm zu folgen, während er kurz innehielt.
„Oh, ein Band also.“ Dann sah er mich an. „Wünschst du, dass dein Untergebener angenehm verweilt, oder...?“
Die Offenheit der Frage ließ Jamy zusammenzucken, als er mich betrachtete und sich anspannte. Georg würde mir nicht von der Seite weichen, dass wusste ich. Egal, wo auch immer in diesem Palast ich mein Zimmer haben würde, Georg hätte seines daneben, wenn er nicht gar vor der Tür schlafen würde. Dann würde ich wenigstens Jamy die Freiheit geben. Ich wusste so oder so immer, wo er sich aufhielt.
„Er soll es sich aussuchen, wo er schlafen will, aber in der Nähe des Mädchens. Sie stehen alle unter meiner Obhut.“
Arin lächelte ein wenig düsterster als sonst, denn er verstand nicht, worauf das Band zwischen mir und Jamy entstanden war. Jamy ging, ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen, zum Krankenflügel und sah nach Vaya.
Ich dagegen zog mich in einem Zimmer zurück und betrachtete den Sonnenuntergang vor mir. Die weiten Ebenen, die zwitscherten freien Vögel, der helle Himmel mit weisen Wolken.
Dann lief ich hinein, setzte mich vor den Spiegel und blickte auf. Doch in mir brodelte die Macht, die sich nach und nach nach außen gekämpft hatte. Das Erbe meiner Mutter kam heraus, ohne, dass ich es länger unterdrücken konnte. Mein Blickfeld klärte sich, während ich Sinne viel deutlicher wahrnahm. Meine Fingernägel wurden ein wenig länger, bis schließlich die leicht angespitzten Ohren meine Herkunft als Halb-Mensch preisgaben. Die blasse Haut hatte sich im Vergleich nicht geändert, wiederum die ansetzenden scharfen Eckzähne dursteten nach Blut. Die vollen roten Lippen krümmten sich zu einem Lächeln.
Als hinter mir eine Gestalt auftauchte, die meinem Ebenbild entsprach. Die Stille in ihren Augen formten sich zu einem Lachen, wenn sie denn lachen könnte.
„Hallo, mein Sohn.“
„Hallo, Mutter…“