„Vayandana!“, schrie der Große, schmiss die Hände in die Höhe und schrie irgendetwas in die Nacht hinaus. Die Gegend war vorher ohnehin schon still gewesen, doch durch die Laute des Irren fror selbst die Zeit kurz ein.
Doch dies interessierte mich nicht mehr. Atemlos sah ich das schwarze Loch vor mir an, versuchte, irgendetwas zu tun und wusste zugleich, es war völlig sinnlos. Rambo lag zusammengebrochen über mir, während ich darauf wartete, das warme Blut zu spüren. Er würde hier sterben, würde ich nicht rechtzeitig den Krankenwagen rufen. Und ich sicher ebenfalls, denn ich hatte keinen Plan, was man von mir eigentlich erwartete.
„Du bist dieser Typ von dem Laden heute Morgen“, stellte der wohl Klügere der beiden fest und ich nickte langsam. Sicher würde sich jede Bewegung auf seinen gekrümmten Finger am Abzug auswirken. Zu weiteren Worten war ich nicht fähig, außer: „Ich kann meine Hände nicht heben, die sind eingeklemmt.“ Ich zog daran und schon lag das kalte Metall auf meiner Stirn. „Keine Bewegung.“
Wie unter Hypnose nickte ich noch ein weiteres Mal und blickte durch die Sonnenbrille. Beide starrten mich nieder, während der Zweite seine Keule irgendwoher rausholte und sie auf den Schultern postierte.
Moment, Keule?!
Das Holz glänzte matt in den Laternenstrahlen, während das grimmige Lächeln mitsamt breiter Statur einen Henker schlechthin darstellte. Einen mordenden Henker mit Manieren, wenn ich dabei den sauberen Smoking betrachtete.
„Wo ist sie?“, knurrte der Kleinere, der statt seinem Freund wohl die mordenden Waffen bevorzugte.
„Wer? Vaydanda?..Dandana..Vadanya…“, fragte ich unter Schock und überlegte fieberhaft, wie ich diese Pistole von der Stirn wegbekommen konnte.
„Es heißt Vayandana. Aber es reicht auch Vaya“, erklangen die butterweichen Worte hinter uns. Gerade so erhaschte ich den Blick auf das Mädchen, erkannte sie aufgrund ihres schlechten Geschmacks der Sportkleidung und den goldenen Augen. Offen standen ihr ihre Haare wesentlich besser und allein ihre Aufmachung und das freche, kecke Grinsen im Gesicht zeugten von ihrer Direktheit. Und Dummheit. Träge kratzte sie sich mit den künstlichen Fingernägeln an der Wange und lächelte schwach, während sie die beiden Anzugträger betrachtete.
„Luigi“, sagte sie und kam mit heroischen Schritten auf uns zu. Was sie denn irre ohne Waffen...?
Meine Gedanken stoppten. Mit weit geöffneten Augen sah ich das Schauspiel vor mir.
Die Keule erreichte ihren Kopf, während das wütende Knurren des Hünen meine Nervenenden zum Erzittern brachte. Gerade so duckte sich Vaya unter dem Holz durch. Millimeter über ihren Kopf schwang die Keule ins Nichts. Sie preschte vor, schnappte sich die Taille des Mannes und brachte ihn mit einer Fußstellung zum Stürzen. Krachend fiel er um, fast wie ein Bowlingkegel. Vaya setzte sich auf ihn, tippte ihn amüsiert auf die Nasenspitze an. Während er noch angespannt um sich schlug, um sie runterzubekommen, erschlaffte er sofort bei der Bewegung ihres Fingers und schlief ein. Bitte was? Der kann ja einen ganzen Wald roden, so sehr sägt er…
Vaya grinste vergnügt, nahm die Sonnenbrille auf und steckte sie sich ins Haar. Man, sie sah nicht nur scharf aus, sie wusste um ihre Vorzüge. Sie schwang die Hüften nach links und rechts, trat auf Luigi und mich zu, während ich versuchte Abstand zu gewinnen. Rambo lag noch auf mir. Mist.
„Hallo, Luigi“, sang sie melodisch und blieb einen Meter vor ihm stehen. „Du hast nach mir gesucht.“
Er stoppte, hob die Pistole allerdings nicht, um sie zu bedrohen.
„Vayandana, Herrin des Bernsteines. Erbin des Glücks und angehendes Oberhaupt ihres Volkes. Das goldene Licht möge dir…“
„Spar mir dein Geschwafel. Du kennst die Regeln.“
„Allerdings.“ Ich hörte ein Klicken, spürte, wie die Pistole an meine Stirn gedrückt wurde. „Und ich weiß um deine ebenso gut!“ Er grinste frech. „Ich kann dich ebenso erpressen wie du mich.“
„Wirklich?“ Vaya drehte ihren Kopf, lächelte verzaubernd und stemmte eine Hand in die Hüfte. Wie eine Frau, die wusste, es würde gleich jemand sterben würde, bereitete sie sich nicht auf einen Kampf vor. Sondern vielmehr darauf, also ob Luigi genügend Mut hatte, den Abzug zu drücken. Ich hielt mich aus der Sache raus, auch wenn mein Leben davon abhing. Mein Leben lag in ihren Händen. Nicht mehr, und nicht minder.
Das Blickduell dauerte einige Momente, bis der Anzugträge matt lächelte.
„Unentschieden also.“ Die Waffe verschwand vor meinem Blickfeld, er machte kehrt trat die Stufen hinab. Das Auto brauste los, ohne, dass sich der Mafiosi um seinen schlafenden Freund kümmerte. Vaya sah ihm nach, während ich mich abmühte, Rambo von mir runterzubekommen. Erstaunlicherweise fand ich kein Blut, als ich ihn auf den Rücken legte und seinen Herzschlag erstastete. Auch seine Atmung war regelmäßig. Bis auch ein paar Zuckungen am Auge schien er wie zu schlafen.
Ich verstand die Welt nicht mehr.
Und kurioser weise hatte ich mich an diesen Zustand gewöhnt.
„Also, mein lieber...“, fing die Frau an, doch ich blockte ihren Versuch, mich anzusprechen, mit einem strengen erhobenen Finger. Mit einem kurzen Blick versicherte ich mir, dass es Rambo gut ging und drehte mich zu dem Model schlechthin um. Wie flüssiges Holz flossen die langen Strähnen von ihren Schultern. Die einzelnen kürzeren Haarsträhnen wurden von der Sonnenbrille zurückgehalten. Ihre Augen leuchteten in der Dunkelheit, während ihre hohe Wangenknochen ihre Augen betonten und die vollen, leicht geöffneten, Lippen zu einem Kuss einluden. Man fixierte sich vollends auf diese zartweiche Haut, aus welcher nur noch weichere Worte wichen. Würde ich meinen Blick senken, dann würde ich direkt auf ihre Oberweite starren. Und wenn ich das richtig aus dem Augenwinkel erkannte, wackelte sie gekonnt mir ihnen, damit ich ihr alles verzeihen würde, was sie nun mit mir anstellte. Oder anstellen wollte.
Tja, dumm nur, dass ich viel zu aufgebracht war, um mich davon täuschen zu lassen.
„Was…ist..hier..los?“ Jedes Wort betonte ich bedrohlicher. Dumm genug war ich nicht, in ihre Nähe zu kommen. Sie würden mich entweder umlegen, zum Schlafen bringen oder küssen. Alles war mir mittlerweile egal. Ich brauchte Antworten.
In dem Moment knurrte mein Magen.
„Ich hatte nicht gedacht, dass du so sattelfest bist.“ Sie lachte kurz auf und strahlte mich offenherzig an. Allein dieser Adlerblick war so ein gegensätzliches Phänomen zu dem Rest, dass ich ihr in die Augen starrte, um von ihrem Charme nicht umgeworfen zu werden. „Wie wäre es denn mit Fritösenschnitzel zwei Straßen weiter?“