Mit dem Versprechen, dem Minister und Rambo würde nichts passieren, sprintete Jamy voraus in Richtung U-Bahn. Über einen Hinterausgang waren wir den Mafiosi entkommen. Zeitweilig jedenfalls. Ich glaubte ihm mal, weil ich sonst keine Ahnung hatte, was ich tun sollte.
Da ich nun diese Magie am eigenen Leib erfahren hatte, war ich eher gewillt, dem zu glauben, was Jamy mir sagte. Bisher schien er nicht zu lügen, doch wer auch immer er wirklich war, was sollte ich denn nun glauben oder nicht?
Wir hatten Glück, denn wir schafften es, eine Bahn zu erwischen. Gerade schlossen die Türen, während der Zug losfuhr. Durch den Schub fiel ich fast zurück und sah aus dem Augenwinkel eine Menge an Menschen, die sich an die Scheiben pressten und in ihre Gedanken versunken waren. Zögerlich tippte ich die Verbindung auf der App zu mir nach Hause ein.
„Mist. Ein Teil der Strecke ist ab jetzt gesperrt. Wir fahren eine halbe Stunde Umweg.“ Jamy sah mich an, während sich ein Lächeln auf seinem Gesicht stahl. Er grinste überheblich, sodass der Dreißigjährige frecher wirkte als zuvor.
„Es gibt einige Vorteile, wenn du ein Mitglied beim Bernsteinstamm bist.“
„Die da wären?“ Er schob mich zwischen den Menschenmassen hindurch bis hin zu dem letzten Zugabteil, einige protestierten, bis wir schließlich vor einem Viersitzer stehen blieben. Daraufhin sahen mich auch vier Männer an, die allesamt mehr Muskeln auf den Rippen hatten als Rambo.
„Hey Jungs, wir wollen uns mal setzen. Könnt ihr euch bitte woanders hinpflanzen?“ Ich sah Jamy mit großen Augen an, der nur grinsend von dem Ältesten der Vier grimmig niedergestarrte wurde. Schließlich nickte der Bärtige entschlossen, stand auf und bot Jamy einen Platz an. Die anderen folgten seinem Beispiel, während alle umstehenden nicht glaubten, was sie sahen.
Wenn ihr wüsstet…
Ich saß mich stumm hin, spürte noch die Wärme des Vorsitzes unter mir und ignorierte die Gänsehaut, die mich überkam. Die Truppe stieg an der nächstbesten Haltestelle aus und ignorierte uns beide. Schließlich kramte Jamy sein Smartphone hervor und richtete das Display auf mich.
„Die Umleitung ist für kommende Stunde außer Kraft gesetzt, weil zufällig Weise noch Vorbereitungen getroffen werden müssen.“ Der Bernstein um seinen Hals leuchtete wie eine Batterie, während der Barkeeper, oder vielmehr Leibwächter, selbstsicher zu mir rüber schaute.
„Sag mal, pokerst du auch?“
Jamy schüttelte den Kopf. „Dürfen wir nicht, sonst kommen die Wächter. Das sind die Regeln, von denen ich dir erzählt habe. Das wäre ja unfair für euch. Unsere Aufgabe des Bernsteinclans, im Übrigen auch der größte Stamm, ist es, dieses Gleichgewicht des Glücks und Unglücks zu kontrollieren. Dass es Pechsträhnen gibt, ist normal, aber wir sind eben nebenberuflich dafür verantwortlich, zu schauen, dass es nicht zu viele werden. Indem wir eben unsere Kräfte nutzen. Cool, isn´t it?“
Ich nickte. „Und wer verursacht diese Pechsträhnen? Außer wenn die Steine an unrechtmäßige Besitzer gelangen.“
Jamy wägte den Kopf ab. „Das ist eine lange Geschichte, die eigentlich ziemlich weit zurück geht. Um das kurzzufassen, gibt es Clans wie den Rubin-Clan. Wie die Farbe sind sie auch für das bekannt, was Blut ausmacht. Sie sind ziemlich barbarisch und brutal, aber das haben wir im Griff. Was der Bernsteinclan weniger zugutekommt ist die Revolte, die sich durch die Taten des aktuellen Oberhauptes gebildet hat. Hauptsächlich Topas und viele Anhänger der Blausteinstämme sind unzufrieden. Ihre Aufgabe ist es übrigens, Harmonie und Ruhe aufrechtzuerhalten. So im Großen und Ganzen.“
In mir dämmerte etwas.
„Also durch die Revolution in eurem…Stämmen habt ihr keine Zeit, euch um das Unglück der Welt zu kümmern und deswegen geschieht gerade mehr Unglück in dieser Welt als es sollte?“ Ich hob die Augenbrauen und runzelte die Stirn über meine Schlussfolgerung, doch Jamy nickte und schien zufrieden, dass ich ihn verstanden hatte. Nebenbei ergänzte er.
„Der Rubin-Clan ist einer der Stämme, die für Krieg zwischen dem Stämmen sorgen. Daneben gibt es noch Anhänger vom Bernsteinclan, die den schwarzen Bernstein besitzen und sich der Finsternis zugesprochen haben. Aber das sind Minderheiten, praktisch wie Schmeißfliegen.“
Ich hob das Kinn, als Zeichen, es verstanden zu haben. Jamy schien keine Person zu sein, die lange fackelte, sondern gleich zur Tat schritt.
„Dann erlaube mir noch zwei Fragen.“
Jamy hob eine Augenbraue. Während ich zwei Finger hob. Mein Zeigefinger tippte den rechten Daumen an. „Erstens: Wieso flieht Vaya, wenn sie doch so eine wichtige Aufgabe hat? Und zweitens...“, ich berührte den anderen Zeigefinger. „Was hat das alles mit mir zu tun?“
Der Mann vor mir verschränkte die Arme und holte tief Luft.
„Ich weiß es nicht genau, doch sie hatte sich ihrer Aufgabe bereits gestellt. Sie hatte sich vorbereitet und das aktuelle Oberhaupt, Lord Chernyy Yantar, wie er sich nennt, ablösen wollen. Der Vorfall ist mir nicht bekannt, doch sie ist einfach verschwunden. Irgendwie musste sie dich getroffen haben, und sie vertraut dir nun.“
Darauf erwiderte ich nichts.
„Was hat denn dieser Lord so Böses angestellt, dass ein Mädchen dafür flüchten muss?“
„Der Lord ist ein sehr direkter und …“, Jamy holte Luft, schien sich nicht sicher, wie er diese Frage beantworten konnte. „Er entscheidet teilweise ziemlich fragwürdig, willkürlich und unterstützt die bisherigen Minderheiten, sodass die größeren Clans sich beleidigt fühlen. Immer wieder hatte er keinen Frieden gestiftet, ist nicht zu Verabredungen erschienen oder nutzte seine Macht bei Dingen, die man nicht erklären kann. Kritik perlt bei ihm ab wie beim Lotuseffekt. Das Wasser symbolisiert in diesem Beispiel die Missbilligung der Stämme, die sammelte sich auf dem Boden vor ihm und sickert durch, ohne, dass er sich darum schert.“
Scheint ein ziemlicher Mistkerl zu sein.
Später, dank Jamy hatten wir sogar eine grüne Reihe an den Ampeln, erreichten wir zehn Minuten früher als gedacht, oder als ich es jemals geschafft hätte, meine Wohnung. Diesmal ließ mich meine Nachbarin in Ruhe, doch das schien auch ein Grund zu haben.
Holzsplitter sammelten sich auf dem Boden im Treppenhaus, während die Klinke schräg verbogen war. Die Tür war aus einer Angel gerissen worden, während ein Fußabdruck und die entsprechenden Senkungen den Aufstoß der Eingangstür bedeutete.
Jamy holte irgendwoher eine Waffe hervor, die ich mit großen Augen musterte. Er nickte mir zu, ich hielt mich hinter ihm und machte mich für einen Kampf bereit.
Leise schlich der Barkeeper hervor, die Waffe am Körper und sah sich konzentriert um. Als er im Flur keine Person sah, richtete sich sein Blick auf mich. Er wollte mir gerade zuweisen, in die Wohnung zu treten, als ich schreien wollte: „Hinter dir!“
Mehr konnte ich nicht, als sich eine Klinge an meinen Hals legte und ich an einen großen Leib gepresst wurde.